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Der Morgen danach
Nach Alkohol und Zigaretten stinkende Erinnerungen und ein Hämmern im Kopf, das sich anfühlt, als würde ein Psychopath verzweifelt auf sein Opfer einschlagen. Wieder eine kurze Nacht gehabt? Wieder eine kurze Nacht gehabt! Man quält sich aus dem Bett und würde am liebsten vor der Toilette weiterschlafen. Ausnahmesituation oder Alltag? Alle Tage wieder Ausnahmesituation. Man kommt zurecht, man kommt durch, man ist aber auch recht durch. Der Körper beschwert sich, der Magen weiß nicht, ob er lachen oder weinen soll, und die Schmerzen im Rücken sind die logische Konsequenz, wenn man die Hälfte der kurzen Nacht auf der Bettkante geschlafen hat. Guten Morgen Welt, gute Nacht Motivation.
Es hat nichts genützt, der Wecker war unbarmherzig und nun stehe ich im Bad vor dem Spiegel und sage „Hallo“ zu dem Wesen, das mir gegenübersteht. Musstest du gestern wieder so übertreiben? Ich höre die Antwort zu der Frage über meine Lippen kommen. Ich musste nicht, habe es aber getan. Wie so oft zu spät aufgestanden, daher bleibt die Dusche heute morgen aus. Mein Magen meldet sich noch einmal vehement und fordert mich auf, zumindest einige Giftstoffe aus meinem Körper zu entlassen. Ich komme der Bitte nach.
Zahnpasta auf Zahnbürste, Zahnbürste in den Mund und den Kotzreflex unterdrücken. Es ist sinnlos. Der Geschmack, der sich die ganze Nacht über in meinem Mund frei entfalten konnte, denkt nicht daran, das Feld kampflos zu verlassen. Daher beende ich den Kampf des Zähneputzens, bevor die Schlacht überhaupt angefangen hat. Einen Schlag Wasser ins Gesicht, der sich wirklich wie ein Schlag ins Gesicht anfühlt, und noch einmal einen genaueren Blick in den Spiegel. Verdammt, warum bekomme ich meine Augen nicht auf? Das Licht blendet mich, als würde ich direkt in die Sonne gucken. Ein geschundenes, zerknittertes Gesicht schlägt mir entgegen. Die Augen rot, die Ränder darunter schwarz. Ich bin den morgendlichen Anblick gewohnt und es ist auch nicht so, dass es nicht schon weitaus schlimmere Aussichten am frühen Morgen gab. Die heutige Konstellation aus wenig Schlaf, Magen- und Kopfschmerzen sowie Mundgammel würde ich getrost im Mittelfeld einordnen.
Hose anziehen und Hemd überstreifen. Einen kleinen Zug an den Socken von letzter Nacht. Jap, die gehen noch. Beim Schuhebinden macht sich der Mann im Kopf noch einmal bemerkbar und weist darauf hin, dass der Kopf bitte nicht über die Horizontale hinweg bewegt werden sollte und falls unumgänglich, dann doch bitte im gemäßigten Tempo.
Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass ich es nicht mehr pünktlich zur Arbeit schaffen werde. Nachdem ich an der Hürde des „Pünktlich zur Arbeit kommens“ gescheitert bin, kann ich ja erstmal in Ruhe einen Kaffee trinken und eine Zigarette rauchen. Koffein, Nikotin und Aspirin...ein gesundes Frühstück sieht anders aus, aber mein Körper dürfte sich mittlerweile an dieses Frühstücksritual gewöhnt haben. Ich rauche eine zweite Zigarette und nehme eine weitere Aspirin, die ich mir mit einem großen Schluck meines mittlerweile kalten Kaffees runterspüle. Ich sitze auf meinem Stuhl in der Küche und starre auf die Uhr der Mikrowelle. In spätestens 10 Minuten wird mein Chef anrufen und mich fragen, ob ich es nicht wenigstens einmal in der Woche pünktlich zur Arbeit schaffe. Es ist mir egal. Ich rauche meine dritte Zigarette und mein Blick fixiert weiterhin die Uhr.
Mein Handy klingelt und ich werde gnadenlos aus meinem Dämmerzustand herausgerissen. Ich drücke auf die grüne Taste und halte mir das Telefon ans Ohr. Ich höre die Stimme meines Chefs, aber was er sagt, wird in meinem Kopf zu zusammenhangslosen Wortfetzen. An dem Klang seiner Stimme erkenne ich, dass er sehr erregt zu sein scheint. Ich stelle mir sein Gesicht vor. Rot vor Wut sitzt er an seinem Schreibtisch, brüllt und spuckt ins Telefon. Seinen dritten Espressoeinlauf hat er bereits hinter sich und seiner Mariakronflasche aus der untersten Schublade dürfte er heute auch schon mehr als einmal „Hallo“ gesagt haben. Es amüsiert mich.
Nun sag es schon. Ich warte. Ich warte. Ich warte! Und dann kommen die Worte, die ich in meinem Kopf wieder richtig zusammensetzten kann: „Frau Meier, Sie sind gekündigt!" Ich lege auf, gehe an den Kühlschrank, nehme mir eine Flasche Bier, öffne sie, nehme einen kräftigen Schluck und denke mir: Endlich bist du frei!