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Der Photoapparat

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25.01.2008
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Der Photoapparat

Anne saß in der Straßenbahn nach Hause. Sie roch an ihren Achseln. Ihr Arbeitstag war für heute vorbei. Ein Geschäftsmann aus Hamburg hatte sie für zwei Stunden gebucht und anständig gezahlt. Einen weiteren Kunden hatte sie an eine befreundete Kollegin abgegeben. Die Räder rumpelten ein wenig. Die Bahn war alt, die Stadt hatte noch nicht alle ausrangiert und durch neuere Niederflurfahrzeuge ersetzt. Das Durchschnittsalter der Fahrgäste war entsprechend geringer; die jüngeren hatte keine Mühe die steilen drei Stufen hinauf zu steigen. So in diese fahrende Kapsel eingeschlossen, war sie mit sich und ihrer Stadt alleine. Diese Stadt, die im Gegensatz zu anderen nicht viel kleiner war, die aber nur sehr träger ihr Bild wandelte.
Sie zupfte ihr schwarzes Etuikleid zurecht, ein wenig am Ausschnitt, wischte die Fusseln weg. Ihr welliges Haar hatte sie nun nach hinten genommen. Ihr schmerzten die Füße. Sie trug Lederschnürstiefel mit hohen Absätzen. Wenn sie ging, bebte ihr Po unter dem Stoff. Das erregte die meisten und sie blieben länger mit ihr zusammen. Die Bahn hielt, drei Männer anscheinend mittleren Alters stiegen ein. Sie warfen ihr einen schnellen, abschätzenden Blick zu. Sie lächelte unmerklich, gab ihrem Gesicht jedoch jene Spannung, die beim Gegenüber als ein gewisses Strahlen wahrgenommen wurde, eine Aufhellung des Gesichtes in Anbetracht einer Person. Die meisten sahen darin eine Spur Exklusivität, eine Zuwendung, die sie ausschließlich auf sich bezogen. Die dummen von unten wie von oben wussten es nicht besser, die von oben, auch kluge, waren überzeugt, zu recht eine gewisse Einzigartigkeit für sich in Anspruch nehmen zu können. Eine Falle, in die Männer ohne Zahl hereinfielen. Die anderen klugen genossen es, ohne sie kokett zu finden. Einige ganz wenige ignorierten sie angestrengt. Mit denen redete sie am liebsten. Aber solche waren nie ihr Klientel.
Sie saß auf einem Viererplatz am Fenster. Die drei Männer waren schön, sie hatten starke, schön geschwungene Nasen. Brüder vielleicht. Sie trugen schwarze Lederhandschuhe, schwarze Stoffmäntel, die schmal geschnitten waren. Sie redeten über Museen, Ausstellungen, erwähnten Namen und Orte, Zeitungen, Ämter, Positionen. Fasziniert lauschte sie diesem kenntnisreichen Gespräch, dessen Inhalt ihr kärgliches Wissen, auch um das Wesen der Menschen, überstieg. Während der Fahrt hatte gelegentlich einer ihren Blick aufgefangen und erwidert. Sie wandte sich ab, sah aus dem Fenster. Sie brachte sich in Erinnerung, dass nichts sie verband, dass keinerlei hierarchische Abhängigkeit sie dazu nötigte, demütig oder scheu zu sein. Sie versuchte, sich von Gedanken der Unterlegenheit frei zu machen, die sie immer überkamen, wenn sie merkte, dass jemand auf ihrem eigenen Wissengebiet mehr drauf hatte. Sie zog sich dann auf ihren anziehenden Körper und ihr gefälliges, biegsames Wesen zurück und bot Gelegenheit, sich in ihr zu ergießen und sein Erhabenheitsgefühl zu stärken, dass die eigenen Unzulänglichkeiten unbemerkt ließe und die Schuldhaftigkeit des Mannes, hatte er sie doch wieder wie ein Objekt behandelt, vorantrieb. Mit dem neuerdings schlechten Gewissen des männlichen Geschlechts ließ es sich gut leben. Aber es war anstrengend, ein ständiger Balanceakt, der nur dann geglückt ist, wenn man das Gefühl des freien Schwebens, des Fallens hat.
Die Männer redeten schnell, sie hörte kaum mehr hin und es entstand in ihr der Eindruck, dass sich hinter ihren Worten ein gänzlich anderer Inhalt verbarg. Sie griff nach dem Sitzplatz unter sich. Die Sitze waren neu, nicht länger Plastik, sondern mit derben Samt überzogen. Dann berührte sie die Scheibe. Alles bestens. Die Männer kamen auf sie zu. Sie waren ungleichen Alters, die Spuren in ihren Gesichtern waren deutlich aus der Nähe zu erkennen. Falten, die auf freundliche Charaktere schließen ließen. Sie rochen gut. Es war mehr als nur Parfum. Es war ein ureigener Geruch hinter allen Waschmittelchen, Cremes und Deo. Sie entkreuzte die Beine stellte sie züchtig parallel und strafte den Rücken. Sie wollte ein bisschen hochmütig wirken. Mit ihren restlichen Verteidigungsfähigkeiten war es nicht so gut bestellt. Der jüngste von ihnen kramte eine Digitalkamera aus der Tasche und lächelte sie verbindlich an:
„Würden sie wohl ein Photo von uns dreien machen? Es ist wahrscheinlich das letzte Mal, dass wir so zusammen sind und wir hätten gerne eine Erinnerung.“
Sie dachte, wie nett, eine ganz normale Männergruppe, die eine Erinnerung an einen gemeinsamen Tag mit nach Hause bringen wollte. Was war sie nur so misstrauisch? Er legt ihr ein kleines Objekt in die Hände. Es war warm und sehr anschmiegsam. Er muss es dicht an seinem Körper getragen haben. Dieser unmittelbare Rest der Nähe eines anderen Menschen erregte sie unmerklich.
„Selbstverständlich, gerne.“ Ihre Stimme war tief und rau geworden. Sie wehrte sich gegen die Sinnlichkeit, die aus ihr herausströmte. Die Männer schien das nicht weiter zu stören. Sie drückten sich auf zwei Sitze zusammen in den Viererraum neben ihr und schienen sich über sie, die den Apparat in den Händen herumdrehte, zu erheitern. Schnell fand sie den Zugang, schaltete ihn ein und richtete die Linse auf die drei Personen gegenüber. Sie fokussierte sorgfältig, dennoch gelang es ihr nicht, sie alle gleichscharf zu erfassen. Ratlos blickte sie eine Weile durch die Linse. Hin und her glitt ihr Blick zwischen dem kleinen Bildschirm und der Gruppe, wie in der Angst, sie könnten plötzlich verschwunden sein und nur das Bild von ihrem Vorhandensein zeugen. Mit einem Mal sah sie alle drei ganz klar. Sie drückte ab. Ein heller Blitz bannte die Gesichter in der Kamera. Die Sekunde der Erstarrung verging. Durch die helle Belichtung schienen sie wie auf einem Röntgenbild; sie weigerte sich, über einen Vergleich mit Geistererscheinungen nachzudenken. Der junge Mann, der gleich vorne auf der Kante saß, richtete sich auf und betrachtete die Aufnahme. Wieder versetzte seine Nähe sie in warmes Schaudern. Wollte er doch seinen Mantel aufmachen und sie ganz fest darin umschlingen und an sich drücken! Aber sie winkte innerlich ab, die Eindringlichkeit seines Blickes urteilte sie als gewollt und geprobt ab. Es waren nur Augen in Aktion, aber niemals Spiegel seelischer Daseinszustände, noch weniger durchleuchtender Gedankenleserei fähig.
Er lachte auf, unbändig. „Sie sind eine wahre Künstlerin, eine Porträtistin, sie haben die Fähigkeit, den wahren Kern eines Wesens nach außen zu kehren und zu befreien.“ Er brach in ungezügelte Freude aus. Die anderen beiden rissen ihm den Apparat aus der Hand. Auch sie wurden von Freude überwältigt. Inzwischen hatte die Bahn an einer Haltestelle gehalten und der älteste sprang athletisch in die Nacht. Während der jüngste am anderen Ende auf der Stelle tanzte, flitzte der mittlere den Gang hin und her und am nächsten Halt, war auch er mit dem Klingeln der sich öffnenden Tür verschwunden. Boff! Boff! Annes innere Spannung war mit einem Mal verflogen. Wenn die Spannung mit den Menschen verfliegt, so musste sie schlussfolgern, dass es nicht ihre eigene Energie war, mit der sie bis gerade noch angefüllt war. Dieser Gedanke erschreckte sie, war sie doch der Überzeugung, dass es übersinnliche Phänomene jedweder Art nicht gab. Der Jüngste trat auf sie zu.
„Auf Wiedersehen schöne Anne. Und gutes Gelingen bei deiner Aufgabe. Wenn du erfolgreich gewesen sein wirst, werde ich dich in die Arme schließen. Ich bin die Zukunft.“ Damit verließ auch er die Straßenbahn. Die Tür ging ohne Halt auf und entließ ihn ins Nichts. Anne blieb ratlos und leer zurück. Der Photoapparat lag noch auf einem Sitz. Sie stand mühsam auf und nahm ihn an sich. Ein schönes Stück, ein schönes Design, schwarz und silbergrau, dazu das Glas des kleinen Linsenauges und des breiten Bildschirms auf der gegenüberliegenden Seite. Er war immer noch warm. Nun kam ihr diese personenlose Wärme unheimlich vor. Sie nahm ihn dennoch. Sie wollte ihn zu Haus in Ruhe auf Hinweise zu den Besitzern untersuchen.
Ihre Wohnung war handlich. Ein Bad, eine etwas größere Küche, die sich einen Balkon mit einem weiteren Zimmer teilte, einem Zimmer mit einer Couch, die ihr als Bett diente, das morgens verschwand und den Raum zu einem Wohnraum werden ließ mit Regalen voller Bücher, einem Schreibtisch, Flachbildschirm, PC, eine Schublade im Schreibtisch für zusätzlichen Technikkram; ihr Vater bestand auch in einem Frauenhaushalt auf eine solch unerlässliche Schublade, schön, da war sie, schon bald würde sie auch den Photoapparat dorthinein verbannen. Die Wohnung war Durchschnitt, aber sie hatte ihre eigene Putzfrau, die ihr alle zwei Wochen Bescheid gab, wann sie könnte und mit der machte sie die kleine handliche Bude innerhalb von zwei Stunden sauber. Die Putzfrau hatte so ihre Technik, um daraus körperliche Ertüchtigung in physiotherapeutisch einwandfreier Art zu machen. Jo hatte eigentlich Raumreinigung studiert und eine eigene Firma, aber bei Anne hatte sie angefangen, bei Anne machte sie es weiterhin selbst. Hinterher saßen sie auf der Terrasse, aßen und tranken was und unterhielten sich. Manchmal lieh sie sich von Anne ein Buch aus und sie sprachen darüber.
Heute hätte Anne sie gerne angerufen, um nur so mit ihr zu reden. Sie ließ ihre Tasche und den Mantel in den Sessel fallen, zupfte die Schnürsenkel auf und machte sich auf der Couch lang. Sie lag eine Weile regungslos. Sie verhinderte hartnäckig das Aufleben eines Gedankenstromes. Ihre Psyche war zu klein für den Erlebnisreichtum da draußen. Würde sie alles in ihre Innenwelt hereinholen, wäre die Paranoia vorprogrammiert. Sie bedachte ihr weiteres Vorgehen. Zuerst was essen, dann ihren Kalender nach Terminen für Morgen durchsehen, danach ins Bad gehen und frisch machen, abschminken, duschen, das tägliche Reinigungsritual, um die Welt los zu werden. Im Schlafzeug würde sie die Kamera noch einmal näher in Augenschein nehmen. Streng hielt sie sich an das selbst auferlegte Programm. Aufgabe, Zukunft, dann das strenge, reife Verhalten der Männer, das umschlug in eine kindliche Ausgelassenheit.
Am nächsten Tag hatte sie von zwölf bis vierzehn Uhr eine kleine Gruppe von zwei oder drei Herren. Sie würden sich am Händeldenkmal auf dem Markt treffen. Ein beliebter Treffpunkt und darüber hinaus kaum zu verfehlen. Sie ging in Gedanken die Route durch, die sie mit ihnen ablaufen würde. Sie hatte vorher nach ästhetischen Vorlieben gefragt und dementsprechend die Punkte festgelegt. Hinterher, so meinte sie, würde sie noch zum Essen eingeladen werden. Soweit sie das richtig verstanden hatte, handelte es sich um ihre Mittagspause zwischen zahlreichen Sitzungen, die sie sinnvoll nutzen wollten. Dafür war sie ja da. Die meisten entschlossen sich sehr schnell, ihre Gesellschaft noch ein bisschen länger zu genießen. Sie ließ sich nach Stunden bezahlen, egal, worum es sich handelte, aber sie hatte auch ihre Grenzen.
Danach traf sie einen Stammkunden. Das konnte schnell gehen, der benötigte keine umfangreicheren Vorbereitungen. Bei dem konnte sie thematisch improvisieren und sich Lücken erlauben und er würde sie trotzdem bewundern. Insgeheim wusste sie, dass er ihr überhaupt nicht zu hörte. Sie brauchte diese Erholung für den letzten Kunden, einen Neuling, der schon in den E-Mails verschlossen wirkte.
Die Kamera zeigt die drei überbelichteten Männer und das Monument der Drei Fäuste nahe am Bahnhof. Vielleicht hatten es die drei Fremden kurz zuvor aufgenommen? Sie beschloss, morgen schon am Hauptbahnhof auszusteigen und den Fußgängerboulevard zum Markt hinunter zu laufen.
Am Bahnhof drängten die Massen aus der Straßenbahn. Neugierig schaute sie um sich, wo waren die denn gleich noch mal. Sie ging zum Busbahnhof hinüber. Zwischen ihr und den Monumenten lag der dreispurige Kreisverkehr. Der wurde noch zusätzlich überquert von der Hochstraße, die weiter hinten wieder städtisches Normalnull erreichte. Einen Moment genoss sie noch die temporeiche Wildheit des Pflasters, dann eilte sie die Treppen hinunter auf die Unterführung zu. Auf der anderen Seite wieder heraus, fiel ihr sofort das Fehlen der Fäuste auf. Weg, sie waren einfach weg. Sie fragte sich, ob sie im Regionalteil etwas überlesen hatte. Sie war eine große Leserin des Regionalteils, das gab ihr den Halt und die Bindung zu einem Ort, an dem ihr die Menschen nur Vorrüberreisende waren. Aber wie kamen sie dann als Abbild in die Kamera der Fremden? Wahllos fragte sie einen jungen Menschen. Doch der schüttelte ratlos den Kopf. Einen älteren. Der legt den Kopf schief, als wäre da noch was, angestrengt, doch nichts, nein, nie gehört, Kopfschütteln. Nicht einmal gehört hatten die Leute davon. Eine weitere viertel Stunde irrte sie auf dem Platz umher und pickte sich Gesichter aus der Menge, von deren Erinnerung sie sich etwas versprach. Doch bald war sie es müde. Sie gab auf, lehnt sich an einen Baum. In der Fußgängerpassage mitten auf dem Weg wechselten sich Bäume Skulpturen und Sitzgelegenheiten ab. Fehlte was? Ausgedünnt? Ein laues Lüftchen zauberte ihr das Lächeln in Gesicht zurück. Aber diskutiert werden, eine kleine ideologische Auseinander zwischen links und liberal hätte eine solche Beseitigungsaktion trotzdem hervorrufen müssen. Sie kaufte sich an einer Ecke einen Kaffee auf die Hand und steuerte auf den Markt zu. Da standen sie: Zwei dickliche Herren in verklebter Kleidung, den Schlips gelockert. Einer von beiden hatte bestimmt Mundgeruch…
Anne streifte durch die Stadt. Bis zu ihrem nächsten Termin blieb ihr noch ein etwas Zeit. Ihr Stammgast hatte per SMS abgesagt. Mit dem Eigenbrödler würde sie einen Rundgang durch die Skulpturen aus der Vorwendezeit durch Neustadt machen. In Neustadt war der Geist einer Kunst in öffentlichem Raum allgegenwärtig. Der Kunde hatte ihr jedoch zu verstehen gegeben, dass die Tour von klarer räumlicher Struktur sein sollte und keineswegs chronologisch, was sie unnötig verzickzacken würde. Und vor allem bitte keine zweigeteilten Gebilde. Das bringe ihn immer so aus dem Konzept. Eine klar abgegrenzte Hundertschaft. Er hatte ihr nicht näher erläutert, um was für ein Konzept es sich handelt. Rufen und Hören fielen also eindeutig heraus, die Volleyballer auch. Auf andere, aufeinander Bezug nehmende Figuren würde sie einfach nicht näher eingehen.
Sie lief den Weg nach Neustadt. Auf der Brücke über den Fluss blieb sie stehen und schaute eine Weile dem fließenden Wasser zu. Sie stützte sich mit verschränkten Armen auf das Geländer und wahrscheinlich reckte sie ihr Gesäß auffällig auf die Straße. Ein Fahrradfahrer klingelte, als er an ihr vorüber fuhr. Von der gegenüber liegenden Seite pfiff jemand herüber. Ein Auto hupte. Die Hupe eines anderen echote. Hier war sie erleichtert, denn die letzten beiden Geräusche galten ganz offensichtlich nicht ihr. Sie sollte einfach nicht alles auf sich beziehen. Dennoch richtete sie sich gerade auf, so dass sich ihre Körperkontur weniger deutlich unter dem Stoff abzeichnete und setzte ihren Weg fort. Sie passiert das Straßenbahnkreuz, über dem hoch oben die rot-gelbe Figur des Akrobaten balancierte.
Ihre Verabredung sollte sie im Neustadt-Center treffen. Dort kam er auch, ein ernster und hagerer Mann, schon auf sie zu. Anscheinend war er gewillt die Zurückhaltung aus seinen E-Mails aufzugeben, denn er erklärte ihr, in zungenspitzem Noarddeutsch, den Zweck ihres Rundgangs. Er sei ein Erinnerungskünstler und immer auf der Suche nach neuen, möblierten Wegen und Markierungen, um sich weitere enorme Schätze an Wissen einzuverleiben und anzueignen. Wohl bekomm’s. Sie würden die Runde mehrmals laufen, und eigentlich, so fügt er noch hinzu, hätte er an ihren Hintergrundinformationen nicht sonderlich Interesse. Sie schluckte innerlich. Ihre schön ausgearbeitete Raumzeittiefe. Und wie schroff er war. Sie wollte sich gerade zurückrufen, dass sie doch bezahlt würde, gleichgültig, ob jemand ihr Angebot in vollem Umfang in Anspruch nehmen wollte oder nicht, da besann sie sich und war fest entschlossen, zu ergründen, warum sie nur so ärgerlich und auch unruhig wegen seiner Art war. Das Nachgrübeln über diesen Ärger schien ihr die rechte Beschäftigung für die drohende Langatmigkeit des wiederholten Rundgangs.
Da stiefelte dieser Mensch neben ihr her und würdigte sie keines Blickes. Konnte er auch gar nicht, denn seine verschleierten Augen ließen sie ihn in anderen Regionen ahnen. Ein paar Mal wäre er beinahe gestolpert, doch dass schien er nicht zu bemerken. Seine Schuhe, deren vordere Spitzen schon ganz abgeschuppt waren, verrieten, dass sie diese schludrige Gangart kannten. Neben ihm war sie weder Frau noch Kennerin. Sie war schlicht ein menschliches Navigationsgerät, die die optimale Verbindung unter ausgewählten Aspekten von A nach B heraussuchte. Die Wege zwischen den Grünflächen, die ihr lieblich schienen und ein Gefühl wohliger Süße in ihr hochsteigen ließen, gaben ihm sie sicherlich gar nichts. Dennoch musste sie zugeben, dass sein Umgang immerhin ein Umgang war, wenn auch ein wenig befremdlich, da umfunktionalisiert und viel zu radikal in einer so mechanischen Aufnahme.
Doch schnell wurde sie aus ihrem Schwelgen und Denken herausgerissen, als sie feststellte, dass eine der von ihr ausgewählten Skulpturen spurlos verschwunden war. Zügig gingen sie an dieser Stelle vorüber. Beklemmt und mit einem schnellen Herzschlag wendete Anne noch einmal den Kopf um. Weg. Sie dachte noch nicht darüber nach, wie sie die fehlende Stelle im Rahmen ihres Auftrags ersetzen würde, was sie müsste, denn wenn er auch auf kaum etwas achtete, die Anzahl der Objekte hatte er genauestens im Kopf. Manchmal gab er ein Murmeln von sich, wenn ihm eine Zahl bedeutsam erschien. Sie empfand sehr schmerzlich das Fehlen des Vaters mit Sohn und die Gleichgültigkeit, mit der der andere an dieser Stelle vorbei gegangen war und sie litt umso stärker als dieser Hohlkopf mit einem leichten Hauch von Ungeduld ob der geringen Dichte tragender loci, schon nach dem nächsten Teil Ausschau hielt.
An diesem Schicksalsnachmittag kamen ihr noch zwei weitere Exponate abhanden. Und sie war tatsächlich die einzige, die sie vermisste. Nachdem sie sich von diesem an Geschichte seltsam desinteressierten Menschen verabschiedet hatte und sein Vorhaben, eine weitere Runde zu „kaufen“ erstmal in die hintersten Regionen ihres Verstandes verschoben hatte, befragte sie dezent die spielenden Kinder. Einmütig und ohne die geringsten Spuren von Zweifel, behaupteten sie, hier hätte sich nie ein einziges Kunstwerk befunden, derart, wie sie es ihnen beschrieb.
Stumm sah sie ein paar Kindern zu, die in einer Skulptur aus Röhren herum kletterten und einzelne Tuben als Rutschen benutzten. Das, so meinten sie, sei gar kein Kunstwerk, das sei Teil des Spielplatzes. Sie hatten zu ihm also eine völlig andere Zugangsweise, sozusagen introspektiv. Immerhin existierte dieses Werk noch. Was sie von anderen nicht gerade behaupten konnte.
Anne machte sich auf den Heimweg. Argwöhnisch beäugte sie ihre Strecke. Auch für sie hatte nicht alles, was aus Stein, Holz, Metall oder sonst wie festem Material gleichermaßen Wichtigkeit. Manche Sachen sah sie eben lieber an als andere. Alles schien noch am rechten Platz zu sein. Bei einigen Brunnenfiguren war sie sich in Bezug auf ihre Position nicht mehr ganz sicher. Vergeblich schloss sie die Augen und beschwor ein Bild aus kontemplativen Tagen herauf. Es blieb unscharf und verschwommen. Das war doch zu ärgerlich. So etwas durfte nicht an Geschwindigkeit zulegen. Unter solchen Umständen ist sie schnell die Kundschaft und ihren Job los.
In ihre Wohnung zurückgekehrt, sah sie die Kamera auf dem Tisch liegen. Sie dachte an die verschwundenen Fäuste und ihr Abbild in der Kamera. Das Telefon kam ihr zuvor. Ihre befreundete Putzfrau. „Stell dir vor Anne“, sprudelte sie los, „die Gödel hat ihre Sammeltassensammlung verkauft. Jene Sammeltassen, die sie doch seit zwanzig Jahren sammelt und an denen sie angeblich so sehr hängt. Jedes Erlebnis, jeder Urlaub, jede Beförderung ihres Mannes hat sie mit dem Kauf einer Tasse besiegelt. Und jetzt kippt sie die Gefühle einfach aus oder was. Was musste ich meine Mädchen drillen, wie sie zu putzen und den Staub zu wischen hatten! Tränen, sage ich dir, Tränen hatten einige in den Augen. Und da kommt von heut auf morgen so ein Antiquariatsschnösel, meint, ihre Sammlung sei, weil sie so komplett wäre, wahnsinnig wertvoll, bietet einen lächerlichen Betrag, und schwupps, wirft sie ihm die Tassen in den Rachen. Ein paar moderne Möbel, weißes Leder und Metallstäbe hat sie sich zugelegt. Jetzt müssen wir erst mal unsere Motorik neu justieren.“ Anne lachte kurz: „Und sonst?“ Die andere zögerte: „Weißte, es ist nicht so sehr die Sammlung von der Gödel. Es ist die ganze Putzerei in den Nobelhaushalten. Es scheint mir alles so bedeutungslos, so ohne Bezug zu mir. Wenn das so weitergeht, werde ich all die teuren Sachen noch mal in einem Anfall von unaufmerksamer Nachlässigkeit zerschlagen….“ Anne schwieg. Sie hatte sich die Kamera vom Tisch geangelt und noch einmal die Bilder ansehen wollen. Sie erstarrte. Die Zahl der Aufnahmen hatte sich vermehrt. Und es waren genau jene Skulpturen abgebildet, die ihr und nicht nur ihr, sondern der Welt abhanden gekommen waren. Der Harn drang ihr in die Blase und sie hatte das dringende Bedürfnis, sich zu erleichtern. Dennoch sagte sie: „Du hast mal erwähnt, dass du auch in den Stadtbibliotheken putzt…“ „Oh ja“, unterbrach sie die andere, „wirklich ein Super-Auftrag. Ich habe eigens einen Textilfaser und dann daraus die Staubtücher anfertigen lassen … also wirklich, ich hätte unter die Buchrestauratoren gehen sollen…“ Anne nahm in der kurzen Phase des Schwelgens am Ende der Leitung wieder das Wort auf: „Hast du die Schlüssel zu den Räumen?“ Knisternde Stille. „Ich würde diesen Auftraggeber schon gerne behalten.“ „Es ist wichtig. Ich kann dir das schlecht erklären.“ Und dennoch versuchte sie es mit ein paar schwer verständlichen Worten und schloss ihre Rede ab mit: „Macht es dir was aus, wenn ich dich mal kurz mit aufs Klo nehme? Ich muss mal dringend.“ Die andere konnte sich der Komik der Situation, in der, ja was?, in der sich ein metaphysisches und andererseits doch sehr körperlich-existenzielles Problem trafen, nicht verschließen. „Es macht mir sehr wohl was aus! Süße, du machst dich frisch und dann kommst du mit deiner Kamera zu mir, kriegst was zu essen und dann gehen wir mal runter und schauen, ob wir das Problem mit einem Blick in die Bücher lösen können.“
Vorsichtig schob sie eine halbe Stunde später die schwere Glastür auf, jede eine Taschenlampe in der Hand. Jo kannte den Code der Alarmsicherung für das Reinigungspersonal. Bei einer Überprüfung würde sie sich einer Befragung unterziehen müssen. Egal. Sie gingen geradewegs in den dritten Stock, wo im Lesesaal die Bücher zur Kulturgeschichte der Stadt standen. Anne und ihre Freundin waren nervös. Es war nicht unbedingt eine legale Sache und vielleicht hätte es auch noch bis morgen Zeit gehabt, aber ein Blick auf die Aufnahmen der Kamera, deren Anzahl sich stündlich mehrte und die Schätze ihrer Stadt vernichtete und wer weiß, wie weit diese Seuche noch um sich greifen würde… Anne versuchte vergeblich einen Computer einzuschalten, um in den elektronischen Katalog zu schauen. Die andere besann sich, erst musste der Hauptsicherungsschalter gedrückt werden. „Ich gehe noch mal runter und erledige das.“ „Nein, bleib hier, wer weiß, was dann noch alles angeht.“ „Nichts, nur die Stromzufuhr, alles andere muss mit der Hand angemacht werden.“ Schon war sie weg. Anne blickte um sich und entdeckte den guten alten Zettelkatalog. Neustadt. Sie sortierte mit flinken Fingern das Alphabet hinunter. Zettel und Stift waren hier zur Genüge für den Nutzer bereitgestellt worden. Sie notierte sich die Titel von einem Dutzend Bücher aus allen Zeiten. Sollte sie sich beschränken? Sie kämpfte gegen die Zeit. Die Objekte flossen im Stundentakt in die Kamera, ein metamorphotisches Stundenglas und wie schnell war die Löschtaste gedrückt und die Formen, die die Menschheit einst ersann dem ewigen Vergessen übergeben! Die Tür ging auf und Jo stand in der Tür, sie schwenkte zwei Blatt Papier. Sie hatte gleich unten am Empfang einen PC, an den ein Drucker angeschlossen war, eingeschaltet, und ihre Recherche ausgedruckt. Sie glichen ihre Ergebnisse ab. Die Bücher aus den Computerausdrucken standen gleich hier in einem Regal, jene, die Anne gefunden hatte, befanden sich im Magazin, denn das bedeutete der Buchstabe M, der zwischen den Regalbezeichnungen unauffindbar war. „Im Magazin, na großartig! Reichen dir nicht die Bestände, die hier griffbereit stehen?“ „Nein, ich fürchte, das ist was Historisches, da brauche ich alles, aus allen Epochen.“ Nach kurzem Überlegen entschieden sie, dass Anne schon mal hier die Bücher durchsehen sollte und Jo ins Magazin ginge, um das weitere Material zu besorgen.
Als sie wiederkam, hatte Anne bereits mehrere Bücher aufgeschlagen und an verschiedenen Seiten Zettel zur Markierung reingelegt. Dicht neben ihr die eingeschaltete Kamera. Inzwischen befanden sich in ihr zehn Aufnahmen, wenn teilweise auch sehr kleine, nicht eigenständige Elemente, wie ein simstragender Atlant und eine Theatermaske am Ende einer Regenrinne, durch die das Wasser aus dem Mund ablief. Sie konnte jedoch nicht sofort alle namentlich, räumlich und zeitlich zuordnen. Das waren schon weniger bekannte Sachen. „Los, zeig her, stell sie hier ab. Schieb mal noch einen Tisch ran. Und kannst du von irgendwo her einen großen Bogen Papier besorgen?“ Jo wollte gerade wieder losstürzen, da hielt Anne sie zurück: „Hier, kennst du den, weißt du wo der sich befindet?“ Jo schüttelte den Kopf. „An dem Haus, das deinem gegenüber steht. Du müsstest ihn täglich vor Augen haben, wenn du die Haustür verlässt!“ Jo nickte langsam, konnte sein, aber sie hatte sich nie groß für so etwas interessiert. „Siehst du, genau da liegt das Problem. Geh jetzt das Papier holen.“ Jo wollte gekränkt sein. So unsensibel kannte sie Anne gar nicht, dieser unangenehme Befehlston. Aber sie ahnte etwas von der Notwendigkeit. Anne bekritzelte in Windeseile das Blatt mit Büchertiteln, deren Erscheinungsdatum, und mit Namen von Objekten. Sie führte hinter den Objektnamen in einer Tabelle eine Strichliste, die sie als Erwähnungsquantität bezeichnete. Jo, die sofort die Anweisungen ausführte, die Anne ihr gab, Auswertungen, Nachzählen, Tabellen abschreiben, die Anne bis zur Unkenntlichkeit korrigiert hatte, stand diesem Furor etwas ratlos gegenüber. Gegen 2 Uhr Morgens verschwand sie kurz und besorgte eine Kanne Kaffee. Anne hatte vor Müdigkeit rote und verquollene Augen, aber sie dachte nicht daran aufzuhören. Als sie den Kaffee trank, murmelte sie vor sich hin. Jetzt, wo sie das Prinzip begriffen habe, könnte sie dagegen angehen… Sie blickte auf die Kamera. Seit dem Zeitpunkt, da sie begonnen hatte, sich Notizen zu machen, war kein weiteres Bild hinzu gekommen. Doch sie fürchtete den Moment, da sie mit der Arbeit aufhörte und das Verrinnen weiter ginge. Bis in die frühen Morgenstunden wählte Anne ihre Objekte aus. Und irgendwann warf sie den während der Nacht um die Hälfte kürzer gewordenen Bleistift hin und sagte: „Das reicht, für heute reicht es.“ Ihnen blieb noch Zeit, die Bücher wieder wegzuräumen und die Bibliothek so zu verlassen, wie die Bibliothekarinnen am Abend zuvor.
Auf der Straße holten sie beide tief Luft und gingen dann gemütlich die Straße entlang. Anne verlangte, dass man sich in ein Cafe setzte und in Ruhe frühstücke. „Und dann kannst du mir ja auch mal noch erklären, was los war“, sagte Jo. Anne gähnte und staunte: „Hast du das nicht mitgekriegt? Du hast doch die Tabellen abgeschrieben. Das waren Statistiken, welche Werke wann das letzte Mal in welchem Stadtbuch erwähnt worden sind. Und da habe ich festgestellt, dass die verschwundenen Exponate diejenigen waren, die die geringste Erwähnungsdichte hatten oder deren Erwähnung überhaupt am weitesten zurück liegt. Darauf hin habe ich die andere verglichen und mir erstmal die heraus genommen, denen das gleiche Schicksal droht. Und nun werde ich gerade die fotografieren und eine kleine Broschüre der vergessen Stadtkunst herausbringen.“ Und sie würde sich nicht mehr für eine Stadtführung verkaufen, bei der ihre Kurven wichtiger waren als die Fensterbögen der Kirche und ihre Kenntnisse im Nichts verpufften. Sie bestellten bei der Kellnerin Kaffee und Croissants. Dabei fiel ihr Blick auf den Tisch hinter der Bedienung. Da saß der junge Mann aus der Straßenbahn und zwinkerte ihr zu. „Und du meinst, dass das was nutzt“, fragte Jo. „Ich weiß es nicht“, antwortete sie, „zumindest hat die Kamera aufgehört, Bilder zu produzieren, und die Stadt kommt mir nach dieser Nacht wieder voller und reicher vor.“

 

Hallo Claudio Naso,

bei einem so langen Text würdest Du mit ein paar Absätzen mehr meinen Augen eine Freude machen - allein schon ein Zeilenumbruch nach jeder wörtliche Rede würde Wunder bewirken.

Inhaltlich: die Idee der Kunstwerke, die verschwinden, weil man ihnen keine aufmerksamkeit schenkt, hat was. Man könnte die Story sogar philosophisch aufziehen: sind die Dinge an sich, oder entstehen sie erst in dem Moment, in dem wir sie wahrnehmen?
Nur hapert es an der Umsetzung. Zum einen Anne - eine Stadtführerin, die sich auf ihrem Sachgebiet nicht wirklich auskennt und improvisieren muss? ? Ich bitte Dich! Jeder Stadtführer, den ich erlebt habe, wäre froh gewesen, wenn er mehr Zeit zur Verfügung gehabt hätte, sein geballtes Wissen zu vermitteln.
Und dann diese Mischung aus Edelnutte und Kunstvermittlerin - so zumindest interpretiere ich "Sie zog sich dann auf ihren anziehenden Körper und ihr gefälliges, biegsames Wesen zurück und bot Gelegenheit, sich in ihr zu ergießen und sein Erhabenheitsgefühl zu stärken" - das schreit förmlich nach "Sex zieht immer". Völlig überflüssig, allzumal Sex in der weiteren Handlung keine Rolle mehr spielt.

Über weite Strecken berichtest Du nur - sehr anstrengend und zäh, zumal man wirklich etwas aus dem Text hätte machen können. Anne muss doch um die geliebten Exponate leiden, sie muss an ihrem Verstand zweifeln, wenn sie sie als einzige vermisst. Anstatt mitten in die Situation reinzugehen und Konflikte zuzuspitzen, liest es sich nach "been here, done that" - enttäuschend.

Tut mir Leid, dass ich nichts Besseres sagen kann.

Gruß, Pardus

 
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Hallo Claudio,
deine Geschichte erinnert mich ein wenig an die "grauen Herren" in "Momo", die den Menschen die Zeit stehlen; allerdings erzählst Du nicht stringent genug und vor allen Dingen sind die Sätze oft unlogisch oder unglücklich und missverständlich formuliert. Hier einige Beispiele, die mir besonders aufgefallen sind:

"...die Stadt,..die aber nur sehr träger ihr Bild wandelte".
..langsam.. würde vollkommen reichen, der Komperativ ist fehl am Platze.

"...Aufhellung des Gesichts in Anbetracht einer Person..."
Gemeint ist doch der Anblick einer Person, oder?

"...die dummen von unten..."
Wie bitte??

"...gefälliges, biegsames Wesen..."
Ist hier Anpassungsfähigkeit gemeint?
Der Satz geht haarsträubend weiter:

"...bot Gelegenheit, sich in ihr zu ergießen..."
Verstehe ich überhaupt nicht!

"...Schuldhaftigkeit des Mannes..."
Sollen das Schuldgefühle sein?

"...die Sinnlichkeit,..die aus ihr herausströmte..."
Unglückliche Formulierung, jemand hat eine sinnliche Ausstrahlung, mehr braucht`s nicht.

"Die Tür ging ohne Halt auf."
Sie öffnete sich währen der Fahrt, meinst Du doch wohl.

"Die Wohnung war Durchschnitt, aber sie hatte ihre eigene Putzfrau,..mit der sie ..Termine absprach..."
Die Wohnung sprach die Termine ab??

"Er brach in ungezügelte Freude aus."
Seine Freude war groß, oder, er freute sich sehr.

"...temporeiche Wildheit des Pflasters..."
Das Pflaster ist weder wild, noch temporeich.

Manchmal ist weniger eben mehr, besonders wichtig ist es, sich zu überlegen, was genau ausgedrückt werden soll. Dass Du den Leser auf eine falsche Fährte führst, halte ich für die Essenz der Geschichte für eher abträglich, Du hättest die Grundidee m. M. nach präziser bearbeiten sollen. Mir fiel noch die fehlerhafte zeichensetzunf und die falsche Nutzung von Personalpronomen auf (sie anstatt Sie). Vielleicht wären da kürzere Sätze hilfreich und eine klare Gliederung, die Dir die Verständnisfallen aufweisen könnte.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Claudio,

angefangen habe ich die Geschichte mit Interesse. Die Gedanken der Dame reizten mich irgendwie. Aber leider verliert sich der Reiz bald in Spiralen der immer gleichen Machart, die dann recht bald ermüden. So habe ich ab der Hälfte nur noch quergelesen.
Was hier fehlt, ist ein Moment, in welchem der Leser aus dem Singsang der Gedanken herausgerissen wird. Etwas muss passieren. In dieser Form ist das zu seicht, plätschert zu sehr vor sich hin.
Dabei finde ich die Grundidee ganz gut. Mit entsprechender Straffung und etwas mehr Brisanz könntest du hieraus eine sehr lesenswerte Geschichte machen.
So, wie gesagt, ist das noch zu monoton und hält den Leser für die Länge des Textes nicht entsprechend bei der Stange.

grüßlichst
weltenläufer

 

Hallo Claudio,

Anne saß in der Straßenbahn nach Hause. Sie roch an ihren Achseln. Ihr Arbeitstag war für heute vorbei. Ein Geschäftsmann aus Hamburg hatte sie für zwei Stunden gebucht und anständig gezahlt. Einen weiteren Kunden hatte sie an eine befreundete Kollegin abgegeben. Die Räder rumpelten ein wenig.
Da fällt man auf den ersten Zeilen schon in so einen monotonen, abgehackten Rhythmus.

und durch neuere Niederflurfahrzeuge ersetzt.
Man mag mich engstirnig nennen, aber „Niederflurfahrzeuge“? Muss das? Ich kann mir da kein Bild vorstellen; also entweder ausführen oder streichen.

Das Durchschnittsalter der Fahrgäste war entsprechend geringer
Nee, das geht so nicht,. Du willst „entsprechend“ verwendet als … „und genau wie bei der Bahn“, als zufällige Parallele; man verwendet „entsprechend“, aber eher als „den neuen Bedingungen angepasst“. „Wenn Krüger Ärger macht, dann handeln sie entsprechend.“ Das ist also keine zufällige Parallele bei entsprechend, sondern eine wenn-dann-Geschichte und die passt hier nicht.

. Die dummen von unten wie von oben wussten es nicht besser, die von oben, auch kluge, waren überzeugt, zu recht eine gewisse Einzigartigkeit für sich in Anspruch nehmen zu können. Eine Falle, in die Männer ohne Zahl hereinfielen. Die anderen klugen genossen es, ohne sie kokett zu finden. Einige ganz wenige ignorierten sie angestrengt. Mit denen redete sie am liebsten
Hm, das ist auf jeden Fall erzählenswert, das ist was spannendes, aber so rauscht es an mir vorbei, in der Verpackung, also nach dem trüben Einstieg, dann so was Allgemeines graues, irgendwie rolltreppiges. Ich weiß nicht, würdest du das richtig mitkriegen als Leser? Ich mein Lesen ist ja nicht nur ein intellektueller Vorgang, sondern es geht auch viel um Stimmungen. Hm, da ging echt mehr, glaub ich. Wie man das anpackt diese Gedanken, die brauchen, um zu wirken, um die Szenerie vorzustellen, einfach mehr Platz.

Sie brachte sich in Erinnerung, dass nichts sie verband, dass keinerlei hierarchische Abhängigkeit sie dazu nötigte, demütig oder scheu zu sein.
Wer denkt denn so was? Erzähl doch bitte mehr von Menschen.

Hinterher saßen sie auf der Terrasse, aßen und tranken was und unterhielten sich. Manchmal lieh sie sich von Anne ein Buch aus und sie sprachen darüber.
Ich glaub dem Text würde der gefürchteste und platteste aller Creative Writing-Lehrsätze ein ganzes Stück weiterhelfen: Show, don’t tell.
Oder ausgeführt: Immer wenn Szenen kommen, wenn man sich was vorstellen kann, ist der Text stärker; diese Zusammenfassung im luftleeren Raum, wenn mit Ideen jongliert wird, wenn etwas „gesagt“ werden soll … nee, die Wechsel klappen da auch nicht so für meinen Geschmack. Es wirkt fleisch- und blutleer an diesen Stellen.

, der schon in den E-Mails verschlossen wirkte
Gewirkt hatte

Sie war eine große Leserin des Regionalteils, das gab ihr den Halt und die Bindung zu einem Ort, an dem ihr die Menschen nur Vorrüberreisende waren.
Das gefällt mir gut.

Und vor allem bitte keine zweigeteilten Gebilde. Das bringe ihn immer so aus dem Konzept.
Auch gut.

Hmm, ja, Pardus hat mit allem Recht, was er sagt –aus meiner Warte.
Absätze sind unbedingt notwendig, das ist einfach eine Höflichkeit dem Leser gegenüber. Die Idee hat was, Dinge verschwinden, wenn sie nicht mehr beachtet werden. Die Figur der Anne als Escort-Stadtverführerin … jo, warum nicht. Wenn sie bisschen mehr Blut in den Adern hätte, also sie wirkt schon künstlich. In diesen Gedankenreden verliert sie viel Konturen; wenn’s szenisch wird, wird’s stärker. Also es reicht schon fast eine andere Figur zu ihr dazuzutun und der Text gewinnt enorm an Farbe, ob das jetzt die drei Herren sind, der Erinnerungs-Kunde oder Jo, die Putzfrau. Man ist richtig froh über einen frischen Wind in der Geschichte; sie schleppt sich schon sehr dahin. Es ist alles eigentlich in Ordnung, es sind schöne Sätze, auch Bilder, die Gedanken sind hübsch, aber es wird nicht richtig präsentiert. Du verkaufst den Text nicht richtig, finde ich. Ist schade, weil die Ideen, die im Text stecken, schon was haben, aber muss es so anstrengend sein, ihn zu lesen und muss man einen Leser wirklich fast dazu zwingen, ihn aufmerksam zu lesen? Sollte man ihn nicht lieber dazu verführen?

Gruß
Quinn

 

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