Der Mai ist gekommen
1.Mai 2007
Dienstag! Feiertag, viel zu langes Wochenende, Kopfschmerzen (den 7. Tag infolge), liege im rechten Winkel auf meiner Klappcouch und bin schon so weit, dass ich mir Zahnschmerzen wünsche um endlich mal ein wenig Abwechslung zu bekommen. Ich höre das Brodeln des Wasserkochers in der Küche als mir dieser süße, klebrig, leckere Duft in die Nase steigt. Einer von der Sorte, der völlig unvermittelt durchs Fenster einströmt und sich wie ein Teppich wohliger Erinnerungen über die Sinne legt. Mmmmh, dieser Duft von Pflanzenöl, Salz, Pfeffer, Paprika, Knoblauch, Kräuter der Provence, Mononatriumglutamat und Farbstoffen…
- gut verrührt in einem 10 Liter – Eimer, danach in eine große Edelstahlwanne gegossen, lässt ein Metzger, dessen Namen wir wohl nie erfahren werden, 50 kg leckeres Schweinefleisch aus einer Kunststoffwanne in dieses wohlige Bad aus wohlschmeckenden Träumen gleiten und badet es darin für mehrere Stunden, mit einem Blick völliger Zufriedenheit. Es ist ihm vollkommen klar, dass er soeben ein Meisterwerk geschaffen hat, aber er bleibt bodenständig, er weiß, dass er nur seine Pflicht getan hat.
Ich nehme einen Schluck grünen Tee aus der Tasse neben mir; Dritter Aufguss – immer noch wohlschmeckend, immer noch grün, aus biologischem Anbau, zahlt sich echt aus! Ändert aber leider nichts an dem Horrorszenario, welches sich im Hinterhof des Hauses abspielt, in dem ich, schon vor Jahren, eine bescheidene aber kleine Wohnung bezogen habe. Die Geräuschkulisse verrät mir was mich erwartet, aber ich werde einfach nicht schlauer! Ich richte meinen schlaffen Körper auf und blicke aus dem Fenster. Da sitzen sie wieder und brutzelten ihre massigen Gebeine in der heißen Mittagssonne. Ihre gierigen Blicke bewachen den Grill auf dessen Rost die Kunstwerke der wohlschmeckenden Träume drapiert sind und ihr Lied der Vergänglichkeit zischen, wenn die Marinade in die Glut tropft. Kein Lied von Traurigkeit, sondern von der Erkenntnis für ein übergeordnetes Ziel bestimmt zu sein. So tapfer! Angesichts der Tatsache, das ein Hund von der Größe mehrerer Doggen seinen massigen Kopf über sie hängt und mit seiner riesigen Zunge und langen Speichelfäden die Marinade verdünnt während Wolle Petri, in üblicher Ruhrpott - Art, seine Gleichgültigkeit zum Ausdruck bringt.
„dat is mir scheiß-egal!“ dröhnt eine männliche Gesangstimme, ausgebildet während unzähliger Schalkeduelle gegen Lüdenscheid – Süd. Es ertönen Kunststofffeuerzeuge an Kronkorken: „Plopp“.
Ein stattlicher Bauchträger von Anfang fünfzig, dem solche Feiertagsgelage nicht mehr das geringste anhaben können, steht vor der, in Gartenstühlen rumgammelnden Horde und begleitet wild gestikulierend seine, für meine Ohren vollkommen unverständlichen Anekdoten. Plötzlich, lautes Lachen – Schreien, Flaschen klimpern - rollen vom Tisch - fallen lautlos ins Gras, Frauen (oder zumindest deren Gattung zugehörig) Quietschen entzückt, loben den lebendigen Erzählstil des Bauchträgers, während der sabbernde Riesenköter (für einen Moment unbeobachtet) ein großes, saftiges Exponat vom Grillrost schleift, um es, wie der „Geist“ oder die „Dunkelheit“, im Schatten eines Baumes zu verschlingen.
Die dünnste der Frauen springt in Panik auf: „Klaus, der Hund!!“ schreit sie.
Der Bauchträger, der auf den Namen Klaus hört, dreht sich orientierungslos um die eigene Achse: „wat is los?!“ „der Hund!!“ kreischt sie wieder. „Kerl, wat is mit dem…, wat hat der den da im Maul?!“ fragt Klaus fassungslos. „Dat isn Kotelett, Klaus, deins!“ antwortet sie panisch (und lacht sich hinter vorgehaltener Hand einen Ast). Klaus, schweinesauer, aber sichtlich verunsichert schleudert dem schmatzenden Ungetüm nur ein heiseres „Ey!!“ entgegen. Der leckt sich das Maul und lässt den massigen Kopf, zufrieden, auf seine überkreuzten Vorderpranken sinken. Stille macht sich breit - Endzeitstimmung!
Während dessen steigt eine dunkle, nach Unheil riechende Rauchsäule vom Grill empor und verbreitet die grauenhafte Botschaft, welche an einem Werktag sicherlich auch noch von den traurigen Augen eines gewissen Metzgers hätte verstanden werden können:
„Hier sitzen gleichgültige Kunstbanausen, die eure Werke verbrennen und sie den Hunden zum Fraß vorwerfen, statt sie ihrer Bestimmung zuzuführen.
Der einzige Augenzeuge: ein kunstbegeisterter, aber kopfschmerzgeplagter Grünteetrinker mit viel zu wenig Pflichtbewusstsein.
Ach ja, und der Mai ist gekommen…