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Der Schutzengel
Da ist sie. Dort läuft sie. Zum Anfassen nahe... für mich jedoch unerreichbar. Sie könnte genau vor mir stehen und würde mich trotzdem nicht sehen. Ich kenne jede Facette von ihr, sie weiß gar nichts von mir. Rund um die Uhr bin ich an ihrer Seite doch nie hat sie mich auch nur einmal bemerkt. Nach meinen Gefühlen ist sie eine der wunderbarsten und schönsten Personen die je auf Erden gelebt haben. Ich bin ihr Schutzengel, eine körper- und leblose Seele die nur dann in das Leben eines Menschen eingreifen kann um dessen Leben zu retten... und ich liebe sie. Diese Liebe, sie stärkt mich, sie schwächt mich, sie baut mich auf und zerreißt mich gleichzeitig. Sie gibt mir Hoffnung und zerstört meine Träume. Den einen oder anderen könnte diese Zuneigung verwirrend vorkommen da ich eine leblose Gestalt bin da ich keinen festen Körper besitze um zu leben und wie können leblose Sachen lieben? Die Antwort, so denke ich, ist recht simpel. Ich bin zwar eine körperlose Seele doch wo könnte ein so wunderbares und gleichzeitig vernichtendes Gefühl wie die Liebe anders entstehen als im Atem Gottes selbst... in der Seele.
Jeder hat von Geburt an einen Schutzengel. Ich war von Anfang an der ihrige. Zuerst empfand ich nur die normale Zuneigung zu einem Kind. Doch dann wurde sie erwachsener, älter und reifer und meine Zuneigung wandelte sich in Liebe. Liebe, die ein Traum und eine Qual für mich ist. Ich bin jeden Tag, um jede Uhrzeit, an jedem Ort bei ihr und sie bemerkt es nicht einmal. Ich würde sie so gerne berühren, ich würde so gerne mit sprechen können doch nie ist mir dieses Glück vergönnt gewesen.
Bitte nimm mich nur einmal wahr. Bitte nur ein einziges Mal.
Eines Tages hatte sie einen Freund. Ein Mistkerl schlechthin. Ich fand heraus, dass er sie von vorne bis hinten betrogen und ausgenutzt hatte. Ich wollte sie warnen um sie zu retten, zu beschützen doch es ging nicht um ihr Leben und deshalb konnte ich nichts tun. Wenn sie sich trafen wollte ich sie zurückziehen, fort von diesem Widerling doch ich konnte nicht. Meine Verzweiflung wuchs in diesen Augenblicken. Sie küssten sich und meine Wut, ach was, mein Hass auf diesen Kerl überschritt alle Grenzen. Sie liebte ihn leider wirklich doch er spielte mit ihren Gefühlen wie es ihm gefiel. Er beschmutzte und benutzte sie und alles unter dem heiligen Schein der Liebe. Er hat dieses Gefühl was hinter dem Wort Liebe steckt in den Dreck gezogen, für seine Absichten missbraucht und als er damit fertig war ließ er sie links liegen und kümmerte sich einen Dreck um ihre nun gebrochene Liebe. Es folgte eine harte Zeit der Trauer. Sie weinte tage und nächtelang diesem Mistkerl hinterher. Ich wollte sie in den Arm nehmen und trösten. Einfach für sie da sein. Nur ich konnte sie nicht berühren. Ich bin ein Schutzengel, sie ein Mensch. Und das ist mein Fluch. Ich hatte nie etwas von Gott verlangt, bis dieses eine Mal...
Lass mich sie trösten Herr, bitte. Es zerreißt mich sie so zu sehen. Lass mich zu ihr.
Doch nichts geschah.
Es dauerte eine ganze Zeit doch sie kam über diesen Mistkerl hinweg und verliebte sich erneut. Diesmal in einen anständigen Mann der sie wirklich liebte und dem ihre Gefühle nicht egal waren. Sie hatte ihre große Liebe endlich gefunden... und ich war es nicht. Es war eine Erleichterung und eine Qual zugleich für mich sie in den Händen dieses doch ehrlichen Mannes zu sehen. Ich fand mich bereits mit meiner Rolle des verliebten und doch passiven Beobachters ab als ich etwas entdeckte.
Ich kann ihre Träume beeinflussen!
Wenn sie schläft kann ich in ihre Traumwelt gelangen und ihre Träume nach meinen Wünschen variieren. Ich lasse sie nun jede Nacht denselben Traum träumen und der geht so:
Eine große Halle. Leer. Leer und still. Die Decke ist vergoldet. Ein riesengroßer Kronleuchter wacht von der Decke und verteilt sein Licht sanft durch den gesamten Raum. Der Boden besteht aus weißem Marmor und spiegelt die Decke in all ihrer Pracht wieder. Die Wände... es gibt keine. Große, rote Seidenlaken die von der Decke kommen begrenzen den Raum. Hier und dort wellt sich leicht ein Laken, ergriffen von einem verirrten Luftzug.
Sie kommt in den Saal. Gekleidet in einem wunderschönen, weiten, weißgoldenen Kleid. Jemand in einem edlen Anzug kommt auf sie zu. Der Jemand... das bin ich. Ich fordere sie zum Tanzen auf und sie willigt ein. Und so tanzen wir die ganze Nacht zu Musik die wie durch reinste Magie aus unseren Herzen zu kommen scheint. Am Ende halte ich sie in meinem Armen und wir schauen uns beide tief in die Augen. Unsere Köpfe nähern sich und am Ende berühren sich unsere Lippen zu einem Kuss der auf seine Weise die ganze Liebe zum Ausdruck bringt die ich für sie empfinde. Genau wie die Liebe die sie in den Träumen für mich fühlt.
Am nächsten Morgen kann sie sich nicht mehr an den Traum erinnern. Doch das ist mir egal. Ihre Träume sind meine Chance.
Dadurch fühle ich die Liebe.
Dadurch fühle ich mich endlich einmal... lebendig.