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Der Sündenpfuhl

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14.07.2007
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Der Sündenpfuhl

Jeden Abend des Mittwochs, als ich die Promenade entlang joggte, beobachtete ich die selbe Prozedur: Ein Greis - mit durchfurchtem Gesicht, tiefen Rändern unter den dunkelgrünen Augen und krausen weißen Haaren - zückte einen Laib Brot, riß sich einen Teil ab, aß ihn und schenkte danach einige Krümel den umherstreifenden Tauben, die sich um ihn versammelten. Er lächelte, hielt jeweils einen Krümel in einer Hand mit zwei Fingerspitzen und wartete, ehe sich die Tauben auf den Händen platzierten. Nach einem halben Jahr fragte ich ihn, was ihn an Tauben so fasziniere. Er fand keine klare Antwort, stellte nur Vermutungen an:
"Sie kommen immer zu mir, egal, was ich getan habe. Ich bin krank. Wissen sie? Menschen verlassen mich."
Ich schwieg, aber er ergänzte: "Ich muss mich nicht zum Sündenpfuhl begeben. Ich bin selbst ein Sündenpfuhl!"
Weiterhin schwieg ich.
"Ich habe so viel gelogen!", sagte der Greis zu mir, unterdessen er sich mit einem Taschentuch die Mundwinkel abtupfte. "Kennen sie die Bilder vom Fegefeuer? Ganz ehrlich, ich glaube nicht daran, aber ein Fegefeuer brennt in mir drinnen, mit jedem Tag stärker, denn ich zähle die Lügen und merke irgendwann, das ich die Übersicht verliere. Wenn man die Übersicht über die Sünden verliert, so ist man ein wahrhaftig unheilbarer Sünder, ein Sünder im tiefsten Herzen... ein schlechter Mensch... das bin ich..."
Seine Stimme war das Bemitleidenswerteste, was ich bisher gehört hatte: So sonor, leicht kratzend, mitunter nahezu röchelnd und in manchen Tonlagen erklang scheinbar der Ansatz eines Wimmerns.
"Ach!", verneinte ich. "So sollten sie das gar nicht sehen. Ich erkenne das Gute in ihnen. Ich bin ein Menschenkenner!"
Er ergriff plötzlich meine Rechte mit seinen welken Händen, unterdessen flüsternd:
"Wissen sie denn, was ich getan habe?"
"Nein, nein! Wie soll ich das wissen?"
Er beargwöhnte die Umgebung, ließ meine Hände wieder los, um den Krückstock zu greifen, stütze sich auf ihm ab, während sein Blick die bereits untergehende Sonne beobachtete. Er sagte nach einigem Zögern: "Ich habe gemordet."
Mein Handy klingelte und hinter uns schrie ein Kind, schrie lauter und verstummte nach lautem Hupen und einem Scheppern. Der Greis fluchte sofort erbost, indes so unverständlich, das ich bloß einzelne Worte aufschnappte: "Mord...!", hörte ich. "Mörder! Mörder, brutal, Sündenpfuhl!" Als ich mich geschwind umgedreht hatte, sah ich schon den leblosen kleinen Körper auf der Straße ruhen - bald neben ihm hockend vermutlich die Mutter, die ihn schüttelte, die flehte, die schluchzte und wie eine Verdammte in der Hölle schrie - derweil das Auto hinfort rasend hinter dem nächsten Häuserblock verschwand. Ich gestikulierte nervös, das der Greis mir folgen solle und rannte zu dem Kind. Mein Herz schlug wie ein Presslufthammer, die Luft schien plötzlich vor Schwüle meinen Kopf wie ein Folterinstrument zu zerquetschen. "Oh...", rief ich. "Was kann ich tun?", hatte bereits das Handy gezückt, informierte den Notdienst und hockte mich neben die Mutter. Ihre Tränen trockneten bereits und sie konzentrierte sich nun; ihre Miene wirkte angespannt, ernst, als würde sie verkrampft nach einer Möglichkeit der Rettung suchen. Die Tochter hatte braunes schulterlanges Haar, runde Wangen und eine Stubsnase, ganz kleine Hände, die aber schon in Blut getaucht waren. "Oh, das tut mir so leid!", wiederholte ich immerzu, aber kam mir bald so deplaciert neben der Mutter vor, das ich mich schon erheben wollte. Da packte mich die Mutter am Arm, umklammerte ihn so fest, das sie mir wohl das Blut abschnürte, spuckte mir ins Gesicht und fauchzte: "Lügner! Lügner! Ich bringe dich um!"
"Das ist eine Verwechslung.", stellte ich konfus fest.
Aber ihr Klammergriff wurde intensiver, sodass ich vor den unerwartet in ihr erweckten Kraft erstaunen musste. "Lügner!", keifte sie mir entgegen und spuckte und spuckte, bis keine Galle mehr vorhanden war. "Du lügst. Ich bringe dich um." Der Greis trat näher heran, ausdruckslos. Schweiß bedeckte meine Stirn, ich glaubte, nicht mehr atmen zu können. "Nein, ich lüge nicht.", betonte ich. "Fragen sie doch den alten Herren. Ich stand dort an der Promenade mit ihm. Fragen sie ruhig!"
Mittlerweile hatte sich die Mutter gleichwohl erneut der Tochter zugewandt, hockte neben ihr, streichelte das Haar und tastete mitunter nach dem Puls, schüttelte hiernach den Kopf, als könne sie nicht fassen, das das Herz nicht mehr pulsieren wollte. "Bitte, schlag doch, schlag!", flüsterte sie. Danach Stille, Trauben von Gaffern bildeten sich, Sirenengeheule in der Ferne, die Mutter in der Tiefe ihres Bewußtsein gefangen schaukelte leicht hin und her, bis mich ihr glasiger Blick streifte. Jäh erwachte sie aus der Trance, sprang "Mörder!" schreiend auf, zeigte auf mich, kreischte, stampfte mir entgegen. Ihre warmen verschwitzten Hände umschlangen mit solcher Intensität meinen Hals, dass ich glaubte, die Abdrücke würden ewig verbleiben. Ich stieß sie kraftvoll zurück und sie fiel auf ihre Tochter; das Blut beschmutzte ihre Bluse. Ich flehte: "Alter Mann, helfen sie mir." Der Greis schüttelte den Kopf. "Aber das Fegefeuer in ihnen wird noch stärker brennen. Was habe ich ihnen getan? Befreien sie mich... Verleumdung!"
"Mörder!", wiederholte er und ich konnte nicht taxieren, ob er sich der Tragweite seines Befundes bewußt war oder selbst von der Blitzartigkeit der Geschehnisse so überflutet wurde, das seine klaren Gedanken untergingen. Hiernach rissen mich Hände hinab; mein Kopf schlug auf den Asphalt und Fäuste, Tritte hagelten auf mich nieder.

 

Hallo Nizzel,

ich finde Deine Geschichte ganz gut - sie ist verstörend, und das soll sie wohl auch sein. Was mir Schwierigkeiten bereitet, ist die etwas altmodische und stellenweise wenig authentisch wirkende Sprache. Ein paar Beispiele:

Jeden Abend des Mittwochs

"Ach!", verneinte ich. "So sollten sie das gar nicht sehen. Ich erkenne das Gute in ihnen. Ich bin ein Menschenkenner!"

die schluchzte und wie eine Verdammte in der Hölle schrie - derweil das Auto hinfort rasend hinter dem nächsten Häuserblock verschwand.

"Oh...", rief ich. "Was kann ich tun?",


Das würde ich etwas zeitgemäßer formulieren bzw. bei der wörtlichen Rede aufpassen, dass es so klingt, als würde es wirklich jemand sprechen. :)

Gruß
TeBeEm

 

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