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Der Selbsthass kommt ins Haus
Das kleine Mädchen stand neben der Couch im Wohnzimmer und bewegte sich nicht. Der Boden war beinahe knöcheltief mit gerinnendem Blut bedeckt, sie stand mit nackten Füßen darin.
Sie machte einen Schritt.
Sie sog die abgestandene Luft ein. Es stank nach dem Blut.
Metallischer Geruch.
Ja, es roch nach Tod, sie wusste es. Sie war kaum größer als der Sessel
neben dem sie stand und dennoch war ihre Präsenz beinahe greifbar in dem Raum, ein kleines Mädchen im verschmierten weißen Kleid, barfuß, mit blutigen Händen.
Langsam setzte sie sich in Bewegung und betrat durch die Tür den nächsten Raum.
Hier waren nur noch kleine, fast braun wirkende Pfützen des Blutes zu sehen,
und auf dem hellen Fliesenboden hinterließen ihre Füße eine dunkle Spur.
Sie hielt inne.
Die Stille um sie herum war vollkommen, nichts in diesem Haus, auf dieser Erde schien noch Lebensatem zu besitzen, die Zeit schien irgendwo verloren gegangen zu sein.
Auch sie hielt einen Augenblick lang den Atem an, und für diesen Moment gehörte sie zu dieser Welt, war ein Teil von ihr, eine tote Puppe, leblose Hülle.
Dann atmete sie ein und betrachtete den nächsten Raum.
Die hohe, weiße Wand war mit einem Musterbedeckt, in leuchtendem Rot gehalten.
Kleine Tröpfchen, die ein großartiges Bild formten, vollkommener und ausdrucksstärker als jeder lebende Künstler es je vollbringen hätte können.
Sie ging darauf zu, streckte ihre zarte Hand aus und hielt wenige Zentimeter vor dem atemberaubenden Kunstwerk inne. Sie zog die Hand zurück und machte einen Schritt auf die Glastür zu, die zu einem gefliesten Anbau führte und in dem sich ein Wasserbecken befand.
Das Mädchen fuhr mit den Fingern über die Glastür und hinterliess einige blutige Striemen auf dem sowieso schon befleckten Glas.
Sie öffnete die Tür vorsichtig, beinahe sanft und stieg die Treppen zu dem Becken hinab, in dem Wasser schimmerte...rot.
Ja.
So war es gut.
Sie wusste, dass es gut war. Denn dort, auf dem Grund des Beckens schlief eine wunderschöne Frau.
Sie sah zu, wie ihr Haar ihr Gesicht umwehte, und betrachtete den blauen Mund, der durch das rote Wasser lila, beinahe schwarz erschien und die leicht geöffneten Augen, die bewegungslos vor sich hin starrten.
So war es gut.
Sie setzte sich an den Rand des Beckens und tauchte ihre Füße ins Wasser.
Kleine Blutgerinnsel lösten sich von ihnen und trieben ziellos auf dem Wasser umher.
Sie beobachtete sie.
Von Zeit zu Zeit stieg eine kleine Luftblase aus dem geöffnten Mund der schlafenden Frau.
Und es war ruhig.
Und wie immer spürte sie, dass Stille etwas war, was sich an sie heranpirschte, etwas, das sich heranschlich und alles andere verdrängte.
Etwas großes.
Sie mochte diese Stille.
Diese Stille mit dem metallischen Geruch und der roten Farbe.
Sie stand auf, weil sie ihre Beine nicht mehr spürte. Dann drehte sie sich um und ging zurück durch das Zimmer mit dem blutigen Kunstwerk und bog in den Flur ein.
Dort stand ein großer Spiegel.
Oh, wie sie Spiegel hasste.
Erstarrt blieb sie vor ihm stehen.
Wie immer stand dieses fremde Kind vor ihr.
Das Mädchen starrte es an.
Dann hob sie ihre Hand und berührte die Hand dieser widerwärtigen Kreatur, die ebenfalls ihre Hand gehoben hatte.
Mit beiden Händen begann sie nun, den Spiegel mit Blut zu verschmieren.
So war es besser.
Aprupt wandte sie sich ab und schritt den Flur entlang.
Ihre Schritte hallten leise.
Hier saß ein kleiner Junge an der Wand.
Er war kaum älter als sie.
Sie ging in die Hocke und strich ihm zärtlich eine Strähne des hellen Haares aus der Stirn.
Er hatte Flügel.
Rote, glänzende Flügel, an die Wand gezeichnet mit geradezu göttlicher Perfektion.
Ein Engel mit blutigen Schwingen.
Sie lächelte und stand auf.
Die letzte Tür des Erdgeschosses befand sich nun zu ihrer Rechten.
Sie musste nicht hineinsehen um zu wissen, dass dort ein junger Priester schlief, der schon vor langer Zeit eingeschlafen war.
Sie wusste, dass sein Gesicht, nun kaum noch als solches zu identifizieren, traurig und gequält zu Boden blickte.
Ja, er war der Erste gewesen, der eingeschlafen war.
Dank ihr.
Das Mädchen half allen hier, einzuschlafen.
Es war gut so.
Sie wusste es.
Sie wandte sich ab von der Tür und begann, die hölzernen Stufen hinaufzusteigen, die in das Obergeschoss führten.
Noch immer wagte kein Laut, die vollkommene Stille zu durchbrechen.
Aber das war auch nicht nötig.
Denn dies war jetzt ihr Haus.
Niemals wieder würde es hier laut werden.
Nie!!
In diesem Stockwerk gab es nur zwei Türen.
Eine war aus kaltem, reflektierenden Eisen und verschlossen.
Sie drehte den steckenden Schlüssen im Schloß um und betrat den Raum, in dem eisige Kälte herrschte.
Frost überzog die eisernen Wände und sie konnte ihren Atem beobachten, wenn er beim Ausatmen gefror.
In diesem Raum schliefen zwei Menschen.
Einer, ein erwachsener Mann von kräftiger Statur, saß zusammengekauert in der ihr gegenüberliegenden
Ecke. Sein Gesicht wirkte finster und seine Hände waren zu Fäusten geballt.
Sie lächelte ihm zu und ging auf die andere Person zu, die von nun an hier wohnte.
Es war ein jugendliches Mädchen, gekleidet in schwarz.
Das Auffälligste an ihr waren die Ketten um ihre Handgelenke,
die das Mädchen an der Wand festketteten.
Sie ging näher an die Schlafende heran und während sie sie ansah, begannen deren Arme aus unsichtbaren Wunden zu Bluten.
Sie betrachtete das Blut, das an den Wänden herunterlief und dort gefror.
Auch dies war gut.
Dies Mädchen hatte sie gerufen, hatte sie hierher gebracht, in ihr Haus, das jetzt nicht mehr dem Mädchen gehörte.
Es gehörte nun ihr.
Und sie hatte letztendlich auch das Mädchen zum Schlafen gebracht.
Sie konnte sie alle einschläfern.
Ja.
So war es gut.
Und sie drehte sich um, stiess die Eisentür auf und liess sie offen, auf dass die Kälte von dem Haus Besitz ergreife.
Sie lief in den letzten Raum des Hauses.
Ihr Raum.
Der Raum, wo auch sie sich schlafen legen durfte.
Endlich.
Damit das ganze Haus schlief.
Dort befand sich eine Badewanne, gefüllt mit heissem Wasser, das in der kälter werdenden Luft dampfte.
Sie stieg in die heisse Wanne ohne sich auszuziehen und setzte sich in das Wasser, ohne den geringsten Schmerzlaut.
Dort nahm sie den kleinen Skalpell, das links auf dem Beckenrand lag.
Das kleine Mädchen lächelte ihn an.
So war es gut, so sollte es sein.
Sie setzte ihn ohne zögern an ihrer rechten Schlagader an und zog ihn so fest sie konnte ihren Unterarm entlang.
Dies wiederholte sie mit ihrem linkem Arm.
Zufrieden liess sie beide Arme in das heisse Wasser sinken und beobachtete den Dampf, während sie müde wurde.
So unendlich müde.
Und dann schlief auch sie, langsam, ganz langsam ein. Endlich.