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Der Roller
Der Roller
Es war ein wundervoller Tag. Ohne Zweifel. Das Gefühl des Triumphes stieg in mir auf. Ich war ein Held, nein ich war ein Gott, so fühlte ich mich zu mindestens für den Moment. Vor ein paar Minuten hatte ich zwar noch das Gefühl zu sterben, aber das war vergessen. Die Prüfung für den Rollerführerschein war bestanden. Die Fahrt war schrecklich gewesen, und ich war mir sicher das dem Prüfer ein Fehler unterlaufen sein mußte, denn es gab auf der ganzen Welt bestimmt keinen schlechteren Fahrer als mich, doch sollte ich mich deswegen beklagen? Wohl eher nicht.
Eine andere Frage war viel wichtiger, was macht man als ein frisch gebackener Held? Prahlen und angeben natürlich, was sonst. Aber wie? Sollte ich etwas zu all meinen Bekannten und Freunden gehen, ihnen den Führerschein unter die Nase halten und sagen: „Guck dir das hier mal an, hättest wohl auch gerne, wa?“ Nein! Die Kunst zu Prahlen liegt doch darin, es unauffällig auffällig zu tun. Also wollte ich mir meinen Roller schnappen, ein paar Runden drehen und zufällig mal vorbeischauen. Natürlich mit laufendem Motor. Also ging es ab nach Hause, die Schutzkleidung angezogen, Helm unter die Schulter und im Armageddon - Stil auf den Roller geschwungen. Heldenhaft, enthusiastisch. Noch einmal tief durchgeatmet, den Zündschlüssel umgedreht und den Motor gestartet.
WRUUUuuhh...ttttt... den Motor gestartet!!! WRUUHhhh...ttttt, oder auch nicht. Aus dem breiten siegessicheren Angebergrinsen auf meinem Gesicht wurde das Gesicht eines zum Tode Verurteilten. Der Kickstarter, meine letzte Hoffnung. Erster Versuch, kein Erfolg, zweiter auch nicht, dritter, vierter, fünfter ... ebensowenig. Der Roller sprang nicht an. Doch wer so ein richtiger Mann ist wie ich, der läßt sich durch so etwas doch nicht entmutigen. Und den stört es auch nicht, dass er von Motoren, Fahrzeugen und Technik im Grunde absolut keine Ahnung hat. Ich zog mir zuerst einmal meine Schutzkleidung wieder aus, setzte mich neben den Roller und dachte nach. Was braucht so ein Roller zum Fahren. Sprit! Benzin! Klar, das musste es sein, aber woran erkennt man, ob das Benzin auch wirklich alle ist. Das Handbuch musste her.
Da gab es nur ein Problem. Sicherlich, ich hatte das Handbuch irgendwo herumliegen, ich hatte es sogar einmal flüchtig durchgeblättert, doch wer rechnet denn schon damit, dass man es wirklich auch mal brauchen wird? Irgendwo in den verborgenen Winkeln meines Gehirns kämpfte sich eine alte Erinnerung durch endlose, verlassene und eingerostete Synapsen zu meinem Bewusstsein durch. Längst vergessene Worte kehrten aus ihrem staubigen Sarg zurück: „Also, und daran siehst du das und das, und das ist dafür gut. Also wenn du noch irgendwelche Fragen hast, ruf mich an und lies dir am besten noch mal die Anleitung durch.“ Ich erinnerte mich genickt zu haben, das Handbuch wurde mir in die Hand gedrückt, ich blätterte es durch, und... und legte es achtlos zu dem Haufen alter Zeitungen. „Du liest es dir doch hoffentlich auch wirklich durch.“ „Ja, Ja. Ich komm‘ schon klar. Wiedersehen.“
So ein Mist, ich hatte die Zeitungen wahrscheinlich wie immer noch am selben Abend in die Papiertonne geworfen, und dass ich daran gedacht hatte, die Anleitung vorher zur Seite zur legen, war ungefähr so wahrscheinlich, wie… ach was weiß ich. Auf jeden Fall sehr unwahrscheinlich. Aber wie schon gesagt, wer braucht denn eine Anleitung? Wenn der Roller nicht anspringt, dann wird er schon kein Benzin mehr haben. Also ging’s auf zur nächsten Tanke. Kurz aufs Fahrrad geschwungen, rübergeradelt, Benzin geholt und fertig ist die Sache. Denkste. Anscheinend hatte sich mein Fahrrad ein Vorbild an meinem Roller genommen. Einen Platten. Aber nicht einfach nur ein Platten, nein dem Vorderrad fehlte nicht einfach nur die Luft, sondern noch eine ganze Menge mehr. Das hatte ich ganz vergessen, der Fahrradunfall vor drei Wochen. Dann eben zu Fuß. Sollte doch schief gehen, was schief gehen kann, ich ließ mir meine gute Laune nicht nehmen.
Nach einem ewig langen Marsch durch die glühende Mittagssonne erreichte ich endlich die Tanke. Wieder frischen Mutes begab ich mich zur Kasse: „Ich brauche einen Kanister mit Benzin für meinen Roller.“ „Kanister stehen da drüben. Tanksäulen sind draußen.“ Ich schnappte mir einen Kanister, ging nach draußen und stand vor dem nächsten Problem. Bleifrei, Super Bleifrei oder Diesel. Was sollte denn das jetzt. Benzin ist Benzin, aber doch nicht auf drei verschiedene Art und Weisen. Ich ging zurück zum Tankwart. Verlegenes Kratzen am Kopf: „Was für Benzin brauch ich denn für meinen Roller?“ „Das weiß ich doch nicht“ „Ah so!...Äh...Gut! Ich leider auch nicht.“ Was für einen Roller hast du denn?“ „Einen blauen.“ Ein wütender Blick durchbohrte mich. „Ach die Marke, Äh...einen Sfera!“ „Hast noch mal Glück gehabt Junge, mein Neffe hat auch einen, du brauchst bleifrei.“
Geht doch, warum nicht gleich so. Kurze Zeit später stand ich mit vollem Kanister wieder vor der Kasse. „Wenn ich dir ‘nen Tipp geben darf, nimm am besten noch etwas Öl mit.“ Ich konnte es nicht glauben. Mir einen Tipp geben. Der will doch nur sein Zeugs verkaufen und denkt wohl, ich wäre ein Volltrottel, der von Autos und Rollern keine Ahnung hat. Nicht mit mir. Ich lass mich hier doch nicht verarschen. „Nein, ich glaube, das brauche ich nicht,“ wie sehr würde ich dieses arrogante Grinsen später bereuen. Aber zuerst ging es wieder zurück nach Hause, zu Fuß natürlich. Ab heute, schwor ich mir, würde ich nie wieder irgendwohin zu Fuß gehen. Und wenn ich das Laufen auf meinen beiden Händen erlernen müsste.
Endlich erreichte ich die rettende Insel namens Zuhause. Ich spürte, wie alle enthusiastischen Glücksgefühle von heute Morgen wieder aus dem Exil zurückkehrten, als ich schon nach einer halben Stunde die Öffnung für‘s Benzin gefunden hatte. Also kurzerhand Kanister angesetzt und Benzin zügig eingegossen. Nichts ging schief, meine Pechsträhne schien beendet. Das letzte Gluckern war zu hören und ich stellte den Kanister mit einem Schwung ins neben mir stehende Regal, leider nicht, ohne das die letzen Reste des Benzins mich vollspritzten. Super!!!
Aber wer so weit gekommen ist wie ich, der lässt sich durch so etwas nicht entmutigen. Schnell ins Haus, neue Klamotten angezogen und wieder zurück zum Roller. Zündschlüssel umgedreht und Roller gestartet, mit ebenso viel Erfolg wie ohne das Benzin. Leicht angespannt betrachtete ich den Roller. Es schien als wären wir beide grundsätzlich verschiedener Meinung, wenn es um seine Aufgaben ging. Vielleicht hatte der Tankwart ja doch recht gehabt. Vielleicht brauchte der Roller ja auch einfach nur Öl? Vielleicht?
Dieses Mal würde ich aber nicht zu Fuß laufen. Also ging es zu einem meiner Freude. „Kann ich mir mal kurz dein Fahrrad borgen, meines hat einen Platten.“ „Immer doch, aber bring es spätestens in einer halben Stunde zurück, ich fahre dann nämlich in Urlaub.“ „Jo, mach ich.“ Und schwups ging’s wieder zur Tankstelle, diesmal wenigstens deutlich schneller als beim ersten Mal. Der Tankwart schien mich schon erwartet zu haben, sein Gesicht zeugte von der großen Mühe, die er hatte, nicht „Ich hab’s’ ja gewusst,“ zu sagen. So schnell wie möglich kaufte ich das Öl und verließ die Tankstelle wieder, bevor er es sich anders überlegte und doch noch zu einem belehrenden Spruch Gelegenheit fand. Ich war gerade auf das Fahrrad gestiegen, als mir auffiel, dass ich meine Geldbörse in der Tankstelle liegen gelassen hatte. Ich ging wieder zurück und nahm sie mir. Der Tankwart schwieg. Ich drehte mich gerade zum Gehen um, als ich es hört. „Was man nicht im Kopf hat, das hat man in den Beinen, nicht?“ Ohne mich umzudrehen, verließ ich die Tanke, bevor ich mir noch mehrere solcher Sprüche anhören musste. Ich radelte nach Hause, brachte das Fahrrad zurück und begab mich zu meinem Roller.
Alle Glücksgefühle schienen endgültig vertrieben worden zu sein, denn selbst nachdem ich die Öffnung für das Öl gefunden, das Öl ohne weitere Zwischenfälle eingefüllt hatte, brachte ich nur noch ein Stoßgebet hervor, anstelle meines sonstigen siegesbewussten Grinsens. Zum dritten Mal drehte ich den Zündschlüssel um. Zum dritten Mal startete ich den Roller und zum dritten Mal sprang er nicht an. Ich war verzweifelt, ich war am Boden zerstört, ich gab es auf. Ich sah schon das dämonische Grinsen des Tankwartes vor mir, als ich mich entschloss, den Roller zu Tankstelle zu schieben und um Hilfe zu Fragen.
Der Weg zur Tankstelle schien mir länger zur dauern als die Wanderung der Israeliten unter Moses‘ Führung durch die Wüste. Die Sonne schien noch immer vom Himmel und verbrannte jedes Stückchen meiner Haut das sie finden konnte. Aber ich will nicht jammern, immerhin hatte ich den Roller vorher absichtlich mit Benzin und Öl gefüllt, damit es auch eine Herausforderung war. Aus dieser Sicht war meine Pein zwar nur noch halb so groß, der Weg zur Tankstelle verkürzte sich aber nicht. Doch nach einer doppelten Ewigkeit erreichte ich schweißüberströmt mit dem Roller im Schlepptau die Tankstelle. Der Roller und ich mussten wirklich mal ein ernstes Wort miteinander reden. Eigentlich sollte er mich von A nach B bringen und nicht ich ihn.
Der Tankwart konnte sich das Lachen nun gar nicht mehr verkneifen. Doch er ließ sich breitschlagen unter schallendem Gelächter nachzusehen, warum der Roller nicht ansprang. Es dauerte keine zehn Sekunden, als er mir erklärte, das die Batterie zu wenig Saft hatte. Logisch, wäre ich doch auch von selbst drauf gekommen. Zu meinem ersten Glück des heutiges Tages hatte er ein Überbrückungskabel da, und brachte meinen Roller innerhalb von fünf Minuten zum Laufen. Ich sollte jedoch mindestens 40 Km fahren, damit sich die Batterie wieder aufladen konnte, bevor ich den Roller wieder ausschaltete. Und das alles auch noch gratis, dieser arrogante Großkotz. Aber was sollte es, ich konnte jetzt endlich losfahren und ein bisschen angeben. Ich hatte sogar daran gedacht meinen Helm und den Führerschein samt Fahrzeugpapieren mitzunehmen.
Ich stieg auf den Roller und fuhr zum Haus der mir bekannten Person, die am nächsten wohnte. Stundenlanges Klingeln, doch niemand öffnete. Genauso erging es mir auch bei den nächsten vier Leuten, zu denen ich fuhr. Dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Heute war der erste Tag der Osterferien, und alle meine Bekannten waren schon seit mindestens zwei Stunden in den Urlaub gefahren, alle Mühe war umsonst gewesen. Doch natürlich nicht ganz umsonst, denn eines hatte ich gelernt: Alles wäre ganz anders verlaufen, wenn viele Leute sich mehr Mühe gegeben hätten.
Derjenige, der mir den Roller verkauft hatte, hätte mich deutlicher daraufhin hinweisen können, dass so eine Anleitung wichtig ist, außerdem konnte ich doch nicht riechen, dass sich eine Batterie von selbst entlädt, wenn man den Roller ein Jahr lang nicht benutzt. Und der Tankwart hätte mir das mit der Batterie ja wohl auch eher sagen können. Im Grunde waren alle Schuld, außer mir!!!