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Der Mann im Smoking
Es war ein düsterer Novemberabend. Im strömenden Regen fuhr ein alter schwarzer Passat, der seine besten Jahre längst gesehen hatte. Das Gleiche galt für den Besitzer. Georg Bauer war ein Mann von dreiundsechzig Jahren, graue Stoppeln im Gesicht, die blutunterlaufenen Augen tief in die Höhlen gefallen, ungepflegte gelbliche Zähne und fettige zersauste Haare. Im Mundwinkel des eingefallenen Gesichts hing meist eine Zigarette, durch langjährige Übung so platziert, dass man jederzeit nach einer Bierdose greifen und sich einen Schluck genehmigen konnte.
Auch heute konnte man wieder eine Dose im Getränkehalter des Passats vorfinden. Weitere lagen auf dem Rücksitz, manche leer, andere noch ungeöffnet.
Nach ein paar Minuten Fahrt kam Bauer in ein Waldgebiet. Obwohl es schon gedämmert hatte, war Bauer immer noch ohne Licht unterwegs gewesen. Doch da es mitten im Wald noch dunkler wurde, schaltete er mit einer unwirschen Bewegung das Licht ein.
„Licht an. Licht ist gut, muss sein.“,
brabbelte er zusammenhangslos. Er hatte an diesem Tag bereits einige Biere hinter sich. Es war ihm auch schon ein bisschen benebelt zumute, aber er war diesen Weg die letzten paar Jahre so oft gefahren, den größten Teil davon nach einem Kneipenbesuch, und nie war etwas passiert. Warum sollte also gerade heute irgendetwas Besonderes geschehen?
Die Scheinwerfer tauchten die Straße in ein geisterhaftes Licht. Man konnte kaum mehr als ein paar Meter weit sehen, Nebelschwaden ließen alles sehr unwirklich aussehen. Äste von den Tannen am Straßenrand rankten sich wie lange Hände mit unzähligen Fingern ins Sichtfeld.
Bauer fröstelte und schaltete mit zitternden Fingern die Heizung an. Er wäre froh, wenn er schon wieder aus dem Wald heraus wäre und zurück auf die normale Landstraße käme. Um sich abzulenken, schaltete er noch das Radio an. Zuerst war der Empfang zu schlecht, aber nach kurzem Justieren des Geräts wurde das Auto mit den Nachrichten des örtlichen Radiosenders beschallt:
„ Der Mann wird als nicht zurechnungsfähig eingestuft. Schon vor einigen Wochen hat der Gesuchte eine Frau auf ähnliche Weise umgebracht. Die Polizei versucht nun ...“
Bauer räusperte sich, und schaltete das Radio ab. Nervös steckte er sich eine Zigarette an. Der Nebel war inzwischen noch dichter geworden, dicke Schwaden waberten über die Straße. Trotz allem verringerte Bauer sein Tempo nicht, er wollte nur noch weg.
Das sollte ihm zum Verhängnis werden. Vor ihm stand eine regungslose Gestalt auf der Straße. Bauer riss das Lenkrad zur Seite und trat hart auf die Bremse. Der Wagen schlitterte einige dutzend Meter und kam hinter der Gestalt zum stehen.
Einige Momente blickte Bauer regungslos aus dem Fenster, die Hände waren zitternd ans Lenkrad geklammert.
„Idiot, hätte dich beinah überfahren“, murmelte Bauer mit bebender Stimme. Wieder griff er zum Bier und nahm einen tiefen Schluck.
Immer noch ein wenig zitternd legte er den Rückwärtsgang ein und fuhr unsicher zu der Gestalt auf der Straße zurück.
Regenmassen stürzten auf die Frontscheibe herab, so dass die Scheibenwischer alle Mühe hatten, ihrer Pflicht nachzukommen. Die schwachen Scheinwerfer durchdrangen den Nebel gerade noch bis zum nächsten Seitenpfosten.
Ein sachtes Klopfen an das Seitenfenster folgte. Kurz darauf öffnete sich die rechte Autotür und ein gepflegter Mittdreißiger beugte sich in den Wagen. Man hätte denken können, dass seine freundlichen Gesichtszüge für Sekundenbruchteile entgleisten, als ihm Bier- und Zigarettengestank, vermischt mit ranzigem Schweißgeruch wie eine Wolke entgegenschlug. Es hätte aber auch Einbildung sein können.
Der Mann erkundigte sich in freundlichem, kultivierten Ton, der Bauer den Eindruck eines Geschäftsmannes vermittelte:
„Entschuldigen Sie, hätten Sie freundlicherweise die Güte, mich ein Stück mitzunehmen?“
Dann deutete er mit unbestimmter Geste hinter sich auf einen Feldweg:
„Mein Wagen ist dummerweise stehen geblieben, ich muss aber noch einen wichtigen Termin in der Stadt wahrnehmen. Ich wäre Ihnen sehr verbunden.“
Hatte der Fremde nichts bemerkt? Es müsste ihm doch aufgefallen sein, dass er beinahe überfahren worden war. Hatte er überhaupt Anstalten gemacht auszuweichen?
„Tausend Dank mein Herr“, erwiderte der Unbekannte, ungeachtet der Tatsache, dass Bauer noch nicht geantwortet hatte und stieg dann, nachdem er seine Schuhe aufs penibelste abgeklopft hatte, ins Auto.
Er griff nach rechts nach dem Sicherheitsgurt und legte ihn an. Bauer, der ihn währenddessen wie vor den Kopf geschlagen beobachtet hatte, schluckte beklommen.
Der Mittdreißiger musterte Bauer knapp und meinte dann:
„Kommen Sie an Innstadt vorbei?“
Die einzige Antwort die er erhielt, war ein apathisches Nicken von Bauer.
„Na das ist ja wunderbar.“, meinte er mit eigentümlich ruhiger Stimme,
„Wenn wir dann jetzt losfahren könnten?“
Wie elektrisiert legte Bauer den Gang ein und fuhr los. Während den nächsten paar Minuten Fahrt, die immer tiefer in den Wald führte, wurde im Wagen kein Wort gewechselt. Nervös griff Bauer zur Mittelkonsole und tastete, ohne den Blick von der Straße zu nehmen, nach der Bierdose. Als er sie gefunden hatte, trank er sie ohne abzusetzen leer. Der Fremde hatte ihn währenddessen mit ausdrucklosem Gesicht gemustert. Es schien ihm egal zu sein, dass Bauer bald nicht mehr imstande sein würde das Fahrzeug sicher zu führen.
Mittlerweile waren sie ungefähr in der Mitte des Waldes angekommen. Immer wieder warf Bauer verstohlene Blicke auf den Fremden: Er war ein gut aussehender Mann mit blondierten, perfekt frisierten Haaren, frisch rasiert und Bauer vernahm an ihm sogar einen leichten Parfumgeruch. Gekleidet war er in einem geschmackvollen Maßanzug, vor seinen Knien auf dem Boden stand ein lederner Aktenkoffer. Als Bauer noch genauer hinsah, registrierte er komplett verwirrt und unsicher, dass der Anzug keine Spuren von Nässe aufwies, genauso wenig wie die gegeelten Haare oder der Aktenkoffer. Was ihn aber noch mehr beunruhigte, war die Tatsache, dass die Brusttasche des Fremden ausgebeult war. Was konnte sie enthalten? Eine Pistole? Ein Messer? Oder doch nur die Brieftasche?
Schlagartig riss der Fremde sein Gesicht nach links. Die Augen waren weit aufgerissen, schienen beinahe aus den Höhlen zu treten. Die Pupillen waren übernatürlich groß, die Zähne des aufgerissenen Mundes erschienen für Sekundenbruchteile spitz wie Raubzähne. Bauer zuckte zusammen, der Wagen kam ins Schlingern.
So als ob er es nicht bemerkt hatte, sprach der Fremde Bauer unvermittelt an:
„ Entschuldigen Sie, wie konnte ich so unhöflich sein? Schwarz ist mein Name, Maurice Schwarz.“
Bauer wurde es schwindlig. Langsam drängte sich ein Gefühl von Unwirklichkeit in sein Bewusstsein. Gerade so, als ob all das, was um ihn herum in diesem Moment geschah, von einer Sekunde auf die andere verschwunden sein könnte. Energisch schüttelte er den Kopf und blickte krampfhaft auf die Straße.
War das, was da neben ihm saß, wirklich ein Mensch?
Völlig ohne sich dessen bewusst zu sein stellte sich Bauer vor:
„ Georg Bauer mein Name.“
„Angenehm, äußerst angenehm. Es freut mich, nach so langer Zeit wieder neue Bekanntschaften zu machen.“,
antwortete Schwarz wieder mit dieser unnatürlichen Stimme.
Am Straßenrand erschien ein Schild mit der Aufschrift
„Innstadt 3km“.
Bauers ganze Konzentration fokussierte sich auf dieses Schild.
Nur noch drei Kilometer. Das kannst du schaffen. Dann bist du ihn los.
Er verdrängte den Gedanken, was passieren würde wenn Schwarz nicht einfach nur aussteigen würde, wenn sie in Innstadt angekommen waren....
Bauer lies das Lenkrad mit der linken Hand los und tastete vorsichtig unter dem Fahrersitz.
Hoffentlich sieht er jetzt nicht her! Bitte Herrgott, lass ihn jetzt nicht hersehen.
Irgendwo da unten, begraben unter Bierdosen und alten Zeitschriften, musste auch noch ein Schraubenzieher liegen. Erst vor ein paar Tagen hatte er einen Platten gehabt und seither das Werkzeug noch nicht wieder aufgeräumt.
Endlich bekam er ihn mit schweißnassen Fingern zu fassen. Es waren noch zwei Kilometer bis Innstadt. Schwer lag der Schraubenzieher in Bauers linker Hand.
Dann war das Ortsschild von Innstadt in Sichtweite.
„Sie könnten mich gleich da am Ortseingang an der Bushaltestelle rauslassen. Ich komm ab dann schon selber klar“, meinte Schwarz mit öliger Stimme.
Bauer fuhr in die Haltebucht und hielt mit pochendem Herzen an.
„Ich danke Ihnen. Jetzt hab ich nur noch eines zu erledigen.“, sprach Schwarz und griff in seine Brusttasche.
Laut aufschreiend riss Bauer den Schraubenzieher nach oben und stach mit aller Kraft auf Schwarz ein. Mit ungeahnter Leichtigkeit verschwand der Schraubenzieher bis zum Griff im Körper. Bauer hatte knapp über das Schlüsselbein von Schwarz gezielt und auch getroffen. An dieser Stelle waren keine Knochen, die ein Durchdringen des Schaftes verhindert hätten. Schwarz stöhnte vor Schmerzen und hielt seine Hand, die bis vor wenigen Sekunden noch seinen Geldbeutel umschlossen hielt, schützend nach oben. Doch es war zu spät: Berechnend stieß Bauer ein zweites Mal zu. Wieder wurde der Schraubenzieher zentimetertief versenkt. Röchelnd griff sich Schwarz an den Hals. Blut quoll zwischen seinen Fingern hervor. Ungestüm griff Bauer zum Sicherheitsgurt und schnallte Schwarz ab. Dann warf er seinen tödlich verwundeten Körper aus dem Auto.
Mit aufgepeitschtem Adrenalinpegel wendete er den Wagen und raste zurück in den Wald. Keiner hatte was gesehen. Sehr gut! Bauer war sich sicher, dass sie es so oder so nicht verstanden hätte. Aber das war ihm egal; es reichte wenn er, Georg Bauer, wusste, dass es sie gab.
Er stieß ein irres Lachen aus.
„Kleiner Scheißer. So einfach geht’s nicht, kleiner Scheißer. Hab dich abgemurkst. Unschädlich gemacht.“
Nach einer kurzen Pause dann etwas nachdenklicher:
„Werden schon noch wissen was sie an mir haben, die Schweine. Mich suchen .... Mich! Dabei mach ich doch alles, dass die Scheißer verrecken ...“
Für den oberflächlichen Beobachter mochten sie wie Menschen aussehen, aber Bauer wusste, wie man ihre Maskerade aufdeckte.