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Der Narrenkönig

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03.12.2002
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Der Narrenkönig

Ich blicke tief in die rote Glut und habe das Gefühl mit ihr zu verschmelzen, als sich die verborgensten Winkel meiner Lunge mit dem blauen Dunst füllen. Pfeifend ziehe ich die kühle Luft des Kellers durch meine Zähne hinterher und erneut erlebe ich, wie der Rauch mich innerlich umarmt und danach giert meinen Geist zu umfassen und ihn auf die nächste Ebene des Bewusstseins zu tragen.
„Hey Kollege, nun sei mal nicht so gierig. Gib mal was ab von dem Zeug.“
Ich entlasse den süßlichen Duft in die Freiheit und blase den Qualm über die glimmende Spitze des Joints, bevor ich ihn an den schwarzhaarigen Jungen neben mir weiterreiche, den ich zuvor noch nie gesehen hatte.
„Gemach mein Freund.“
Ich lasse meine Augen schweifen und beobachte die Lichter, wie sie sich verändern, wie sie ihre Farbe und ihre Größe wechseln und ich schließe meine Lider und horche in mich hinein. Es ist, als kann ich mich sehen, hören und fühlen, ohne meine Sinne zu gebrauchen und es ist, als hätte ich mit einem Mal alles in meinem Leben verstanden.
Die Außenwelt gewinnt mich wieder, als ich zwei feuchte Lippen auf meiner Wange spüre, als ich die Liebe, welche sie ausstrahlen wahrnehme und den Duft meiner Freundin rieche. Als sich meine Lider wieder öffnen blicke ich direkt in ihre blauen Augen und ich habe das Gefühl darin zu versinken. Mich verlangt nach ihren Lippen, nach ihrem Geschmack, doch sie dreht sich von mir weg und ich blicke direkt in ein gleißendes Licht, dass mir alle Sinne raubt. Gleich darauf wandelt es sich wieder und es ist nur noch ein kleiner, leuchtender Punkt am anderen Ende des Raumes.
„Hey Schatz. Wo willst du denn schon wieder hin?“ ruf ich ihr nach und angele mit meinen dünnen Fingern nach den ihren.
„Ich hol mir was zu trinken.“
„Bring mir was mit.“ Doch sie hört mich nicht mehr. Sie ist schon weg, verschwunden zwischen all den Menschen, die ich nicht kenne, und die wie ein dichter Urwald vor mir aufragen.


„Hast du mal drüber nachgedacht? Ich mein, wenn du gleich sterben würdest. Was wäre dann das tollste Erlebnis deines Lebens gewesen?“ Der schwarzhaarige Junge sitzt immer noch neben mir. Er mag nicht viel älter als 17 sein, doch seine Augen verraten das wahre Alter. Den Zustand, indem sich sein Körper wirklich befindet.
„Weiß nicht, Mann. Vielleicht...Nee, oder doch. Damals, als ich meine Freundin kennen lernte.“
„Ach wie süß.“ Ein schelmisches Lächeln umspielt seine Lippen.
„Mach mal halb lang, Alter. Du hast doch keine Ahnung. Das war in diesem kleinen Restaurant, mitten in Köln und als ich sie sah...Alter, glaubst du an Liebe auf den ersten Blick?“
„Klar Mann, wenn sie zwei richtig große Titten hat!“ Er lacht dreckig und ich spüre das tiefe Verlangen in mir, ihm sein Lachen auszutreiben. Doch ich bin viel zu müde, viel zu sehr entspannt und so vergeht der Ärger, als ich mich wieder in stiller Freude an die damalige Zeit zurück erinnere.
„Was ich da fühlte und in den Tagen darauf, war besser als jeder Trip den du dir jemals geschmissen hast.“
„Hmm, der ultimative Trip sozusagen.“
„Ja. Sozusagen.“
Mich überkommt ein Gefühl der Trauer, als mir bewusst wird, dass ich jenes Gefühl nie mehr erleben werde. Das all dies nur noch eine Erinnerung ist und auch diese irgendwann im Laufe der Zeit immer mehr verblassen wird. Das Hoch von eben verwandelt sich in ein depressives Tief und die Lichter beginnen sich nicht mehr zu verändern. Ich sehe mich nicht mehr ohne meine Augen und ich erkenne in der Erkenntnis von vorhin nur eine weitere Lüge des Lebens.
Mir ist bewusst, dass mir meine Liebe immer weiter entgleitet und ich nichts dagegen tun kann. Ich weiß das schon seit einiger Zeit und das Wissen um die Verurteilung zur Untätigkeit verfolgt mich an jedem Tag und in jeder Nacht, denn ich kann nichts dagegen tun. Es ist ihre Entscheidung. Aber ich möchte sie nicht verlieren!
„Ich will das alles nicht verlieren!“ Ich wiederhole mich laut, obwohl ich das nicht will.
„Tja Mann, dann bleibt dir wohl nichts anderes übrig, als wirklich bald zu sterben.“
„Und was genau soll das jetzt heißen?“
„Du weißt doch was man sagt. Im Augenblick des Todes erlebt man die schönsten Augenblicke seines Lebens noch einmal.“
Ich blicke diesen Jungen neben mir einfach an, bis mir ein Gedanke kommt, der seiner Einfachheit und in seiner Genialität alles überstrahlt, was mir jemals in den Sinn gekommen ist.
„Weißt du was man machen könnte. Wenn man seinen Tot herauszögert, sagen wir mal durch Kälte oder so und dabei noch auf Droge ist, dann könnte man den schönsten Augenblick seines Lebens über einen langen Zeitraum genießen und durch den Stoff noch wunderbarer machen. Das Beste ist aber, dass man bei Unterkühlung auch noch gerettet werden kann. Yeah Mann; der ultimative Trip...“


Ein weiterer Schluck läuft mir die Kehle herunter und die grüne Fee beginnt langsam ihre Wirkung zu zeigen.
Bis zum Rand ist die Badewanne gefüllt und sämtliche Lebensmittel, die ich in der Tiefkühltruhe gefunden habe, schwimmen darin. Das Fenster steht weit offen und die kalte Winterluft hinterlässt Eisblumen auf den Spiegeln und Glasflächen, die ein verzerrtes Bild meines Antlitzes zurückwerfen. Ich betrachte meinen nackten Körper und ich sehe mir dabei zu, wie ich den letzten Schluck Absinth aus dem Glas nehme.
Direkt vor meinen Augen schiebe ich die Spitze eines Streichholzes über die raue Oberfläche der dazugehörigen Schachtel und bewundere die Explosion des kleinen Kopfes und die Hitze, die mir wie ein Sturm direkt ins Gesicht schlägt.
Ich führe das Holz an meinen letzten Joint und entzünde ihn.

Als ich es in die eiskalte Wanne geschafft habe, werfe ich den kümmerlichen Rest aus Papier, Tabak und Gras in eine dunkle Ecke. Mein Körper zittert und mein Atem dampft, doch die Kälte ist für mich nichts weiter als eine Einbildung und die stechenden Schmerzen wandeln sich zu einem wohligen Kribbeln. Ich blicke umher, sehe kleine Schneeflocken, die auf die Wasseroberfläche fallen und ich sehe Packungen von gefrorenem Spinat, die in der Brandung meiner sich hebenden und senkenden Brust immer wieder gegen mein Kinn stoßen.
Der ultimative Trip steht kurz bevor, denn langsam verliert die Welt um mich herum sämtliche Bedeutung. Sie geht unter, in den Gespinsten meiner Fantasie...meiner eigenen, vergangenen Welt...


...am Himmel brennt eine goldene Scheibe und ihre Hitze legt sich wie ein Schleier auf die Welt. Aus dem gleichen Himmel fällt auch weißer Schnee, dessen Reinheit das Licht der Sonne in einer gleißenden Helligkeit erglühen lässt.

Es ist heiß und es ist kalt auf dieser Wiese, deren Gras bis in die Unendlichkeit zu wachsen scheint. Keine Berge und keine Täler, nur eine weite Ebene, die in Weiß und Grün erstrahlt. Und in ihrer gedachten Mitte hockt ein Narr, dessen lange, in Handschuhe gehüllten Finger Kreise in den Schnee malen. Er schwitzt und die weiße Schminke auf seinem Gesicht verläuft zu einer schmierigen Masse, während sein Atem in dicken Schwaden zwischen den zierlichen Lippen hervorquillt.
Schneeflocken schmelzen auf ihm und laufen wie geweinte Tränen an ihm herab.
Er steht auf. Der Narr präsentiert der Leere seine Pracht. Große Schuhe – Weiß. Große Hose – Grün. Kleines Hemd – Lila. Rote Nase – Rot.
Er malt nicht mehr, doch im Schnee stehen Worte. Willkommen im Paradies.

Der Narr begibt sich auf eine Reise ohne Ziel. Seine Schuhe hinterlassen Spuren, denen niemand folgen kann und seine Augen glitzern im strahlenden Licht. Ich fühle ihn. Im Inneren seines Kopfes herrscht Müdigkeit und seine Beine wollen nicht mehr gehen. Doch er nötigt es ihnen und sich selbst ab, obwohl er den Grund dafür nicht kennt. Die Worte im Schnee bleiben hinter ihm zurück, aber sie bleiben lesbar, denn kein Horizont vermag ihren Laut zu verschlucken. Die Wiese – unendlich weit.
Wieder geht der Narr in die Knie und er versucht sich daran zu erinnern, wie lange er schon auf der Reise ist. Er versucht sich daran zu erinnern, wer er einmal war. Er schreibt seinen Namen auf, doch keine Buchstaben malen sich in den Schnee und seine Hand hinterlässt nur eine weiße Leere. Es überrascht ihn nicht, denn schon vor langer Zeit hatte er sich damit abgefunden, dass dies seine Existenz war. Er war der Narr. Er hatte alles und er hatte nichts. Nach dem Ende kommt die Ewigkeit. Für jeden wie er gelebt. Wie von selbst bewegen sich seine Hände im Schnee. Diesmal stehen dort Worte. Willkommen in der Hölle.
Ich blicke mich um und sehe wie die Wiese langsam den Konstrukten der menschlichen Zivilisation weicht. Häuser wachsen aus dem Boden und Straßen laufen wie Flüsse an ihnen vorbei. Ich stehe inmitten einer Stadt. Einer Stadt gebaut aus Steinen und Träumen, denn ich erkenne, dass sie nicht real sein kann. Wenn ich mich drehe, dann folgt der Horizont meiner Bewegung. Die zwei Spitzen eines Doms liegen immer vor mir, während sich das direkte Bild meiner Umgebung ändert. Ein Schild erregt meine Aufmerksamkeit. Köln steht in großen Lettern darauf geschrieben und zu seinen Füßen liegt eine Zeitung. Auf ihr steht nur ein Datum. Der Tag, an dem ich meine Freundin kennerlernte...
Ich blicke die Straße hinunter und sehe, wie der Narr im dichter werdenden Schneetreiben verschwindet. Doch etwas von ihm bleibt bei mir, denn ich fühle seine Gegenwart und einen kurzen Augenblick lang, ist mir, als würde ich seine Stimme hören. Aber nicht in meinen Ohren, sondern direkt in meinem Kopf. Sie flüstert: „Das Spiel beginnt. Lauf! Du Narr!“

Plötzlich manifestiert sich die Stadt und ihre eben noch vorherrschende Unwirklichkeit wird zu einem realen Bild der Stadt Köln. Feste Straßen aus Teer und feste Häuser aus Beton und Stahl. Doch es ist immer noch heiß und der Schnee fällt, als hätte der Himmel die weiße Pracht über Jahre gesammelt, um ihn nun in einer einzigen großen Anstrengung auf die Erde niedergehen zu lassen. Und noch etwas hat sich verändert, denn in mir erwacht ein Gefühl der Angst und es ist, als würde dieses Gefühl zum Leben erwachen und sich wie ein Tier, wie ein Schmarotzer an mir laben und von mir zehren. Es beherrscht meinen Körper und umklammert mit seinen Klauen mein Herz. Das Blut in mir beginnt immer schneller zu pulsieren und der Druck droht meine Adern und Venen zu zerreisen. Doch ich weiß nicht, woher die Angst rührt, wo ihre Quelle liegt. Ich weiß nur, dass sie da ist und das irgendetwas nicht stimmt. Der Gedanke an etwas Schlimmes regiert mein Denken und ich bekomme kaum noch Luft, so dass ich immer wieder um jene ringe und mit aller Kraft die heiße Schneeluft in meine Lungen ziehe.
Meine Hände zittern und meine Beine droht die Kraft zu verlassen. Mir fallen wieder die Worte des Narren ein – Das Spiel beginnt.
„Welches Spiel?“ Ich schreie in die menschenleere und weiß verhangene Stadt hinein, mir der zu erwartenden Unbeantwortung bewusst, doch ich weiß nicht was ich sonst tun soll, denn die Angst ist wie ein dunkler Meister meiner geworden. Sie treibt mich an den Rand des Wahns.
Eine Stimme schallt zu mir herüber und sie antwortet auf meine Frage. „Das Spiel am Rand des Wahn sich dreht...“ Die Stimme macht eine Pause und mit einem gewaltigen Schlag erkenne ich, dass die Stimme von allen Seiten heranschallt und das die Person, welcher sie gehört, weiß was ich denke. „Nun hole ich mir deine Liebe!“


Ohne einen klaren Gedanken zu fassen, renne ich los. Die Straße herunter und nehme den gleichen Weg, wie ihn der Narr zuvor genommen hat. Schneeflocken schlagen wie Glasscherben in mein Gesicht und ich habe das Gefühl in der brennenden Hitze der Sonne, die schemenhaft durch das weiße Treiben hindurchdringt, zu schmelzen. Während meine Beine sich wie von selbst bewegen, schält sich langsam ein Ziel vor meinem geistigen Auge heraus. Der Ort und der Tag lassen nur eine Möglichkeit offen – das kleine Restaurant, indem wir uns kennen gelernt hatten.

Es erscheint unwirklich zwischen all den anonymen Häuserfronten, mit ihren blinden Fenstern und den grauen Steinen, aus denen sie allesamt erbaut sind. Ich komme zum Stillstand und das Flehen meiner Lungen nach Sauerstoff manifestiert sich in stechenden Schmerzen in beiden Seiten meines Körpers. Ich stoße die hölzerne Tür auf und ein Schwall von abgestandener Luft kommt mir entgegen. Innen ist es dunkel und es kommt mir vor, als bräuchte es Minuten, wie das Licht, einem Fluss gleich, langsam in das Innere fließt und mir den Blick in das Restaurant freigibt.
Ich trete ein und blicke mich um. Alles ist genauso wie damals. Die mit Bildern geschmückten Wände, die schweren Eichenbalken an der Decke und dieser Geruch, der irgendwo zwischen Einladend und Abstoßend schwebt. Rechts vom Eingang erstreckt sich eine lange Theke, die durch eine schmale Tür direkt in den großen Speiseraum führt, aus dem nun ein einziger heller Schein dringt, denn der Fluss des Lichtes verrann an eben jener Tür und kam zur Ruhe. Ein See aus Licht und ich fühle mich, als würde ich durch diesen schwimmen. Meine Arme kreisen in der Luft und drücken mich vorwärts; hinein in den Raum und es ist, als spüre ich das Licht, wie es sich an meinen Körper drückt.
Als ich die Tür durchquere lässt mich das Licht fallen und einen Augenblick lang kämpfe ich darum, nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Als ich fest stehe und das Gefühl des Fallens verschwunden ist, sehe ich das eigentliche Restaurant vor mir und es ist, als würde ich dieses Bild das erste Mal vor Augen haben. Der gesamte Raum ist leer und die leeren Stühle und Tische stehen dort, als seinen sie nie benutzt worden. Nur auf einem Tisch brennt eine Kerze, die Quelle des einen Lichts und an jenem Tisch sitzt eine Person, eine Frau und ihr Anblick bringt alles in mir durcheinander. Mein Blut gerät in Wallung und mein Verstand setzt aus. Alles was noch existiert, ist mein schlagendes Herz und sie. Ihre blauen Augen. Ihr blondes, schulterlanges Haar, dass sich wie feiner Stoff im ihren zarten Hals windet. Die kleine Nase und der volle Mund, der selbst nur durch seinen Anblick an den Geschmack von süßen Früchten erinnert. Und die grazilen Wangenknochen, die wie zwei paradiesische Inseln in einem wunderschönen, blauen Meer auftauchen.
Die Angst verschwindet und mir ist, als hätte ich sie noch nie zuvor im Leben gesehen und ich erinnere mich nicht mehr daran, dass mich die Furcht des möglichen und baldigen Verlustes dieser Vollkommenheit fast in den Wahnsinn getrieben hätte.
Ich gehe auf sie zu, ohne einen Anflug von Schüchternheit, denn ich weiß, dass wir für einander bestimmt sind, doch bevor ich mich ihr gegenüber setzen und mich in der Tiefe ihrer Augen verlieren kann, zieht eine große Hand den Stuhl fort. Und mit einem Mal verschwinden alle Stühle bis auf den ihren. Ich will mich zu ihr setzen, doch diese Chance wurde mir genommen und ich erkenne in dem Lachen, dass nun aus dem Hintergrund hereinweht, den Ursprung. Es ist der Narr, der nun im hellen Licht eines Scheinwerfers den Raum betritt. Die große rote Nase funkelt mir entgegen, als er direkt vor mir zum stehen kommt und mir feist ins Gesicht grinst.
„Warum tust du das? Warum nimmst du mir all diese Stühle weg? Ich will mich doch nur zu ihr setzen.“
Der Narr grinst immer noch und es scheint auch nicht zu verschwinden, als er das Wort an mich richtet.
„Wie kommst du denn darauf, dass ich sie weggenommen habe?“
„Ich weiß es einfach und außerdem ist doch niemand außer uns hier!“
„Richtig! Nur wir beide.“
„Ja genau. Und sie. Und sie ist alles was ich will!“
Der Narr entfernt sich von mir und geht auf sie zu.
„Genau das meinte ich damit.“ Er grinst immer noch. „Nun, ich kenne dich und ich weiß genau, was du willst und was du alles dafür tun würdest. Das Problem ist aber, das ich genau das selbe will.“
Er legt einen Arm um meine Liebe, doch sie rührt sich nicht, sitzt nur da wie eine leblose Puppe. „Und warum soll ich sie mir nicht einfach nehmen. Immerhin hattest du sie schon und du hast sie verloren. Trotz all deiner und ihrer Liebe war es für dich doch immer nur ein Spiel. Wenigstens hast du es so deiner Umwelt immer dargestellt und nun ist das Spiel verloren und ein neues beginnt. Nämlich meins.“
„Du glaubst doch wohl nicht im Ernst, dass ich das einfach so zulasse. Wer bist du überhaupt? Ein dahergelaufener Clown, der mir irgendwas von Spielen erzählt und mir erklären will, dass ich meine Freundin verloren habe. Sie ist meine große Liebe und ich werde sie niemals verlieren!“ Ich schreie.
„Kein Clown. Ein Narr bin ich und erklären tu ich dir gar nichts, denn du weißt sehr wohl, dass es so ist. Erkläre mir doch mal deine Ängste, die dich beschäftigen und keine Nacht schlafen lassen. Und dennoch, obwohl du um die Gefahr weißt, das Beste in deinem Leben zu verlieren, tust du nichts dagegen. Gehst einfach so durch dein Leben und gibst ihr das Gefühl nur ein kleiner Teil deines davon zu sein und nicht das Leben selbst, so wie es sich doch wirklich verhält. Hab ich nicht recht?“
Es war keine wirkliche Frage und ich weiß auch nicht, was ich antworten soll, denn er hatt recht.
„Und nun gehört sie mir und du wirst erleben, wie schlimm es wirklich ist, etwas zu verlieren!“
„Nein!“
Ich stürme auf ihn zu und reiße den Narren zu Boden, doch er schreit nicht vor Überraschung oder Schmerz – nein – er lacht schallend, lacht über mich. Er beginnt sich zu wehren, als er meinen Zorn und meine Wut spürt, die nun Besitz von mir ergreift. Unkontrolliert schlage ich auf ihn ein. Ein Schwinger folgt dem anderen, doch kein einziger vermag ihn zu treffen, geschweige denn zu verletzen. Ich reiße mich selbst hoch, um einen erneuten, koordinierteren Angriff zu starten. Auch er steht auf und sein Lachen weicht einer klaren Stimme, die mir bekannt vorkommt, ich aber nicht einordnen kann.
„Der Gewinner des Spiels erhält den Hauptpreis und der Verlierer bekommt das, was sein Name erahnen lässt. Kämpfe um sie, denn dies hast du noch nie getan!“
Alles was ich in diesem Augenblick will, ist diesen Narren aus meiner Welt zu prügeln, doch als ich auf ihn zurenne um einen gezielten Schlag zu setzen, versagen meine Gliedmaßen und ich bleibe wie ein Statue bewegungslos stehen.
„Akzeptiere das Spiel und halte dich daran. Gewinne oder Verliere!“
Hass bestimmt mein Denken und ich willige ein. Die Grenze verschwindet, als der Clown sein letztes Wort an mich richtet. „Du bist der Narr. Nichts erkennst du. Hättest du es getan, wüsstest du, dass du diesen Kampf nicht gewinnen kannst, denn du hast ihn bereits verloren. Es gibt andere Wege zu kämpfen; Wege die du nicht einmal siehst, obwohl sie dir zu Füßen liegen. Nur einen Schritt hättest du machen müssen...Jetzt ist sie mein und du hast alles verloren...“
Ich stolpere voran, denn das plötzliche Verschwinden der Grenze hat mich irritiert. Der Narr holt aus und sein Faustschlag trifft mich mitten im Gesicht. Ich fühle, wie Haut, Fleisch und Knochen aufeinandergepresst werden und der Schmerz mir alles Sinne raubt. KO.
Ich habe verloren...“Mehr als du glaubst,“ höre ich ihn noch sagen. Dann wird alles schwarz...

...alles ist mir fremd geworden und ich erkenne dieses Gebäude nicht mehr als den Ort, an dem ich eine große Zeit meiner Kindheit verbracht habe. Vor zwanzig Jahren lief ich fast jeden Tag durch die langen Gänge der Schule und verbrachte Stunden in den einzelnen Räumen. Hörte Lehrern zu und konzentrierte mich auf Bücher, weil man mir einredete, dass dies der einzigste Weg wäre, mir eine gesicherte Zukunft aufzubauen. Und nun befinde ich mich in eben jener Zukunft und wie so viele Prophezeiungen, ist auch diese nie Wirklichkeit geworden, denn die Mauern, welche damals noch die Zukunft repräsentierten, haben sich im Laufe der Zeit zu einem Zeichen der Endgültigkeit gewandelt. Dies ist der Ort, an dem meine Persönlichkeit geboren wurde, der Ort an dem ich zu dem wurde was ich bin und ich weiß, dass ich an diesem Anfang auch mein Ende finden werde. Ich bin einfach nur hier; sonst nichts. Keine Angst, keine Trauer, nichts. Nur um mich zu verabschieden.
Wie in Trance wandele ich den Ostgang herunter und ich habe das Gefühl, dass die grauen Steine zu beiden Seiten mich erdrücken. Sie deuten an, was mich bald erwarten wird, doch dieses Gefühl verblasst hinter dem bohrenden Schmerz des einen Gedankens, der mir noch geblieben ist.
Nie dachte ich daran die Erfüllung in meinem Leben zu finden. Ich glaubte nie an Hoffnung und an das berühmte gute Ende, sondern ich sah die Welt in einem realen Licht, dass selbst in die dunkelsten Ecken meiner Vorstellungskraft schien, so dass es mir nie gelang mein eigenes Weltbild zu malen. Glück und Liebe waren Fremdwörter. Es waren Dinge, die sich immer weit außerhalb meines Lebens abspielten und schon in der Zeit, als ich noch als Schüler meine Tage verbrachte, glaubte ich nie an das, woran alle anderen glaubten. Ich ernährte mein Verlangen mit Phrasen, die ich immer und immer wieder aufsagte. Die Kraft der Worte überdeckte die stille Gier in mir und half, dass ich nicht in der Düsternis meiner Gedanken verloren ging. Glaube ist nur für Schwache; Bis zum bitteren Ende; Stehend leben und sterben...

Unendlich lang erscheint mir der Ostgang und seine Enge droht mir die Luft zu nehmen, doch nichts verlangt mich mehr, als diese Tür am anderen Ende des Ganges zu öffnen und in das Innere des Raumes vorzudringen, denn ich weiß, was sich dahinter befindet und ich weiß um den Willen zu finden, was ich erst vor kurzem fand, verloren habe und bald für immer verschwunden sein wird. Er will es mir nehmen und er wird es mir nehmen. Ich habe gekämpft und ich habe verloren.
Der Gang bleibt nun hinter mir zurück und als ich die unverschlossene Türe öffne zerreist die Angst die Lethargie und ich beginne wieder meinen Körper zu spüren. Ich fühle den pochenden Schmerz in meinem Kopf. Ich spüre mein hämmerndes Herz und ich erkenne wie mich die Müdigkeit an meine Grenzen führt.
Angst. Die absolute Angst. Ich zittere. Ich bekomme keine Luft. Ich erkenne die Endgültigkeit in ihrem vollen Ausmaß. Das selbe Gefühl wie bei meiner Ankunft in dieser Stadt aus Träumen und Hoffnungen.
Licht fällt mir entgegen, als sich die Tür vollends öffnet und mir offenbart was dahinter ist. Ich sehe die alten Tische und Stühle, auf denen schon Generationen von Schülern saßen und ich sehe das Pult und den Mann der daran sitzt. Es ist der Narr, dessen breites Grinsen und grellen Farben deplaziert wirken, an diesem Ort, der gefärbt wurde durch Trauer und Angst. Ich trete ein, schließe die Tür und lasse die Enge und den Weg zum Ende hinter mir.
Dort steht sie und hat mir den Rücken zugewandt. Ihre Schultern hängen schlaff herunter und bewegen sich im Rhythmus ihres Schluchzens. Ich gehe auf sie zu und bemerke, wie sich ihr Kopf langsam hebt. Ihr Flüstern dringt wie ein Schrei an mich heran. „Er ist es. Nicht wahr.“ Es war keine Frage, doch der Narr hinter ihr nickt und lacht nur stumm.
Sie dreht sich herum und stürzt auf mich zu. Ihr tränennasses Gesicht drückt sich an meine Schulter und ihre Arme klammern sich an meinen Rücken. Ich spüre die Wärme ihres Körper und ihre Gegenwart erfüllt auch mich mit dieser. Das Gefühl innerlich zu verbrennen beherrscht den Augenblick, denn die Liebe, die ich empfinde geht über mein eigenes Bewusstsein hinaus, so dass meine physische Existenz nicht in der Lage ist, den Augenblick zu ertragen, zu bewältigen.
Mit ihren blauen Augen blickt sie mich an und ich habe das Gefühl zu zerspringen. Ihr Blick berührt meine Seele; all das was ich bin und ich fühle das Vollkommene.

Langsam drücke ich sie unter Flehen von mir fort. Sie bittet Gott, bittet sich selbst und erbittet jede erdenkliche Hilfe, doch das Ende ist bereits geschrieben und in dem Augenblick, indem ich den Klassenraum wieder verlasse sterbe ich. Ich fühle wie mir das Leben entweicht und wie das letzte Feuer in mir erlischt. Die Welt um mich herum wird schwarz und fällt in ewige Düsternis, als ich den Gang durchschritten habe und die frische Luft in meine Lungen dringt. Draußen erwartet mich die Leere; die weite Wiese...

Es beginnt in meinem Kopf zu stürmen. Eine unzählbare Masse an Gedanken stürzen gegeneinander und ich höre nichts außer dem unerträglichen Getöse ihres Kampfes; meines Krieges.
Ich schreie, doch die Leere vermag nicht meine Stimme zu tragen und so verklingt mein Klagen im Nichts.
Nein...Nein
Nicht so. Sie ist alles was ich habe; alles was ich mir in diesem Leben je geträumt hatte und nun soll sie einfach so verschwunden sein, nach einem einzigen Kampf? Nein!

Ich gehe zurück in meine alte Schule, betrete erneut den Ostgang und den Raum mit meiner Freundin. Ich sehe sie, aber der Narr steht direkt neben ihr und seine überdimensional behandschuhten Hände umgreifen den zierlichen Körper meiner Liebe und seine Finger legen sich um ihren Hals. Sie rauben ihr die Luft, während mir ihr stummer Schrei wie ein Klagen in den Ohren liegt und mir das Trommelfell zerreist.
Es ist unerträglich heiß und die Schminke des Narren tropft stetig zu Boden. Das Weiß auf seiner Haut verschwindet und die Tropfen werden zu Flocken. Es schneit von ihm herab, während ich mir meinen Weg durch die Tische und Stühle bahne, um sie aus seinen Händen zu retten. Viel Zeit bleibt mir nicht mehr, denn ihre Lippen, ihr sonst so wunderschöner Erdbeermund, ist nur noch ein dünner, blauer Strich. Ihr ganzes Gesicht erinnert nur noch schwach an ihre einstige Schönheit, denn es gefriert mit jeder Sekunde mehr zu einer grotesken Fratze; entlehnt aus einem Puppenspiel.
Ein unsichtbarer, nicht fassbarer Schlag wirft mich zurück, als sich mein Blick von ihr zu ihm wandert, denn die Schminke hat ihn nun komplett verlassen und ich sehe sein Gesicht. Ein Gesicht, dass mir bekannter ist, als jedes andere, denn es ist das meine. Mein Mund, meine Nase und meine Augen, die leuchten als der letzte Hauch des Lebens meine Liebe verlässt. Sie rutscht aus seinen Händen und geht wie ein Stück Stoff zu Boden, dass nur noch von einem letzten Aufwind getragen wird. Sie ist tot. Gestorben durch meine Aufgabe, durch mein Zögern und meine Hände. Ich habe sie umgebracht und sie dadurch für immer verloren. Mein letzter Rest Verstand verabschiedet sich, als ich auf die Knie gehe und neben ihr zusammenbreche. Meine Wange liegt auf ihrem bereits kaltem Gesicht und die Hitze, die Trauer, die Verzweiflung und die Trostlosigkeit nehmen mir das Licht, als die Ohmacht meinen Körper und meinen Geist umschlingt und ich nicht einmal mehr die Kraft besitze meine Lungen mit Sauerstoff zu füllen. Ich fühle mich, als würde ich ertrinken. Als würde ich versinken und ich sehne dieses Gefühl, diese Tatsache herbei, denn ich will keine Schmerzen mehr...

...etwas lässt mich los. Ich fühle, wie mich tausende von Armen aus ihrem Griff entlassen und meine Augenlider sich öffnen, noch bevor mein Hirn zu arbeiten beginnt. Ich sehe das weiße, kalte Licht einer Lampe, doch sie verschwindet hinter den Eindrücken der Realität, die anders ist, als ich sie je gesehen habe. Oder ist es meine Fantasie, welche das Licht vertreibt und mir damit die Chance nimmt in die wirkliche Welt zurückzukehren.
Ich liege in den Armen meiner Freundin und ringe nach Luft. Das Gefühl zu ertrinken ist immer noch gegenwärtig und sie muss die Angst in meinen Augen sehen, denn ihre Hand streichelt beruhigend meinen Kopf, so als ob sie ein kleines Kind währe, dass aus einem schlimmen Alpraum erwacht. Aber ich empöre mich nicht über dieses Verhalten, nein, ich genieße es, auch wenn mir jede Berührung wie eine Erinnerung erscheint. Wie ein Gefühl aus längst vergessenen Zeiten.
Doch dann weiß ich wieder, was gerade geschehen war und ich spüre die Hände des Narren; meine Hände; um ihren Hals. Ich rutsche aus ihren Armen und mein nackter, kalter und nasser Körper geht hart zu Boden. Der dumpfe Aufprall lässt mich erbeben, doch Schmerz fühle ich keinen. Alles was ich will, ist mich so schnell wie möglich von der Frau die ich liebe zu entfernen, denn zu groß ist die Angst, dass ich ihr etwas antue. Panisch rutsche ich umher und mein warmer Atem quillt unregelmäßig aus meinem Mund. Ich flüchte mich zum Fenster und sehe draußen eine Wiese, deren Ende ich nicht einsehen kann und als ich meine Augen abwende, um diese übriggebliebene Illusion zu vertreiben, erhasche ich im Spiegel einen kurzen Anblick meines Antlitzes und es ist, als würde mitten in meinem Gesicht eine große, rote Nase, einer Krone gleich, thronen. Ich weiß es:
Ich bin nicht einfach nur ein Narr unter vielen. Ich bin ihr König. Ein Herrscher, gefangen für den Rest seines Lebens zwischen Traum und Wirklichkeit. Von allem was er liebt so weit entfernt und doch so nah...

 

Hallo morti,

mit dieser Geschichte verlangst du uns einiges ab. Sie in einem Zug konzentriert zu lesen ist sehr schwer. Ich weiß nicht, ob mittlerweile alles bei mir hängen geblieben ist.
Dabei hatte ich fast bis zur Hälfte den Eindruck, dass du mit dieser Geschichte richtig was gerissen hast.
Der durch das Marihuamagespräch deines Prot mit einem siebzehnjährigen war gelungen und bahnte den ultimativen Trip gut an.
Dass ihm dieser Trip dann zu dem Punkt bringt, an dem er die Stationen seines Lebens noch einmal zurückgeht und sieht, wie er sich seine Liebe verraucht hat, da er zu relaxed war, um zu kämpfen, wie der Kamof zu spät ist, das beschreibst du in dem Bild mit dem Narren Pennywisescher Prägung sehr eindrucksvoll.
Irgendwann aber war ich erschlagen, konnte den Bildern nicht mehr folgen und hatte den Eindruck, jetzt wird es künstlich in die Länge gezogen.
Der ganze Tripreisebericht der in der Schule spielt, bringt letztlich keine neuen Erkenntnisse, so schön er auch geschrieben ist.
Deine Geschichte ist tragisch, denn obwohl dein Prot sich in seinem Trip schon als König der Narren erkennt, ist ihm der nächste ultimative Trip eben näher als das Mädchen, das er liebt. So wird er ein Narr bleiben, egal wohin er sich schießt.
Du findest schön Worte, schöne Bilder, und die Geschichte hat mir gefallen. Nur ist sie mir (auch wenn ich der Letzte bin, der das monieren darf) zu lang, jedenfalls noch ein Stück entfernt von ihrer eigenen idealen Länge.

ihre Hand streichelt beruhigend meinen Kopf, so als ob sie ein kleines Kind währe, dass aus einem schlimmen Alpraum erwacht.
solte bestimmt ich ein kleines Kind heißen.

Lieben Gruß, sim

 

Ich bin froh, dass sich doch noch jemand erbarmt hat, diese Geschichte zu lesen. Ich weiß, dass sie ein "wenig" lang geworden ist, denn ursprünglich waren dies zwei Geschichte, die sich jedoch zu ähnlich waren, um getrennt existieren zu können. Eine "Partnerschaft" bot sich also an! ;)
Nun ja, solange dies aber der einzige schwerwiegende Kritikpunkt ist, bin ich zufrieden. Vor allem, da mir diese Geschichte am Herzen liegt.

Dank dir also ein weiteres mal sim. Ich hab schon bald das Gefühl, dass außer dir niemand meine Geschichten liest!

Grüße...
morti

 

Hi morti!

Doch ich les die Geschichte! ;)

Anfangs war ich ein bischen abgeneigt, weil ich nach den ersten paar Zeilen eine ganz andere Geschichte erwartet hätte, aber dann, wenn man weiter liest und man "betritt" die Phantasie-Welt des Protagonisten, dann baut sich Spannung auf und ich finde, die Geschichte lässte sich von nun an ganz gut lesen...

Naja, etappenweise fand ich sie auch vielleicht ein bischen lang, aber am Ende muss ich sagen, es hat sich gelohnt sie zu lesen ;)

Alles in allem war ich wirklich fasziniert von dem Bild des "Narren", in dem sich der Protagonist letzendlich selbst wieder erkennt.... ;)
Außerem baust du in der Story eine anschauliche "Phantasie-Welt" auf, die die Ängste und Befürchtungen des Protagonisten gelungen wiederspiegeln und somit wird der "Trip" als Weg der Selbsterkenntnis, bzw. der Erkenntnis seiner Ängste genutzt....

Naja, aber lange Rede, kurzer Sinn:

Mach ruhig weiter so...

LG, Princessa

P.S.:Aber irgendwie ja traurig, dass der Protagonist so sehr von seiner Angst beherrscht wird, dass er wohl nie mit seiner Freundin einfach nur glücklich werden kann...

 

Oh, da schau ich nach einiger Abweseheit hier bei kg mal wieder meine alten Sachen durch und entdecke erneut einen von mir unkommentierten Beitrag...sorry ;)
Danke für lesen Prinzesschen...Wie gesagt, diese Geschichte liegt mir am Herzen und ich freue mich über jeden Leser, auch wenn das hier wirklich etwas spät von mir kommt

Liebe Grüße...
morti

 

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