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Der Morgen danach
Kennt ihr dieses Gefühl, wenn man morgens aufwacht und im Halbdunkel, halb wach, halb träumend, etwas sieht, was gar nicht da ist? Das macht einen manchmal richtig glücklich. Aber wenn man sich dann aus dem Bett gequält hat und den Schlaf aus den Augen gewischt hat stellt man plötzlich fest, dass einem die Wahrnehmung einen Streich gespielt hat. Etwas betrübt geht man dann duschen oder frühstücken oder womit auch immer man eben seinen Tag sonst beginnt. Ich möchte euch bloß zwei Beispiele geben, falls es euch noch nie so ergangen ist.
Das erste ist mir selber passiert. Ich bin aufgewacht, mein Freund war am Abend noch zu Besuch gewesen, da sah ich auf dem Stuhl neben meinem Bett einen kleinen Gegenstand liegen. Ich musste lächeln und dachte mein Freund hätte eine ganz neue Seite an sich entdeckt und mir, als er ging, eine Überraschung hingelegt. Als ich dann voller Neugier aufgestanden war musste ich enttäuscht einsehen, dass nur mein Handy auf dem Stuhl lag. Ich hatte es dort wohl am Vortag abgelegt. Die Überraschung meines Freundes gab es dann allerdings doch noch - per SMS. Er hatte sich nicht getraut mir persönlich zu sagen, dass er für mich nichts mehr empfand. Das nenne ich einen erfolgreichen Start in den Tag.
Das andere hat mir meine Schwester erzählt, aber erst lange nach dem es passierte, sie fand das wohl ziemlich lächerlich. Eines Morgens sah sie etwas Glitzerndes auf ihrem Fußboden liegen und vermutete einen Goldschatz in ihrem Zimmer. Zumindest bis sie herausfand, dass das Sonnenlicht durch den Rolladen fiel und von dem Reißverschluss ihrer Hose reflektiert wurde. Zum nächsten Geburtstag hat sie sich dann einen Kleiderständer gewünscht.
Es ist schon verrückt, was unser Verstand so alles mit sich machen lässt ohne zu protestieren und an die Realität zu erinnern.
Vor ein paar Monaten hat die Sache mit dem Aufwachen dann bei mir etwas länger gedauert.
Das wird einem nur dummerweise immer erst hinterher bewusst.
Angefangen hat alles an einem Montag, an dem ich wie gewöhnlich aufzuwachen schien. Wie man sich irren kann! Es war schon etwas später, wegen irgendeiner Veranstaltung hatte ich an dem Tag keine Uni. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, was genau da war, aber im Ernst, wen interessiert schon wirklich warum man länger schlafen darf? Der Tag verlief dann auch eigentlich ganz unspektakulär, ein bisschen lesen, viel faulenzen, wie man sich einen freien Tag eben so vorstellt. Nicht mal die Prüfung am Mittwoch konnte meiner entspannten Stimmung was anhaben, ich hatte schon genug gelernt und kam mir bestens vorbereitet vor, was bei mir Einiges zu bedeuten hat! Am Nachmittag rief mich dann ein ehemaliger Klassenkamerad an, er wäre zufällig gerade in der Nähe. Er hat mich dann gefragt, ob wir nicht vielleicht zusammen was Essen gehen wollten oder was auch immer. Ich hatte schon den ganzen Tag nichts vernünftiges gegessen und so gefiel mir die Idee hervorragend! Wir trafen uns dann und gingen zu einem Chinesen bei mir in der Nähe. Der Laden ist richtig klasse und besonders teuer ist er auch nicht. Wir haben uns dann den ganzen Abend unglaublich gut unterhalten, ich glaube so viel haben wir die ganze Schulzeit über nicht miteinander geredet. Er war ziemlich informiert darüber, was ein Großteil unserer Klasse jetzt machte und er natürlich war ihm in der letzten Zeit auch so einiges passiert. Für mich hat sich seit damals auch einiges geändert und so gab es einige lustige Dinge zu erzählen.
Wir sind dann noch ein bisschen durch die Stadt gelaufen und als wir uns dann endlich verabschiedeten, gab er mir ein Küsschen auf die Wange.
Es war schon ziemlich spät als ich zu Hause ankam, aber schnell einschlafen konnte ich nicht. Der ganze Abend ging mir noch ziemlich lange durch den Kopf. Ich will nicht behaupten, dass ich mich sofort in ihn verliebt hätte, aber er war überhaupt nicht so, wie ich ihn in Erinnerung hatte und irgendwie hat er mir richtig gefallen.
Auch am Dienstag ging er mir nicht aus dem Kopf, aber ansonsten war es eigentlich ein Tag wie alle anderen auch. Ich würde jedenfalls nicht sagen, dass irgendetwas unglaublich spannendes passiert wäre.
Am Mittwoch hatte ich dann die Prüfung, es lief absolut perfekt. Ich war der Meinung alles gewusst zu haben und fand auf die Schnelle keinen einzigen Fehler.
Am Donnerstag bin ich dann in die Stadt gegangen um ein paar Dinge einzukaufen.
Ich brauchte ganz dringend einen Schal bevor es kalt werden würde und meine schwarze Druckerpatrone war auch leer. Als ich das erledigt hatte schlenderte ich noch ein wenig herum und blieb vor dem Schaufenster eines Juweliers stehen. Darin lag eine silberne Kette mit einem kleinen Anhänger, der eine stilisierte Möwe darstellte. Das klingt jetzt vielleicht ein bisschen kitschig, aber der Anhänger war so faszinierend gearbeitet und sah so „bewegt“ aus, dass ich mich fühlte als wolle die Möwe mich mitnehmen auf ihrem Flug in die Freiheit. Ich konnte eine ganze Weile meinen Blick nicht abwenden, dann schafte ich es immerhin bis zum Preisschild. Aber 69 € konnte ich diesen Monat beim besten Willen nicht mehr ausgeben! Also löste ich meine Blicke von dem Schaufenster und machte mich auf den Weg nach Hause.
Freitag hatte ich dann nach der Uni noch nichts vor und so rief ich meinen alten Schulfreund an. Ich wollte ihn fragen, ob er immer noch in der Gegend sei und ob er nicht Lust hätte sich mit mir zu treffen. Aber er hatte schon was vor. Ich bin mir gar nicht mehr so sicher ob ich vergessen habe was es war oder ob er es mir gar nicht gesagt hat. Jedenfalls schlug er vor, wir könnten uns doch am Montag treffen, weil er dann auf jeden Fall Zeit hätte und ich solle dann doch einfach noch mal anrufen. Begeistert war ich natürlich nicht, aber was sollte ich schon machen? Und ich meine Montag war ja auch nicht mehr so weit weg.
Am Samstag habe ich mich dann relativ früh mit einer guten Freundin getroffen. Eigentlich hatten wir vor ein bisschen an einer Präsentation zu arbeiten, aber wir konnten uns beim besten Willen nicht dazu motivieren. Also haben wir uns einen schönen Tag gemacht. Als ich abends wieder nach Hause kam, fand ich dann einen Brief zwischen der ganzen Werbung und meiner Telefonrechnung. Er war von so einer Zeitschrift die ich hin und wieder las. Ich habe mich erst gewundert, was die von mir wollten. In dem Brief stand dann, ich hätte in einem Preisausschreiben 50 € gewonnen. Ich war wirklich sprachlos, vor allem weil ich mich gar nicht mehr an das dumme Preisausschreiben erinnern konnte. Aber dann musste ich sofort wieder an diese Möwe bei dem Juwelier denken.
Den Sonntag habe ich dann dazu gebraucht um doch mal ein paar Seiten für die Präsentation zu lesen, sonst ist nichts weiter passiert.
Der Montag war dann der Tag an dem ich wieder aufgewacht bin. Anfänglich war ich richtig gut gelaunt, ich würde nach der Uni gleich in die Stadt um noch kurz bei dem Juwelier vorbei zu schauen, würde dann nach Hause gehen und gleich ans Telefon um endlich meinen Schulfreund wieder zu sehen. Auf Letzteres freute ich mich wohl am meisten.
An der Uni erfuhr ich dann, dass die Klausur wiederholt werden müsste. Es war herausgekommen, dass ein paar Studenten in das Büro des Professors eingebrochen waren um die Klausur zu kopieren. Na großartig, dafür hatte ich so viel gelernt! Als ich dann später schon weniger gut gelaunt beim Juwelier ankam musste ich feststellen, dass die Möwe verkauft war und es sich nach Aussage des Verkäufers um ein Einzelstück handelte. Als ich dann einigermaßen schlecht gelaunt nach Hause lief, sah ich auch noch mein Abendprogramm mit einer Anderen knutschen.
Dann war ich also wach, aus der Traum. Nach einer Woche war ich einfach aufgewacht.
Nun, was soll ich sagen, anfangs war ich natürlich niedergeschlagen. Aber das hielt nicht lange an. Denn eigentlich hatte ich nichts verloren, außer meinen Träumen. Träume aber lassen sich, wie mir anschließend klar wurde, schneller wieder finden als man glaubt. Und genau das tat ich auch.