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Der rote Rucksack

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29.06.2007
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Der rote Rucksack

Der rote Rucksack

: 1 :

Wassertropfen trommelten auf die Fensterbank. Draußen regnete es in Strömen. In den Rinnsteinen stand das Wasser. Es ging kein Wind und so blieben die dunkelgrauen Wolken wo sie waren und ergossen sich über der Stadt. Die Menschen hielten in ihrer Verzweiflung Taschen, Zeitungen oder Mantelkragen über den Kopf. Es half wenig und auch nur kurz. Autos rasten durch angeschwollene Pfützen und spritzten Fußgänger nass. Ihre Flüche gingen im Geprassel des Regens unter.
Die Häuser sehen noch trauriger aus wenn es regnet, dachte er. Hinter dickem Doppelglas sah er den flüchtenden Passanten nach, die durch die Fußgängerzone hetzten.
Das Puzzle war fast fertig. Ein Bauernhof mit viele Tieren war darauf zu sehen. Eigentlich zu einfach. Gerade mal 150 Teile. Er mochte Puzzles. Vor allem wenn es regnete. Er ging in die Küche und holte sich abermals einen Schokoriegel und aß ihn gedankenverloren. Wenn es regnete fühlte er sich ganz ruhig. Er mochte es, wenn es still war.
Wenn er das Puzzle beendet hatte, würde er vielleicht ein wenig fernsehen. Oder an dem Piratenschiff weiterarbeiten, dass er vor einigen Tagen begonnen hatte aus hunderten von Lego-Teilen zusammenzusetzen. Ein schöner Drei-Master sollte es werden, mit Kanonen und allem drum und dran. Die Besatzung, bestehend aus einem Dutzend Lego-Männchen mit Augenklappen, Holzbeinen und Piraten-Hüten wartete bereits ungeduldig an Bord kommen zu dürfen.
Er drehte die Heizung etwas höher. Auf Stufe Vier. Mutter mochte das nicht, er würde zuviel Energie verschwenden und fossile Brennstoffe vergeuden. Ihm war das egal. Er wusste sowieso nicht was das war. Er zog sich lieber seinen gelben Pullover aus und saß in Unterhemd und ohne Pantoffeln (sogar ohne Socken) auf dem Teppichboden. Noch einmal nahm er das Puzzle in Augenschein, betrachtete die Hühner, den Tracktor und den lachenden Bauern.
Draußen wollte der Wolkenbruch nicht enden. Er versuchte sich zu erinnern, wann es zuletzt so geregnet hatte. Vor vier Wochen vielleicht? Aber nicht so! Er sah, wie das brackige Wasser aus den Gullis wieder hervorquoll und die Straße flutete. Die Autos wurden langsamer. Und die Fußgänger auf den Gehsteigen noch nasser. Seine Mutter war einkaufen gefahren. Hoffentlich brachte sie neue Schokoriegel mit.
Das Puzzle war nun fertig. Er betrachtete sein Werk und fand, das es gut war. Ein paar Tage würde er es so lassen und es erst dann wieder in den Karton räumen. 100 Teile mehr hätte er locker geschafft! Aber so wandte er sich wieder dem Piratenschiff zu. Er suchte gerade einen dieser verflixten Vierer-Legosteine, als es plötzlich klingelte.
Wer konnte das sein? Seine Mutter hatte einen Schlüssel, die würde nicht klingeln. Und sein Vater kam erst spät von der Arbeit heim. Er legte die Kisten mit den Legosteinen beiseite und ging zur Tür. Da er an das kleine Loch zum durchkucken noch nicht herankam, schob er einen Stuhl vor die Tür und spähte durch die Linse.
Ein Mann in einem weißen T-Shirt stand vor der Tür. Wasser perlte seine Nasenspitze herab und die Haare hingen ihm wirr und strähnig im Gesicht. Er war jünger als sein Vater und auch ein bisschen kleiner aber viel dünner. Durch das Kuckloch sah seine Nase riesig aus.
Der Mann tat ihm leid. Er fror offensichtlich und seine Kleidung klebte auf seiner Haut. Noch einmal klingelte der Mann. Mit der Hand wischte er sich einen Wassertropfen aus der Stirn. Das man keine fremden Leute in die Wohnung lassen sollte, hatte seine Mutter ihm oft gesagt. Aber der Mann in dem weißen T-Shirt tat ihm leid. Wahrscheinlich wollte er sich nur vor dem Regen in Sicherheit bringen. Wer ging denn bei diesem Wetter auch nur im T-Shirt raus? Besonders schlau konnte der Mann nicht sein.
Er schaute auf die große Uhr über der Haustür. Der große Zeiger stand ziemlich genau auf der Fünf. Auf den kleinen Zeiger schaute er nicht. So richtig konnte er die Uhr noch nicht lesen. Seine Mutter war noch nicht so lange weg. „Gegen Sechs“, hatte sie gesagt, wäre sie wieder da. Wie eine Sechs aussah, wusste er.
Nur kurz dürfte der Mann bleiben. Seine Mutter würde sonst schimpfen. Nur kurz trocken werden.
Er schob den Stuhl neben die Tür und machte auf. „Hallo“, sagte er.
Der Mann lächelte. „Hallo Kleiner. Kann ich mich bei euch vielleicht kurz aufwärmen? Mein Bus kommt erst in einer Stunde und ich hab vergessen mir eine Jacke mitzunehmen. Wie heißt du?“, der Mann machte einen Schritt auf ihn zu.
„Lukas. Ich wachse noch. Sie können kurz reinkommen. Aber nicht lange, meine Mutter ist bald wieder da.“, sagte Lukas und trat einen Schritt zur Seite um den Mann eintreten zu lassen.
„Danke, Junge. Ich heiße übrigens Matthias.“, sagte Matthias und trat ein.

: 2 :

„Das ist wirklich nett von dir. Kannst du mir zeigen wo euer Bad ist?“, fragte der Mann als er zur Türe rein kam. Er trat sich die Füße ab und sah den Jungen freundlich an.
„Links. Und dann die zweite Tür. Aber nehmen sie kein großes Handtuch. Da haben wir nur wenige von.“, sagte Lukas und deutete in Richtung Flur.
„Ist gut. Danke. Ich werd auch nichts schmutzig machen.“, sagte der Mann der Matthias hieß und nahm einen roten, nassen Rucksack von den Schultern und stellte ihn vor Lukas Füße.
Lukas ging wieder ins Wohnzimmer. Jetzt konnte er nicht mehr an seinem Schiff bauen. Daran hatte er nicht gedacht. Vielleicht wollte der Mann etwas zu trinken. Er ging in die Küche und nahm ein Glas aus dem Schrank und holte eine Tüte Orangensaft aus dem Kühlschrank. Er machte das Glas ganz voll und stellte es im Wohnzimmer auf den Tisch.
Sein Blick fiel auf den roten Rucksack, der immer noch auf der Fußmatte stand. Er hob ihn auf und trug ihn ebenfalls ins Wohnzimmer.
Der Mann kam mit einem Handtuch um den Schultern aus dem Bad. Seine Haare waren ganz strubbelig, aber fast trocken.
„Oh, etwas zu trinken bekomme ich auch sofort. Das ist aber nett. Du bist ein guter Gastgeber, dass muss ich sagen. Sind deine Eltern nicht zu Haus?“, erkundigte er sich. Lukas schüttelte den Kopf. „Mama ist einkaufen. Sie kommt aber um Sechs wieder. Mein Papa hat eine Firma und kommt immer spät heim. Ich schlaf dann schon.“
„Das ist aber blöd für dich, was? Wenn der Papa immer so spät kommt.“, meinte Matthias.
Lukas winkte ab. „Dafür hat er am Wochenende mehr Zeit. Die meisten meiner Freunde haben gar keinen Papa, der bei ihnen wohnt.“
Matthias grinste. „Ja, ja, die Scheidungskinder.“
Er setzte sich und nahm einen Schluck von dem Orangensaft.
„Wohin wollen sie denn mit dem Bus fahren?“, fragte Lukas. Matthias setzte das Glas vorsichtig ab. „Zum Hauptbahnhof. Da fahre ich dann mit dem Zug weiter. Hab eine kleine Fernreise gebucht. Urlaub. Die Tickets sind schon in meinem Rucksack.“, sagte er und klopfte auf den roten Stoff.
Der Mann hatte auch eine große Nase, wenn man sie nicht durchs Türkuckloch sah, dachte Lukas. Er hatte tiefe Ringe unter den Augen, als habe er zu wenig geschlafen. Sein Blick war unruhig. Er trug eine blaue Jeans, die ebenfalls völlig durchnässt war.
„Eigentlich darf ich keine fremden Männer reinlassen. Aber sie sind ja nicht gefährlich, sie sind viel zu nass.“, kicherte Lukas.
„Das stimmt. Ich hab mir bestimmt schon ne tüchtige Erkältung geholt. Furchtbares Wetter. Seit über einer Woche dieser Regen. Das kann einem schon leid werden.“, sagte Matthias. „Hmm“, pflichtete Lukas ihm bei.
„Was hat dein Vater denn für eine Firma?“, wollte Matthias wissen und rubbelte sich noch einmal mit dem Handtuch durch Haare und Gesicht.
„Weiß ich nicht so genau. Aber sie gehört ihm.“, antwortete Lukas.
„Soso…“, machte der Mann und ließ seinen Blick durch die Wohnung wandern, „das sieht man. Euch geht’s gut. Kriegst bestimmt alles was du dir wünschst.“
„Nee, nicht alles“, sagte Lukas ein wenig verlegen. Seine Freunde beschwerten sich auch immer, dass er viel mehr Spielzeug hatte, wie sie.
„Warum, glaubst du, sollst du keine Fremden reinlassen?“, fragte Matthias und lehnte sich zurück.
Lukas dachte nach. „Weil sie Fremde sind. Und weil man nicht weiß ob sie gut oder böse sind. Man weiß nicht ob sie einem vielleicht was böses wollen.“, antwortete er.
„Da hast du vielleicht recht. Aber ärgern dich deine Freunde nicht auch manchmal? Oder deine Eltern? Das sind ja keine Fremden.“, wandte der Mann ein.
„Sie meinen, auch Freunde können manchmal böse sein?“, wollte Lukas wissen.
„Ja, genau. Manchmal sind deine Freunde die Bösen.“ Matthias starrte auf seinen Rucksack.
Lukas sah aus dem Fenster. „Da fährt aber gerade ein Bus zum Hauptbahnhof!“

: 3 :

Matthias blickte auf. „Ist nicht schlimm. Ich nehme den nächsten.“
„Aber sie wollten doch zum Hauptbahnhof.“, sagte Lukas.
Matthias befühlte das feuchte Handtuch in seinen Händen. „Ist nicht schlimm. Mein Zug kommt noch nicht.“
Lukas fand den Mann immer komischer. Wenn der nicht mal seinen Zug verpasste!
Nun begann es draußen windiger zu werden. Regen peitschte in Wellen laut gegen die Scheiben. Die Eiche an der Straßenecke wogte im Wind. Blätter schwebten durch die Luft, als wären sie schwerelos. Nun war kaum jemand mehr auf der Straße. Die Fußgängerzone wirkte wie ausgestorben. Bei diesem Wetter ging niemand vor die Türe wenn er nicht musste.
Lukas betrachtete seine nackten Füße und fand es auf einmal noch gemütlicher in der warmen Wohnung. Er drehte sich wieder zu seinem Gast herum. „Kann ich ihnen noch etwas bringen? Ich kann Kakao machen. Sogar heißen.“, bot er an.
„Nein, lass mal. Ich brauche nichts.“, sagte der Mann und verfiel wieder in Schweigen. Lukas fand diese Stille mit einmal sehr unangenehm. Er hätte den Mann nicht reinlassen dürfen. Wenn Mutter das nasse Handtuch finden würde, würde er sie anlügen müssen. Und er war ein lausiger Lügner. Wenn er log, wurde er ganz aufgeregt und begann zu stottern. Warum tat der Mann ihm so leid?
Schließlich hielt er das Schweigen nicht mehr aus. „Wohin fahren sie denn mit dem Zug?“, fragte er.
„Irgendwohin, wo mich keiner kennt. Irgendwohin, wo es nur Fremde gibt. Ich glaube nämlich nicht mehr daran, dass die die man seine Freunde nennt, immer gut zu einem sind. Manchmal sind die eigenen Freunde nämlich die ausgemachtesten Schweinehunde.“, sagte Matthias.
„Was sind denn Schweinehunde?“, wollte Lukas wissen.
„Leute, die dich von vorne anlächeln und dir von hinten ein Messer in den Rücken rammen. Das sind echte Schweinehunde!“, antwortete Matthias grimmig und zog die Nase geräuschvoll hoch.
So ganz verstand Lukas immer noch nicht. Trotzdem sagte er: „Klar“, und setzte sich dem nassen Mann gegenüber auf den großen Sessel in dem sein Vater immer saß, wenn er mal zu Hause war. „Hat sie jemand geärgert?“, fragte er weiter.
Langsam nickend antwortete Matthias: „Ja, mich hat jemand geärgert. Sehr sogar. Kennst du das, wenn dich jemand immer und immer wieder ärgert und du kannst dich einfach nicht wehren? Weil jemand stärker ist als du. Oder weil er Leute kennt, die noch viel stärker sind.“
„Hmm. Neulich in der Schule war da so ein Junge. Wir haben in der Pause immer zusammen gespielt. Aber dann haben wir uns gestritten und uns gekloppt. Dann hat er mich in den Schwitzkasten genommen und ich kam einfach nicht mehr raus.“, erzählte Lukas. Davon hatte er noch keinem erzählt.
„Du hast nicht besonders viele Freunde stimmt’s? Bist eher so ein Ruhiger.“, stellte Matthias fest.
„Ja“, gab Lukas zu. Er war oft allein. Es machte ihm nichts aus. Er langweilte sich selten. Aber manche Spiele konnte man nicht alleine spielen. Aber die Jungen in seiner Klasse mussten immer grad Hausaufgaben machen, wenn er sie anrief und sie zum spielen einladen wollte.
„Mach dir nichts draus. Man muss seinen eigenen Weg gehen. Du wirst es ihnen schon zeigen.“, redete Matthias ihm gut zu.
Es war Lukas peinlich. „Ich kann gut alleine spielen. Und am Wochenende spielt mein Papa mit“, sagte er.
„Ist dein Vater ein guter Papa?“, wollte Matthias wissen. Lukas fiel auf dass sein Gast schwer atmete. Schweißperlen glitzerten auf seiner Stirn.
„Glaub schon“, murmelte er unsicher.
Matthias fuhr sich hektisch mit den Fingern über die Augen. Er blinzelte heftig, seine Schultern spannten sich. Er wirkt irgendwie abwesend, dachte Lukas. Seine Gedanken sind ganz woanders.
Um das Gespräch auf etwas angenehmeres zu lenken, fragte er beiläufig: „Haben sie Hunger? Wir könnten ein Brot essen. Wir haben noch Belag im Kühlschrank.“
„Was Süßes vielleicht?“, fragte der Mann und nestelte an der Vordertasche seines Rucksacks herum.
Lukas lächelte gequält. „Einen Schokoriegel hab ich noch.“, Lukas verfluchte sich selbst. Sein Letzter!
„Ja, gerne.“, sagte Matthias scheinbar ohne Interesse.
Nachdem Lukas dem immer noch nassen und auch ziemlich komischen Mann seinen letzten Schokoriegel gegeben hatte, sah er zu wie Matthias ihn ohne sichtlichen Genuss in großen Bissen hinunterschluckte.
Matthias zerknüllte die Verpackung des Schokoriegels und warf ihn auf den Teppich.

: 4 :

„Dein Vater hätte mich nicht rausschmeißen dürfen.“, sagte Matthias gepresst. Er sprach leise und durch die Zähne. Seine Hand wanderte zu seinem Rucksack, öffnete den Reißverschluss. Er kramte darin herum, bis er scheinbar gefunden hatte was er suchte.
„Sie kennen meinen Papa? Woher denn?“, fragte Lukas verwundert. Langsam nervte der Mann ihn. Er warf einen sehnsüchtigen Blick auf die Kiste mit den Legosteinen.
Der Mann lachte heiser. „Woher ich ihn kenne? Ich habe für ihn gearbeitet. Er war mein Chef!“, sagte er.
Lukas machte ein erstauntes Gesicht. „Oh, das ist ja komisch, dass sie dann ausgerechnet hier klingeln. Wo doch mein Papa hier wohnt.“, meinte Lukas und nahm die Fernbedienung des Fernsehers in die Hand.
Matthias nickte. „Ein ziemlicher Zufall, genau.“ Er saß einfach nur da, seine Hand steckte immer noch in seinem Rucksack, als bekomme er sie nicht mehr heraus.
Lukas schaltete den Fernseher ein. Er wusste das es unhöflich war, aber der Mann war so furchtbar langweilig. Er schaltete sich durch die Kanäle bis er das Kinderprogramm gefunden hatte. Nicht seine Lieblingssendung, aber was soll’s.
„Wann wollte deine Mutter nach Hause kommen, sagst du?“, fragte Matthias.
„Um Sechs.“, sagte Lukas ohne herüber zu sehen. Wann war der Mann denn nun endlich trocken? Hoffentlich kam bald sein Bus.
„Acht Jahre habe ich für deinen Vater gearbeitet. Eine lange Zeit. So alt bist du wahrscheinlich noch nicht einmal.“, sagte Matthias. „Ich bin genau Acht.“, gab Lukas ihm zu verstehen.
Matthias hob entschuldigend die Hand. Die andere steckte noch immer in seinem Rucksack. „Ich wollte dich nicht kränken. Weißt du, ich habe viele Dinge für deinen Vater getan. Dinge die er selbst nicht tun konnte. Weil es seinem Ansehen geschadet hätte und er sich nicht die Finger schmutzig machen wollte. Dinge die man nicht tun darf. Die eigentlich verboten sind.“
Lukas sah den nassen Matthias böse an. „Mein Vater tut nichts Verbotenes! Hören sie auf solche Sachen über meinen Vater zu sagen. Außerdem müssen sie gleich gehen. Meine Mutter kommt gleich heim und wenn sie dann noch da sind, krieg ich Fernseh-Verbot, weil ich sie reingelassen hab!“, sagte er. Langsam wurde er wütend. Der Mann war unverschämt. Obwohl er ihn reingelassen hatte, bei diesem Wetter.
Matthias grinste und Lukas sah, das er einen goldenen Zahn hatte. Wie die Piraten in den Filmen!
„Ja, das hört man nicht gerne, dass der Vater nicht so ein feiner Mensch ist, wie er immer behauptet. Hast du dich schon mal gefragt, wie dein Vater das alles bezahlt hat? Das Haus ,den Fernseher, zwei Urlaube im Jahr? Ich kann mir so etwas nicht leisten. Ich wohne zur Miete. Obwohl ich mindestens genauso viel gearbeitet habe, wie dein Vater!“ Lukas runzelte die Stirn. „Dann haben sie vielleicht was falsch gemacht.“, schloss er.
„Nein hab ich nicht!“, protestierte der Mann.
„Doch, müssen sie ja. Mein Vater ist eben schlauer als sie. Sie ziehen ja noch nicht mal eine Jacke an, wenn es regnet. Und dann lasse ich sie rein, damit sie trocknen können und sie erzählen solche Sachen über meinen Vater. Das ist sehr unhöflich!“, sagte Lukas. Jawohl, unhöflich war der Mann!
Matthias hustete. „Tut mir leid, Junge. Ich bin heut nicht gut drauf. Liegt wohl am Wetter. Dein Vater hat mich eigentlich auch immer gut behandelt. Aber nach der Sache letzten Monat, hat er mich links liegen gelassen. Aber da kannst du ja nichts für. Du kommst wohl eher nach deiner Mutter was? Hab sie mal gesehen. Eine hübsche Mama hast du. Du magst Puzzles?“, er deutete auf das Bauernhof-Puzzle.
Lukas zuckte mit den Schultern. „Ja, aber das war zu leicht.“, antwortete er gleichmütig.
„Du bist ein heller Junge, was? Was für einen Beruf hat eigentlich deine Mutter?“, wollte Matthias nun wissen.
„Sie ist Lehrerin. An einer Realschule. Deutsch und Frankösisch.“, gab Lukas zur Antwort.
„Du meinst Französisch.“, sagte Matthias und lächelte.
Lukas rollte mit den Augen. „Es heißt doch Frankreich und nicht Franzreich!“
Der Mann lachte dreckig. „Ja, das stimmt natürlich!“
Der Regen hatte ein wenig nachgelassen, aber es wurde immer dunkler draußen. Lukas ging zum Lichtschalter und schaltete die große Wohnzimmerlampe ein. Flackernd leuchtete sie auf. Er nahm das nasse Handtuch, das der Mann achtlos auf den Boden hatte fallen lassen und fragte genervt: „Wollen sie noch ein Neues?“
„Nein, Danke. Es geht schon, Junge. Trockener werde ich jetzt auch nicht mehr. Und wenn ich gleich raus gehe werde ich sowieso wieder nass.“, sagte Matthias.
„Stimmt.“, befand Lukas. Auch wenn er nicht ganz verstand, warum er dann überhaupt geklingelt hatte.
Matthias hob den Rucksack auf und legte ihn neben sich auf die Couch. Seine Hand ließ er weiter darin. Er bleckte die Zähne. Seine Hand im Rucksack bewegte sich.
„Du bist das einzige Kind deiner Eltern. Hab ich Recht?“

: 5 :
Lukas zuckte unwillkürlich zusammen. „Ja, aber…“,
Matthias unterbrach ihn mit einer Handbewegung: „Schon gut, Junge!“, Matthias hob abwehrend die Hände, „warum so gereizt auf einmal? Soll ich dir verraten, was ich hier in meinem Rucksack habe?“
„Nein! Ich will nicht wissen was in ihrem komischen roten Rucksack ist. Sie sind gemein. Und außerdem will ich jetzt fernsehen!“, blaffte Lukas.
Matthias Augen zogen sich zusammen, sein Arm schien sich zu verkrampfen, dann zog er seine Hand aus dem roten Rucksack heraus und schloss den Reißverschluss wieder.
„Du weißt wahrscheinlich nicht was Steuerhinterziehung ist, oder?“, fragte er. Lukas konzentrierte sich auf den Fernsehschirm. „Verstehe. Jetzt hab ich’s wohl zu weit getrieben.“, sagte er.
Auf dem Fernsehbildschirm liefen mehrere undefinierbare Zeichentrickgestalten wild durcheinander. Lukas rutschte unruhig in seinem Sessel hin und her.
Matthias sah zur Uhr über der Tür. Viertel vor sechs. Er räusperte sich. „Ich will ehrlich zu dir sein, Lukas“, sagte er, „mir geht es zur Zeit nicht besonders gut. Meine finanzielle Lage hat sich seitdem mich dein Vater gefeuert hat, nicht gerade verbessert. Außerdem hat die Polizei mir einige unangenehme Fragen gestellt, die darauf schließen lassen, dass ich demnächst gewaltigen Ärger bekomme.“ Er blickte aus dem Fenster und stierte auf die Pfützen und auf die kleinen Kreise in ihnen, die schnell kamen, sich rasch ausbreiteten und bald verschwanden. „Ich weiß das ich deinem Vater viel zu verdanken habe. Aber…jetzt ist alles aus. Ich weiß einfach nicht, was ich machen soll, verstehst du?“
Lukas drehte sich zu ihm herum. „Nein. Versteh ich nicht. Warum hat mein Vater sie gefeuert?“, fragte er.
Matthias hatte Tränen in den Augen, aber sein Gesicht verriet plötzlich keinerlei Regung mehr. „Ich war Buchhalter in seiner Firma. Es war eine gut gehende Firma. Aber dann blieben auf einmal die Aufträge aus und dein Vater hatte das Geld in ein paar recht zweifelhafte Anlagen gesteckt. Wir…wir waren pleite. Innerhalb eines Jahres hat dein Vater eine gut gehende Firma in die Pleite gewirtschaftet. Wir hätten die Flaute überstanden. Aber dein Vater hat mit unseren Rücklagen an der Börse spekuliert und fast alles verloren. Dann wollte das Finanzamt plötzlich Steuernachzahlungen für mehrere Jahre von uns haben. Und da hat dein Vater gesagt: ‚Matthias wenn wir die Firma retten wollen, müssen wir etwas tun’ und dann sollte ich die Bücher fälschen. Aus Gewinnen wurden Verluste und schon waren wir alle Sorgen los.“
Lukas schwirrte der Kopf. Er hatte nur jedes zweite Wort verstanden. Was wollte der Mann von ihm? Es konnte doch kein Zufall sein, dass er ausgerechnet bei ihnen geklingelt hatte um sich unterzustellen. Matthias wirkte ernsthaft verzweifelt. Hilflos. Ratlos. Wütend.
Warum erzählt er mir das alles?, fragte er sich. Er verstand überhaupt nichts mehr. Eben hatte er noch so schön gespielt.
„Du sollst wissen, was dein Vater für einer ist, Lukas!“, sagte Matthias. Seine Stimme wurde lauter. „Er hat mir alles kaputt gemacht. Aber ich werd nicht den Kopf für ihn hinhalten. Ich geh nicht in den Knast! Hörst du, ich gehe nicht für deinen Vater ins Gefängnis!“, er schrie nun.
Lukas schüttelte verständnislos den Kopf. „Aber warum sollen Sie ins Gefängnis? Und warum brüllen sie mich so an?“, fragte er unwirsch. Schließlich hab ich dich reingelassen, dachte er.
„Weil ich deinem Vater vier Millionen beiseite geschafft hab! Und weil er alles auf mich geschoben hat. Weil er mich reingelegt hat. Er hat ein Konto für mich angelegt. Wie nett von ihm. Vor allem weil er mir zwei Millionen überwiesen hat von seinem Schwarzgeld! Und nun denken alle, ich wollte mir das Geld in die Tasche stecken. Die Bullen, der Staatsanwalt und das Finanzamt. So sieht’s nämlich aus!“
Lukas sank innerlich zusammen. „Bitte, Sie müssen jetzt gehen. Meine Mutter kommt gleich, ich krieg sonst Ärger…“, stammelte er leise.
Matthias raufte sich die Haare und atmete stoßweise ein paar mal ein und aus und blies die Backen dabei auf.
„Ich weiß einfach nicht mehr weiter“, sagte er und sah Lukas an. „Wenn mein Vater böse zu ihnen war, tut mir das leid“, murmelte er. Er trat aus Versehen auf sein Puzzle und einige Teile lösten sich heraus und blieben an seinen nackten Fußsohlen kleben. Er seufzte. Matthias nahm seinen Rucksack auf den Schoß und öffnete langsam den Reißverschluss. Er blickte Lukas an. Seine Augen waren blau. Er holte etwas schwarzes, metallisch glänzendes heraus.
Ein Schlüssel kratzte im Schloss, die Türklinke wurde heruntergedrückt.
„Du kannst ja nichts dafür, Junge“, sagte Matthias.
Dann war alles rot.

<Ende>

 

Hallo Skinner Norris,

Was für eine fiese Geschichte! Man ahnt die ganze Zeit, dass etwas Schlimmes passieren wird, nur der arme Junge kriegt nichts mit... Die Idee, alles aus der Perspektive eines Kindes zu erzählen, finde ich sehr gut, dadurch wird die eigentlich ziemlich banale Geschichte von dem Typen, der sich an seinem Chef rächt weil der ihn hintergangen hat, originell. Du hast diesen naiven Blickwinkel auch sehr konsequent durchgehalten. Bis auf eine Stelle, da habe ich gestutzt:

„Ist dein Vater ein guter Papa?“, wollte Matthias wissen. Lukas fiel auf dass sein Gast schwer atmete. Schweißperlen glitzerten auf seiner Stirn. „Glaub schon“, murmelte er unsicher.

Lukas ist doch eigentlich in einem Alter, wo der eigene Papa bei den meisten Kindern noch über jeden Zweifel erhaben ist. Und später verteidigt er ihn dann vehement gegen die Vorwürfe. Sollte er dann nicht an dieser Stelle überzeugt mit Ja antworten?

Rechtschreibfehler sind mir nicht aufgefallen, nur zwei Sachen:

Es gibt einige Wörter, in denen unnötige Bindestriche drin sind (z.B. "Ihre Flüche gin-gen" - das war vielleicht die Silbentrennung vom Word?). Die will ich nicht alle raussuchen. Guck noch mal drüber, dann findest du sie selbst.

Dann ist die Anrede "Sie" klein geschrieben. Meines Wissens muss es auch nach zig Rechtschreibreform-Reformen noch groß geschrieben werden.

Hat mir gut gefallen!

Grüße von Perdita.

 

Hallo Skinner!

Noch ein verspätetes Willkommen auf kg.de.

Okay, ich werde mich einigermaßen kurz fassen.

Der verregnete Nachmittag:
Bis auf die letzten Sätze beschreibst du nur, was ein kleiner Junge den ganzen Nachmittag so anstellt. Das ist für den Leser langweilig und es hat auch keinen Zweck in deiner Geschichte. Du hättest praktisch ungefähr an der Stelle mit deinem Text beginnen können, als der Junge den Fremden in die Wohnung lässt.
Übrigens, wieso lässt er eigentlich den Mann rein? Seine Mutter hat ihm doch solche Sachen verboten. Die Erklärung im Text (dass er vermutet, dass der Mann friert) überzeugt mich nicht.

Der Mann im weißen T-Shirt:
Nur Konversation, die mich nicht überzeugt, sorry.

Ausgemachte Schweinehunde:
"Warum tat der Mann ihm so leid?" => Gute Frage. Ich verstehe den Jungen auch nicht. Wie alt ist er eigentlich?
Ansonsten passiert auch in diesem Abschnitt nicht viel. Du könntest die gesamte Geschichte radikal kürzen, ohne dass inhaltlich irgendetwas verloren geht.

Die Hand im Rucksack:
"Dein Vater hätte mich nicht rausschmeißen dürfen." => Nun kommst du endlich zur Sache.
"Wann wollte deine Mutter nach Hause kommen, sagst du?" => Woher wusste er eigentlich, dass außer dem Jungen niemand zu Hause ist? Und wie konnte er wissen, dass der Junge ihn überhaupt reinlässt? Das ist doch ziemlich unwahrscheinlich.
"Ich bin genau Acht." => Der Junge benimmt sich aber nicht so, ich hätte ihn auf etwa fünf geschätzt.
Ansonsten wird auch in diesem Abschnitt unheimlich viel geredet, ohne dass das irgendwohin führen würde.

Eine gut gehende Firma:
"Ich weiß einfach nicht, was ich machen soll, verstehst du?" => Er hat doch die ganze Sache geplant, oder nicht? Der weiß verdammt genau, was er machen soll. Bloß labern tut er ohne Ende.
"Was wollte der Mann von ihm? Es konnte doch kein Zufall sein, dass er ausgerechnet bei ihnen geklingelt hatte um sich unterzustellen." => Das klingt nach einem dämlichen sechsjährigen, wonach das Folgende: "Matthias wirkte ernsthaft verzweifelt. Hilflos. Ratlos. Wütend." eher auf einen Teenager schließen lässt. Du schaffst es leider nicht, deine Charaktere glaubwürdig zu zeichnen.

Das Ende:
„Du kannst ja nichts dafür, Junge", sagte Matthias.
Dann war alles rot.
=> ist mehr als vage. Ich gehe mal davon aus, dass sich Matthias erschossen hat. (Aber warum gerade in dem Moment, in dem die Mutter des Jungen heim kommt?)
Aber genauso gut könnte Matthias auch den Jungen abmurksen, oder die Mutter, oder vielleicht die Oma, die zufällig einen Haustürschlüssel hat, oder ...
=> Du hast den Mann seine gesamte Lebensgeschichte herunterbeten lassen, aber am Ende darf sich der Leser selbst etwas ausdenken. Das finde ich ziemlich unbefriedigend, sorry.

Formal:
Bei Dialogen solltest du immer einen Zeilenumbruch machen, wenn der Sprecher wechselt. Das erhöht die Lesbarkeit deines Textes enorm.
Einige dieser Trennungsstriche sind im Text: "Flüche gin-gen im Geprassel" Die solltest du löschen.
Abkürzungen solltest du nicht benutzen und Zahlen ausschreiben: "verflixten 4-er Legosteine"
Hier: "Wie heißt du?", der Mann machte einen Schritt auf ihn zu." => Da ein neuer Satz beginnt, großschreiben
Und hier: "Mutter ist bald wieder da.", sagte Lukas" => Der Punkt innerhalb der wörtlichen Rede muss weg, da der Satz weitergeht.
Einige RS-Fehler sind auch drin, die eine RS-Prüfung finden würden, z.B. "Türkuckloch".
"warum brüllen sie mich so an?" => Anrede-Sie schreibt man groß.

Grüße
Chris

 

Hallo,

erstmal vielen Dank für die Reaktionen, dafür bin ich schließlich hier.

Teile der Kritik nehme ich auf jeden Fall an. Zeilenumbrüche werde ich machen. Liest sich schöner, habt Ihr recht.

Das kritisiert wird, dass das Alter des Jungen unklar bleibt muss ich mir vielleicht ankreiden lassen, da ist es ein paar mal mit mir durchgegangen und ich habe den Erzählstil verwässert. Ein Achtjähriger währe vielleicht weniger feinfühlig und könnte den Zustand des Gegenübers eventuell nicht so genau analysieren. Gerade bei einem Erwachsenen.

Tür"k"uckloch darf man aber doch genauso schreiben wie Tür"g"uckloch??
Außerdem ist es ja auch nur der Ausdruck des Jungen, der nicht weiß, dass man das Ding Spion nennt. Sollte ja auch eine Kurzgeschichte und kein Diktat werden. Ich übe ja noch.

Im Grunde wollte ich eine Geschichte aus dem Blickwinkel eines Kindes schreiben. Die Erwachsenen wissen, dass sich was zusammenbraut. Das Kind aber ist naiv und glaubt erstmal an das Gute im Menschen, ahnt nichts böses. Ein Spiel mit Erwartungen, das eigentliche Ergebnis, das Ende der Geschichte war erstmal Nebensache und nur Mittel zum Zweck.

Interessant war, dass fast alle meine Freunde dachten es ginge um Pädophilie. Daran hatte ich überhaupt nicht gedacht!

 

Hallo Skinner!

"Tür"k"uckloch darf man aber doch genauso schreiben wie Tür"g"uckloch" => Ich hoffe doch nicht, dass unsere arme Sprache in der Zwischenzeit so verwässert wurde.

"Sollte ja auch eine Kurzgeschichte und kein Diktat werden. Ich übe ja noch." => Sicher. Aber es ist ja kein Problem, RS-Fehler auszubessern, damit nicht noch weitere Leser daran hängenbleiben, findest du nicht?

Grüße
Chris

 
Zuletzt bearbeitet:

=> Ich hoffe doch nicht, dass unsere arme Sprache in der Zwischenzeit so verwässert wurde.

Doch so ist es, beides ist erlaubt.

=> Er hat doch die ganze Sache geplant, oder nicht? Der weiß verdammt genau, was er machen soll.

=> Woher wusste er eigentlich, dass außer dem Jungen niemand zu Hause ist? Und wie konnte er wissen, dass der Junge ihn überhaupt reinlässt? Das ist doch ziemlich unwahrscheinlich.


Das sind eben deine Erwartungen. Vielleicht hat er geplant den Jungen zu erschießen, vielleicht den Vater, sich selbst, etc. - Vielleicht aber auch nicht!
Vielleicht wollte er wirklich verreisen und hat es sich anders überlegt. Oder er hatte all dies im Kopf und wusste in seiner Verzweiflung wirklich nicht, welchen Weg er gehen sollte.

Liegt das nicht im Wesen der Kurzgeschichte, das vieles angedeutet wird und letztendlich der Fantasie des Lesers überlassen bleibt?

 

Hallo Skinner!

"Liegt das nicht im Wesen der Kurzgeschichte, das vieles angedeutet wird und letztendlich der Fantasie des Lesers überlassen bleibt?" => Nein, eigentlich nicht. Andeuten ist okay, aber die Gesichichte sollte immer so klar sein, dass der Leser am Ende nicht zu viele Fragen übrig hat. Der Autor schreibt, benutzt dafür seine Phantasie, und oft er ist bloß zu faul, um sich einen runden Plot auszudenken, lässt wichtige Informationene weg, und sagt dann hinterher: der Leser soll seine Phantasie benutzen. Das zieht aber nicht.

Grüße
Chris

 

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