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Der neue Schrank
Als ich den neuen Schrank zum ersten Mal öffnete, blendete mich ein Licht, das so hell war, dass ich meine Augen schließen musste. Der Handwerker der Firma, von der ich das Möbelstück gekauft hatte, kam mir sehr merkwürdig vor, er trug einen sauberen Anzug mit Krawatte und hatte rote Augen und eine helle Haut, eine leuchtend orange Mütze bedeckte seine fast weißen Haare. „Ich komme, um Ihnen den Schrank aufzubauen.“ , murmelte der Albino. Werkzeug hatte er keines dabei, nur die Einzelteile des Möbelstücks. „Wo kann ich meine Mütze ablegen?“, fragte er mit krächzender Stimme. Ich zeigte ihm die Garderobe, und er griff nach seiner Kopfbedeckung. Mit einem Ruck nahm er nicht nur die Mütze, sondern auch seine Haare und große Teile der Kopfhaut ab. Vor Schreck war ich wie erstarrt, nicht in der Lage mich zu bewegen oder etwas zu sagen. Ein Rinnsal aus seinem Blut lief ihm über das linke Auge, über die Nase und dann in seinen halb geöffneten Mund hinein. Dann drehte er sich um und ging ohne ein weiteres Wort in mein Schlafzimmer, wo er damit begann, die Teile zusammenzusetzen. Die Bretter schienen sich wie von selbst zusammenzufügen, nur einmal brach mit lautem Knacken einer seiner Finger ab. Er warf ihn achtlos unter das Bett und mir wurde übel. Ich ging in die Küche um mir ein paar Spiegeleier zu braten und auf andere Gedanken zu kommen. „Bei dieser Firma werde ich nie wieder einkaufen.“, redete ich mit mir selbst. Als ich gegessen hatte, und wieder mein Schlafzimmer betrat, war der Handwerker weg und der Schrank aufgebaut.
Jetzt stand ich davor, hatte meine Sonnenbrille aufgesetzt und öffnete die Tür zum zweiten Mal. Auch diesmal war das Licht gleißend hell, aber durch die Brille erträglich geworden. Ich tastete mit der Hand in den Schrank, konnte jedoch keine Rückwand spüren. Langsam ging ich hinein, erst mit einem Arm und einem Bein, dann mit dem Rest des Körpers und zum Schluss der Kopf. Ich stand in einer aus Brettern zusammengenagelten Hütte, und als sich meine Augen an das dämmrige Licht gewöhnt hatten, sah ich auch den Troll, der auf einer Bank an einem Tisch saß der viel zu klein für ihn war. Das lag aber sicherlich an der beeindruckenden Größe des Wesens, das über zwei Meter groß sein musste. Bis auf einen ledernen Schurz war es unbekleidet und hinter den buschigen Augenbrauen starrten zwei gelbliche Augen – direkt auf meine Schuhe. „Zieh dir die Schuhe aus, oder willst du den ganzen Dreck hier reintragen?“, grummelte er. „Oh, natürlich, Entschuldigung!“, antwortete ich und zog mir meine Turnschuhe aus. Ich stellte sie unter ein Regal neben zwei tote Ratten, die schon ein Endstadium der Verwesung erreicht hatten und betrachtete wieder den Troll, der inzwischen damit begonnen hatte, seine beeindruckenden gebogenen Hörner mit einem dreckigen Tuch zu polieren. „Ich habe es gern ordentlich und sauber, musst du wissen.“, sagte er. „Wer hat es nicht gern sauber?“, antwortete ich und versuchte ein überzeugendes Lächeln hinzubekommen, das aber eher eine Grimasse wurde. „Wo bin ich hier?“, fragte ich. „Wo wohl, du Idiot, in deinem Schrank natürlich!“, erwiderte er. „Natürlich, wie konnte ich das vergessen.“ Ich ging zum einzigen Fenster und sah nach draußen. Der Mond beschien eine Landschaft, die nur aus Sumpf, der bis zum Horizont reichte, einigen alten abgestorbenen Bäumen und einem kleinen Hügel auf dem ein weiteres verfallenes Haus war, bestand. „Was ist in dem anderen Haus?“, fragte ich. „Mein Hühnerstall. Liebe Tierchen sind das. Nur leider schon seit Jahren tot.“ Ich entschloss mich nachzusehen, ging auf die Eingangstür zu und öffnete sie. Warme stinkende Luft schlug mir entgegen, ich hörte den Schrei eines Vogels aus dem Sumpf und irgendwo in der Nähe das gluckernde Geräusch von Wasser. Langsam ging ich den Weg auf das Gebäude zu, das wie das Haus des Trolls aus zusammengenagelten Brettern bestand. Dort angekommen, beschloß ich, erst mal durch ein Astloch in der Wand hinein zu sehen. Was ich dort sah, werde ich nie vergessen. Ich taumelte einige Schritte zurück und setzte mich unfreiwillig auf den Boden. Das Innere des Stalls wurde von einer kleinen Öllampe beleuchtet, auf einer Stange an der Wand saßen einige Hühner und starrten auf einen großen Trog,. Im Trog lag mein Handwerker, übel zugerichtet denn ohne Augen und Ohren, und am ganzen Körper zerfressen. Die Hühner selbst sahen auch nicht besser aus, hatten eine bräunliche verweste Haut und nur noch einzelne Federn. Zwei von ihnen pickten kleine Fleischstückchen aus dem Mann, warfen sie hoch und fingen sie auf um sie zu verspeisen. Während ich zu hyperventilieren begann stand ich auf und rannte auf die Hütte des Trolls zu. Ich stürmte hinein und schrie:“ Da liegt ein Mann im Hühnerstall, er ist tot!“ „Natürlich ist er tot. Er ist Hühnerfutter, wie du auch gleich!“, schrie er zurück. Er hatte die orange Mütze auf, mitsamt den Haaren ihres ehemaligen Besitzers und seine Augen funkelten mich tückisch an. Aus seinem Mundwinkel ragte ein Finger auf dem er gierig kaute. „Was glaubst du, wovon sollen wir leben, die Tiere und ich. Hier im Schrank gibt es keinen Supermarkt.“, brummte er mit einem fast schon versöhnlichen Ton in seiner Stimme. Dann sprang er mit einem Satz auf mich zu und begann mich mit seinen riesigen Pranken zu würgen. Bevor ich starb, hatte ich gerade noch genug Zeit, mir vor Angst in die Hose zu machen. Hätte ich nur bei einer anderen Firma eingekauft, der Name Hühnerfutter GmbH hätte mich abschrecken sollen.