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Der Lieferant und die Verkäuferin
Peter Hastegs hartes, faltiges, grobes Gesicht lächelte das charmanteste Lächeln, das man mit solch einem Gesicht hinbekommen konnte. Er trug seinen neuen tiefschwarzen Overall, an dem er eine Zange und ein Telefon befestigt hatte. Aus seiner Hosentasche hing ein Schlüsselband mit der Aufschrift Boy.
„Na“, hatte er gesagt und sie hatte mit gespielter Langeweile gelächelt und „Du schon wieder?“ geantwortet.
Er stand etwas seitlich von ihr, damit die Kunden noch an ihre Kasse rantreten konnten, ohne dass er viel Platz machen musste. Sie saß hinter der Kasse in ihrem weißen Kittel, auf dem in roten Buchstaben ihr Name stand: Nina Walters, 3. Lehrjahr.
„Ja. Ich hab die Tour jetzt die ganze Woche. Günter ist krank.“
„Der war doch schon vorher krank.“
Peter nickte, obwohl er nicht fand, dass Günter schon vorher krank war, aber wenn er ihre strahlenden Augen ansah und ihr Lächeln, das sich ab und zu heimlich auf ihr Gesicht schlich, tat er diese Bemerkung liebend gern als intelligenten Witz ab.
„Sag mal, ist es nicht langweilig, den ganzen Tag hier zu sitzen?“, fragte er und wollte eigentlich doch sagen: Hast du nicht Lust mal mit mir ins Kino zu gehen?
Sie zuckte mit den Schultern und pulte an einem Fingernagel. „Manchmal schon. Aber ich kriege auf alle Sachen Prozente.“ Wieder schlüpfte ein zaghaftes Lächeln über ihr Gesicht, als sie ihn kurz von der Seite ansah.
„Das ist nicht schlecht.“, meinte Peter, dem es völlig egal war ob sie Prozente bekam oder nicht; wenn sie nur einmal mit ihm ausgehen würde, bekäme sie alles von ihm und zwar geschenkt. Es war doch so: sie war perfekt, wunderschön, wie die Frau auf der Packung Blond-Färbemittel von Loreal (das Goldblond Nr. 356, daß ihn immer an sie erinnerte, wenn er duzende davon in die Drogeriemärkte lieferte), aber sie war dabei längst nicht arrogant, zickig oder besserwisserisch. Und dann war da noch ihre schüchterne Art, nicht einfach nur schüchtern, sondern nach außen gelangweilt, divenhaft und innen warmherzig und gut. Sie war wie eine Diva und eine Jungfrau in einer Person. Solche Mädchen findet man nicht einfach auf der Straße. Die waren, zumindest in Peters Leben, unerreichbar und doch saß sie hier und unterhielt sich mit ihm.
Nina nickte und holte tief Luft, die sie gleich wieder ausstieß. Jemand, der sie nicht kannte, würde sagen, dass dieses Mädchen völlig interesselos war, dass sie nur Zeit verstreichen ließ und niemals mit Peter ausgehen würde, nie. Aber wenn man genau hinsah, konnte man erkennen, dass genau das ihre ganz besondere Art der Zurückhaltung war. Aber so sicher war sich Peter mit dieser Theorie nicht. Immer wenn er dachte, jetzt hatte er Nina verstanden, löste sich alles wieder vor ihm auf.
„Wenn ich auf alles Prozente kriegen würde, was ich ausliefere... .Junge, Junge!“
„Jaaa.“
„Ach, da fällt mir ein: hast du schon den neuen Schleckermarkt gesehen?“
Er konnte sich nicht erklären, warum er ihr das erzählte, aber nun war es raus.
„Nö. Welchen neuen meinst du denn?“, fragte sie interessiert. Wirklich interessiert! Sie sah ihn diesmal sogar länger an als sonst.
„Auf der Stargarder Straße, warte mal...“, sprudelte es aus ihm heraus, um bloß nicht wieder ihre Aufmerksamkeit zu verlieren, „zwischen ..., na zwischen Lychener und Pappel, glaub ich.“,
„Nee, ist nicht meine Ecke.“
„Das ist nur zwei Minuten von hier.“
„Ach so.“
Und da war ihr Interesse wieder erloschen. Sie ließ ihren Kaugummi von einer Seite zur anderen wandern, kaute kurz darauf herum und tat dann so, als wäre nie ein Kaugummi da gewesen.
„Na, auch egal.“
Verdammt, wenn er nur aus ihr schlau werden könnte, wenn er verstehen würde, warum sie in der einen Sekunde so offenherzig war und in der nächsten wieder ganz abwesend. Wenn er das nur soweit beeinflussen könnte, dass er rausfinden könnte, ob sie ihn mag oder nicht. Solange er so unsicher bei ihr war, konnte er keine Minute aufhören an sie zu denken. Es war wie eine Sog, wie diese Rätselshows, die seine Mutter sich ansah und mitriet und zählte wieviel sie gewinnen würde, wenn sie statt der anderen da sitzen würde. Es war wie ein Weg, den man weder vor noch zurück gehen konnte. Wie ständige Sonnenscheinvorhersagen, die sich jeden Morgen in Regen auflösten. Fast war es ihm egal, wie die Entscheidung ausfiel, hauptsache er wüsste, ob seine Anstrengungen Aussicht auf Erfolg hätten. Aber nein, es war ihm nicht egal. Er wollte sie für sich gewinnen. Wenn er wenigstens wüsste, was gerade im Kino lief, könnte er einfach über Filme reden und vielleicht... . Aber er wusste nichts über aktuelle Filme, war seit Jahren nicht mehr im Kino, es gab ja auch niemanden und mit seinen Kumpels ging er höchstens mal Fussball gucken, aber selbst das war nicht sein Ding... .
„Sag mal, weißt du einen guten Film, der gerade im Kino läuft, den man sich ansehen kann? Ich meine, meine Schwester ist in der Stadt und na ja, ich weiß nicht so richtig...“
„Keine Ahnung. Ich war seit Ewigkeiten nicht im Kino.“, antwortete sie ruhig.
„Ach so.“ Peter wusste, dass er sie jetzt einladen sollte, aber es ging nicht. Nicht solange ihre Verhalten so undurchsichtig war. „Das ist ja schade.“
„Naja, ist ja auch teurer geworden.“, meinte sie nachdenklich und er war ganz erfreut über ihre Bemerkung, denn das würde ja heißen, dass sie gern gehen würde und nur auf eine Einladung wartet, eine Einladung von ihm... .
„Man kann ja auch DVD gucken. Ein Freund von mir hat einen DVD-Player.“, fügte sie schnell hinzu.
„Ja, kann man auch.“, sagte er und versuchte ‚einen Freund’ zu definieren.
„Die Filme kommen ja alle auf DVD, manche schon ein paar Monate nachdem sie ihm Kino waren.“
„Guckst du oft DVD?“, fragte er sie.
„Nein. Eigentlich hab ich bis jetzt nur ein Mal geguckt.“
Also kein guter Freund. Dennoch bekam er keinen Bogen mehr zu einer Einladung hin. Jetzt war es vorbei. Sein Herz flatterte nervös und er war erschöpft. Seine Nase juckte.
„Kannst ja in die Zeitung gucken.“
„Was?“
„Wegen dem Kino...“
„Ach so! Ja, mach ich.“
Er kratzte sich die Nase. Nina sah weg, beobachtete zwei Kundinnen, die Wimperntusche auf und zuschraubten.
„Vielleicht kommt meine Schwester gar nicht.“, sagte Peter, der sich nun für seine Lüge schämte.
Nina sah kurz zu ihm, lächelte ihr warmes, viel zu kurzes Lächeln und brachte ihren Kaugummi in Bewegung.
„Hallo“, sagte sie zu den beiden Kundinnen und zog die Artikel über den Scanner.
„Neunzweiundziebzig.“
Die Frauen legten das Geld in ihre schmale Hand und packten die Sachen in ihre winzigen Handtaschen.
„Brauchen Sie einen Bon?“, fragte sie, aber die Frauen waren so mit sich selbst beschäftigt, dass sie die Frage überhörten. Nina zuckte mit der Schulter und warf den Bon in den Müll.
„Brauchst ja gar nicht viel machen.“, sagte Peter, als sich die Tür schloss.
„Hier nicht, aber ich bin ja nicht jeden Tag an der Kasse.“
„Gott sei Dank, oder?“
„Ich find’s ganz gut hier.“
Er konnte sich nicht vorstellen, dass man es gut finden konnte, den ganzen Tag hinter so einer Kasse eingeklemmt zu sein. Aber er konnte sich auch nicht vorstellen, wie es ist eine Frau zu sein und schön und geheimnisvoll zu sein und wie man im einen Moment Hoffnungen wecken konnte, die man im nächsten Moment zerstörte. Vielleicht war Nina nur ein nettes Mädchen, das eben nett sein wollte und ihn nicht vor den Kopf stoßen konnte. Aber ihre Blicke waren doch mehr, das konnten doch nicht nur nette Blicke sein.
„Musst du nicht bald los?“, fragte sie ihn.
„Ich hab noch...“, fing er an, aber dann kam ihm diese Frage, wie eine Aufforderung zum Gehen auf. „Ja, ich muss noch ein bisschen rumfahren. Also, dann mach’s mal gut, ja?“
„Wann lieferst du denn wieder?“, rief sie ihm hinterher.
„Montag.“
„Ah, dann bis Montag!“
Und wieder lächelte sie ihr Lächeln ein paar Sekunden länger als nötig.