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Der Schuss

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12.04.2004
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Der Schuss

Tom legte seine Hand auf Yannis Schulter. Sofort spürte er das Zittern im Körper seines Kollegen. Schweiß perlte funkelnd in Yannis Nacken.
„Tu es! Jetzt! Schieß endlich und mach dem Ganzen ein Ende“, flüstere Tom ihm ins Ohr.
„Ich kann nicht, ich werde es versauen!“, antwortete Yanni mit gesenktem Kopf. Seine Stimme glich einem Krächzen, ängstlich und ohne Kraft.
„Du kannst das!“, sagte Tom. „Jag ihm die Kugel rein und es ist vollbracht. Der Schwarze hat es befohlen. Sieh nur, er wird langsam ungeduldig. Reiz ihn lieber nicht.“
Yanni hob den Kopf, schaute Tom flüchtig an, dann wanderte sein Blick zu dem glatzköpfigen, ganz in schwarz gekleideten Kerl, der ihn aus einigen Metern Entfernung musterte. Sie nannten ihn den Schwarzen, und alle wussten, wie erbarmungslos er sein konnte, wenn man zögerte, seine Anweisungen auszuführen. Die eisgrauen Augen des Schwarzen fixierten Yanni ohne Unterbrechung, dabei sprachen sie ein stille aber eindeutige Sprache: Schieß oder es gibt Ärger!

Tom stupste seinen Freund kräftig gegen die Schulter. Yanni machte einen staksigen Schritt nach vorn, blieb aber sofort wieder stehen und drehte sich um.
„Mach du es“, flehte er Tom an, „du kannst das besser als ich.“
Tom schüttelte den Kopf.
„Du weißt, dass das nicht geht. Jetzt bist du an der Reihe, niemand kann dir diese Arbeit abnehmen.“
Yannis Gesicht war weiß wie Milch, und für einen Augenblick sah es aus, als hätte er das Atmen eingestellt. Der Schweiß lief in Strömen über seine Stirn, sammelte sich auf seiner Nasenspitze und tropfte auf den kurzgeschorenen Rasen, auf dem sie standen. Sein durchgeschwitztes Shirt klebt wie eine zweite Haut an seiner Brust, seine Haare waren so nass, dass sie wie gegeelt aussahen. Aus seinen nervös zwinkernden Augen sprach die Angst vor der schwierigen Aufgabe.
"Jetzt geh und schieß. Reiß dich zusammen, dafür sind wir schließlich hier." zischte Tom seinem Kumpel ins Ohr. Leise genug, damit niemand sie hörte, aber gerade so laut, dass Yanni die Worte bis ins Mark trafen. Die ganze Zeit war Yanni klar, dass er keine andere Wahl hatte. Niemand würde kommen, um ihn die Last abzunehmen. Keinem, außer ihm selber, war es erlaubt, diesen finalen Schuss abzugeben. Sein Freund hatte Recht, er war an der Reihe und sonst niemand.

Der Schwarze hatte einen Arm in die Luft gereckt, der Zeigefinger deutete schnurgerade in den bewölkten Himmel. Den anderen Arm hatte im er rechten Winkel vom Körper gestreckt, mit dem zweiten Zeigefinger fixierte er einen Punkt auf der Wiese. Yanni wusste, dass er nicht mehr viel Zeit hatte, bevor der Schwarze wütend auf ihn losstürmen würde.

Tom stellte sich direkt vor ihn, packte unauffällig den Kragen des königsblauen Shirts und zog ihn langsam zu sich heran.
„Beruhige dich Yanni! Hole tief Luft, atme ruhig, dann gehst du und schießt. Du bist unser Anführer, du wirst es schaffen und die Sache beenden. Denk an Hamburg oder Frankfurt, da hast du es auch geschafft.“
„Da war was anderes.“ stammelte Yanni.
„Nein,“ entgegnete Tom, „es ist genau das Gleiche. Geh, schieß und dann gehen wir alle nach Hause!“

Yanni starrte wie hypnotisiert in die Augen seines Freundes. Tom kam es wie eine halbe Ewigkeit vor bis Yanni sich wieder regte und ganz langsam begann, mit dem Kopf zu nicken.
„Ja!“ murmelte er leise.
„Ja!“ wiederholte er etwas lauter.
Schließlich riss er die Augen weit auf und brüllte: “Ja!“
Ruckartig befreite er sich aus Toms Klammergriff, der einen Schritt zurücktaumelte und vor Überraschung fast gestolpert wäre. Yanni deutete dem Schwarzen mit seinem ausgestreckten Daumen an, dass er nun bereit sein. Ein tausendfaches Blitzen blendete Yanni, als er sich mit energischen Schritten dem Punkt des Geschehens näherte. In der Luft grollte es wie von einem nahenden Gewitter.

Direkt vor einer Kreidemarkierung blieb Yanni stehen. Im gleichen Moment erstarb das laute Grollen. Yanni drehte sich um, warf Tom ein siegessicheres Lachen zu, danach ließ er seinen Blick durch das weite Rund der Betonschüssel gleiten. Bunt bemalte Gesichter waren in gespannter Erwartung erstarrt. Fahnen hingen schlaff herunter und selbst die Brezelverkäufer und redseligen Journalisten beobachteten stumm die Szenerie. Nichts war mehr zu hören von den martialischen Schlachtgesängen und dem rhythmischen Klatschen. Alles starrten auf die wenigen Quadratmeter des sattgrünen Rasens. Yanni wandte sich seinem Gegner zu, der elf Meter entfernt von ihm stand und den Schuss erwartete.
Yanni musterte ihn von oben bis unten, fixierte seinen Blick auf die Augen des baumlangen Mannes, der immer wieder zwinkerte und sich mit seinen klobigen Handschuhen nervös über die schulterlange Mähne strich.

Eine lähmende Stille legte sich über alle Beteiligten. Die Sekunden bis zum Pfiff des Schwarzen verstrichen quälend langsam und schienen sich endlos zu ziehen.
Dann ertönte das Signal!
Ein Blitzlichtgewitter erhellte das Stadion.
Yanni zögerte nur den Bruchteil einer Sekunde, dann lief er an und schoss den Ball unhaltbar in den Winkel des Tores.

 

Fosca schrieb:
Tom stupste seinen Freund kräftig gegen die Schulter. Yanni machte einen staksigen Schritt nach vorn, blieb aber sofort wieder stehen und drehte sich um.
„Mach du es“, flehte er Tom an, „du kannst das besser als ich.“
Tom schüttelte den Kopf.
„Du weißt, dass das nicht geht. Jetzt bist du an der Reihe, niemand kann dir diese Arbeit abnehmen.“

Yannis Gesicht war weiß wie Milch, und für einen Augenblick sah es aus, als hätte er das Atmen eingestellt. Der Schweiß lief in Strömen über seine Stirn, sammelte sich auf seiner Nasenspitze und tropfte auf den kurzgeschorenen Rasen, auf dem sie standen. Sein durchgeschwitztes Shirt klebt wie eine zweite Haut an seiner Brust, seine Haare waren so nass, dass sie wie gegeelt aussahen. Aus seinen nervös zwinkernden Augen sprach die Angst vor der schwierigen Aufgabe.
"Jetzt geh und schieß. Reiß dich zusammen, dafür sind wir schließlich hier." zischte Tom seinem Kumpel ins Ohr. Leise genug, damit niemand sie hörte, aber gerade so laut, dass Yanni die Worte bis ins Mark trafen. Die ganze Zeit war Yanni klar, dass er keine andere Wahl hatte. Niemand würde kommen, um ihn die Last abzunehmen. Keinem, außer ihm selber, war es erlaubt, diesen finalen Schuss abzugeben. Sein Freund hatte Recht, er war an der Reihe und sonst niemand.

Hallo Fosca,

finde ich echt gut, deinen Text.:thumbsup:
Aber natürlich gibt es auch was auszusetzen: Oben im Zitat habe ich den wesentlichen Inhalt fett gesetzt, mehr braucht's da nicht.
Wenn ich ehrlich sein soll, wollte ich zunächst bei dem Absatz aufhören, habe dann aber das Ende gelesen und weitergemacht. Für eine Kurzgeschichte hast du dich in diesem Absatz ein wenig verloren.
So wie ich es sehe, wird eine der wichtigen Übungen für dich in der nächsten Zeit das Kürzen sein. Viel Spaß dabei, ich trainier das auch gerade.

Gruss
Uwe

 

Hallo Fosca,

auch ich finde den Text sehr gelungen. Und das, obwohl es ein typischer Pointentext ist. Mit einer hamrlosen Auflösung hatte ich den Text über zwar schon gerechnet, war aber gespannt, welche das wohl sein würde. Und das, wo der Fusßballsport doch vor Kriegsberiffen nur so wimmelt. Hätte ich ja eigentlich drauf kommen müssen. ;)

uwe-001 schrieb:
Aber natürlich gibt es auch was auszusetzen: Oben im Zitat habe ich den wesentlichen Inhalt fett gesetzt, mehr braucht's da nicht.
Einspruch: Auch Kurzgeschichten dürfen atmosphärische Schilderungen haben. Ich wehre mich entschieden gegen den Einheitsbrei der angesichts solch "guter Tipps" nur noch zustande kommen kann.

Lieben Gruß, sim

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Fosca!
Mir gefällt alles an der Story.
Obwohl ich kein Fußballer bin.
Läßt sich sehr gut lesen und der Schluß ist auch voll gelungen.
Gruß Charly

 

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