Der Orangen-Dealer
Der Marktplatz ist wieder leer. Es wird Zeit zu gehen. Wir müssen alle wieder aufräumen, unsere Stände zusammenpacken und uns auf den mühsamen Weg nach Hause machen. Ich bin traurig, ich packe schweigend meinen Stand zusammen, lege vorsichtig alle Orangen wieder in den großen Sack und räume den Tisch zusammen. Die anderen Händler lachen und tratschen mit einander. Sie reden übers Geschäft, über die Frauen, über die Zukunft. Sie hatten alle heute großen Erfolg beim Handel. Mit gefüllter Brieftasche werden sie heute nach Hause gehen. Ihre Blicke sind glücklich. Mein Blick ist es nicht. Mein Tag war erfolglos. Ich rede nicht gerne, ich tratsche nicht gut.
Meine Kollegen verkaufen so einiges. Erbstücke, die sie für Wertlos halten, Bücher, die sie nicht lesen können, Bilder, die sie nicht sehen können. Alte Schallplatten, alte Radios, und anderes. Sie verkaufen auch kleine Tüten mit illegalem Inhalt. Sie verkaufen auch kleine Tabletten, mit verbotenen Namen. Sie verkaufen so einiges, und sie sind erfolgreiche Händler.
Laut und schrill lachen sie weiter. Ihre seltsamen Gesichter verzerren sich hässlich. Sie reden über die Frauen, die sie begehren und mit ihnen schlafen, und kichern dabei wie kleine Mädchen. Mich begehren die Frauen nicht.
Ich verkaufe nicht so viel, wie meine Kollegen. Ich verkaufe kein Gras, ich verkaufe kein Crack, ich besitze kein Heroin. Mir sind LSD und Methadon unbekannt. Ja, mir sind all diese Dinge unbekannt, ich verkaufe nur Orangen. Mir sind Erfolg im Geschäft und Genuss von Drogen unbekannt. Denn ich verkaufe nur Orangen.
Ich bin fast fertig mit dem Zusammenpacken. Die anderen Händler haben nicht einmal angefangen.
Der Himmel ist schon dunkler geworden, ich mach mich auf den Weg.
Einer der Händler spricht mich an, legt mir seine fette Hand auf die rechte Schulter. Er kennt mich nicht, doch ich habe oft beobachtet wie er versucht Teenagern Kokain an zu drehen. Er will nur wissen, wie mein Tag war. Er fragt mich was ich verschaufeln konnte. Er fragt mich, was ich verkaufe. Sein Blick ist großherzig und dumm.
Orangen, antworte ich.
Orangen, nur Orangen, wiederhole ich, als er mich mit nüchternem Blick plötzlich mustert. Ich glaube, er ist verwirrt.
Die anderen Händler rufen ihn schon. Er mustert mich noch mal, ohne etwas zu sagen. Bestimmt will er wissen warum ich Orangen verkaufe. Sie alle wollen das wissen. Sie trauen sich nur nicht zu fragen. Sie trauen sich nicht, weil sie denken ich sei verrückt, weil sie denken ich sei bemitleidenswert, weil sie glauben ich bin aggressiv oder stumm. Sie glauben vieles.
Ich mag den Duft, sage ich dem verwirrten Kokain-Dealer. Er sieht mir in die Augen und versucht, dem Sinn meiner Worte zu folgen. Ich mag den Duft von Orangen, sage ich wieder. Ich glaube, er hat mich jetzt verstanden. Ich löse mich von seiner Hand, nehme meine Sachen. Und langsam, gehe ich trottelig meinen Weg. Begebe mich nach Hause. Lass dieses leere Nichts wieder hinter mir. Lass all diese hoffnungsvollen Gestalten, der Hölle, wieder hinter mir. All diese Menschen mit Zukunft. Verlasse sie, vergesse sie, entferne mich endlich wieder so weit wie möglich von ihnen.
Hinten hört man sie lachen und grölen. Man hört sie alle trinken und feiern.
Es ist schon dunkel.
Der Himmel ist klar. Es ist Vollmond. Die Straßen sind leer. Das Nichts hüllt den Abend, führt ihn zur Nacht. Die Luft ist klar und still, nur der leichte Duft von Orangen umwölkt mich. Nur ein leichter Hauch Orangenduft, der die Luft versüßt.
Nur ein warmer Hauch Orangenduft, der mir das Leben leicht versüßt.
©by Alissa Berger