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Der Mörder und sein Henker

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14.04.2002
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Der Mörder und sein Henker

Mit ohrenbetäubendem Kreischen öffnete sich die Gittertür. Die Ankunft des Neuen hatte noch vor seinem Eintreffen die Runde gemacht und schon jetzt erregte er Aufsehen unter den Insassen. Nicht immer erregte ein Neuer ein derartiges Interesse unter den Häftlingen. Aber diesen musste man genauer unter die Lupe nehmen. Schließlich galt: Einmal Mörder, immer Mörder. Und man musste wissen, vor wem man sich hier in Hell’s Gate besonders zu hüten hatte.

Die Enttäuschung war ziemlich groß, als ein eher zart gewachsener, dunkelhaariger Mann mittleren Alters an den unzähligen Zellen vorbei geführt wurde. Das Blau der Gefängniskleidung ließ ihn sogar ein wenig sensibel wirken.
„He!“, tönte da eine Stimme aus 472. Der Neue blieb stehen, ruckartig, mit starrem Blick. Auch die Wachen hielten inne.
„Wie ist dein Name, Neuer?“ Der Häftling 472 kam ganz nah ans Gitter heran. Die Stäbe schienen ihm Schutz genug zu bieten.
Der Neue drehte langsam seinen Kopf und blickte ihm so tief in die Augen, als ob er das tiefste seiner Seele verschlingen wollte. „Welchen Namen würdest du mir geben?“, fragte der Neue.
„I...Ich.......Ich weiß nicht!“, stotterte der Häftling und versuchte, seine Augen von ihm los zu reißen. Doch der Blick war durchdringend, magnetisch fast, dass es ihm schwer fiel, auch nur zu blinzeln.
„Sag Henker zu mir!“, zischte der Neue. „Und sag es allen weiter, hast du gehört? Der Henker ist nach Hell’s Gate gekommen.“ Das Zischen seiner leisen, durchdringenden Stimme klang noch nach, während 472 sich blass und stolpernd in den dunkelsten Winkel seiner Zelle zurückzog. Vergeblich versuchten die Beamten Braun und Gerber den Neuen weiter zu schleppen. Doch lachend stand er vor der Zelle und fixierte den armen Teufel, als ob er im Finstern sehen könnte. Erst ein Schlag mit dem Knüppel konnte den Henker zum Weitergehen bewegen.
Vor der Gittertüre der Zelle 476 löste der Gerber die Ketten. Dann stieß er ihn in die Zelle und das Tor schloss sich wie von Geisterhand.

„Für uns“, sagte Braun, „heißt du 476, wie es auf deinem Hemd steht, hast du verstanden? Bilde dir nur ja nicht ein, du könntest hier Unruhe stiften. Wer nicht spurt hungert. Wer lange nicht spurt hungert lange. Wer gar nicht spurt, verhungert. Das sind hier die Regeln.“
„Lass ihn in Ruhe! Er hat sowieso nur eine Woche“, versuchte Gerber ihn zu beruhigen. „Aus seiner Zelle kommt der vor seiner Hinrichtung nicht mehr raus.“ Damit gingen sie. Vor 472 blieben die beiden noch einmal stehen und Braun leuchtete mit seiner Taschenlampe die hinterste Ecke der Zelle aus. Schützend versuchte 472 seine Hand vor die Augen zu halten. „Sein Name ist Knut Kessler. Und sieh zu, dass du wieder Farbe ins Gesicht bekommst. Siehst ja echt beschissen aus! Kleine Taschendiebe sollten sich mit den wahrhaftig Großen ihres Schlages nicht anlegen. Lass dir das gesagt sein.“ Mit dem Knüppel ließ er die Gitterstäbe klingen, ja, es war ein Klang in seinen Ohren!
„Kommst dir wohl gut vor mit deinem Spielzeug, he?“, ertönte plötzlich Kesslers Stimme. „An armen kleinen Taschendieben vergreifst du dich am liebsten, hab ich Recht? Aber vor mir scheißt du dir die Hosen voll und brauchst dein niedliches kleines Spielzeug!“

„Soll ich dir mal was verraten, du Henker, du? Ist dir schon mal zu Ohren gekommen, wie man hier die ganze Teufelsbrut in die Hölle befördert?“ Herausfordernd blickte Braun durch die Gitterstäbe. „Du bekommst eine Kugel in den Kopf, wie all die Leute, die du umgebracht hast. Hab ich recht, du hast sie doch erschossen, nicht wahr, mit einer schönen, sauberen, kleinen Kugel aus DEINEM Spielzeug. Aber wenn du glaubst, das geht schnell und schmerzlos, dann hast du dich getäuscht, so wie all die anderen vor dir. All die Messerstecher, Vergewaltiger und das ganze andere Ungeziefer. Für jeden hat man hier seine eigenen Methoden. Dir schrauben sie eine schöne, saubere, kleine Kugel in den Kopf, langsam, erst durch die Haut, dann durch den Schädelknochen und tiefer, immer tiefer in dein krankes Hirn hinein. Hast du schon einmal Kopfschmerzen gehabt? Natürlich! Blöde Frage. Aber glaube mir! Gegen das, was dich nächste Woche erwartet, ist ein Migräneanfall so angenehm wie einmal Naseputzen. Und ich werde höchstpersönlich dabei sein. Nur so zum Spaß! Schöne Woche, wünsch ich dir noch, Henker!“ Er ließ Kessler stehen, drehte sich um und stapfte auf Gerber zu.

„Du hast doch eine hübsche Frau, so ein richtiges Täubchen, nicht wahr?“, zischte ihm Kessler nach. Seine Stimme hallte leise und durchdringend an den kalten, glatten Mauern wider. „Weißt du, wie viele Bullenfrauen ich schon gehabt habe? Nur so zum Spaß! Und weißt du, wie brav sie Danke gesagt haben, bevor ich ihnen eine Kugel in den Kopf gejagt habe?“
„Kein Essen für 476!“, rief Braun, ohne sich noch einmal umzudrehen. „Auf deinen Tod wart ich schon, jeden Tag werde ich zählen! Ja, die Welt hat einfach keinen Platz für euch alle. Hättet halt was aus eurem Leben machen sollen. Eine zweite Chance kriegt ihr nicht. Hab ich nicht Recht, Taschendieb?“, fragte er ins Dunkel der Zelle 472. „Nicht einmal ein so kleiner, harmloser Taschendieb wie du. Wann bist du dran? Wir werden an dich denken, wenn es so weit ist.“ Hämisch grinste er durch die Stäbe.
„Hast du dich endlich ausgetobt?“ Gerber verdrehte die Augen. „Lass uns endlich gehen!“
„Verstehst du das? Die wissen alle ganz genau, dass die Hölle auf sie wartet! Die Kleinen wie die Großen. Die Taschendiebe“, er spuckte diese Worte geradezu durch die Stäbe von 472, „wie die Mörder. Und trotzdem schreckt ihr Scheißkerle vor nichts zurück, ihr Ärsche! Hört ihr, die Welt hat keinen Platz für euch.........!“
„Wollen wir noch mal auf dein süßes kleines Täubchen zurückkommen oder erklärst du mir lieber mal, wie man hier einen Taschendieb in die Hölle befördert. Wollt ihr ihm seine Taschen klauen und hofft, dass er elendiglich daran zugrunde geht? Hä? Wie sieht’s aus? Ihr seid ja alle krank hier! Verkappte Mörder seid ihr, alle! Habt noch Spaß dran!“ Kessler war an die Stäbe gestürzt und rüttelte daran, als ob sein Leben davon abhinge.
Braun drehte sich nochmals um, fasste dabei seine Dienstwaffe aus dem Halfter, gab einen Wink und schritt langsam auf 476 zu. Noch bevor er angelangt war, öffnete sich wie durch Geisterhand das Gittertor.

Kesslers Augen zogen sich zu Schlitzen zusammen und er wich vom Tor zurück.
„Na, los! Komm doch! Henker! Erzähl mir was über mein Täubchen! Ich bin schon neugierig! Los, spuck’s aus! Oder ist dir die Spucke jetzt weggeblieben? Hä?“ Langsam näherte er sich der Zelle. Dann blieb er abrupt stehen. Kessler hatte sich vor ihm auf dem Gang aufgerichtet, die Hände in die Seiten gestemmt und grinste. „Das wolltest du doch, nicht? Ich soll aus meiner kleinen schäbigen Zelle herauskommen, damit du mich erschießen kannst, nicht wahr? Auf der Flucht erschossen! So einfach geht das bei euch hier. Na los, jetzt bist du am Zug. Wo ist deine Waffe? Sieh nur, ich dreh mich sogar um für dich, damit du dir bei deinem Bericht leichter tust!“ Tatsächlich drehte Kessler dem Wächter den Rücken zu und blickte über die Schulter. „Los, bring es hinter dich, bist ja schon ganz geil drauf! Schieß! Schie........“ Im selben Augenblick hallte ein ohrenbetäubender Schuss durch Hell’s Gate. Langsam ließ der Aufseher seine Waffe sinken. Kessler kippte vorne über. Blut sickerte aus dem Loch in seinem Rücken. „Jetzt hast du mir den Spaß verdorben“, zischte Braun und steckte seine Pistole zurück.

[ 09.07.2002, 12:29: Beitrag editiert von: Barbara ]

 

Hallo Imperator!

Danke für deine Kritik. So kleinkariert ist sie gar nicht und ich muss dir leider in allen Punkten der Anklage Recht geben. Habs schon ausgebessert.
Tja, ich habs mal ausprobiert, was weniger Sensibles zu schreiben - ist wohl nicht so gelungen.

Zu Frage Wann und Wo spielt die Story: Naja, irgendwo in einem fernen Land zu irgend einer Zeit, in der man sich wohl gut überlegen muss, wie man die vielen Verbrechern rasch und möglichst abschreckend bestraft.
WIe gesagt, wars nur ein Versuch - kein glücklicher!

Ach ja und zum Schluss kommt der Kerl aus seiner Zelle raus:

Zitat:
"Braun drehte sich nochmals um, fasste dabei seine Dienstwaffe aus dem Halfter, gab einen Wink und schritt langsam auf 476 zu. Noch bevor er angelangt war, öffnete sich wie durch Geisterhand das Gittertor."

Liebe Grüße
Babs :dozey:

[ 09.07.2002, 12:30: Beitrag editiert von: Barbara ]

 

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