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Der Schmetterling

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08.06.2003
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Der Schmetterling

Für den Namenlosen

Das Kleid war perfekt. Seide und Satin umflossen sie sanft, spielten mit ihr. Sie drehte und wendete sich auf ihren hohen Absätzen. Vier Monate Schmerzen und gequetschte Zehen, bis sie auf ihnen hatte laufen können. Vier Monate, in denen sie 20 Kilo verlor und ihre unscheinbaren braunen Haare zu einer glänzend blonden Mähne wurden.
Mit zittrigen Händen setzte Britta ihre blauen Kontaktlinsen ein und murmelte die Rede immer wieder vor sich hin. Gerade als sie sich zum dritten Mal wiederholte, klingelte es an der Tür. Immer noch zitternd griff sie nach Täschchen und Stola.

Die ganze Taxifahrt über sprach sie kein Wort, sooft der Fahrer sie auch zu einem Gespräch bewegen wollte. Immer wieder musterte er sie von der Seite und fing ein neues Thema an, ohne sich daran zu stören, dass Britta ihm nicht antwortete. Zwanzig Minuten später hielt das Taxi vor dem Burggelände. Bevor er schnell genug herum laufen konnte um ihr die Tür aufzuhalten, war sie auch schon ausgestiegen und eilte mit großen Schritten den Weg entlang. Flackernde Feuer ließen den Kies glühen und unruhige Schatten tanzen. Der Abend war wundervoll, lau und klar. Bevor sie die Burgräume betrat holte sie tief Luft und fragte sich einen panischen Moment lang, ob ihr Kleid das aushalten würde. Lächelnd schüttelte sie den Kopf und spürte erleichtert wie ein Teil der Anspannung von ihr abfiel. Ein letztes Mal tief Luft holend betrat sie die Burg und machte sich auf den wichtigsten Abend ihres Lebens gefasst.
Bevor sie sich auch nur umschauen konnte kam er auch schon auf sie zugelaufen. Seine abschätzenden Blicke tasteten über ihren Körper und das frivole Lächeln in seinem Gesicht zeigte deutlich welche Gedanken er hatte. Nachdem seine Bestandsaufnahme geendet hatte blickte er ihr endlich ins Gesicht und erschrak sichtlich.
„Großer Gott! Britta!“ Erneut betrachtete er sie von Kopf bis Fuß. „Meine Güte hast du dich verändert.“
Ihre Mundwinkel zuckten zynisch. „Du hast dich kaum verändert.“
Er nahm ihre Hand und führte sie durch eine große Flügeltür hinter der schon lautes Gelächter und Gemurmel zu hören war.
„Schatz schau mal wer da ist!“ Britta wollte im Erdboden versinken als sich alle Blicke auf sie richteten. Ein weißer Klecks löste sich aus der Menge und kam auf die beiden zu. Als Britta sich wieder einigermaßen beruhigt hatte erkannte sie den Klecks als das, was er war: Ein scheinbar unendlich weites Brautkleid, unter dem sich deutlich die Wölbung des Bauches abzeichnete. Bekam diese Frau etwa Drillinge? Die Braut beäugte Britta misstrauisch von Kopf bis Fuß und hakte sich demonstrativ bei ihrem frischgebackenen Ehemann ein.
“Ja Schatz?“
„Schau nur das ist Britta.“ Wieder wanderte sein Blick in Brittas Dekolleté. „Meine Exfreundin, die heute Abend die Rede halten wird.“
Einen kurzen Moment lang versteinerte das Gesicht der Braut und wurde zu einer entsetzten Fratze. Schnell hatte sie sich wieder gefasst und umarmte Britta steif.
„Na, das ist aber schön dich mal kennen zulernen. Aber Michas Erzählungen nach hätte ich dich anders eingeschätzt. Ich muss mich um die Gäste kümmern.“ Mit diesen Worten verschwand sie in der Menge.

Die nächste Stunde verbrachte Britta damit, ihre Abendbegleitung davon abzuhalten allzu anzügliche Bemerkungen zu machen. Sein pickliges kindliches Gesicht ging ihr schrecklich auf die Nerven, genauso sehr wie die Annäherungsversuche eines älteren Herrn, der sich offenbar für George Clooney hielt. Sie konnte ihre Erleichterung kaum verbergen als endlich das Buffet eröffnet wurde und ihr Begleiter für ein paar Minuten verschwand.
Gelangweilt ließ sie den Blick durch den Raum schweifen. Dort hinten saßen Michaels Eltern, die sie natürlich nicht erkannten. Wieso sollten sie auch. Sie hatten sich schon für sie geschämt als noch alles in Ordnung war. Gerade als ihr einfiel, dass die Leute gar keine Chance hatten sie in diesem Outfit zu erkennen setzte sich jemand neben sie.
„Langweilst du dich?“ Micha versuchte charmant zu lächeln, aber der Blick der immer wieder ihren Körper abtastete war alles andere als charmant. „Du siehst wirklich toll aus!“
„Danke Micha, deine Frau ist aber auch sehr hübsch.“
„Äh ja“ Er bemühte sich darum das Gespräch zu verfolgen. „Aber seit sie schwanger ist hat sich viel bei uns verändert.“
Britta sah ihn abschätzend an „Liebst du sie?“
„Natürlich!“ Er lockerte seine Fliege etwas. „Sie ist eine ganz wunderbare Frau! Sie hat viel Ähnlichkeit mit dir.“ Er versuchte zu lächeln. „Ihr habt beide dasselbe gute Herz, und…“
„Und deshalb hast du mich verlassen?“ Sie zog eine Augenbraue hoch.
„Äh, du hast mir doch verziehn, oder? Ich meine du wärst kaum hier wenn du mir noch böse wärst.“
„Du kennst mich gut genug.“ Beruhigend lächelte sie ihn an.

Eine weitere Stunde später ging einer der Trauzeugen an das Rednerpult. Zehn Minuten lang erzählte er davon, wie er und Micha sich kennen gelernt hatten und machte die üblichen, abgedroschenen Scherze über ihre gemeinsame Vergangenheit. Nachdem er fertig war stand Micha selber auf, bedankte sich ölig bei den Anwesenden und kündigte einen ganz besonderen Gast an.
„Heute Abend wird eine ganz besondere Frau eine Rede halten, ohne die Julia und ich uns nie kennen gelernt hätten. Sie ist nicht nur eine Ehemalige von mir, sondern auch Lektorin bei einem großen Verlag. Und wie der Zufall es wollte hatte meine reizende Julia nicht sie am Telefon sondern mich.“ Natürlich erwähnte er nicht, dass er Julia geschwängert hatte als er Britta mit ihr betrog. Stattdessen zwinkerte er seinen Gästen playboyhaft zu und griff erneut nach der Fliege, wobei er seiner Frau ein Lächeln schenkte, das seine Augen nicht erreichte.
„Meine Damen und Herren: Britta!“
Mit zitternden Händen legte sie die Servierte auf den Tisch und ging langsam auf das Pult zu.
Die letzten zwölf Monate gingen ihr auf dem kurzen Weg durch den Kopf. Sie trat hinter das Mikrofon, die Gäste musternd. Micha hatte seine Hand demonstrativ auf die seiner Frau gelegt. Die Braut starrte immer noch mit steinerner Miene auf Britta, deren Kleid bei jeder Bewegung verführerisch raschelte.
Sie holte tief Luft und fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen.
„Hi! Ich bin Britta und…“ Ja und was eigentlich? Was machte sie hier? Sollte sie das wirklich tun? Ihre Knie waren weich, ihre Füße taten weh und das Kleid hatte eine Monatsmiete gekostet. Verunsichert schaute sie zu Micha, doch der hatte nur Blicke für ihren Körper übrig. Obwohl seine frischgebackene Ehefrau neben ihm saß konnte er es nicht lassen sie anzustieren, zu begaffen. An der Haltung seiner Frau sah Britta dass sie es merkte. Der Schmerz, den sie während ihrer gesamten Beziehung gespürt hatte flammte wieder in ihr auf. All die Tränen die sie wegen ihm vergossen hatte. All die Nächte in denen sie sich selber belogen hatte. All die Qualen die er sie hatte erleiden lassen. Ein letztes Mal holte sie tief Luft und räusperte sich.
„Hi, mein Name ist Britta und ich soll eine Rede für den Bräutigam halten.“ Sie bemerkte die erstaunten Blicke seiner Eltern und seiner Freunde, nahm all ihren Mut zusammen und begann ihre Rede.
„Ich werde sie nicht für dich halten, Micha, sondern an dich. Ich will, dass du weißt, dass ich mich für dich freue, ich wünsche nichts als das Beste für euch beide. Sie scheint eine ältere Version von mir zu sein. Ist sie pervers wie ich?
Würde sie dir im Theater einen blasen? Ist sie wortgewandt?
Sie wird also die Mutter deiner Kinder. Ich bin sicher, sie wird eine wirklich ausgezeichnete Mutter werden.
Ich versteh auch das du mich verlassen hast, denn die Liebe, die du nahmst, die wir machten,
konnte es dir nicht geben, nein.
Und immer wenn du ihren Namen sagst, weiß sie dann, wie du mir gesagt hast, du würdest mich halten bis du stirbst? Bist du stirbst! Aber du lebst immer noch.“ Ihre Augen füllten sich mit Tränen „Und ich bin heute hier, um dich daran zu erinnern welchen Müll du hinterlassen hast, als du fort gingst! Es ist nicht fair mich zu leugnen oder die Bürde aus Schmerz, die ich wegen dir trage.“ Unruhe entstand im Raum, Micha schaute Britta entsetzt an, genauso wie der Rest. Doch das war ihr völlig egal. Durch einen Vorhang von Tränen hielt sie seinem Blick stand.
„Du scheinst dich mit ihr wohl zufühlen alles scheint friedlich bei euch beiden. Mir geht’s nicht halb so gut, ich denke, du solltest das wissen. Hast du mich verdrängt, Mr. Falschheit?
Ich hasse es dich mitten beim Abendessen zu nerven, aber es war ein Schlag ins Gesicht, wie schnell ich ersetzt wurde.“ Wut kam in ihr auf und damit auch die Erleichterung.
„Und? Denkst du an mich, wenn ihr Sex habt? Lachst du dann?
Denn weißt du, der Witz den du flachgelegt hast, das war ich und ich hab nicht vor zu verblassen und zu einem Antiwitz zu werden, sobald du deine Augen schließt, und das weißt du!
Immer wenn ich mit meinen Nägeln den Rücken eines Anderen zerkratze, hoffe ich du fühlst es... Ich hoffe du spürst denselben Schmerz wie ich!“
Sie drehte sich um und verließ den Raum, ließ alles zurück was in ihm war, all das Raunen, all die Schmerzen, Alles.

Die laue Sommernacht umfing sie liebevoll und schmeichelte ihr mit einem warmen Wind, der ihre Tränen trocknete. Hinter ihr brach eine Braut zusammen und eine Hochzeitsgesellschaft wusste nicht mehr was sie sagen oder tun sollte.
Aber das Alles war ihr völlig egal. Heute war sie wie der Schmetterling aus seinem Kokon gekrochen und würde nun ihr Leben leben und genießen.

 

Jou.
Zuerst dachte ich: Der Bräutigam ist ja schön blöd, dass er seine Ex eine Ansprache halten lässt. Aber er rechnet einfach nicht mit deren Offenheit. So schonungslos wie die Worte des werdenden Schmetterlings sind, so zeigst Du uns Lesern, wie leicht Fassaden bröckeln, wie blöd man dasteht, wenn man sich hinter einer solchen versteckt hatte. Zumal zwischen den Zeilen deutlich wird, dass auch die geschlossene Ehe nur eine Fassade ist, die früher oder später zerbröckeln wird.

die Annäherungsversuche eines älteren Herrn, der sich offenbar für George Clooney hielt
:thumbsup:

Bin gespannt auf Deine nächste Geschichte ;)

 

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