Der Neuronen - Club
Die Freunde sagten, hier spürte man den Tod. Grenzenlos war er. Grenzenlos auch das Verlangen nach ihm.
Die Freunde sagten, hier spürte man das Leben. Grauenvoll war es, was in mancher Brust verschlummert schien.
Und doch zog es sie immer wieder aufs neue in diesen Club des Verderbens, der sie innerlich veränderte, ohne das sie es merken konnten oder wollten. Obwohl sie nach außen noch immer die grenzenlose Ausmaße ihres Herrschens über die anderen in ihren Augen trugen, verkrochen sie sich hier in ihren Alpträumen in die Gänge ihrer Phantasie.
Man wäre erstaunt, wen bekannt würde, wen sie alles zu ihrer Gesellschaft zählten. Denn hier hatten sich die gesellschaftlichen Strukturen der Stadt ineinander verschachtelt, so dass es an einigen Tagen möglich war, einen hohen Regierungsbeamten unter ihnen zu finden.
In ihren Ängsten waren die Menschen gleich. Gleich auch in ihrer Habsucht. Der Mann, der morgens sein Kind schlug, verfiel hier im Club dem jämmerlichen Geschrei eines Neugeborenen. Der Mann, der mit gesenktem Haupt durch die Straßen seines endlosen Lebens glitt, verbarg hier sein äußeres Versagen hinter der Macht einer neuen, phantastischen Stärke.
Niemand wusste, wann der Club gegründet worden war. Niemand wusste, wer ihn ins Leben gerufen hatte oder die Regeln festgesetzt hatte, die in ihm abliefen. Alle waren gleich verloren in ihrer Gedankenlosigkeit, die sie beschlich, als sie sich hier ganz ihren Träumen hingeben konnten, sich im Frieden wiegen wollten vor den Überfällen der Hölle, die sie längst regierte.
Der Club hatte sich herumgesprochen in den ?Kreisen der Stadt?. Der Geist kannte keine Standesgrenzen. Die Einbildung der Unterscheidung allen Seins hatte sie hier nicht mehr ergriffen. All die Frevler der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit mussten zugeben, dass sie hier existierte. Obwohl jeder der Feind des anderen sein konnte, hielt man zusammen, verbunden durch ein gewagtes Spiel.
Der Club befand sich im östlichen Randbezirk der Stadt. Das Bauwerk wirkte unscheinbar. Kühle Strenge verbreitete einen Hauch von Unbehaben. Scharfe Kanten trennten Geist von Körper, Erde von Himmel, Wasser von Luft. Selbst das umliegende Gelände war geordnet und beugte sich geometrischen Gesetzen. Ordnung war hier alles, was das Chaos zusammenhielt. Und doch trennte sich ein Teil von ihr und verblasste in ihrem Schatten.
In seinem Innern zeichnete sich der Club selbst mit weichem Licht. Neue Gäste waren hier immer willkommen, obwohl am Eingang ein paar unscheinbare Gestalten die Besucher sondierten. Man spürte ihre musternden Gehirnströme, die die Nervenbahnen abfingen und sich wie stille Begleiter ihrer Gedanken bemächtigten. Vor ihrem strengen Blick hielten die eigenen Augen nicht stand. Man musste sich selbst ertappen, wie man unterwürfig nach unten schaute, um den ersehnten Eintritt zu erlangen.
Die innere Kammer war das Herzstück der Phantasie. Immer wieder schaute man in die offenen Augen der anderen, die bereits völlig willenlos in die Tiefe starrten. Ihre Köpfe waren mit einem Blechnapf und einem Gewirr von Kabeln verbunden, deren kühle Energie sich in die Gehirnwindungen einnistete. Seelenruhig schienen sie zu schlafen, doch ihr stummer Blick bohrte sich das Herz. Er war das Spiegelbild ihrer Phantasie und nur sie wussten, welches Grauen sie gerade in ihrem Innersten erlebten.
Man wurde selbst zur Maschine geführt, deren grauenhafte Existenz nicht sein konnte. Und doch gaben sich die Menschen ihrer Macht hin.
Spitze Nadeln kapselten sich an die Nervenbahnen. Eine innere Unruhe brach aus. Die Angst verwandelte die tiefsten Abgründe des eigenen Geistes zu einer nahbaren Last.
Man erzählte sich die grausamsten Geschichten, über das, was einem hinter dieser Barriere erwartete.
Doch heute war kein guter Tag zum Sterben.