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Der Sohn

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16.10.2004
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Der Sohn

Am Morgen-
Am Morgen fanden die Eltern den Sohn in seinem Zimmer erhängt. Der Vater stand da und wollte nichts verstehen, bald aber begann die Mutter zu schreien. Es dauerte lange, eh die Polizei gerufen wurde.
Vor dem Haus hielt ein Wagen und die Leute versammelten sich neugierig.
Der Fall war klar. Einen Abschiedsbrief gab es nicht, nur zwei Wörter:"Ich muss".
Als der Leichenwagen kam, trug man ihn mit den Füßen zuerst heraus, wie es üblich ist. Der Kommissar stellte noch einige überflüssige Fragen, als ob er einen Schuldigen finden wollte, was nicht seine Aufgabe war.
Man rief einen Psychologen, dass er sich der Eltern annehme. Die Furcht der Leute vor den Tränen der Eltern besiegte ihre Schaulust, und die Menge verzog sich. Man sagt, die Eltern blieben zuerst bei weit entfernt lebenden Verwandten oder sie seien in psychiatrischer Behandlung. Nur einmal kamen sie wieder, das war, als sie auszogen. Sie standen da und schauten den Fuhrleuten zu, wie sie alles aus dem Hause trugen. Eine furchtbare Ruhe ging von ihnen aus. Kein Nachbar erschien, ihre Angst war zu groß.
Nur die Gardinen bewegten sich, aber die Eltern sahen es nicht, sie sahen gar nichts mehr.
Mit der Zeit wurde die Furcht der Leute kleiner und sie begannen im Stillen darüber zu tuscheln, was wohl der Grund für das Schreckliche gewesen wäre. Am Beginn jeden Gespräches dieser Art beteuerte man sich gegenseitig, wie schrecklich und unvorsehbar das Geschehnis gewesen sei und der Form halber frug man sich, wie es den armen Eltern wohl ginge. Dann aber begann der eigentliche Teil des Gespräches.
Jeder frug den Anderen, was er glaube, was der Grund für diese Tat gewesen wäre. Und zögerlich, dann aber immer lebhafter begannen die Leute die Möglichkeiten zu erörtern, neue Theorien aufzustellen, andere zu erwägen, wieder andere zu verwerfen.
Wenn dann ein Kind zufällig hineinkam, verstummten die Leute, aber gewöhnlich ergriff einer aus der Runde der Erwachsenen das Kind unterm Kinn und frug es mit forschendem und besorgtem Blicke, ob es denn auch brav gewesen sei. Wenn dann das Kind mit einem Kuchenstück weglief, oder auch ohne, war es froh, dass es nicht weitere blöde Fragen beantworten musste. Dabei schauten ihm die Älteren nach und einer sagte gewöhnlich: "Nein, normal war das nicht."
Wenn dann die Leute doch weiter rätselten, was der Grund für diese Tat gewesen wäre, so wurde Vielerlei geäußert.
"Ich habe gehört, er sei drogensüchtig gewesen", sagte die eine.
"Nein, nein, er war einfach verrückt," meinte ein anderer, "Wisst ihr, man hat sich über ihn lustig gemacht, er war ein Trottel."
"Ja, ja, er war wohl einsam, sagt man-" sprach ein weiterer. "Da habe ich aber Anderes gehört, er war ein Perverser, ein Monster," widersprach der nächste "Es ist gut, dass er sich umgebracht hat, sonst hätte er noch irgendwem was angetan." "Ach, du weißt doch gar nicht, was du da redest," unterbrach ihn dann gewöhnlich seine Frau "vielleicht war er einfach unglücklich verliebt", ohne zu bedenken, dass das vielleicht dasselbe war.
Und Vieles sprach man in trauter Runde, da aber die Stadt groß war und die Nachbarn sich nicht sonderlich um einander kümmerten, hatte niemand den Sohn wirklich gekannt und irgendwann schwieg die Runde wieder, nicht ohne zuvor ihr Bedauern ausgedrückt zu haben, und wandte sich einem anderen Thema zu.
Und wie es sein muss, sprachen die Leute immer seltener darüber und vergaßen den Fall mit der Zeit.
Aber eines Tages fand ein Kind auf dem Dachboden des Hauses einen Kasten mit einer Schreibmappe.
Weil es jedoch erst seit kurzem lesen konnte und die Schrift nicht zu entziffern vermochte, brachte es den Kasten mit der Mappe seiner Mutter. Was in der Mappe stand, war aber so unerhört, dass es, obwohl es wirr und unfertig schien, beachtet werden musste, zumal die schreckliche Tat des Sohnes jenem ja in gewisser Weise eine Bedeutung zumaß.
Weil aber die Leute so Unerhörtes nicht hören wollten, wurde es Gebot unter den Nachbarn, sobald sie es einmal im Geheimen gehört hatten, niemals darüber nicht zu sprechen, und falls einer dann doch auch nur den Namen des unfruchtbaren Geschlechtes erwähnte, ohne selbst an das Unerhörte zu denken, etwa weil er vorgab, etwas von den Eltern zu wissen, blickten ihn die anderen so an, dass er bald verstummte.
So wurde die Geschichte vergessen, und doch nicht vergessen, denn wer weiß, ob nicht manch einer in schlafloser Nacht an das Unerhörte dachte, wovon niemand sprechen durfte, und sich frug, ob ihm auch Solches zustoßen könnte.
Einer muss jedenfalls daran gedacht haben, denn irgendwann fand sich auf den schwarzen Stein des verwahrlosten Grabes des Sohnes am Rande des Friedhofes dahingelegt, wo niemand vorbeiging und wenn doch, dann nur ungern, ob aus Furcht vor den Göttern, ob aus schlechtem Gewissen, ob aus unnützem Mitleide, ob aus irgendeinem anderen rätselhaften Grunde, eine weiße Rose.

 

Tja, so weit okay, doch lässt mich Deine Geschichte recht unbefriedigt zurück.
Sicherlich hast Du beabsichtigt, dass man nicht erfährt, warum der Junge sich umgebracht hat - die lieben Nachbarn reden ja schließlich nicht darüber.
Allerdings hätte ich mir schon gewünscht, die Bedeutung der Rose zu erfahren.
Immerhin erzählst du ja nicht als Nachbar und wie ich meine, würde dieser Umstand eine Auflösung oder wenigstens ein paar Hinweise darauf durchaus zulassen.

*LG* Fnypsi

 
Zuletzt bearbeitet:

Ich habe diese Geschichte irgendwann in einer Nacht in einer halben Stunde niedergeschrieben, sie floss mir aus der Hand. Das Seltsame ist, dass ich kaum ein Wort an ihr ändern kann.

Sie ist in der Tat sehr offen. Für mich persönlich hat sie natürlich schon eine Bedeutung, ich vermag nicht zu beurteilen, inwieweit diese sichtbar werden kann.

Ich schreib mal hier einige Schlüsselsätze für mich heraus:

1. Als der Leichenwagen kam, trug man ihn mit den Füßen zuerst heraus, wie es üblich ist.

2.Man rief einen Psychologen, dass er sich der Eltern annehme

3.... aber gewöhnlich ergriff einer aus der Runde der Erwachsenen das Kind unterm Kinn und frug es mit forschendem und besorgtem Blicke,...

4. Dann die Bandbreite "Tod aus unglücklicher Liebe" bis hin zu "Freitod aus Angst vor sich selbst", wie Du schon sagtest, es geht nicht um den Grund, es geht um den Freitod an sich.

5.Weil aber die Leute so Unerhörtes nicht hören wollten


Über die Rose als Symbol kann man vielleicht sagen, sie sei Versuch einer Versöhnung, oder sagen wir, sie ist ein Kommentar zum Geschehen vom Ich-Erzähler. Sie ist aber, wie auch angedeutet wird, vergebens, ja vielleicht aus niederen Beweggründen hingelegt. Vielleicht kann jemand, der noch leben will, den Sohn gar nicht verstehen.
Etc., etc.

Vielleicht geht es auch gar nicht um einen konkrete Person, vielleicht auch um einen Gedanken, eine Weltanschaung, eine Botschaft, etc.

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Wie steht es um die formalen Aspekte?
Ist der Plot immer klar verständlich? Der letzte Satz erträglich zu lesen?

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@ Moderator. Danke für deine Mühe.
Warum müssen hier eigentlich alle Geschichten in diesem schrecklichen Blocksatz erscheinen? Grade diese Geschichte wäre doch besser textlich dargestellt, wenn auch mal ein Satz nur eine Zeile füllte, mein ich.

 

Ich habe den Text noch um einen zentralen Punkt ergänzt: "Ich muss".

Der Text ist eine Betrachtung über das Scheitern.

Wie reagiert die "Runde" der Nachbarn, wie reagiert der Einzelne beim Anblick seines Kindes?...

Wie müssen diese reagieren?

 

Hallo Heinrich,

willkommen auf kg.de! :anstoss:

Deine Geschichte lässt mich nachdenklich zurück, und das ist sicher ein Grund, aus dem sie geschrieben wurde.
Du hältst die leicht distanzierte, etwas altertümlich wirkende Sprache konsequent durch, was der Geschichte eine große Dichte verleiht, die mir sehr gefällt. Andererseits bleibt man als Leser unbefriedigt zurück. Man erfährt zu wenig über den toten Sohn, um wirklich Anteil nehmen zu können. Vielleicht bin ich grad zu müde oder einfach mit Blindheit geschlagen (beides ist gut möglich), aber mir fehlen die kleinen, versteckten Hinweise, die erklären, warum er es getan hat. Irgendwo heißt es "unfruchtbares Geschlecht" - das kann nicht auf die eltern bezogen sein, denn die haben einen Sohn - oder eben doch nicht, wurde er adoptiert, hat er es erst spät erfahren und sich deshalb das Leben genommen? aber ist das ein Grund? Und wenn er selber unfruchtbar ist, ist das ein Grund, sich das Leben zu nehmen? Gerade junge Männer sind gedanklich meist weit entfernt vom Kinderzeugen, und wenn es bei dem jungen in Deiner Geschichte anders ist, so fehlt hier wiederum die Nähe zur Figur, die es dem Leser nahebringen könnte.
Ich mag Geschichten, die nicht alles verraten, die einen zum Nachdenken anregen und verschiedene Lösungsansätze anbieten. Aber ich möchte trotzdem wie ein Detektiv die Möglichkeit haben, anhand versteckter Hinweise überprüfen zu können, wie sehr ich einer möglichen Wahrheit nahe gekommen bin.

Wenn Du einen Satz in einer Zeile allein stehen haben willst, musst Du nur einen Zeilenumbruch bei der Eingabe machen.
Hier habe ich in einer neuen Zeile begonnen.
Und hier auch. :)

Liebe Grüße
chaosqueen

 

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