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Der Meister

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26.01.2011
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Der Meister

Eines schönen Tages lief der Meister gut gelaunt und sehr wohlwollend über die Hauptstrasse des Dorfes in dem er lebte.
Er war der Dorfälteste und genoss hohes Ansehen unter allen Bewohnern. Und während alle anderen Einwohner ihren Geschäften und Aktivitäten nachgingen, hatte er die Muße sie dabei zu betrachten, und was er sah erfreute sein Herz.
Als er zwei Drittel des Weges auf der Hauptstrasse zurückgelegt hatte, sah er einen jungen Mann, der vor seiner Hütte seinen Garten bestellte. Er gewahrte ihn deshalb besonders, weil der junge Mann ihn verstohlen aus den Augenwinkeln zu beobachten schien. Es hatte den Anschein, dass der junge Mann auf etwas wartete.
Der Meister, geschult in vielen Lebenslagen, verlangsamte seinen Schritt und gab sich Mühe freundlich zu wirken, denn er wusste um seinen Ruf und seine Wirkung und wollte den jungen Mann nicht verschrecken.
Wie er es vermutet hatte, unterbrach der junge Mann seine Arbeit als er ihm nahe genug gekommen war, blickte auf und erhob sich. Sofort blieb der Alte stehen, suchte die Augen des jungen Mannes und bedeutete ihm mit einem sanften Blick Aufmerksamkeit.
Beim Alten angekommen stand der junge Mann erst unschlüssig und zögerlich, fand dann aber den Mut den Meister anzusehen und entschied sich schließlich es zu wagen. Während der Meister lächelnd wartete, sprach der junge Mann ihn an: "Ehrwürdiger Meister", sagte er und senkte leicht den Kopf, "ich weiß, eure Zeit ist knapp, aber würdet Ihr mir erlauben euch eine Frage zu stellen?"
Der Meister lächelte gütig und antwortete: "Selbstverständlich mein Freund, nie ist die Zeit zu knapp für eine Frage und eine Antwort. Dafür sollte immer Zeit sein."
Sichtlich erleichtert hob der junge Mann daraufhin den Kopf und sah dem Meister in die Augen.
"Aber die Frage ist sicherlich sehr dumm, ich möchte euch nicht erzürnen", sagte er.
Der Meister antwortete ruhig: "Die Frage erscheint nur dem Fragenden dumm, da er die Antwort nicht kennt. Erscheint sie auch dem Antwortenden dumm, so ist er es wahrscheinlich selbst. Also frag.", und lächelte den jungen Mann an.
Der junge schluckte, war offenbar durch die Antwort etwas eingeschüchtert, fasste aber schließlich doch erneut den Mut.
"Meister, ich frage mich seit einiger Zeit, ob ich einen Esel anschaffen soll.", begann er, "Mein Schwager besitzt seit einiger Zeit einen Esel und er sagte mir, dass er sein Feld mit dem Dung des Esels bestreut und seit dem sein Feld höhere Erträge bringt. Aber ein Esel ist teuer, auch dessen Unterhalt. Ich weiß nicht ob es sich lohnt. Auch wenn der Esel sicherlich noch zu vielen anderen Dingen zu gebrauchen ist, wie zum Beispiel mir beim Pflügen des Feldes zu helfen. Aber ich bin unsicher, ob sich die Anschaffung für mich lohnen würde. Könnt ihr mir einen Rat geben?"
Der junge Mann errötete leicht, trat einen halben Schritt zurück und senkte wieder den Kopf. Offenbar war er selbst der Meinung, dass diese Frage es nicht unbedingt Wert war dem großen, ehrwürdigen Meister gestellt zu werden.
Wiederum lächelte der Meister und antwortete sanft: "Nun lass mir bitte kurz Zeit, über Deine Frage und meine Antwort nachzudenken."
Er betrachtete den jungen Mann. Dieser war von angenehmer und gesunder Gestalt, mit recht ebenmäßigen Zügen. Braun gebrannt und muskulös von der harten Arbeit auf dem Feld. Seine schüchterne und zurückhaltende Art stand ganz im Gegensatz zu seiner schönen Erscheinung.
Nach einer ihm angemessen erscheinenden Wartezeit sprach der Meister zu dem jungen Mann: "Hier nun ist die bescheidene Antwort auf Deine Frage, so wie ich es ermessen kann."
Der junge Mann blickte erwartungsvoll auf, und der Meister sprach: "Ja, ich bin durchaus der Meinung, dass Sie Deinem Werben schließlich ergeben sein und einwilligen wird Deine Frau zu werden."
Irritiert starrte der junge Mann ihn an, das Gesicht zu fragendem Unverständnis geformt. Es schien außerdem fast ein leichter Zug von Mitleid für diesen alten Mann darin enthalten, da dieser seine Frage offenbar nicht verstanden hatte.
Doch plötzlich ging ein Zucken durch das Gesicht des Jungen, und er riss die Augen und den Mund auf. Er stolperte einen Schritt zurück und blickte den alten Mann fassungslos mit aufgerissenen Augen aus einem plötzlich erbleichten Gesicht an. Dann schoss Röte in sein Gesicht, und die blanke Scham war ihm an den Ohren abzulesen.
"Aber...aber...", stammelte er fassungslos, "wie kann das sein? Wie könnt ihr...?"
Er schien zu taumeln, während er den Meister anstarrte.
Dieser antwortete gelassen und ruhig: "Nun, mein junger Freund. Ich habe Deine Frage beantwortet, oder nicht? Sicherlich nicht die, welche Du formuliert hast. Aber doch sicherlich die, welche Dich im Herzen umtreibt. Ist es nicht so?"
Der junge Mann rang nach Worten: "Nun ... ich ... ich weiß nicht ... wie ist das möglich?"
Er zitterte und wich dem Blick des Meisters aus, schwankte.
Dann fasste er sich, atmete durch, richtete sich auf und sah er den alten Mann an.
"Ja", sagte er langsam, "die Antwort die ihr mir gabt beantwortet eine sehr schwere Frage in meinem Herzen. Eine Frage, die ich niemals gewagt hätte euch zu stellen! Bitte verzeiht!", verlegen schaute er wieder zu Boden. Nach einer langen Sekunde hob er den Blick, schaute den Meister ernst an und sprach: "doch wie ist das möglich? Habt Ihr die Frage in meinen Gedanken gelesen, oder sogar in meinem Herzen?" Sein Blick war verstört, voller Pein und Unwissen, und Erfurcht. Gespannt wartete er auf die Antwort des Ältesten.
"Nun...", sagte der Meister, "Du bist nun offenbar einem Geheimnis auf der Spur, dem Geheimnis meiner angeblichen Weisheit, wie mir scheint", und er lächelte verschmitzt.
"Aber daran ist kein Geheimnis, und das werde ich Dir auch erklären", sagte der alte Mann.
„Als ich Dich vorhin gewahrte, auf meinem Weg über die Hauptstrasse, bemerkte ich sogleich Deine leichte Unruhe und Deine verstohlenen Seitenblicke. Ich nahm also an, dass Du mir wahrscheinlich gleich eine Frage würdest stellen wollen. So konnte ich mich bereits damit befassen zu überlegen, wie Deine Frage wohl lauten würde.
Da Du mir außerdem sehr fleißig bei der Bestellung Deines Feldes erschienst habe ich vermutet, Du würdest mir eventuell eine Frage hinsichtlich Deiner Arbeit stellen.
Als ich dann Deine Frage hörte war ich bestätigt in meiner Vermutung, ich musste mir nur noch überlegen warum Du mir ausgerechnet diese Frage stellst.
Deine Erläuterungen zur Anschaffung eines Esels waren sehr einleuchtend. Gleichwohl ist ein Esel wirklich eine sehr teure Anschaffung. Warum sollte also ein junger Mensch wie Du eine solche Ausgabe erwägen?“
Er machte eine Pause und sah den jungen Mann fragend an, welcher jedoch an seinen Lippen hing, nichts erwiderte und gespannt lauschte.
„Nun“, sprach der Meister weiter, „da Dir Dein Schwager zu dem Kauf geraten hat gehe ich davon aus, dass dieser mit Deiner Schwester verheiratet ist, weil er ja Dein Schwager ist. Da Du sicherlich ehrlich bist und Deine Schwester sehr hoch einschätzt, wirst Du den Worten Deines Schwagers wohl große Bedeutung beimessen. Außerdem wirst Du ihn wohl als erfolgreichen Mann ansehen, denn sonst hätte Deine ehrenwerte Schwester ihm nicht das Jawort gegeben. Du könntest nun annehmen, dass sein Erfolg mit dem Ertrag seines Feldes zusammenhängt, und folglich auch mit seiner Anschaffung eines Esels.
Wenn Du nun also ebenso den Erwerb eines Esels erwägst, so tust Du dies sicher um ähnlich erfolgreich zu sein wie Dein Schwager, um schlussendlich eine ähnlich respektable Frau zu ehelichen wie Dein Schwager es tat.
Da Du außerdem bereits ein sehr respektabler junger Mann bist gehe ich davon aus, dass es längst ein Mädchen gibt an dem Du und welches womöglich an Dir interessiert ist, und um das Du vielleicht bereits wirbst. Das Risiko der hohen Ausgabe für den Esel würdest Du also eingehen, um durch den Erfolg dieses Mädchen für Dich zu gewinnen.
Für jeden denkenden Menschen ist es also ersichtlich, dass es nicht um den Esel geht, sondern um das Mädchen. Und jedes Mädchen und jede Frau schätzt es sehr, wenn ein Mann bereit ist, ein hohes Risiko für Sie einzugehen und alles zu tun um ihr zu gefallen. Dies war der Grund für meine Antwort.“
Der junge Mann starrte den Meister lange an und lächelte schließlich verlegen.
„Ihr seid wahrlich weise, Meister! Ich danke euch sehr für eure Antwort.“
Damit verbeugte sich der junge Mann abermals in tiefer Ehrfurcht, aber sichtlich fröhlich und sehr wohlgemut über seine nahende Zukunft.
Als er sich gerade abwenden und gehen wollte, hielt der Meister ihn mit einer kleinen Geste zurück.
„Du hältst mich für weise?“, fragte der Meister. „Nun, dann werde ich Dir jetzt das wahre Geheimnis meiner Weisheit nennen.“
Der junge Mann blieb gespannt stehen und harrte der nächsten Worte des Meisters.
„in Wahrheit“, flüsterte nun der Meister, „wusste ich bereits die Antwort auf Deine Frage, als Du noch auf mich zugelaufen kamst und sie noch gar nicht gestellt hattest.“
„Wie kann das möglich sein?“, fragte der junge Mann mit großen Augen.
„Nun“, erwiderte der Meister, „Es ist viel einfacher als Du denkst. Du bist ein junger Mann, wohl gebaut und schön, in der Blüte Deines Lebens. An was solltest Du wohl den ganzen Tag Anderes denken als an schöne Frauen?“
Und damit zwinkerte der Meister, ließ den jungen Mann auf der Hauptstrasse stehen und ging fröhlich weiter seines Weges.

 

Hallo Levian,

da dies nicht wirklich eine Alltagsgeschichte ist, verschiebe ich sie nach Sonstige.

LG, Pardus

 

Also mir hat Deine Geschichte sehr gut gefallen, für mich war alles schlüssig, die Übergänge waren sauber und die Story selber hat mich angenehm unterhalten. Und ohne Jemandem auf die Füsse treten zu wollen, aber das war für mich eine durchaus runde Sache, anders als in vielen anderen Geschichten im Forum.

 

Wow! Meine ersten beiden Rezensionen! Danke dafür!

Und dann auch noch so unterschiedlich, besser geht es eigentlich nicht :)

@Monthy:

Das Genre der "Weisheitsgeschichte" war mir eigentlich überhaupt nicht als solches bekannt, allerhöchstens unterschwellig. Insofern hast Du Recht: Ich bin dann wohl etwas am Thema vorbeigeschrammt, eben weil mir eine solche Kategorie nicht bekannt oder bewusst war.
Der altertümliche Stil hat sich eher beim Schreiben entwickelt, er schien mir besser zu passen, wahrscheinlich, weil es so ist wie Du sagst: Solche Geschichten sind heute unüblich geworden und haben einen "alten" Touch. Evtl. habe ich aus meiner Unwissenheit auch deshalb überzogen, also den jungen Mann z.B. viel zu weichlich gemacht (wobei ich selbst den Grad an Unterwürfigkeit ok finde, aber das empfindet ja nicht jeder gleich). Schön dass Du mir das aufgezeigt hast, ich hab es selber nicht gesehen (Stichwort Betriebsblindheit), Danke.
Mir kam die Story beim Schreiben eher wie eine Parabel vor, obwohl es das eigentlich auch nicht trifft, denn sie enthält ja kein Gleichnis, aber durchaus eine art finaler "Moral" (für mich: wahre Weisheit ist oft viel einfacher gestrickt als man denkt).
insofern sollte die KG also keine Persiflage darstellen sondern war schon "ernst" gemeint, es mangelte halt vll. nur ein Bißchen an handwerklichem Geschick.

@apollox:

Dass Dein kurzes, knackiges aber doch ziemlich großes Lob mich sehr freut kannst Du Dir sicher denken. Thx for it!

noch was zu der Geschichte:
Groß dabei etwas gedacht oder geplant habe ich eigentlich nicht, es war mal wieder so eine Geschichte, die sich während einer öden Zugfahrt ins Hirn drängt und Abends dann niedergeschrieben werden will.
Ich fand einfach den Gedanken amüsant, dass manche Dinge auf den ersten Blick sehr unlogisch erscheinen, beim weiteren Hingucken sich als quasi "magic" und sehr schlau überlegt herausstellen, um im Endeffekt dann aber total einfach, fast simpel sind.
Frei nach dem Motto: Alles Gute und Schöne dieser Welt ist von einfacher Art :)

 

Hallo Levian,

ich fand deine Geschichte wirklich gut.
Die Idee hat mir gefallen, die Sprache war auf höherem Niveau und alles war richtig schön geschrieben. Kritik hab ich grad keine parrat, aber ich denke damit kannst du leben ;D

Gruß
Moonshine

 

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