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Der Sandmann - Coppelius erzählt

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08.02.2006
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Der Sandmann - Coppelius erzählt

In all den Jahren ihrer kugeligen Höhlenexistenz, während meiner Wanderungen, während meiner Lehrjahre, während meiner grauen Kindertage, während meiner gruftdunkelsten und feuerhellsten Zeiten haben meine Augen schon so einiges geschaut und sie lassen mich mit rechter Gemütsruhe und mit feldsteinfester Sicherheit folgendes sagen:
Ein Mann ist und war nur so gut, als man von ihm erzählt.
Ihr mögt dem zustimmen oder wild eure hitzigen Schöpfe schütteln, es schert mich nicht, weil es so recht ist, wie ich es gesagt habe, weil ich es gesehen habe. Ein Mann war nur so gut, als man von ihm erzählt. Und erzählt man nicht von ihm, so gab es ihn nicht.
Und deshalb, nur weil ich darum weiß, will ich erzählen von mir, von Franz Coppelius, vom Sandmann. Nicht laut, nicht aufdringlich, aber bestimmt. Ich will nur, dass ihr wisst, wie es sich begeben hat damals, wie es wirklich war, damit es so stehen bleibt und damit es so gewesen ist.
Und so sitze ich hier in dem lausigen Wirtshaus, meine kolossalen Arme auf dem groben Holztisch liegend, wie braune Eichenplanken, nicht ansehnlich geschnitzt im Übrigen, und schreibe mit kratzenden, fast kreischenden Federschwüngen, was geschehen ist.
Ich war einer der rechtschaffendsten und zugleich grausamsten Männer meiner Zeit.
Zweifelsohne. Doch jedes Nachtpfauenauge war einmal eine wurmige Larve und meine Kinderzeit war überaus wonnenlos, ein pechschwarzer Schattenfleck. Es lag daran, wie ich geschaffen war: unförmigen Körpers, auffällig unansehnlich, ungetümen Gesichts, grob, uneben, mit bläulichen Lippen, einer schief-kratzenden Stimme, schartenhaften, grün-glimmenden Augen und abstehenden Ohren. Schon als Säugling sah man meinen Buckel. Ich war hässlich geschaffen und auch nicht von eingängig-freundlichem Charakter und so hielt man sich fern von mir. Wenn ich dann zu den anderen Kindern angekrochen kam, mich ihnen nähern wollte, schrieen sie fingerzeigend, lachten fratzenhaft, zeigten all ihre kindliche Gemeinheit. Auch geprügelt wurde ich. Besonders setzte mir ein Junge namens Karl zu. Er war im Grund ein kluger Bub und wohl so etwas wie der Anführer der Buben in meiner Gegend, er war mein größter Peiniger. Und wenn ich mit der Familie Sonntags in die Kirche ging, spürte ich Wut auf Gott, so viel lodernde Wut, dass ich mir manchmal unbeobachtet Geld aus der Kollekte nahm, um es später in einen kleinen Teich zu werfen. Ich hatte Kerben in den Lippen, weil ich so heftig darauf biss.
Doch ich glaubte damals an Gerechtigkeit und so verließ ich mein Heimatdorf, studierte die Rechte und wurde ein kundenloser Advokat, denn man mied mich noch immer. Es hieß, ich habe in meiner Robe einem Vampir geglichen. Als Advokat wohl gescheitert, wanderte ich lange Zeit ziellos nachts mit einer Fackel wie ein Wiedergänger durch die stillen Landen. Dabei sprach ich mit mir selber. In verschiedensten Stimmlagen und –Färbungen ahmte ich im Mondeslicht allerlei Gespräche nach. Noch heute sehen meine Augen des Nachts besser. Und irgendwo, ich weiß nicht in welchem dunklen Wäldchen, kam mir der Gedanke, es besser zu tun. Ich wollte auch schaffen und zwar besser. Es packte mich damals unheilbar die Idee, Menschen kontrollieren zu wollen, das Schicksal und Gott in seine fiesen Knie zu zwingen, ein Verlangen nach verbotener Macht. Und während Wald und Wiesen noch dem nächsten Tag entgegenträumten, ergriff mich ein wohliger Sog dunkelster Fantasien.
Ich fand einen eigensinnigen, bärtigen Meister der Alchemie in einem größeren Städtchen, der mich ausgiebig die Alchemie lehrte und nachdem er eines Nachts, in einen seiner Kupferkessel gestürzt, aus verätztem Munde kläglich kreischend verendet war, hatte ich alle Macht über den Laborkeller und konnte mich und ganz dem Brauen ergeben. Ich schaffte es zwar nach wie vor nicht, Leben zu erschaffen. Doch so manches dunkle Geheimnis der Alchemie lüftete ich trotzdem im schäbigen Schein verstaubter Öllampen.
Ach, was schweife ich ab! Kurz fassen wollte ich mich, vom Sandmann wollte ich erzählen. Ich werde neues Papier und ein weiteres Tintenfässchen fordern und einen weiteren Trunk bestellen, weniger feurig als der letzte, auf dass ich mich ranhalte mit dem erzählen, denn sie rinnt mir durch die haarigen Finger, die Zeit.
Um meinen Entdeckungen Anwendung zu Teil kommen zu lassen, machte ich Karl, meinen Peiniger, ausfindig. Sich leicht beschämt meiner erinnernd gewährte er mir, der ich in ein graues Gewandt gekleidet war, Einlass in sein Haus und als Versöhnungstrunk gab ich ihm einen Humpen einer gar diabolischen Substanz, eines richtig teuflisches Wässerchens aus Tollkirsche, Stechapfel, Bilsenkraut, Augäpfeln und allerlei anderem. Es war eine den Geist zerreißende Flüssigkeit, die man, so man sie einmal getrunken, immer wieder trinken musste. So wurde er abhängig von mir. Welch unsäglicher Triumph! Von nun an speiste ich oft bei dieser Familie, ließ mir von seiner Frau, die zwar beunruhigt, jedoch eine machtlos-willige Dienerin war, feinste Weine auftischen und auf die kleinste Andeutung allerlei Annehmlichkeiten zukommen. Man tat alles, nur damit ich, wenn es dunkel ward, vorbeikam und Karl seine Substanz zubereitete, deren Zutaten ich zum Teil geheim hielt. Nur die Augen, deren Beschaffung kein Leichtes war, gab ich vor Ort in den brodelnden Kessel.
Ein unsäglicher Triumph, doch keine endgültige Genugtuung.
Ferner gab es da ja auch noch die Kinder, denen man immer ein schauerliches Märchen über den Sandmann erzählte, wenn ich kam. Sehr schauerlich diese Truggeschichte, jedoch kaum schauerlicher als die Realität. Ich hasste die Kinder. Karl war abhängig von mir, doch die Kinder zollten mir nicht so recht Respekt. Nein, viel schlimmer noch: Ich sah in ihren kleinen, runden Bestienaugen, wie sich vor mir ekelten, vor allem der gehässige Bengel, Nathanael. Er war nicht einen Deut besser als sein Vater damals, er erschien wie dessen Reinkarnation und ich hasste ihn dafür. Fast vergessene, verstaubte, düster-gräuliche Gefühle kamen in mir hoch und mein Hass schürte sich mehr und mehr, schnürte mir die Kehle ab, loderte zischelnd in meiner Brust. Die kleinen Sticheleien am Essenstisch befriedigten meinen Hass nur mäßig. Er lauerte in meiner Brust, die ständig zu bersten drohte. Als der Bengel, diese Teufelsgöre, sich einmal ins Zimmer geschlichen und ich ihn entdeckte, stürzte er auf den Boden und wurde sogleich ohnmächtig, dieser wohlbehütete Träumer, dieser fiese Feigling. Das geschah ihm, wie der Vater ganz mitleidig erzählte, wohl häufig. In dem Augenblick, da ich das Mitleid und die Liebe für die kleine Bestie in den Augen des Vaters sah, bebte es grauselig in mir.
Noch jetzt, beim schreiben, schmecke ich es bitter im Hals. So will ich weiteren Trunk bestellen!
Es kam so, dass ich eines Abends, es ging nicht mehr, Karl von hinten mit meiner knotigen Faust (Karl hatte sie einst Koboldkralle gerufen) ganz einfach in den Nacken schlug und sein ebenes Gesicht in die körnige Glut presste. Karl schrie, taumelte erblindet, fiel zu Boden und ich versetzte ihm einen beendenden Tritt gerecht an den Hinterkopf. Darauf ging ich für einige Zeit.
Man suchte mich wohl. Bei Mord monatelang. Soweit kannte ich das Rechtswesen in diesen Landen noch, ganz gleich, wie lang mein Studium schon her war. Monate war ich auf der Flucht, hielt mich in schattigen Wäldern versteckt, wanderte nachts, wie früher. Ich sprach sogar wieder mit mir selbst, wobei ein italienischer Dialekt mein liebster war. Es gab da diese Figur, die ich sprach und Coppola nannte. Sie war mir fast wie eine zweite Existenz, ein müder Trost für den einsamen Wanderer. So ging es, bis ich mich schließlich niederließ und mir einen neuen Braukeller mietete. Meine alchemistischen Schöpfungsversuche waren nur von mäßigem Erfolg gekrönt. Alles, was ich schuf, war hässlich, immer nur hässlich. Diese Misserfolge taten mir nicht gut, hatte ich doch nichts im Leben, außer meine Forschungen. Es zerschliss mich. In dieser Zeit fluchte ich viel und meine stets miese Mienen bissen sich in die Gesichtszüge fest. Ich gab sie auf, verließ meinen Keller und wanderte wieder. Dabei redete ich mir ein, ich hätte kein Ziel, doch die Wahrheit lauerte in den schattigsten Gefilden meiner Seele.
Als ich bei Nathanael, der inzwischen Student war, anklopfte pochte mir das Herz gewaltig unter meiner Verkleidung. Ich sprach mit dem italienischen Dialekt, stellte mich als Coppola vor und mir war dabei weder bewusst was ich tat noch was ich wollte. Doch hatte ich nichts Böses im Sinn. Die feinlinsigen Wettergläser lehnte er ab, ich solle bitte gehen. Als ich ihm die Hand gab und er mit demselben angeekelten Blick auf meine wulstigen, stark behaarten Finger starrte, den ich von ihm und seinem elenden Vater kannte, packte mich wieder die peinvolle Wut. Fortan ließ sie mich nicht mehr los. Ich sah immer wieder Nathanael. Nachts träumte ich oft von ihm, dieser Reinkarnation des Teufels, wie er auf mich zeigte, sich ekelte, mich hänselte und mich einmal mit seinem Vater zusammen gar verprügelte. Meine Gedanken drehten sich nur noch um die verhasste Bestie, tagaus, tagein, Nathanael, Nathanael, Nathanael. Es plagte mich. Auch nachdem ich seine Wohnung in einem Hassrausch abgebrannt hatte, fand ich keine Ruhe, obwohl im Schein des lodernden Feuers noch vor Glück mir ein Tränlein kam. Meine Forschungen standen still, bis auf einige Diskurse mit einem berühmten Professor. Er hieß Spalanzani und ich hatte ihn beim Kräutereinkauf auf dem Markt kennen gelernt. Nach einer Weile waren wir gar gut befreundet. Spalanzani schien sich nicht vor mir zu ekeln oder er zeigte es einfach nicht.
Es war nun mein Plan, Nathanael verrückt zu machen mittels einer hoch potenten Nachschattengewächs-Tinktur, die den Geist zerreißt, ganz ähnlich wie beim Vater. Die Dosis wollte ich langsam erhöhen und wenn er sich im Wahnsinn nicht selber umbrächte, würde ich das erledigen. Ich besuchte ihn, schwatzte ihm diesmal eines der Wettergläser auf und ließ ungesehen einen Tropfen der Tinktur in seinen Wasserkelch perlen. Fortan schlich ich mich immer öfter in seine Kammer und präparierte sein Wasser. Des Nachts schlief ich nun ruhiger.
Eine Entdeckung erschütterte mein Gemüt: Der Professor Spalanzani hatte eine Maschine geschaffen. Sie sprach kaum, bewegte sich wenig, sie war nicht perfekt, doch sie war wunderschön und dafür hasste ich sie. Sie war so schön, dass Nathanael sie gar heiraten wollte. Nie war es mir gelungen Schönes zu schaffen. Außerdem liebte Nathanael sie. Wieder in glühender Wut entriss ich sie dem Professor gewaltsam und mitten im Kampf um die Maschine betrat Nathanael, wohl wieder im Rausch der Tinktur, die Szenerie. Wiedereinmal floh ich erfolgreich. In einem Nadelwaldstück außerhalb der Stadt legte ich die Maschine auf den sandigen Boden, strich ihr über die ebenen, kalten Gesichtszüge und ließ meine Augen alles aufsaugend über ihr mechanisch-perfektes Antlitz streichen. Dann verbrannte ich sie in einem lodernden Höllenfeuer. Ich hatte ihren Anblick nicht mehr ertragen und es war kühlender Balsam für meine hitzige, wunde Seele, wie die Maschine von den zügelnden Flammen gefressen wurde.
Nathanael beobachtete ich fort und fort im Verborgenen und verabreichte ihm mal öfter, mal seltener seine Tinktur. Und so kam es denn auch, dass er ihn wiedereinmal der tinkturbedingte Wahnsinn ergriff, während er auf dem Rathaustürmchen stand. Und wie fühlte ich Genugtuung, als er – ich hatte es erwartet, ich hatte es bewirkt – sich vom Turme stürzte! Ich kaufte mir einen leichten Obstwein am Marktstand, hob ihn in Richtung der von Publikum umringten Leiche und sprach mit einem Grinsen auf den gekerbten Lippen: „Schwimme, wer schwimmen kann und wer’s nicht kann, der bringe es sich selbst bei!“

 
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Nun,
so ganz blicke ich im Verlauf der Geschichte nicht durch...weil besonders gegen Ende überschlägst du dich mit den Geschehnissen. Auch der letzte Satz wird mir nicht ganz klar. Ich habe den Text zwei mal gelesen um zu schauen ob die letzte Satz auf etwas anspielt, konnte aber nichts finden:confused:
Aber, nach ein wenig Kritik:) Nun ein Lob:
Die Sprache ist toll:thumbsup: Ich habe den Text gelesen und bis auf wenige Brüche schaffst du es, den Textfluss fast wie ein Lied erscheinen zu lassen. Auch wenn du sehr viele Adjektive benutzt sind viele von denen toll und lassen gute Bilder entstehen. Auch wenn ein paar Wortneuschöpfungen sind, wenn man weiß wie es geht, und das ist meines Erachtens der Fall, ist es eine gute Sache.
Aber wohin mit der schönen Sprache wenn die Geschichte fehlt?;) Also, ein wenig mehr Ordnung und eine Handlung wären nicht schlecht( wir sind hier zwar bei Seltsam, aber trotzdem wollen wir ja, wenn wir schon aus dem Rahmen fallen, wenigstens in der Nähe des Bildes bleiben, damit wir notfalls wieder rein springen können:lol: )
Dann sag ich nur, mit freundlichen Füßen,
fio

 

Vielen Dank für die freundliche Antwort! Der letzte Satz ist eine Anspielung auf die Räuber. Das ganze ist eine Ahsuaufgabe, daher der eigenartige Handlungsverlauf bzw. die eigenaritge Handlungsbündelung gegen Ende. Es galt, den Sandmann aus der Perspektive Coppelius' zu erzählen. Die Geschichte gefällt mir jedoch so gut, dass ich überlege, sie noch ein wenig umzuschreiben, so dass sie auch eigenständig existieren kann. Das mit den Wortneuschöpfungen, siehst du ganz richtig. Teilweise ist es etwas fraglich. " den Textfluss fast wie ein Lied erscheinen zu lassen." -> Was für ein Kompliment.
So, ich habe eine Hand voll fehler gefunden, die ich jetzt korrigieren werde.
Vielen Dank noch einmal und beste Grüße

 

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