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Der Puppenspieler
Das Gespräch mit ihrem Ehemann verlief noch langweiliger, als ich es mir vorgestellt hatte. Lustlos schaute ich auf die Veranda, auf der die ersten Schneeflocken landeten und auf dem gekachelten Boden ihre sternartige Form verloren.
Tom versuchte meiner Freundin deutlich zu machen, was ihm nach der Scheidung alles gehören würde. In meinen Gedanken machte ich Tom deutlich, was ich von ihm hielt, mit einer Schrotflinte.
Ich würde diesem geldgierigen Anwalt den Lauf der Flinte zwischen seine Kiefer schieben und die Vitrine, die ihm seiner Meinung nach auch zustand, mit seinen Gesichtsfetzen dekorieren. Sydney wäre vielleicht erschrocken im ersten Moment, aber unsere Putzfrau würde den Saustall schon wieder sauber machen, wofür sonst kriegt diese Asiatin 15 Dollar die Stunde?
„Schatz, hast du das gehört?“ Dieser Ausschnitt. Warum zog sie heute so einen Fummel an? Wollte sie ihm damit eins, vielleicht sogar beide Autos absprechen? Diesem Wichtigtuer mit seinem dunklen Anzug, der so alt und verbraucht wirkte, wie seine Lügen, die er täglich verbreitete.
„Schatz! Er will uns unser Haus wegnehmen!“
„Du meinst dein Haus“, sagte ich trocken, während ich noch immer auf die Veranda schaute.
„Wie kannst du so etwas sagen? Seid ihr jetzt alle gegen mich?“ Sie knöpfte ihre Bluse zu und Tom drehte sich zu mir um.
„Hören Sie Kumpel, was ich meiner Frau versuche zu sagen ist folgendes: Ich habe Verbindungen zu Ärzten, Richtern und allen möglichen ranghohen Bossen in dieser Stadt. Für mich arbeiten praktisch 50 Prozent der Menschen, die hier Einfluss haben und wenn Sydney mir das Haus nicht freiwillig überlässt, werde ich dafür sorgen, dass man sie als Drogensüchtige abstempelt. Es wäre doch schade, wenn ihr beiden euch nur noch in der Entzugsklinik sehen könntet, oder?“ Sein Blick wurde ernster. „Ich brauche dieses Haus, ich brauche es!“
Sein kleiner Vortrag brachte mich mit einem Schlag in die Realität zurück. Ich umklammerte das Bierglas in meinen Händen so stark, dass es mehrmals laut knackte. Eine enorme Hitze breitete sich in meinem Körper aus und fuhr mir durch Arme und Beine. Ich lockerte meine Krawatte und stand auf.
„Jetzt hör mir mal zu, du verdammtes Muttersöhnchen. Sydney hat mir erzählt, dass du streng erzogen wurdest, aber nur weil deine Kindheit zum Kotzen war, musst du vor meiner Freundin nicht das Arschloch spielen. Ich bin weder dein Kumpel, noch ist Sydney deine Frau. Wir beide sind deine größten Feinde und wenn du uns noch ein Mal belästigst, werde ich dich umbringen lassen.“
Für einen Moment war es ruhig. Nur das Feuer des Kamins knisterte leise. Ich schloss meine Augen und setzte mich.
Als ich meine Augen wieder öffnete, fiel mein Blick hinter Tom und Sydney. Der Kamin warf Toms Schatten auf die Wand. Über seinen Armen und Beinen hingen jetzt schmale Fäden, die bis an die Decke reichten. Nur seine Silhouette war in dem üblichen Grauton eines Schattens gezeichnet, die Fäden waren rot und sahen feucht aus, wie einzelne Muskelstränge. Mit weit aufgerissenen Augen starrte ich durch die beiden hindurch. Als Sydney den Ausdruck in meinen Augen bemerkte, drehte sie sich um, doch sie schien es nicht zu sehen. Mit ihren Lippen formte sie das Wort Was?.
Hatte Tom nicht irgendwas von Verbindungen geredet?
„Allein für diese Drohung könnte ich Sie verklagen, wissen Sie das?“ Tom lächelte so stolz wie der Streber einer Klasse, wenn er seiner Lehrerin ihre Tasche in die Klasse tragen durfte. In meinen Gedanken zerschmettere ich dieses Lächeln mit dem angebrochenen Glas in meiner Hand. Ich schloss meine Augen und sah die Scherben, wie sie durch die Luft flogen. Ein heller Schrei. Ein dumpfes Geräusch, als Tom auf den Boden fiel. Sein blutendes Gesicht. Eine große Scherbe in seiner Stirn, aus der seine Gehirnmasse über seine gebrochene Nase lief.
„Du solltest lieber gehen, Tom“, sagte Sydney und riss mich aus meinen Gedanken.
Tom stand auf. Diese Fäden. Wo kamen die her? Sie schienen ihn zu steuern, ihm beim Aufstehen und beim Gehen zu helfen. Er hob seine Hand um Sydney zu verabschieden und der Faden über seiner Hand bewegte sich mit. Er ließ seinen Arm wieder sinken und der Faden wurde länger. Doch da war noch etwas. Der Schatten schien nicht ihm zu gehören, es war eher der Schatten einer Frau. Tom war dick, ein Hüne, doch der Schatten war zierlicher. Ich war paralysiert, mein Blick haftete fest an der Wand. Ich spürte, wie ich das Glas in meinen Händen wieder fester umschloss.
Dann verließ Tom den Raum, ein kurzes Nicken in meine Richtung und er war verschwunden. Sydney griff sich mit ihrer Hand an die Stirn, als ob sie Fieber hätte. Das Gespräch hat sie sehr mitgenommen.
„Komm her, Schatz.“ Ich legte meinen Arm um sie und küsste sie auf die Stirn.
„Wir gehen jetzt beide schlafen und du wirst sehen, wenn du morgen aufwachst, wird alles wieder anders aussehen, das verspreche ich dir.“
Als ich am nächsten Morgen vor die Tür trat um mich von der eisigen Kälte des Winters wecken zu lassen, sprang mich die Schlagzeile der Tageszeitung an, wie ein bissiger Hund.
„MILLIARDENSCHWERER MANAGER VON GAS INC. VON EINEM UNBEKANNTEN ERMORDERT!“
Ich hob die Zeitung auf und schloss die Tür. In der Küche wartete meine Freundin mit einer Tasse Kaffee. Es duftete nach einem Sonntagmorgen.
„Was ist los Schatz, du siehst bleich aus. Warst du schon länger draußen?“
Ich drehte die Zeitung um, so dass sie die Titelseite sehen konnte.
Noch während sie die Schlagzeile las, ließ sie den Kaffee los. Die Tasse zersprang in tausend Stücke. Ich setzte mich zu ihr an den Tisch und las den kleiner gedruckten Rest unter der Schlagzeile.
„Tom Chasey wurde gestern in Brooklyn von einer unbekannten Person erschossen. Das Motiv ist unklar. Die Polizei fand in den Taschen des Ölmoguls eine kleine Schatulle, in der mehrere Fäden lagen. Sie vermutet eine Verbindung zu den Morden, die auf das Konto eines Serienkillers gehen, der nur als „Der Puppenspieler“ bekannt ist.“ Noch bevor Sydney etwas sagen konnte, klingelte es an der Haustür.
Unser Hausmädchen öffnete die Tür und lies den Officer herein.
„Mein Name ist Officer White.“ Er setzte seine Mütze ab. „Sie sind Sydney Chasey, nehme ich an.“ Sydney nickte.
„Dann wissen Sie’ s also schon“, sagte White, als sein Blick über den Küchenboden und die Zeitung schweifte, „es tut mir leid, dass Sie es so erfahren mussten.“
„Haben sie Neuigkeiten, Officer“, fragte ich.
„Nun, ich will gleich zur Sache kommen. Ich würde gern mit Ihnen über das hier reden.“ Er holte ein schwarzes Kästchen aus seiner Tasche.
In diesem Moment betrat eine ganze Horde von Polizisten die Villa. Mit Gewehren und Sturmmasken ausgerüstet stürmten sie das Anwesen der Chasey’ s. White ignorierte unsere verwirrten Blicke, schloss die Küchentür und öffnete das Kästchen.
Der Anblick der blutbefleckten Stricke zwang Sydney in die Knie. Ich fing ihren Fall und legte sie behutsam auf den Küchenboden. White kramte sein Funkgerät aus der Halterung und stammelte etwas von einer Liege. Er war nervös.
„Sir, wir haben Grund zu der Annahme, dass Tom Chasey der so genannte Puppenspieler ist. Sie haben sicher die Geschichte von diesem Serienmörder gelesen, der seine Opfer im eigenen Haus überrascht, sie überwältigt und sie an solchen Fäden an der Decke aufhängt. So hat er bereits ein Dutzend Menschen brutal gefoltert und ermordet.“ Ich schluckte. Mir kam es vor, als würden mich diese Fäden, mit denen Officer White vor meiner Nase rumfuchtelte, umschlingen und mich strangulieren. Ich tastete meinen Hals ab, als einer der anderen Polizisten hastig die Tür öffnete und dem Officer zunickte.
„Wir haben wonach wir gesucht haben, Sir“, sagte eine gedämpfte Stimme. White nickte.
„Sir, das müssen Sie sich einfach selbst ansehen.“ Zusammen mit White verließ ich die Küche.
Der Polizist führte uns in den Keller. Der modrige Geruch von alten Möbeln und toten Ratten hing in der Luft. Drei weitere Polizisten standen in einer Ecke vor einer Art Falltür. Der Polizist führte uns dorthin und stieg eine Leiter hinab. Wir folgten ihm in ein Verlies. Dieser Raum war so groß wie unser gesamtes Wohnzimmer. Die Wände bestanden aus Lehm, unzählige Kerzen spendeten Licht. Es roch nach Wachs. Der Polizist, der uns hier her geführt hatte, deutete in eine Ecke. Ich ging zwei Schritte nach vorn. Als ich die Silhouette eines Menschen sah, rutschte ich auf dem lehmigen Boden aus. Eine ältere Frau hing an der Decke. Fäden schlängelten sich durch ihre Arme und Beine hindurch. Der Puppenspieler hatte sie um den Fuß des Opfers geknotet und an den Schienbeinen entlang unter der Haut eingeführt. Das andere Ende kam in der Höhe der Hüfte wieder heraus und reichte bis zur Decke, wo mehrere Stricke in einer Einbuchtung verschwanden. Unzählige Fäden kamen aus ihrem verwesten Körper wieder heraus. An Armen, Beinen, sogar aus einzelnen Fingern hingen diese verdammten Stränge heraus. Die Augen der Frau hatte der Puppenspieler entfernt und einen besonders dicken Faden durch die Augenhöhlen gezogen.
Diese Einbuchtung. Konnte er sein Opfer von dort aus steuern?
„Das ist seine Mutter“, sagte der Polizist, der uns hier hergeführt hatte. Ich drehte mich um. Deswegen wollte Tom das Haus unbedingt behalten. Er hatte den einzigen Menschen, den er nie kontrollieren konnte, zu einer Marionette gemacht. Ich erbrach.
„Es klingt makaber“, sagte der Officer, der neben mir stand und mir das Taschentuch reichte, mit dem er sich vorher die Nase bedeckt hatte, „ aber wenn er nicht umgebracht worden wäre, wären wir wohl nie hinter sein Rätsel gekommen. Ich sitze nun schon seit mehreren Jahren an diesem Fall.“
„Haben Sie irgendwelche Anhaltspunkte, irgendeine Spur, die zum Mörder führen könnte?“ Ich fühlte das Erbrochene noch immer in meiner Nase. Officer White seufzte.
“Nun, so gut wie jeder Mensch in dieser Stadt hätte ein Motiv für diesen Mord. Sei es nun sein menschenverachtendes Verhalten, seine Ausbeutungen der Mitarbeiter oder die Art, mit der er die Konkurrenz ausschaltete.“
„Oder Visionen“, flüsterte ich. White schien es überhört zu haben.
“Hören Sie, dieses Schwein hat viele Menschen auf seinem Gewissen, eines dieser Opfer war meine eigene Frau.“ Seine Stimme wurde brüchig.
„Sie werden also verstehen, dass ich in diesem Fall die Ermittlungen beenden werde. Wissen Sie, ich bin der Chef der Polizei von Brooklyn und wenn ich diesen Fall abschließen will, dann wird er abgeschlossen, verstehen Sie?“
Ich verstand. Der Mörder würde nie geschnappt werden, denn nach ihm würde nie gesucht werden.
„Ich habe Verbindungen, wissen Sie?“, fragte White. Ich nickte.