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- 21.02.2005
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Der Professor
Stundenlang, tagelang und nächtelang sitzt der Professor vor seinen vielen Apparaten.
Tonbänder, Abspielgeräte und Verstärker, mit vielen Kabeln untereinander verbunden, alles - scheinbar für immer - ruhend auf einem stabil wirkenden halbkreisförmigen braunen Holztisch. Dunkel ist es im Zimmer.
Viel zum Trinken braucht der Professor an solchen Tagen, wenn er stinkend - weil zum Sich-waschen nicht mehr genügend Lebenszeit vorhanden ist - an seinen Equilizern herumhantiert, wenn er den Kopfhörer aufhat, jede Minute einen anderen, oder wenn er einen Schraubenzieher zur Hand nimmt, wenn also seine Existenz nur noch zum Dienst an seinen Geräten da ist. Wenn seine Augen funkeln. Wenn er am Synthesizer neue Sinustöne auf vielen Bändern aufzeichnet, wenn er neue Tontechniken erfindet und erprobt, verschiedene Bandlaufgeschwindigkeiten verwendet, dann wieder im Archiv kramt, alte Tonbänder herausuchend, immer wieder, gleich einem in den Wahn Verfallenen.
Kennt er noch das Licht der Sonne? Aber es ist ja das menschliche Ohr, das ihn fasziniert, er will die Schranken, die seinem Gehör auferlegt sind, beseitigen, zu neuen Ufern, zu neuen Möglichkeiten will er es führen. Er will hören, was im Mikrokosmos zu hören ist und auf fremden Erdteilen. Neuartige Töne und Sinfonien will er erschließen, bisher Ungehörtes will er hören, selbst die Sprache der Pflanzen soll von ihm gehört werden. Schon immer störte ihn die Beschränktheit seiner Fähigkeit zu hören.
Durch immer dringendere Versuche und immer gewagtere Ohrbelastungen wird sich das Ohr verändern, anpassen, es wird mutieren. Ungeahnte Frequenzbereiche müssen sich zugänglich machen. Und es würde gehen! Die Mutation musste gelingen!
Mit Hilfe von Mikrophonen und Kopfhörern. Sein Tun musste Folgen haben. Neue Töne für das Gehör, wundersame Tonwelten, schöne Klangdimensionen, interessante Musik des Kontinuums - alles lag hier brach, auch bessere Wege der Kommunikation.
An solchen Abenden, jeden Abend, kommt eine Bedienstete in die Wohnung, eine Art Haushälterin. Sie räumt etwas auf und kocht. Dann hält sie sich die Nase zu, die Arme, und dringt in des Professors Reich ein, berührt ihn vorsichtig, fasst ihn an der Hand, nimmt ihm den Kopfhörer ab und führt den völlig Ertaubten zum Essenstisch.