Der Schuss
Die Straßenbahn hielt an. Gespannt betrachtete er die einsteigenden Leute. An jeder Haltestelle konnte ein Kontrolleur einsteigen. Glück gehabt. Ein paar alte Weiber, die am tratschen waren, und ein kleiner Junge. Etwa 12 Jahre, schätzte er. Egal. Keiner von denen konnte ein Kontrolleur sein. Nur noch eine Haltestelle zwischen ihm und seinem Ziel. Die Türen schlossen sich quietschend und die Straßenbahn fuhr los. Die Waggons waren total überfüllt. Wenn an der nächsten Haltestelle einer von diesen Kontroll-Arschlöchern einsteigen würde, hätte er es schwer. Er stellte sich genau in die Mitte eines Waggons. Zwischen zwei Türen. So war der Weg vom Schaffner bis zu ihm am längsten. Egal wo er rein kam. Die Leute standen dicht an dicht. Jeder wirkte beschäftigt. Er war sicher nicht der Einzige. Egal. Es war nicht das erste mal und bisher war nie was passiert.
Das Haltesignal leuchtete auf. Die Bahn am zum Stillstand, die Türen glitten, wieder mit einem grässlichen Quietschen, auf. Wieder beobachtete er alle, die einstiegen. Schon wieder Glück gehabt. Nur eine Gruppe von bescheuerten Fußballfans, die lauthals irgendwelche unverständlichen Schlachtgesänge grölten. Heute musste sein Glückstag sein. An der nächsten Haltestelle musste er raus. Er drängte sich durch die Menschenmasse in Richtung Ausgang. Vor den Türen blieb er stehen und starrte nach draußen. Er sah Autos, die vorbei fuhren, sah Straßenlampen, Fußgänger. Großstadt eben. Es kotzte ihn an. Alle taten ganz beschäftigt. Keiner interessierte sich für die anderen. Aber er war, ehrlich gesagt, auch nicht besser. Im Gegenteil. Die meisten waren für ihn nur Abschaum. Abschaum den man am besten schnellst möglich entsorgte. Aber er war ein Teil dieses Abschaums. Jedoch nicht mehr lange. Er wollte etwas besseres machen. Er hatte die Schnauze voll von dem Scheiß, den er machte. Er war so in Gedanken vertieft, dass er das Haltesignal nicht bemerkte und so verlor er fast das Gleichgewicht, als die Bahn etwas abrupt zum Stehen kam. Und wieder quietschten die Türen. Er stieg schnell aus. Ein Gedanke sagte ihm, er solle sich noch mal umdrehen und in die Bahn sehen. Heute musste echt sein Glückstag sein. Er konnte von draußen beobachten wie ZWEI Schaffner gerade die Passagiere kontrollierten. Und wäre er auf seinem Platz in der Mitte des Waggons stehen geblieben, wäre er jetzt gefickt gewesen. Die zwei Penner hätten ihn genauso in die Zange genommen, wie sie es jetzt mit den anderen machten. Ha! Heute musste echt sein Glückstag sein. Er sah der Bahn nach wie sie davon fuhr. Dann setzte er sich in Bewegung. Schließlich hatte er heute noch was vor. Er ging vorbei an Autos Straßenlampen, Fußgängern. Er lief durch deine typische Großstadt. Es war schon ziemlich dunkel für diese Uhrzeit. Es wurde langsam Winter. Er war auch ziemlich kalt heute. Aber das war ihm egal. Er hatte sich warm angezogen. Er lief weiter und kam an eine Ampel. Rot. Scheiß egal Er blickte kurz nach links und nach rechts. Kein Auto in Sicht. Dann lief er über die Straße. Er hatte keine Zeit stehen zu bleiben. Ein paar Rentner, die an der Ampel stehen geblieben waren, schauten ihn ganz komisch an. Was regten die sich auf. Die waren ja auch mal jung. Und er bezweifelte, dass auch nur einer von denen sich immer an alle Regeln und Gesetze gehalten hatte. Sie waren sich schon mal schneller gefahren als erlaubt. Das war auch nicht viel besser, als bei rot über die Ampel zu laufen. Wenn auch nur einer die Fresse aufreißen würde, er würde ihm eine reinhauen. Egal ob Rentner oder nicht. Er konnte es absolut nicht ausstehen, wenn irgend jemand, egal wer, meinte ihm etwas vorschreiben zu müssen. Aber keiner sagte was. Er beschleunigte seinen Schritt und lief weiter. Vorbei an Autos, Laternen und Häusern. Jetzt bog er ab, in eine Straße in der es keine Laternen gab. Es war eigentlich auch keine richtige Straße. Mehr eine Gasse. Auf der anderen Seite lehnten ein paar Gestalten gegen eine Hauswand. Sie beobachteten ihn. Aber solange er sie in Ruhe ließ, würden sie ihn auch in Ruhe lassen. Er spürte ihre Blicke. Er tat so, als würde er sie nicht bemerken. Er ging einfach weiter, ohne sie jedoch aus den Augen zu lassen. Natürlich beobachtete er sie nur aus den Augenwinkeln. Jetzt hatte er das Ende der Gasse erreicht und bog um die Ecke. Er fühlte sich auf einmal viel besser. Jetzt war er wieder auf einer beleuchteten Straße angelangt. Das Straßenschild, a dem er vorbei lief, las er nicht. Es war ihm egal wie die Straße hieß. Im Moment war er nur froh, dass er heil an diesen Gestalten vorbei gekommen war. Ganz wohl war ihm bei den Typen nicht gewesen. Aber er hatte schon wieder Glück gehabt. Ein Glückstag eben. Er lief weiter. Vorbei an Autos, Lampen, Passanten. Lief durch die Großstadt. Seine Armbanduhr piepste. Scheiße! Er hatte nur noch zehn Minuten um ans Ziel zu gelangen. Wieder beschleunigte er seinen Schritt, rannte schon fast. Ein paar Passanten guckten ihn schief an, weil er so hetzte. Egal. Er hatte es jetzteilig. Noch zwei Blocks. Er rannte. Vorbei an Autos, Laternen, Häusern. Rannte eine Gruppe Jugendlicher fast über den Haufen. Egal. Er schaute nicht mal zurück, um zu sehen ob sich vielleicht jemand verletzt hatte. Das war sowieso nur Abschaum. Er lief über eine Straße, wurde fast von einem wild hupenden Autofahrer überfahren. Jetzt war er fast am Ziel, nur noch ein Häuserblock. Er wurde etwas langsamer. Jetzt hatte er schon wieder fast zu viel Zeit. Man konnte das Haus schon sehen. Er kam ihm immer näher. Nur noch zweihundert Meter. Es wurde jetzt immer mehr von dem Gebäude erkennbar. Nur noch hundert Meter. Hier waren keine Straßenlampen mehr. Und die Autos waren Schrott. Egal. Er war fast am Ziel.
Er lief weiter. Jetzt war er direkt davor und blieb einen Augenblick lang stehen, um sich das Gebäude anzusehen. Es war eigentlich abrissfertig Es war unbewohnt. Was auch verständlich war. Teilweise fehlten ganze Außenwände und das Dach war auch ziemlich kaputt. In diesem Haus sollte er ihn treffen. Hieß es. Erstes Obergeschoss, erste Wohnung rechts. Langsam betrat er das Haus. Die Haustür fehlte. Er ging jetzt nur noch ganz langsam, da er sich sorgfältig umsah und aufpassen musste wo er hintrat. Die Treppe nach oben lag direkt vor ihm. Sie war komplett aus Holz und machte keinen sehr stabilen Eindruck. Aber sie hielt seinem Gewicht stand, als er sie betrat. Er fürchtete sich. Jede Stufe konnte brechen. Alle knirschten unheilvoll. Aber drückte sich dicht an die Wand und kam so auch heil oben an. Die Wohnung rechts war direkt vor ihm. Ob er schon da war? Entschlossen betrat er den Raum. Vor ihm stand ein Typ und drehte ihm den Rücken zu.
„Da bist du ja. Du bist zu spät.“
„Ich weiß. Tut mir leid.“
Jetzt drehte sich der Kerl um.
„ Hast du es?“
„Ja.“
„Gib es mir.“
„Gut. Aber das war das letzte Mal.“
„Okay. Jetzt gib her.“
Zögernd zog er das Päckchen aus der Tasche und drückte es ihm in die Hand.
„ Da hast du es. Jetzt gib mir mein Geld und dann sehen wir uns nie wieder.“
„ Ja ja. Ich werde dir sogar nen kleinen Bonus geben. So ne Art Abfindung.“
Für einen Augenblick konnte er sich ein Grinsen nicht verkneifen. Dann steckte er seine rechte Hand in die Tasche. Als er sie wieder rauszog, schoss er.