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Der Meister
Es roch nach Schweiß. Es roch nach den Ausdünstungen von Körpern, die bereits in den frühen Morgenstunden harte, körperliche Arbeit geleistet hatten und sich seit vierzehn Tagen ausschließlich vegetarisch – hauptsächlich von Körnern und Rohkost – ernährten. Dicht gedrängt hockten wir in unseren sandfarbenen Leinenkitteln auf den harten Bastmatten, die Blicke folgsam auf den Meister gerichtet. Es war acht Uhr morgens. Vor dem kargen Frühstück war, wie jeden Morgen, Meditation angesagt.
Dort vor uns saß er, etwas erhöht auf einem dunkelroten Samtkissen, die langen, grauen Haare exakt mittelgescheitelt und sorgfältig gebürstet. Seine Augen in dem schwammigen Gesicht wölbten sich unappetitlich hervor, die feisten Lippen waren zu einem breitmäuligen Grinsen verzogen.
„Laßt eure Energien frei schwingen! Entspannt euch. – Eure Auren füllen diesen Raum. Alles war gut, alles ist gut, alles wird gut.“ Ich hörte ihm nicht mehr zu. Seine Stimme verschwamm zu einem gleichmäßigen Rauschen. Ich blickte mich um und versuchte, mir die Auren meiner Leidensgenossen vorzustellen. Links neben mir hockte ein blondes, junges Mädchen, das Gesicht in transzendenter Verzückung zum Himmel gewandt. Ihre Aura mußte rosa sein, wie Zuckerwatte. Und die Aura des Jünglings, rechts neben der Tür, der in einem fort philosophische Streitgespräche suchte, war vermutlich von undurchdringlicher graublauer Konsistenz. Ich ließ meine Blicke über die Köpfe wandern. Sie blieben, wie schon so oft, an unserem Guru hängen. Seine Lippen bewegten sich gleichmäßig und sonderten eine schleimige Wortfolge ab, die durch den Raum waberte. Seine Aura war natürlich wabbelig und schmierig, wie grüne Götterspeise. „Verstärkt eure Energien. Laßt eure Auren wachsen!“ Ja war er denn von allen guten Geistern verlassen? Hatte er noch nie etwas von den elementarsten, physikalischen Grundsätzen gehört? Permanent wachsende Auren würden das vorhandene Volumen dieses kleinen, stickigen Raumes schnell übersteigen und dann? Ich mußte kichern. Vielleicht würde das Dach abheben. Das wäre nicht das Schlechteste, dann würde zumindest die Luft hier drinnen frischer.
„Ich fühle negative Schwingungen!“ ertönte die Stimme des Meisters. Seine Glubschaugen waren, wieder einmal, auf mich gerichtet. Vorwurfsvoll verzog er das breite Maul und diese Bewegung ließ ihn mehr denn je wie einen Frosch aussehen. Ob sich die dünne Haut hinter seinen fetten Ohrläppchen jetzt zu zwei großen ballonförmigen Blasen ausbeulen würde, Resonanzkörper für sein belehrendes Gequake? Ich blickte zu Boden und fragte mich, was ich hier eigentlich zu suchen hatte.
Ich glaubte unserem Meister kein Wort. Ich war nur hierher gefahren, um Heide eine Freude zu machen. Sie hatte sich so liebevoll um mich gekümmert, als ich nach der Trennung von Fred in diese Depression gefallen war. Ich war ihr einfach einen kleinen Gefallen schuldig. Heide war fest davon überzeugt, dass uns beiden vier Wochen im Ashram des Meisters gut tun würden. Unsere Körper würden, dank der gesunden Ernährung und der harten Feldarbeit ebenso entschlackt werden, wie unsere Seelen. Ich wußte bereits nach dem ersten Tag, dass Heide sich, zumindest was meine Person betraf, geirrt hatte. Aber der Aufenthalt hier war bezahlt und so beschloss ich, das Beste daraus zu machen und auszuharren.
Nach dreißig Minuten war die morgendliche Meditation beendet und wir strömten am Meister vorbei, um vor dem täglichen Arbeitspensum noch schnell etwas zu frühstücken. Als ich den Guru mit gesenktem Blick passieren wollte, hielt er mich auf und winkte mich zu sich heran. Er mache sich große Sorgen um mich, ließ er mich wissen. Ich sei augenscheinlich nicht bereit, mich den segensreichen Kräften der Meditation ganz zu öffnen. Deshalb wolle er heute abend einmal ein persönliches Beratungsgespräch mit mir führen. Und er bestellte mich für achtzehn Uhr in seinen kleinen Park an den Teich mit den Seerosen.
Ich fand mich nach dem schweißtreibenden Tagewerk pünktlich im Garten des Meisters ein, neugierig auf diese Unterredung. Der Teich lag direkt hinter dem Haus des Gurus. An der Hauswand rankten sich blühend Jelängerjelieber empor und ich nahm auf der hölzernen Bank unter den Blüten Platz. Er ließ nicht lange auf sich warten. Er mache sich, wie gesagt, große Sorgen um mich. Ich sei eine Zweiflerin. Ich mißtraue den menschlichen Energien. Ich leugne die Kraft unserer Auren. Er versicherte, er habe schon häufig wahre Wunder allein durch die Kraft seines Willens bewirkt. Er berichtete von Heilungen, von Wandlungen......
Ich hörte ihm zu und sah ihn an.
Ich konzentrierte mich ganz auf ihn.
Er wurde sich immer ähnlicher.
Nach einer Weile nahm er die Gestalt an, die schon immer seine wahre Gestalt gewesen war. Er öffnete sein breites Maul und quakte um Hilfe.
Ich lachte leise. Ich würde ihn nicht küssen.....
Die vorgegebenen Worte waren:
transzendent, S(s)chwingen, Volumen, Frosch, Jelängerjelieber (oder wahlweise Gänseblümchen)