Der Mörder
Der Mörder
Er hatte es tatsächlich getan. Und es war gar nicht mal schwer gewesen. Ganz im Gegenteil: Ganz einfach ist es gegangen. Und so schnell. Er hatte immer gedacht der Tod kommt langsam. Ganz langsam. Langsam schleicht er sich an, und gleitet quälend über einen hinweg. Doch das war nicht so. Der Tod kam plötzlich. Blitzartig. Sirrt wie ein Pfeil durch die Luft und - Zack! Da war er auch schon. Der Tod.
Er hatte den Tod gerufen. Er war dabei, er hat mit eigenen Augen gesehen wie blitzartig der Tod in einen Menschen gleiten kann. Rasend schnell. Einfach so.
"Du bist ein Mörder!". Und da war es noch einmal: "Du bist ein Mörder!". Er schaute sich um. Doch scheinbar konnte niemand sonst diese eiskalte Stimme sprechen hören. "Du Mörder!" Sie war in seinem Kopf. "Mörder!" Die Stimme war tatsächlich in seinem Kopf. War es etwa seine eigene? "Mööööööörder!" Ja, das war eindeutig seine eigene Stimme. Seine eigene Stimme in seinem Kopf. "DU hast ihn getötet. Mörder! Eingesperren sollten sie dich! Erhängen! Du Mörder!" Konnte auch wirklich niemand sonst diese gräßlichen Worte vernehmen? Oder diese schaurige Stimme? "Du bist ein Mörder. Und das weißt du auch. Früher oder später werden es alle erfahren. Mit den Fingern werden sie auf dich zeigen!" Er presste die Hände auf die Ohren. Er konnte das nicht mehr hören. Doch die Stimme sprach weiter. Umbarmherzig sprach sie einfach weiter. "Mörder!" Und immer weiter sprach sie. "Du Mörder!"
"Neeeeiiiin!" Schrie er. Einige der anderen Gäste schauten sich nach ihm um. Doch als er keine weiteren Reaktionen zeigte, runzelten sie nur die Stirn oder schüttelten die Köpfe über diese unverschämte Störung, und wendeten sich wieder ihrem Kuchen oder Kaffee zu. "Mörder!"
"Ich bin kein Mörder!" Diesmal schrie er nicht, er flüsterte. "Das ist alles nicht wahr. Ich bin kein Mörder!" "Doch das bist du. Und das weißt du auch." Da war sie auch wieder, diese fremdartige Stimme, die doch seine eigene war. "Es war Notwehr!" wisperte er wieder. War es Notwehr gewesen? Nein. Das war es bestimmt nicht. Das wusste er. Aber er wünschte es wäre so. Er wollte, es wäre Notwehr gewesen. "Ich bin ein Mörder." flüsterte er.
Der Mann hatte so merkwürdig still auf dem Boden gelegen. Einfach so. Nur dagelegen. Fast als würde er nur schlafen. Vielleicht war er ja auch gar nicht tot gewesen? Vielleicht lebte er noch? Vielleicht war er ja gar kein Mörder? Er sprang auf. Dabei fiel sein Stuhl um. Der Kellner warf ihm einen ärgerlichen Blick zu. Doch das war ihm egal. Alles war ihm jetzt egal. Er rannte aus dem Café. Wutentbrannt lief ihm der Kellner hinterher und schrie etwas, was er nicht verstehen konnte. Vermutlich wollte er Geld sehen. Er hatte nämlich noch nicht bezahlt. Aber das war unwichtig. Er musste wissen ob der Mann nicht doch noch lebte. Vielleicht hatte er sich getäuscht? Und es war gar nicht der Tod gewesen der über den Mann hergefallen war? Es könnte doch immer noch sein dass er gar nicht gemordet hatte? Vielleicht war es ja auch nur eine Ohnmacht gewesen? Und das würde bedeueten, er sei gar kein Mörder!
Er fing noch schneller an zu rennen.
Doch was war mit dem vielen Blut? Aprupt bremste er ab. Überall war Blut gewesen. Einfach überall. Der leblose Körper war überströmt von dem roten Zeugs. Seine Hände waren voll damit gewesen. Er hatte sie im Bad waschen müssen. Seine Hose. Er hatte sich umziehen müssen. Sein Jackett. Auch das hatte er sich von seinem Opfer nehmen müssen. Der Teppich war getränkt von Blut gewesen. Der Mann konnte gar nicht mehr leben.
Er war ein Mörder.
Er lief weiter. Bein heben. Bein absetzen. Anderes Bein nachziehen. Bein heben. Bein absetzen. Anderes Bein nachziehen. Mechanisch setzte er einen Fuß vor den anderen. Er konzentrierte sich nur noch auf das Gehen. Bein heben. Bein absetzen. Anderes Bein nachziehen. Er wollte an nichts anderes mehr denken. Einfach nur gehen. Bein heben. Bein absetzen. Anderes Bein nachziehen. Doch dann war da wieder diese Stimme. "Möööööööööörder!" Bein heben. Bein absetzen. Anderes Bein nachziehen. Bein heben. Bein absetzen. Anderes Bein nachziehen. Und wieder "Mööööörder!" Bein heben. Bein absetzen. Anderes Bein.... "Möööööörder!"
Es hatte keinen Zweck. Also begann er wieder zu rennen.Wie ein Irrer lief er durch die Straßen. Bis er vor seiner eigenen Wohnungstür stand. Er vernahm noch ein leises "Möööörder" aus einer hinteren Ecke seines Schädels und dann war Stille. Das Laufen hatte geholfen.
Er stand einfach nur da und starrte seinen eigenen Klingelknopf an. Daneben stand das Namensschild: Konrad Berger. Und darunter: Amelie Schlösser. Amelie. Alles war nur ihre Schuld. Sie hatte ihn zum Mörder gemacht. Er hatte sie wirklich geliebt. Und sie? Schnappte sich den erst besten und hüpft mit ihm in die Kiste. Doch damit war jetzt Schluss. Amelie würde jetzt für immer ihm gehören. Denn ihre Affäre war tot. Mit einem Messer in der Brust lag der Mann nun in seiner Wohnung. Er hoffte, dass Amelie seinen Leichnam als erste finden würde. Ihr entsetztes Gesicht. Ein grimmiges Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. Und dann würde sie voller Reue zu ihm zurückkehren.
Er holte den Schlüssel aus seiner Jacketttasche. Wobei es gar nicht sein Jackkett war. Es war das Jackett seines Opfers. Das (von) Amelies Affäre. Seines war ja so voller Blut gewesen. Blut. Rotes, dunkelrotes Blut.
Er betrat die Wohnung. Sie war sauber gewischt, so wie immer. Alles war so wie immer. Doch dann kehrte die Stimme wieder zurück:"Nichts ist so wie immer. Du hast deinem Ruf alle Ehre gemacht." Er wollte das nicht hören. Doch es gab keinen Ausweg. Er musste sich anhören, was seine eigene Stimme ihm zu sagen hatte. "Der Anwalt der über Leichen geht. Oh ja."
Die eine Seite sagte ihm, dass er ein Mörder war. Ein eiskalter Mörder. Und ihn plagten Schuldgefühle. Er hatte einem anderen Menschen das Leben ausgesaugt. Er hatte den Tod gerufen. Mit dem Messer. Und es war doch so einfach gewesen. Einfach nur zustechen. So einfach.
Und die andere Seite triumphierte. Das Schwein hatte es doch nicht anders verdient. Er hat sich an seiner Freundin vergriffen. Es musste sterben.
Litt er jetzt schon unter einer Schizophrenie?
Doch er hatte das doch alles gar nicht so gewollt. Er wollte ihn doch nur warnen. Er wollte mit ihm reden. Ihm sagen, dass er die Finger von seiner Freundin lassen soll. Weil er sie doch so liebte. Doch dieses Schwein hat nur gelacht. Ausgelacht hat es ihn. Und da ist er durchgedreht. Und da lag dann auch noch dieses Messer.....
"Mörder!" Ja, er war ein Mörder. Das konnte er auch nicht weiter leugen. Doch was würde nun mit ihm geschehen? Er würde ins Gefängnis gehen müssen. Vermutlich auch noch lebenslänglich. Wie viele dieser Mörder hattte er schon hinter Gitter gebracht? Mindestens ein Dutzend! Und alle hatte er sie verachtet. Er war ein Anwalt im Anfangstudium, und er war schon sehr erfolreich gewesen. Erfolgreicher schon als einige seiner berufserfahrener Kollegen.
Und nun war er selbst zu einem der jenigen geworden, die er so verachtete?
"Wenn ich mich selber stelle, gibts eine mildere Strafe... " dachte er. Aber er wollte doch nicht ins Gefängnis!
Es war doch alles Amelies Schuld! Bisher war sein Leben immer erfolgreich gewesen: Er hatte viel Erfolg im Beruf, eine hübsche Freundin, die er über alles liebte, und die seine Liebe genauso heftig erwiderte.......doch dann fängt seine Freundin einfach so was mit einem anderen an. Hinter seinem Rücken! Wahrscheinlich wussten alle davon, nur er nicht! Und man hatte sicherlich über ihn gelacht! Doch er liebte Amelie so sehr! Dieses Schwein hatte sie bestimmt dazu gezwungen, mit ihm etwas anzufangen... freiwillig hätte "seine" Amelie dass doch nicht gemacht, da war er sich sicher. Also hatte dieses miese Schwein doch nur das bekommen, was er verdiente. Den Tod.
Amelie war keine Schuld zu geben. Sie konnte schließlich nichts dafür. Denn er liebte sie.
Doch sein Leben war kaputt. Er selbst hatte es zertört. Nein, Amelies ehemaliger Liebhaber hat es zerstört. Er war ja doch ein Mörder. Wie konnte er nur so naiv sein, und glauben, dass Amelie jetzt zu ihm zurückkehren würde? Zu einem Mörder?
Und seinen Beruf konnte er wohl auch an den Nagel hängen... man wird DNA-Spuren am Tatort finden... und dann musste er ins Gefängnis...
Er trat auf den Balkon. Unten wuselten die Autos durch die engen Straßen. Er kletterte über das Geländer. Sein Leben hatte ja doch keinen Sinn mehr. Unten, auf dem Bürgersteig, 13 Stockwerke tiefer, hatte ein kleiner Junge ihn entdeckt. Wie unschuldig er aussah, auch von hier oben noch, und mit dem Finger auf ihn zeige. Seine Mutter folgte dem ausgestreckten Finger und schlug sich erschrocken die Hand vor den Mund. Dann kramte sie in ihrer Tasche, vermutlich nach einem Handy, um die Polizei zu verständigen, die dann mit ihren Psycho-Fritzen hier aufkreutzen werden, und versuchen werden ihn hier heil herunterzubekommen. Sie werden ihm dann einige Lügen auftischen, und ihn dann doch ins Gefängnis stecken.
Und es würde in den Schlagzeilen stehen: "Erfolgreicher Anwalt wird aus Eifersucht zum Mörder! Polizei stellte ihn rechtzeitig!" oder "Dank der schnellen Reaktion der Polizei konnte psychisch-kranker Anwalt gefasst werden!"
Oh nein, diese Demütigungen würde er nicht über sich ergehen lassen. Und auch Amelie, die er doch so sehr liebte, auch sie, dieses verlogene Drecksstück, würde ihn nie vergessen. Ihn, den Mann den sie eigentlich lieben sollte. Und er sprang. Und der Tod sirrte blitzartig wie ein Pfeil in seine Brust, und brachte sein Herz mit dem Aufprall zum Stehen.