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Der schöne Schein

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21.06.2008
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Der schöne Schein

(1)

Soviel stand fest: wenn Taurine an diesem Abend nicht dieses wunderschöne rote Kleid getragen hätte, wäre er längst vor Mitternacht von der Party weggegangen. Er konnte solche Veranstaltungen nicht leiden. Sie waren ihm lästige Pflicht und konfrontierten ihn mit einer Welt, für die er sich zunehmend wenig interessierte. Diesmal ging es um eine Ausstellungseröffnung, wobei die Ausstellung aus einem einzigen Bild bestand. So etwas nannte sich moderner Minimalismus und galt aktuell als stilvoll. Gastgeber und Künstler war sein alter Schulfreund Peter. Die Einladung war erst am Vormittag durch einen Kurierdienst überbracht worden. Eine vorgedruckte Karte ohne persönlichen Gruß: „… würde mich sehr freuen, Sie und Ihre Freunde in meinem Haus empfangen zu dürfen. Für das leibliche Wohl ist gesorgt.“

Er hatte Taurine die Einladung wortlos auf den Schreibtisch gelegt und sie hatte genickt und gesagt, sie würde eine Flasche guten Wein besorgen. So war sie: nun schon fast fünf Jahre seine Sekretärin und damit die Frau, die es überhaupt am längsten mit ihm ausgehalten hatte. Sandra war von der Weltreise, die sie brauchte „um sesshaft werden zu können“ nicht zurückgekommen. Sesshaft war sie bereits in Italien geworden, bei einem Mann, der sieben Jahre jünger war als sie und in einer kleinen Pizzeria kellnerte. Claudia hatte ihm nach zweieinhalb Jahren den Laufpass gegeben. Und zwar tatsächlich. Als sie schon beinahe darüber lachen konnten (sie konnte es recht früh, er in Wahrheit nie), schickte sie ihm einen Brief, der nichts anderes enthielt als ein weißes Blatt Papier mit der Aufschrift „Laufpass“. Frauen wie Claudia fanden sowas originell.
Taurine war da deutlich subtiler. Ihr Humor war von einer Art, die wirklich glücklich machte. Sie setzte ihn sehr dezent, sehr sparsam ein und immer mit hundertprozentiger Wirkung. Ähnlich tat sie es mit ihrer Kleidung. Dieses rote Kleid verwirrte ihn, und so blieb er, um sie noch eine Weile zu betrachten.

Als das Kind plötzlich vor ihm stand, probierte sein Kopf in Windeseile drei Gedankenfäden aus: 1. Der Knabe lügt (Kinder und Betrunkene sagen nie die Wahrheit). 2. Hier gehört das Jugendamt eingeschaltet (wieso ist der mit seinen elf Jahren nach Mitternacht noch auf?) 3. Tu wenigstens so, als würdest Du Kinder mögen (Taurine schaute gerade herüber, jedenfalls bildet er sich das ein, sehen konnte er sie nicht).
Schließlich entschied er sich für einen vierten Weg: Abwarten und Anstarren und da platzte der Junge auch schon heraus: „Jemand hat mir mein Geld gestohlen!“
Kommissar Rosenstock musste grinsen.

„So, so, junger Mann, jemand hat Ihnen Ihr Geld gestohlen.“ Sagte er dann mit ernstem Blick und so laut, dass alle umstehenden es hören konnten. „Das ist ja unerhört!“.
Das Kind nickte ungeduldig und flüsterte: „Ich habe es gerade eben erst bemerkt, bestimmt ist der Dieb noch nicht weit, bitte helfen Sie mir.“
Irgendetwas an der Klarheit dieser Bitte machte ihn stutzig. Dennoch war er nicht bereit, sich von diesem Bürschchen zum Ernst bewegen zu lassen. „Hoffentlich finden wir noch ein paar Fingerabdrücke am Sparschwein!“ rief er und freute sich, aus dem umgebenden Raunen heraus auch einiges Frauengelächter zu hören.
„Das Geld war im Safe“, sagte der Kleine mit fester Stimme aber einem nun schon tränenverschleierten Blick.
„Wieviel?“ Rosenstock beendete abrupt sein Grinsen.
„Eine Million.“


(2)

„Spielgeld!“ dachte der Kommissar. „Bei Kindern ist es immer Spielgeld!“. Er erinnerte sich an Tom, seinen Kollegen in der Polizeiwachstation, in der er nach seinem Studium zu arbeiten begonnen hatte. Der erzählte bei allen Anlässen von der Großfahndung, die er in die Wege geleitet hatte, nachdem ihm ein Kind den Verlust von drei Milliarden gemeldet hatte. Dass es um Spielgeld ging und das Kind unter chronischem Aufmerksamkeitsmangel seitens der Eltern litt, erfuhr er erst zwei Tage später. Mit einer Million war dieser Knabe hier ja noch recht bescheiden.

„Entschuldige, Richard, wir wollten dich nicht behelligen.“, bleich und irgendwie abgehetzt stand nun der Gastgeber vor ihm. Er legte eine Hand auf die Schulter seines Sohnes und knetete nervös darauf herum. Der Junge schaute zu Boden, schien ganz in der Betrachtung seiner Füße zu versinken und schwieg.
Rosenstock stöhnte innerlich auf. Es war nach Mitternacht, er war auf einer Party, auf der er nicht sein wollte und vor ihm stand sein alter Freund samt Sohn und hatte eine Million Geldstücke verloren. Wieso sind die Leute so entsetzlich rücksichtslos, dachte er still und sagte dann laut: „Erzähl es mir bitte von vorn!“

„Wie du vielleicht mitbekommen hast, ist vor einigen Wochen meine Großtante Else Bauris gestorben.“ Rosenstock nickte kurz, er hatte davon gehört, die Dame war Wirtschaftsdiva und Inhaberin diverser Handelsunternehmen gewesen, dabei kinderlos, und die Spekulationen um ihr Erbe hatten über mehrere Tage die hinteren Seiten der Klatschpresse gefüllt. Was schließlich aus der Sache geworden war, hatte er allerdings nicht weiter verfolgt.
„Sie war eine sturköpfige Frau, die es mir nie verzieh, dass ich mich damals gegen den Einstieg in ihr Unternehmen entschied. Aber das war nicht mein Fach, war nicht mein Traum, ich wollte was Eigenes machen und beinahe hätte es ja auch geklappt.“ Peter verzog das Gesicht zu einem schmerzlichen Grinsen und schaute seinem Freund geradewegs in die Augen. Rosenstock nickte wieder leicht, ohne das Lächeln zu erwidern. Peter hatte lange Zeit von einer Karriere als Künstler geträumt, es an verschiedenen Hochschulen versucht, ein paar Ausstellungen gemacht. Eine kurze Weile sah es so aus, als könnte er Erfolg haben. Aber die unerbittlichen Wellen der Mode überrollten seine Werke. Alles was er zuwege brachte, war zum Zeitpunkt der Fertigstellung hoffnungslos veraltet. Dann heiratete er ein reiches Mädchen und ließ alle Pläne bezüglich einer eigenen Karriere fahren. In guten Momenten scherzte er darüber, dass er mit der Hochzeit zum Leibdiener einer verzogenen Prinzessin geworden war. In schlechten Momenten erfüllte er diese Rolle ohne einen Funken von Selbstironie.

Die Feierlichkeit an diesem Abend, bei der er ein Bild präsentierte, dass er angeblich im Rausch einer flüchtigen Nacht geschaffen hatte, war nichts anderes als ein erweiterter Rommé-Abend seiner Frau. Sie fand sein kindliches Aufbegehren gegen ihre Dominanz wohl amüsant, ließ aber keinen Moment in Vergessenheit geraten, dass sie es war, der das Haus und alles darinnen gehörte.

„In den letzten Jahren wurde meine Großtante zunehmend senil und theatralisch. Mit großer Geste gab sie die Enterbung der ganzen Familie bekannt und sprach davon, ihr Vermögen der Seerettung zu spenden. Ihr erster und einziger Liebhaber war wohl ein Matrose gewesen, der irgendwann im zweiten Weltkrieg unterging. Als sie schon kaum mehr aus dem Haus kam, besuchten wir sie einmal, und irgendwie fand sie da Gefallen an meinem Louis hier.“
Peter tätschelte unbeholfen die Wange seines Sohnes, der weiter unbewegt zu Boden starrte.
„Jedenfalls kam vor ein paar Wochen ein Schreiben von ihrem Anwalt, das Louis zum Erben von einer Million Euro in bar samt des dazugehörigen Tresors machte. Das Ding war verschlossen durch einen Nummerncode und die alte Hexe hatte in das Testament geschrieben, der Junge werde die Zahl schon wissen, sonst verdiene er das Geld nicht. Louis wusste sie wirklich. Ich habe keine Ahnung woher. Noch am selben Abend zeigte er uns das Geld. Und schloss es wieder ein.“
Peter lachte kurz bitter auf und Richard verstand: Das einzige, was schlimmer ist als der Betrug durch die eigene Frau, ist der Betrug durch das eigene Kind. Der wird vielleicht nur noch übertroffen vom Betrug durch den eigenen Hund.

„Vorhin kam er dann. Ich dachte, er schliefe längst. Der Tresor stand offen und das ganze Geld war fort.“


(3)

Richard hatte das Gefühl, einen Luftzug zu spüren, wo keiner sein konnte und drehte sich um. Hinter ihm stand Taurine im roten Kleid und ein Meer von Erleichterung breitete sich in ihm aus. Sie schaute mit einem fragenden Lächeln erst ihn und dann Peter und den Jungen an.
„Gut, dass Sie da sind, Taurine, es gibt Arbeit.“. Sobald er begriffen hatte, dass sie niemals seine Frau werden könne, hatte er sich ihr gegenüber ganz in die Rolle des stets übelgelaunten strengen Vorgesetzten begeben, die er dann und wann durch eine unerwartet liebevolle Bemerkung völlig zerbrach. Sie verstand und akzeptierte sein Spiel und schien nach anfänglichen Schwierigkeiten nun auch Gefallen daran zu haben.

In einer Ecke des Kinderzimmers stand ein etwa ein Meter hoher und ebenso breiter Metalltresor. Seine Tür war geöffnet, die beiden darin befindlichen Fächer leer. Am Verriegelungsmechanismus gab es keine Spuren von Gewaltanwendung. Offensichtlich war er durch die Eingabe des korrekten Nummerncodes geöffnet worden. Jetzt zeigte er allerdings eine sechsstellige Ziffer an, die es nicht erlaubte, ihn zu verschließen.
„Louis“, sagte Richard mit einer bemüht freundlichen Stimme: „wie wär’s wenn du uns den Geheimcode einmal sagen würdest.“
Das Kind schüttelte stumm den Kopf und schaute zu Boden, als sein Vater ihn bei den Schultern fasste und geduldig erklärte: „Aber Louis, mein Junge, nun ist es doch sowieso egal.“
„Wer außer ihm könnte die Zahl denn gewusst haben?“ Richard fühlte sich nicht recht in Form für eine gezielte Befragung. Er hatte schlicht und einfach keine Lust, in seiner Freizeit den Kommissar zu spielen, der er acht, manchmal zwölf lange Arbeitsstunden war. Dass er nun im Hause, vielleicht in der Familie seines Freundes nach einem Millionendieb suchen musste, machte ihn schrecklich müde und gereizt.
Zudem war Taurine unten im Saal geblieben und fehlte ihm hier ganz fürchterlich.

Dass das Geld in einem Tresor in diesem Hause aufbewahrt wurde, war kein Geheimnis. Wahrscheinlich war er der einzige Mensch in der ganzen Stadt, der die Erbschaftsregelung der großen Else Bauris nicht bis zum Ende verfolgt hatte. Dass Louis mit seinen elf Jahren der jüngste Millionär im Lande war, hatte als letzte Schlagzeile zu diesem Fall in den Zeitungen geprangt. Und dann hatte Peter eine Party veranstaltet, die es jedem Menschen ermöglichte, das Haus zu betreten, statt zur Toilette ins Kinderzimmer zu spazieren, etwas am Zahlenschloss zu basteln und die Million mit nach Hause zu nehmen. Hier würde es viel Kleinarbeit und viele falsche Fährten geben und am Ende würde das Geld verschwunden bleiben.

„Ich muss mit deinem Sohn allein sprechen“, sagte Richard und schob Peter mit einigem Nachdruck aus der Tür. „Sorg du solange dafür, dass die Gäste genug zu trinken haben und möglichst keiner das Haus verlässt. Immerhin wäre es ja möglich, dass der Dieb noch unter uns weilt. Vielleicht hast du auch sowas wie eine Gästeliste, die du mir besorgen kannst?“
Dann wandte er sich dem Knaben zu.
Nachdem sein Versuch als freundlicher Onkel gescheitert war, probierte er es nun mit Strenge. „Hör mal mein Junge, wenn du nicht ein bisschen mitmachst, habe ich große Schwierigkeiten, mich um dein Geld zu kümmern. Meins ist es ja nicht, mir kann’s gestohlen bleiben. Wenn du willst, dass ich dir beim Suchen helfe, musst du mir schon sagen, wie der Geheimcode lautet.“
„576902“ murmelte der Junge. Er wirkte nicht eingeschüchtert dabei, eher trotzig.
„Und … was bedeutet diese Zahl?“, fragte Rosenstock verblüfft.
„Egoist.“, sagte Louis und stapfte aus der Tür.

„Ein cleverer Junge!“ Taurine hatte die Buchstaben und ihre Positionen im Alphabet auf einem Zettel notiert, ein paar Quersummen gebildet und schließlich die Zahlenfolge ermittelt. „Ist er da wirklich von allein drauf gekommen? Nach dieser einen Begegnung konnte er die Großtante und ihre Ansichten über seinen Vater wohl sehr gut einschätzen.“
„Wieso denn sein Vater?“ Rosenstock verstand nicht. Taurine war ihm wie immer um einen Schritt voraus. Eigentlich seltsam, dass er der Kommissar und sie die Sekretärin war und nicht umgekehrt.
„Naja, ganz offensichtlich wollte sich die Tante mit dieser Erbschaftssache doch an ihrem Großneffen rächen. Er hat sie und ihr Geld einst verschmäht – ihrer Ansicht nach aus egoistischen Gründen – nun bekommt es eben der Sohn. Ein elfjähriges Kind, das mit einer Million überhaupt nichts anfangen kann. Nicht aus Zuneigung zu dem Kind, sondern aus Abneigung gegen den Vater hat sie so entschieden.“
„Klingt logisch.“ Rosenstock nickte anerkennend, konnte sich dabei aber ein feines spöttisches Grinsen nicht verkneifen. „Vermutlich werden Sie mir auch gleich noch den Dieb präsentieren, nicht wahr?“
Taurines Lächeln entwaffnete ihn völlig. Es war ganz offen, ganz freundlich, ganz ohne jede Berechnung.
„Naja, entweder war es ein ganz besonders geschickter Tresorknacker oder ein Glückskind, das zufällig die richtige Kombination gefunden hat, oder aber jemand, der auch wusste, was und wie die Tante dachte.“


(4)

Mit zwei Sektgläsern in der Hand näherte sich Rosenstock der Gastgeberin. Patricia-Maria von Eichenborn war eine attraktive Frau Mitte Dreißig, der man auf den ersten Blick ansah, dass sie das Siegen gewohnt war. Sie saß am Tisch mit ein paar Herren und wenigen Damen und hatte soeben eine Runde Pokern gewonnen. Richard passte den Moment ab, als die Karten neu gemischt wurden, und streckte ihr ein Glas entgegen.
„Gnädige Frau, darf ich bitten? Ehe ich das Haus verlasse, möchte ich es nicht versäumen, mich bei Ihnen für den wunderbaren Abend zu bedanken!“
Patricia schaute ihm tief in die Augen und lächelte charmant. Dann erhob sie sich und nahm das Glas entgegen.
„Entschuldigen Sie, Herr …“
„Rosenstock!“, kam er ihr eilfertig entgegen. „Ich bin ein Schulfreund Ihres Mannes.“
„Ach, ja, natürlich! Richard, nicht war? Peter hat mir viel von ihnen erzählt!“
Rosenstock winkte ab. Einerseits mochte er diese verbalen Tänzeleien, die stets dazu dienten, die Machtverhältnisse durch Floskeln zu klären, ehe der Sieger entschied, ob sich das weitere Gespräch lohnte. Er bildete sich ein, einiges Geschick darin zu haben. Andererseits langweilte ihn dieses uralte Gesellschaftsspiel. Er sehnte sich nach der klaren Offenheit, wie es sie früher irgendwann einmal gegeben hatte. Und wie er sie jetzt noch manchmal bei Taurine fand.
In dieser Runde sollte die Gastgeberin sich für die Überlegene halten, deshalb musste er sie in Sicherheit wiegen, ohne dabei allzu naiv zu erscheinen.

Vor dem Gemälde, das Peter mitten im Raum auf einer Staffelei platziert hatte, blieben sie stehen. Zu sehen war eine romantische Landschaft mit einem Teich, hinter dem die Sonne unterging und auf dem sich einige Schwäne tummelten. Von der Seite beugte eine Trauerweide ihre Äste tief in das Wasser. Im Vordergrund spielte ein Katzenjunges mit einem Welpen auf einer Picknickdecke, die mit allerlei guten Esswaren gefüllt war. Menschen gab es auf dem Bild nicht zu sehen. Am rechten Rand schien es, als sei das Gemälde abgerissen worden. Aus dem Dunkel blitzten eine Reihe scharfer Zähne und zwei grüne Katzenaugen.
„Wissen Sie, wie Peter das Bild nennt? ‚Der schöne Schein’. Ich muss gestehen, dass man ihm die Eile, in der er es gemalt hat, deutlich ansieht.“ Patricia schaffte es nicht, die Verachtung, die sie für ihren Mann empfinden musste, zu verbergen. „Früher hatte er … einfach mehr Geschmack!“
Mit einem hilflosen Lächeln zuckte sie die Schultern.
Dann berührte sie Rosenstock flüchtig am Arm, machte eine erschrockene Geste und warf ihm einen mädchenhaften Blick zu: „Aber was rede ich da: Sie sind sein Freund, Sie kennen ihn ja, Sie müssen wissen, es geht ihm gerade nicht so gut. In letzter Zeit hat er viel von Ihnen gesprochen. Vielleicht wäre es gut für ihn, wenn Sie sich öfter mit ihm treffen könnten? Was meinen Sie, Richard?“


(5)

Um Punkt zwei Uhr ertönte ein lauter Gong. Richard hatte sich gerade mit Taurine an der Bar niedergelassen. Sie hatte ein Glas mit Rotwein vor sich stehen, er trank ein Bier aus der Flasche. Nach Mitternacht war auch die Etikette in solchen Gesellschaften etwas gelockert.
In der Tür des Saales stand Peter und schlug ein zweites, dann ein drittes Mal den Gong. Nach und nach verstummten die Gespräche und alle schauten ihn erwartungsvoll an. Um seinen Körper war ein Tuch geschlungen, das der Picknickdecke auf seinem Gemälde ähnelte. In der einen Hand hielt er einen Korb, der mit allerlei Lebensmitteln gefüllt zu sein schien. An zwei Leinen, die er mit der anderen Hand festhielt, waren ein Stoffhund und eine Stoffkatze festgebunden. Mit wenigen Schritten näherte er sich der Staffelei, nahm das Bild herab und klemmte es sich unter den Arm.
„Meine lieben Freunde, verehrte Gäste, ich danke Ihnen für Ihr Kommen in dieses Haus. Es war mir eine Ehre, Sie zu bewirten und mit Ihnen die Idee eines idyllischen Lebens zu teilen. In dieser Stunde mache ich mich auf den Weg, genau dieses Leben zu suchen. Wie Sie sehen, habe ich alles dabei.“ Dabei wies er auf die Decke, den Korb, die Stofftiere und das Gemälde. Vereinzeltes Gelaechter erklang. Irgendjemand sagte halblaut „Meine Kinder malen sich auch immer ihre Schatzkarten selbst.“, worauf die Gastgeberin ein helles Kichern hören ließ. Dann wurde es wieder ruhig. Peter verbeugte sich tief:
„Gute Nacht, liebe Freunde, trinkt noch und bleibt, wenn ihr wollt, ich aber gehe.“
Damit drehte er sich schwungvoll um, zog die Stofftiere an den Leinen hinter sich her und verließ den Saal.

„Warum lassen Sie ihn gehen?“ Taurine hob sacht ihr Weinglas an. „Er ist doch der Dieb?“
„Ja“, Rosenstock lächelte müde und schaute sie sanft an. Er hatte große Lust, ihre Hand zu nehmen und sie dann gar nicht mehr loszulassen. Irgendwie war ihm plötzlich ganz wehmütig im Herzen.
„Ich habe es auch gesehen. An manchen Stellen schimmerten die Scheine durch das Blau des Sees und das Weiß der Schwäne. Er schien sich wirklich keine besondere Mühe gegeben zu haben. Wahrscheinlich wusste er, dass niemand sein Bild so genau betrachten würde. Peter ist kein Träumer.“

Kurzentschlossen stand er auf und stellte die Bierflasche auf den Tisch.
„Aber er braucht das Geld, um von hier wegzukommen, sich seine Träume zu erfüllen. Vielleicht hat seine Großtante das sogar so gewollt. In seinem Zimmer fand ich einen Brief von ihr, der einen Zettel mit nur diesem Wort „Egoist“ enthielt.“
Er streckte ihr die Hand entgegen, Taurine drückte sie freundlich.
„Taurine, es ist spät, ich muss gehen. Bis morgen.“

 

Hallo Weltentochter!

Willkommen auf kg.de.

"Der schöne Schein" => Dein Beitrag zum Kärntner Krimipreis?

Was mich stört ist, dass dein Protagonist keinen Namen bekommt. Immer nur "er" zu lesen ist nervig. Mir anonymen Personen kann sich der Leser nur schwer identifizieren, solltest du also ändern. (Ist auch merkwürdig, wenn Sekretärin Ehefrau ... Namen haben, die Hauptperson aber nicht.)
Dann springst du recht unmittelbar in Situationen. "Als das Kind plötzlich vor ihm stand" => Fragen, die sich mir hier stellen: Was für ein Kind? Das hat der Autor doch bisher überhaupt nicht erwähnt. Und wo sind die überhaupt? Und wieso sollte das Kind lügen? Es hat doch bisher überhaupt nichts gesagt!
"Kommissar Rosenstock musste grinsen." => Und wer ist auf einmal Kommissar Rosenstock? Und was hat das mit dem Anfang des Textes zu tun?
Weiter geht es mit Richard. Wer ist das? Der Kommissar? Du solltest bei einem Namen bleiben, Vor- oder Nachname. Und dann ist Richard, der Kommissar, "er" vom Anfang?
=> Ich kann nur empfehlen, den Text so aufzubauen, dass der Leser einen roten Faden hat, dem er folgen kann. Spannung erreicht man nicht durch Verwirrung.

Ebenfalls stören mich Klammern im Text. Das kann man als Stilmittel durchaus einsetzten, doch meist bekomme ich den Eindruck, dass es für den Autor nur eine Verlegenheitslösung ist.

Nicht sonderlich glaubwürdig ist es, wenn Peter den Kommissar mitten auf der Party dermaßen zutextet. Ich musst immer wieder scrollen, um den Faden nicht zu verlieren. Wie soll da ein Mann folgen, der das Ganze nur hört? Versuche es aufzulockern, vielleicht durch Nachfragen.

Der Tresor: "Jetzt zeigte er allerdings eine sechsstellige Ziffer an, die es nicht erlaubte, ihn zu verschließen." => Kann man die Dinger nicht immer verschließen, und braucht nur zum Öffnen den Code? Sonst wäre das reichlich kompliziert.

Einige Fehlerchen, besonders in Bezug auf die Zeichensetzung bei Dialogen sind noch drin, da solltest du die Regeln studieren.

Allgemein ist das ein recht klassischer Krimi, bei der der Leser nichts mitbekommt, der Kommissar am Ende allerdings die Lösung aus dem Hut zaubert. Ich persönlich mag solche Krimis nicht sonderlich.
Ohnehin die Lösung. Habe ich dich da richtig verstanden: Peter klaut das Geld, zieht es auf eine Leinwand (eine Million: das sind eine Menge Scheine!), malt ein Bild drüber, organisiert eine Ausstellung dafür (lädt dazu den Kommissar ein!) - und das Fehlen des Geldes wird erst bei eben dieser Ausstellung bemerkt? Und niemand kommt auf die Idee, offiziell die Polizei anzurufen?
Sorry, aber das ist reichlich konstruiert, und für mich nicht glaubwürdig, und daher meiner Meinung nach das Hauptproblem bei dem Text, der ansonsten doch sehr gefällig geschrieben ist.

Grüße
Chris

 

Hallo und vielen Dank fuer das Willkommen und die Kritik. Tatsaechlich liess ich den Einsendeschluss beim Kaerntner Krimipreis ungenutzt voruebergehen - und lerne nun, dass ich recht daran tat.

 

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