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Der Opa
Er sah zu ihr hin.
"Na Svenja, willst du zum Opa auf den Schoß kommen, und hoppe hoppe Reiter spielen?"
Sie nickte, strich sich das Kleid glatt und hüpfte auf Opas dürren Beine.
Gerhard begann leise zu singen.
"Hoppe hoppe Reiter, wenn er fällt, dann schreit er."
Seine Hand streichelte zärtlich die langen, blonden Haare des Mädchens.
Immer wieder ließ er seine Knie hochwippen, und immer wieder plumpste der Körper des Kindes auf sie zurück. Svenja lachte dabei aufgeregt.
Als Svenja schließlich wieder aufgestanden war, keuchte er. Er vertrug keine Anstrengungen mehr.
"Und jetzt gehen wir die kleine Prinzessin baden", sagte er erschöpft.
Die Kleine wuchs schnell, kam ihm jede Woche ein Stück größer vor.
Er lachte, als sie ihn von hinten nass spritzte.
Wenn Svenja da war, ging es Gerhard gut.
***
"Wir wollen es nicht mehr, das muss reichen."
"Aber ihr könnt mir doch nicht einfach so mein Enkelkind nehmen."
Gerhards Stimme zitterte, nur mühsam konnte er das Weinen unterdrücken.
"Was habe ich denn bloß falsch gemacht?"
Paul zog die Tür auf.
"Ich fahre jetzt."
Gerhard stolperte seinem Schwiegersohn hinterher, kam ins Wanken und musste sich an der Wand abstützen.
"Und Tanja? Wieso sagt sie mir das nicht selbst? Wieso ist meine Tochter nicht hier?"
Paul schüttelte den Kopf.
"Willst du sie etwa auch angrabschen?"
Dann stieg er ins Auto und fuhr davon.
Gerhard stand noch eine lange Zeit so im Hauseingang; eine Hand gegen den rauhen Stein gepresst, die andere schlapp herunterhängend.
Irgendwann ging er zurück in das Wohnzimmer. Er füllte den Wasserkocher, schaltete ihn ein, bereitete sich eine Suppe zu.
Dann ließ er das Fernsehprogramm ablaufen, ohne davon Notiz zu nehmen.
Stunden gingen vorüber, draußen war es dunkel geworden.
"Angrabschen", sagte er. Dieses Wort hörte sich grausam an.
Die Nacht über schlief er nicht. Er saß bloß da, auf dem grünen Sofa, den Ton des Fernsehers im Hintergrund ignorierend.
Als es morgen wurde, wiederholte er das Wort: "Angrabschen."
Gerhard stand auf, ging auf die Toilette, und wählte anschließend die Nummer, die zu der kleinen Wohnung in Bochum führte.
Seine Tochter meldete sich.
"Fischer?"
"Ich habe Svenja nicht angegrabscht", brachte er es nur keuchend heraus.
Nichts wurde erwidert.
"Ist das dein Vater", kam es aus dem Hintergrund. - "Gib ihn mir!"
"Paul", wollte Gerhard wissen.
"Lass uns in Ruhe, oder wir schalten die Polizei ein."
"Ich habe sie nicht angegrabscht."
Es wurde eingehängt.
Gerhard zog sich seinen Mantel über und ging im Park spazieren.
"Kann ich Ihnen helfen?"
Die Frau stand plötzlich neben ihm. Er hatte sie nicht kommen sehen.
Gerhard schüttelte den Kopf und schluchzte weiter.
"Sie sehen aber gar nicht gut aus. Ich bin mit dem Auto hier. Wo wohnen Sie denn?"
Gerhard wischte sich notdürfitg einige Tränen aus dem Gesicht und sah die Frau an.
"Ich habe sie nicht angegrabscht", sagte er.