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Der Schuhanzieher

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24.03.2005
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Der Schuhanzieher

Zum Glück gibt es auf der Welt Menschen, die sich nichts gefallen lassen. Ein solches Exemplar findet sich in dieser Kurzgeschichte von 1996.

Der Schuhanzieher

Schulze sank auf dem Diwan zusammen wie ein Häufchen Elend. "Erzählen Sie mir mehr über Ihr Leben", sagte der Psychologe. "Welches unangenehme Ereignis hat Sie in der letzten Zeit besonders berührt?" "Ach, Herr Doktor, es gibt derer viele! Neulich, als wir uns auf einem Betriebsausflug befanden, fuhr mich mein Chef an, ich möge ihm sofort eine Schachtel Zigaretten besorgen. Er hat mir jedoch kein Geld gegeben." "Also haben Sie es vorgestreckt", schlußfolgerte der Psychologe. "Haben Sie es von ihm zurückerbeten?" Schulze senkte den Kopf. "Bisher hatte ich noch nicht die Gelegenheit dazu..." "Also nicht." deutete der Psychologe. Es hallte von den Wänden wie in einem Gerichtssaal. "Gibt es noch ähnliche Vorfälle dieser Art?" Schulze traute sich kaum zu reden, aber er fühlte, wie ihn diese Augen in Gefangenschaft nahmen. Eine unsichtbare Zwangsjacke legte sich um ihn, die ein Entfliehen nicht ermöglichte. "Gestern", stotterte er, "suchte ich eine Parklücke und fand auch eine schöne. Ich hatte bereits den Rückwärtsgang eingelegt, als sich mir ein anderer Fahrer aufdrängte. Ich bin..." "Ja, ja, weitergefahren." Die Ergänzung hörte sich bereits monoton an. "Herr Schulze!" Die scharfe Stimme des Psychologen ließ ihn zusammenzucken. "Ihre Hemmschwelle liegt viel zu niedrig. Sie müssen ein wenig an sich arbeiten. Lernen Sie, nein zu sagen! Entscheiden Sie spontan, ob Ihnen die Lage entgegenkommt, und fürchten Sie keinerlei Konsequenzen! Wenn Ihnen etwas Berufliches oder Privates nicht schmeckt, so lehnen Sie es sofort ab! Werden Sie bitte forscher, und signalisieren Sie Ihren Mitmenschen, daß diese nicht alles mit Ihnen anstellen können!" Schulzes Mundwinkel zitterten. "Sehen Sie, Herr Schulze, ich weiß, daß sich dies schwer ändern läßt, aber Sie können nichtsdestotrotz selbst an sich arbeiten. Üben Sie zu Hause vor dem Spiegel, bevor Sie sich in die Öffentlichkeit wagen. Sagen Sie sich beim Frühstück, daß Sie sich heute wieder durchsetzen werden. - Sehen Sie den Tisch? Schlagen Sie einmal mit der Faust fest auf ihn!" Schulze tat so wie ihm geheißen. Es klang wie das leichte Abstellen eines Trinkglases. "Fester! - Ja, so ist es schon viel besser! Und nun stellen Sie sich bitte vor, ich sei Ihr Chef. - Schulze, holen Sie mir Zigaretten und eine Zeitung! Was antworten Sie nun?" Schulze war schon versucht, auf Kommando "Jawohl!" zu sagen, aber in letzter Minute erinnerte er sich angsterfüllt an die Ratschläge. Ein zögerliches "Nein." kam über seine Lippen. "Wie bitte?" Er versuchte, ihn auf die Probe zu stellen. "Mit sich überschlagender Stimme rief Schulze: "NEIN!" "Sehr gut, Sie sind auf dem richtigen Weg!" Der Psychologe klopfte ihm auf die Schulter. "Das üben Sie jetzt bitte zu Hause und im wirklichen Leben, und Sie werden sehen, daß Ihre Mitmenschen diese Grenzen auch akzeptieren werden." Der Psychologe stand auf. "Bitte denken Sie immer daran, daß Sie forscher werden wollen." Er suchte mit den Augen die Karteikarte seines Patienten ab. "Ach, bevor ich es vergesse: Wo sind Sie überhaupt krankenversichert?" "Ich bin privat in der Arroganz versichert", antwortete Schulze mit fester Stimme. "Gut, dann werden Sie in Vorlage treten. Ich erlaube mir, Ihnen die Behandlungskosten für die heutige Sitzung in Höhe von DM 8.463,70 in Rechnung zu stellen. Zahlen Sie bar? Rechnung und Quittung liegen für Sie bereit." "Ja, aber", stammelte Schulze, "soviel Geld habe ich doch gar nicht bei mir..." "Dann überweisen Sie es bitte so schnell wie möglich, hören Sie!" "Ja, das werde ich gleich morgen früh tun." "Sehr gut, ich werde nämlich in zwei Wochen die Praxis schließen und nach Mallorca fliegen. Es rentiert sich in diesem Monat nicht mehr. Dieses dumme Punkteprogramm der Kassen, Sie wissen schon." "Natürlich, da müssen Sie schon alles beisammen haben." "So ist es. Dann wünsche ich Ihnen alles Gute, denken Sie an meine Worte und an die Überweisung - und wie gesagt: so schnell wie möglich!" "Ja, das werde ich tun. Auf Wiedersehen, Herr Doktor." Erleichtert verließ Schulze die Praxis. In der unumstößlichen Überzeugung, seine Bewährungsprobe mit Bravour abgelegt zu haben, tat er die ersten Schritte in sein neues altes Leben.

 

Hallo StevieRed,

mit der Rubrikwahl für diese Geschichte kann ich nicht richtig was anfangen. Mir erscheint es eher wie eine Alltagsgeschichte. Oft genug ist es ja so, dass Menschen ihre Grenzen nicht stecken können. So ein Exemplar hast du auch geschildert. Aber wo ist die Gesellschaftskritik?

Dein Text ließe sich wesentlich besser lesen, wenn du uns vor jedem Wechsel der wörtlichen Rede einen Zeilenumbruch gönnen würdest. Dann wäre er nicht so gedrängt.

Erleichtert verließ Schulze die Praxis. In der unumstößlichen Überzeugung, seine Bewährungsprobe mit Bravour abgelegt zu haben, tat er die ersten Schritte in sein neues altes Leben.
Das ist völlig überlüssig. Bei der völlig überzogenen Honorarforderung wird auch der dümmste Leser ohne diese Sätze begreifen, dass sich für Schulze nichts geändert hat.

Ansonsten liest sich der Text recht locker ohne all zu viel Tiefgang.

Lieben Gruß, sim

 

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