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Der Schmetterlings-Effekt/Die Kugel
Der Schmetterlings-Effekt/Die Kugel
Es ist eine Welt voll Terror, in der die Menschen mit Flugzeugen in Hochhäuser rasen, um der restlichen Welt eine Botschaft zu überbringen. Es ist eine Welt voll Horror, in der Menschen andere Menschen in Kellern gefangen halten und quälen bis zum Tode. Es ist eine Welt voll Liebe, in der sich Menschen näher kommen und zärtlich zu einander sind. Es ist eine Welt voll Schmerz, in der die Krankenhäuser überfüllt sind und in der die Hölle keinen Platz mehr hat. Es ist eine Welt, in der Geld mehr wert ist als ein Menschenleben.
Schlägt ein Schmetterling auf der einen Seite der Welt mit den Flügeln, so entsteht auf der anderen Seite ein Sturm.
„Wo ist mein Geld, du Hurensohn?“, fragte der verdammt kleine Don mit auf Billy gerichteter Waffe. „Ich will mein Geld, du verschissenes Arschloch, sofort!“
„Ich hab dein Geld nicht“, antwortete Billy mit zitternder, brüchiger Stimme. „Ich glaube Eddie ist damit abgehauen. Aber es könnte auch …der Chef gewesen sein.“
„Der Chef?“, fragte der Don ungläubig. „Der Chef rennt doch nicht mit meinem Geld davon!“
Billy fand, dass sich der Chef im Moment wie ein kleines Kind benahm, das unbedingt ein Eis haben wollte, aber keins bekam.
Der Don begann zu schreien: „Ich will mein Geld! Ich will mein Geld! Ich will mein Geld!“
„Ich hab es aber nicht!“, schrie Billy zurück. Wahnsinn! Das er sich so etwas traute, wobei er doch an einen Stuhl gefesselt war und der Don ihm gedroht hatte, seinen Schwanz abzuschneiden und ihn ihm in den Mund zu stecken, bis er daran ersticken würde. Aber der Don brauchte Billy, weil Billy wusste, wo das Geld des Dons war. Oder auch nicht. Gangstersachen, waren komplizierte Sachen. Warum war Billy überhaupt in dieses scheiß Geschäft mit eingestiegen?
Weil er einen Freund hatte, der einen Freund hatte, dessen Freund Kontakt zu einem Freund hatte, der die Gangsterbranche gut kannte. Aber wenn dieser sie wirklich so gut kannte, warum hatte er dann Billy rein gelassen, wenn er doch wusste, wie viel Schmerz damit verbunden war. Aber Billy hatte in seiner Zeit bei der Gang schon viel Geld gemacht und konnte damit seine Rechnungen bezahlen und ein üppiges Leben führen. Er hatte keine Freundin und war nicht verheiratet. Er hatte all das Geld für sich.
Genau in diesem Moment löste sich ein Schuss aus dem Revolver des Dons, den er auf Billy gerichtet hatte. Aber die Kugel verfehlte seinen Kopf. Hinter sich konnte er ein Fenster zerbrechen hören. Die Patrone hatte es getroffen und sauste unter dem blauen, wolkenlosen Himmel Richtung Norden. Der Don hatte die Waffe nicht angewinkelt gehalten, sondern waagerecht, sodass das Geschoss eine gerade Flugbahn einschlug. An verschiedenen Häusern der hiesigen Straße, an einer Frau mit Kinderwagen und einem alten Mann mit Gehilfe vorbei. Eine Katze schreckte hoch, als sie den Luftzug an ihrem rechten Ohr wahrnahm.
Nach einer Meile krachte die Kugel durch das Schaufenster eines großen Einkaufzentrums und zerfetzte ein Plüschtier. Federn blieben liegen. Sie durchschlug die drei Millimeter dicke Holzwand und durchquerte das Einkaufszentrum. Sie traf keinen Menschen oder Gegenstand, sondern zerfetzte noch eine Fensterscheibe auf der Nordseite des Gebäudes. Sie flog und flog und flog.
Nach drei Meilen über dem nächsten Highway, kam die nächste Stadt. Zuerst nur einzelne Häuser, zwischen denen sie dahin sauste, dann wurden die Straßen enger und die Gebäude dichter. Der Winde wehte leise leicht dahin. Die Kugel brauste mit halsbrecherischer Geschwindigkeit durch die Stadt und verfehlte dabei alle Leute, die sich zu diesem Zeitpunkt auf der Straße befanden.
Die Kugel flog durch einen Wald, verfehlte jeden Baum. Und kam auf eine Kirmes. Das Riesenrad blinkte und leuchtete in allen möglichen Farben. Das Karussell drehte sich mit konstanter Geschwindigkeit und die Kugel traf.
Dort stand ein kleines Mädchen, höchstens elf Jahre alt, und hielt einen braunen, knopfäugigen Teddybären in den Armen. Ihr Vater stand am Schießstand und zielte auf eine Rose für seine neben ihm stehende Ehefrau. Die Kugel traf genau die Schläfe des kleinen Mädchens und trat auf der anderen Seite mit Gehirnmasse und Blut wieder aus. Die Patrone flog weiter, traf eine Metallstange eines Schießstands, prallte ab und zerfetzte als Querschläger einem kleinen Jungen in Baseballkluft die gesamte Schädeldecke. Dort blieb sie stecken. Eine Blutlache bildete sich unter seinem Kopf, als er auf den Beton knallte und sich auch noch die rechte Gesichtshälfte aufschürfte. Das Mädchen blieb noch ein, zwei Sekunden stehen und fiel ebenfalls tot um. Die beiden roten Pfützen aus Blut verbanden sich und wurden zu einer großen. Die Kugel blieb stecken.
Die Kugel des Dons.
Feuert man auf der einen Seite der Welt eine Kugel ab, kann es auf der anderen Seite zwei Tote geben.
Ende