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Der Onkel Fred oder das Leben auf der Strasse
An der Bushaltestelle tanzte ein alter Mann im Kreis. In der Hand eine Flasche Bier haltend und unsinnige Worte vor sich hin grölend.
Eine junge Frau mit einem kleinen Mädchen an der Hand stand an der Haltestelle und wartete auf den Bus. Die Kleine umklammerte angstvoll die Hand der Mutter und starrte aus schreckgeweiteten Augen auf den Mann.
Das Mädchen flüsterte leise. „Du, Mama, ist der Mann gefährlich?“ Sicherheitshalber machte sie einen Schritt nach hinten, versuchte aus dem Blickwinkel des Tanzenden zu kommen.
Der hatte natürlich jedes Wort gehört und kam nun auf die Kleine zu. Er stellte sich leicht schwankend vor die Mutter und lallte. „Du brauchst keine Angst zu haben vorm lieben Onkel Fred. Ich mache Kindern nix.“
Die Kleine hielt sich die Nase zu. „Mama der stinkt!“ Die Mutter fasste ihren ganzen Mut zusammen.
„Lassen Sie uns bloß in Ruhe, sie stinken wie ein Schwein und aus ihrem Maul riecht es fürchterlich nach Alkohol. Sie sollten sich schämen am Morgen schon so blau zu sein.“
Im Gesicht des Mannes zeichnete sich deutlich ein Grinsen ab, er lachte laut, drehte sich um und verließ die Bushaltestelle.
Die Kleine atmete auf. „ Wo geht der jetzt hin?“
Eine ältere Frau an der Haltestelle lächelte das Mädchen an.
„Der Fred geht in den Supermarkt, kauft sich Bier und wird sich für den Rest des Tages zu saufen. Irgendwann, wenn er den Weg nicht mehr nach Hause packt, bleibt er irgendwo liegen und pennt den Rausch aus.“
Die junge Frau schüttelte den Kopf. „Das ist doch kein Zustand! Da müsste doch die Polizei durchgreifen, so einer gehört doch nicht auf die Strasse.“
Ein alter Mann mit Hut winkte mit der Hand ab.
„Die Polizei hätte viel zutun diese harmlosen Alkis einzufangen. Der Fred ist doch harmlos, das ist ein Spinner. Ich kenne den schon seit seinen Kindertagen, der hat nie was schlimmes angestellt. Der ist nicht gerade der Hellste, ein Clown auf der Strasse, mehr aber auch nicht. Sie müssten Mal die Russen sehen, die Hausen da hinten vor der öffentlichen Toilette. Das sind meist so acht bis zehn Leute, die saufen Wodka aus der Flasche und wenn sie genug haben, dann randalieren sie darum. Ständig ist der Abfalleimer aus der Halterung gerissen und die kaputten Flaschen liegen auf dem Boden zerstreut herum. Ich weiß ein Lied davon zu singen, ich wohne am Park. Am Abend ziehen dann die Jugendlichen auf mit ihrem komischen Bier. Die schleppen das Zeugs in Kästen an und Aufräumen tun sie nicht die Bohne. Der Fred ist wirklich harmlos dagegen. Am Supermarkt können sie um die Uhrzeit schon die ersten Alkoholfreaks bewundern.“
Die junge Frau war schockiert. „Echt?“
„Was glauben Sie denn! Ich habe das ganze verfolgt und die letzten Jahre ist es immer schlimmer geworden. Das nimmt kein gutes Ende.“
Der Bus hielt an der Haltestelle und die Wartenden stiegen zu.
Fred hingegen hatte es bis zum Supermarkt gepackt. Feixend und Grimassen machend schlenderte er durch die Gänge hin zum Getränkemarkt. Er schnappte sich ein paar Flaschen Bier und ging zur Kasse um zu bezahlen. Plötzlich stellten sich ihm zwei Jugendliche in den Weg.
„He Fred haste nicht was vergessen?“
Fred schaute sie erstaunt an. „Ne! Wieso?“
„ Na unser Bier, wolltest uns doch einen ausgeben.“
Einer der Jugendlichen schnappte sich einen Sechserpack Urpils und stellte ihn an der Kasse ab.
Fred zahlte anstandslos die Zeche. Es hatte sich herumgesprochen unter den Jugendlichen, der Alte hatte Geld. So kam es immer wieder vor, dass sie sich ungefragt bei ihm einluden. Fred sagte nie ein Wort und zahlte anstandslos.
Die zwei Jugendlichen verließen den Supermarkt mit dem Bier. „He, danke noch Fred und einen schönen Tag.“
Fred hingegen setzte sich auf die Treppe, die hinauf führte zum Gemeindehaus und öffnete die erste Flasche Bier.
- Schönen Tag, was haben die bloß für eine Ahnung von einem schönen Tag! -
Langsam ließ er die ersten Schlucke seine Kehle hinabrinnen und war froh allein zu sein. Seine gutmütige Art hatte ihn bisher davor bewahrt ernsthaft Schläge zu bekommen. Die Jugendlichen verhöhnten ihn zuweilen, bezeichneten ihn als alten Spinner; aber ansonsten ließen sie ihn in Ruhe.
Während Fred so vor sich hin sann, kam der alte Hubert vorbei. Hubert war achtzig Jahre und seit dem Tod seiner Frau führte ihn das Leben jeden Tag ein Stück mehr an die Flasche heran. Er winkte Fred zu und lief stark schwankend in den Supermarkt, dabei blieb er prompt an der Glastür hängen.
Ein Ehepaar ebenfalls auf dem Weg in den Supermarkt schüttelte empört die Köpfe. Die Frau ereiferte sich über das unmögliche Verhalten der Menschen in dieser heutigen Welt.
Hubert bekam von alledem wenig mit, sein Weg führte in Schlangenlinien zur Grundversorgung mit Spirituosen und Bier. Er kaufte ein abgepacktes Brot, ein Stück Butter und Wurst. Auf dem Weg zur Kasse passierte es dann.
Er stand plötzlich zitternd zwischen den Regalreihen, stöhnte und ein Rinnsal breitete sich zu seinen Füssen zu einem größeren Gewässer aus.
Ein junger Mann sah das Malheur und glaubte an einen Kreislaufkollaps. Er suchte den Marktleiter und schildert ihm den Vorfall. Der folgte dem jungen Mann zu Hubert.
Der Markleiter grinste den jungen Mann an.
„Wissen Sie, der hat keinen Kreislaufkollaps, der Alte ist wieder einmal sternhagelblau und dies am frühen Morgen. Der kann nicht mehr seine Blase halten und da hat er seine Pisse halt laufen lassen. Jetzt dürfen wir den Dreck wegmachen und stinken tut er auch.“
Er griff den alten Mann an der Schulter. „Hubert, hier ist jetzt Schluss mit lustig, wir verlassen den Supermarkt ganz schnell durch den Notausgang.“
Der Alte lallte vor sich hin, sichtlich bemühte er sich die Worte zu finden. Der Markleiter sagte ohne Widerspruch zu dulden.
„Ich will hier keinen Aufstand, bezahlt wird draußen!“ Eine Mitarbeiterin schnappte sich den Einkaufswagen. Zwei weitere Angestellte kamen hinzu um zu helfen.
Hubert wurde durch einen Seiteneingang vor das Geschäft geführt.
An der frischen Luft ließ Hubert noch einmal Wasser ab. Eine Kundin, die sich gerade einen Einkaufswagen besorgte, entrüstete sich. „Mann ist das eklig! So eine Schande!“
Eine Mitarbeiterin kam vor den Markt. Sie hatte die Ware in Tüten gepackt und den Rechnungsbeleg in der Hand. Der Marktleiter zeigte Hubert die Rechnung, der hielt ihm hilflos einfach seinen Geldbeutel hin.
Die Mitarbeiterin entnahm das Geld und gab ihm den Geldbeutel zurück. Sie ging zurück in den Laden.
Der Marktleiter sagte vorwurfsvoll. „Hubert war das notwendig? Ich will dich nicht mehr in meinem Markt sehen, lasse deine Pisse an anderer Stelle laufen!“
Er drehte sich um und ging zurück in seinen Supermarkt.
Fred schaute von der Treppe zu und erhob sich. Er kam die Stufen herab auf Hubert zu.
„Mann, Hubert haste wieder Scheiß gebaut?“
Hubert stand stumm, den Blick geradeaus gerichtet und nahm seine Umwelt nicht mehr wahr.
Fred erkannte seinen Zustand sofort. „Kenne ich, habe ich auch schon gehabt, Vollrausch und plötzlich sind die Lichter aus. Also, Alter komm ich bringe dich nach Hause.“
Er nahm die beiden Einkaufstüten, lief zurück um seine beiden vollen Bierflaschen von der Treppe zu holen.
Die konnte er unmöglich stehen lassen, wenn er zurückkam waren sie sicherlich weg. Er packte sie in die Tüten, ging zurück zu Hubert und meinte.
„Komm schon, laufen wirst du die paar Meter ja noch können.“
Hubert lallte dummes Zeug und setzte sich langsam in Bewegung. Am Zebrastreifen überquerten sie langsam die Strasse.
Ein Autofahrer brüllte aus seinem Fenster.
„Ihr Scheiß Alkis legt Mal einen Zahn zu!“
So ein Blödsinn, aus ihrer Sicht besehen, rannten sie doch schon.
Hubert wohnte im Erdgeschoss, solches erleichterte natürlich im Rausch den Zugang zur Wohnung.
Fred half dem Mann auf die Wohnzimmercouch. Er wartete, bis dieser die Augen geschlossen hatte und anscheinend schlief.
Leise verließ er die Wohnung, natürlich nicht ohne seine zwei Flaschen Bier mitzunehmen.
Dieser Morgen war schon sehr anstrengend verlaufen und so zog es ihn auf eine nahe Parkbank.
Er verdöste den Vormittag und wurde erst am späten Nachmittag wieder munter. Er trank seine beiden Bierflaschen aus und machte einen letzten Rundgang durch die Innenstadt.
Die Geschäfte schlossen, langsam wich die Hektik des Tages einer ruhigeren Zeit.
Fred beschloss, für diesen Tag hatte er genug, er ging jetzt nach Hause.
Das Haus, ein Mehrfamilienhaus gehörte ihm. Er teilte sich seine Wohnung mit seiner Schwester.
Den Wohnungsschlüssel steckte er leise in das Türschloss, drehte den Zylinder, die Tür sprang auf. Er war in seinem Heim angelangt.
Seine Schwester hatte ihn aber doch gehört. Sie saß im Wohnzimmer und schaute fern.
„Ich habe dich gehört Fred. Ohne Dusche gibt es für dich kein Essen!“
Fred betrat schweigsam das Badezimmer, duschte und kleidete sich neu an.
In der Küche fand er auf dem Tisch einen Teller, darauf ein halbes Hähnchen und Pommes. Er aß, stellte das Geschirr auf der Spüle ab. Anschließend ging er in sein Zimmer legte sich in sein Bett.
Er starrte lange an die Zimmerdecke, seine Gedanken kreisten nur um ein Thema.
Warum verlebte er eigentlich den Tag auf der Straße? Er war doch nur der harmlose Fred und kein Penner! Wie sollte er sein Leben führen? Seine Frau war vor fünf Jahren an Krebs gestorben und seine beiden Kinder bei einem Lawinenunglück vor zwölf Jahren in den Alpen ums Leben gekommen. Welchen Sinn hat das Leben noch für ihn?
Die Antwort fand er auch in dieser Nacht nicht.
© Bernard Bonvivant, Mai 2008
Autor des Romans « Das Chaos »