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Der steinige Pfad des Ruhms
Ein relativ unbekannter Boxer namens Mike Warner sorgte gestern im Rock Palace für eine Sensation. Der eigentliche haushohe Favorit des Kampfes: Calavese „The Wildpunch“ Rucci, ging in der achten Runde Knockout. Einige Sportreporter behaupten es wäre der brutalste Kampf der Boxgeschichte gewesen. Weder Mike noch Calavese wollten nach dem Kampf ein Interview geben.
Zeitungsartikel in der Daily Post
21.September.1965
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28.September.1965
Mike starrte verzweifelt sein Spiegelbild an. Seine Augen waren blutunterlaufen. Er wirkte blass und hohlwangig; seine Hände zitterten wie ein sterbender Fisch auf dem Trockenen. Nicht zum ersten Mal, verspürte er große Angst vor dem was ihm bevorstand. Möge Gott mir vergeben, betete er stumm aber ohne große Hoffnung, dass seine Gebete erhört wurden.
Deutlicher ausgedrückt, er wusste, dass sie nicht erhört wurden.
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Warner prügelt Graciano im Kampf um Platz 17 der Weltrangliste förmlich zu Brei: Der Kampf dauerte „lediglich“ drei Runden, aber für Graciano, dürften es die schlimmsten Minuten seiner Karriere gewesen sein. Schon beim ersten Treffer, platzte seine rechte Augenbraue, wie eine überreife Tomate in der Sommersonne. Je mehr Blut floss, desto brachialer wurde Warner bejubelt. Das Rock Palace glich gestern Nacht eher einem Hexenkessel als einer Sportarena.
Zeitungsartikel in der Daily Post
30.Oktober.1965
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27.November.1965
Draußen bellten die Hunde in verzweifelter Agonie. Selbst sie ahnen das schreckliches passieren wird, dachte Mike und eine Gänsehaut überzog seinen nackten Körper. Er strahlte eine eisige Kälte aus, die nicht von dieser Welt war. Seine Frau lag neben ihm und stöhnte leise im Schlaf.
Ebby träumte von ihrem Kind, dass sie bald zur Welt bringen würde:
Ebby saß im Schaukelstuhl ihrer Urgroßmutter und blickte ihrem Kind in die Augen. Es hockte auf einem Berg bleicher Knochen, und lachte fröhlich, als es sich eine Handvoll Gedärm in den Mund schob und freudig darauf herumkaute. Ebby wollte schreien aber etwas Klumpiges, Haariges steckte in ihrem Hals. Sie würgte es heraus, und der matschige Brei fiel mit einem unbeschreiblichen Geräusch auf die Steinfliesen. Ein warmer Blutstrom floss an ihren Schenkel hinab, und bildete eine feucht warme Lache auf dem kalten Boden.
Mike stand am Fenster und blickte in die kalte Winternacht hinaus, während seine Frau im Schlaf weinte.
*
Warner tötete seinen Gegner in der ersten Runde! Die Menge im Rock Palace war begeistert; Warners Schläge verwandelten Ferellies Gesicht in eine undefinierbare Masse. Jedem Boxfan wurde mit Sicherheit ganz warm ums Herz, als Warners Gegner auf dem Ringboden verblutete. Die Presse ist sich einig, dass es der schönste Kampf, in der Geschichte des Boxsports war. Die Menschenmenge trug Warner stundenlang durch die Arena, wobei sie unablässig seinen Namen brüllte.
Zeitungsartikel in der Daily Post
26.März.1966
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5.Mai.1966
Mike schaltete den Fernseher ein und klickte durch die Programme. Auf jedem Sender liefen Berichte über ihn oder seine Fans die ihm nacheiferten.
Channel One
Eine Gruppe von Kindern die auf dem Schulhof einen Erstklässler totschlagen. Ein Lehrer steht dabei und ruft immer wieder: Kommt schon, härter, schlagt härter zu! Glaubt ihr dass ihr jemals solche Boxer wie Warner werdet, wenn ihr nicht euer bestes gebt? Und sie schlagen noch härter auf den kleinen Jungen ein, der schon seit Minuten tot ist.
CTT
Vierundzwanzig Stunden am Tag wird Warners Kampf gegen Ferellie ausgestrahlt. Immer wieder kurz unterbrochen von Aufnahmen die Ferellies Grab zeigen; Eine Große Menschenmenge steht um das Grab herum – sie spucken, pissen und scheißen auf den Sarg, den man gar nicht erst unter die Erde gebracht hatte.
Sky News
Es läuft ein Bericht über den bevorstehenden Titelkampf im Schwergewicht. Steve „The American Dream“ Miller reckt seinen Titel in die Höhe, und schreit mit ausdruckslosem Gesicht immer wieder Warners Namen. Blutige Tränen laufen ihm die Wangen hinab, und tropfen auf das Rednerpult. Die Menge jubelt…!
Mike schaltete den Fernseher aus, und sein Entsetzten war Grenzenlos. Er wusste das es keine Möglichkeit gab, Geschehenes ungeschehen zu machen. Er hatte die Welt der Verdammnis preisgegeben, und sein Lohn dafür würde die eigene Verdammnis sein.
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Morgen endlich steht der lang ersehnte Titelkampf im Schwergewicht bevor:
Menschen aus aller Welt strömen in unsere kleine Stadt, und freuen sich auf das größte Sportereignis der Geschichte. Mike Warner wir alle lieben dich!
Einziger Zeitungsartikel in der Daily Post
5.Juni.1966
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6.Juni.1966 04:41 Uhr
St.Perrs Hospital
Ebby lag in einem Krankenhausbett. Das Zimmer war völlig verdreckt; in allen Ecken stapelten sich Müllberge, und der Geruch der vergammelten Essenreste war schrecklich. Dickbäuchige Maden taten sich an diesen Köstlichkeiten gütlich. Ebby merkte von alldem nichts. Vor einigen Tagen war sie in ein Koma gefallen, aus dem sie noch nicht wieder erwacht war. Ihre Bettdecke und die Matratze, waren mit ihren eigenen Fäkalien beschmutzt. Das Kopfkissen war mit Erbrochenem beschmiert; harte, grüngelbe Brocken die nicht weiter definierbar waren.
Eine Junge Krankenschwester saß auf einem Hocker neben Ebbys Bett, und rupfte sich in dicken Strähnen die Haare aus. Die Kopfhaut wies bereits einige große, kahle Stellen auf und beinahe schwarzes Blut, lief ihr in Strömen über das hübsche Gesicht.
In der Hand hielt sie eine Schere. Es war eine sehr große Schere, die man normalerweise dazu verwendete Stoffbahnen zu Recht zuschneiden.
Die Junge Krankenschwester, mit dem lieblichen Namen Ann Rose, hatte aber einen Auftrag völlig anderer Natur. Und sie freute sich darauf mit ihrer Arbeit beginnen zu können. Bald würde es soweit sein.
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6.Juni.1966 04:59 Uhr
Vor dem Rock Palace
Die Menschenmasse die sich rund um das Rock Palace versammelt hatte, war schier unvorstellbar. Die Menschen standen in kleinen Gruppen beisammen, und schrieen den Namen Mike Warner, immer und immer wieder gen Himmel. Die Abertausenden Holzkreuze, an denen jene Männer, Frauen und Kinder genagelt waren, die sich gegen Warner versündigt hatten, prägten das Stadtbild überdeutlich. Die meisten der Toten waren bereits von der trockenen Sommerhitze ausgedörrt, andere waren frisch und der Verwesungsgestank war sehr vital, beinahe greifbar.
Sehr viele der Unglückseligen an den Kreuzen, lebten noch und brüllten ihre Todesqualen in die Welt hinaus, während die Krähen ihnen das Fleisch in Fetzen vom Körper rissen.
Viele der Anwesenden lachten hysterisch, oder liefen im Kreis umher, - sich mit der Faust immer wieder ins Gesicht schlagend. Ein Mann stach seiner kleinen Tochter die Augen aus, und hielt die kleinen, glitschigen Klumpen winselnd in den Händen – ganz so als wolle er sie beschützen, vor einem Übel das wohl nur er selbst kannte.
Eine Frau, höchstens Mitte Zwanzig, rannte mit nacktem Oberkörper durch die Menschenmenge und Fuchteltete wild mit einem Küchemesser herum. Dann fiel sie auf die Knie, und schnitt sich die linke Brust ab; vergrub ihr Gesicht darin um den Saft des Lebens zu trinken, wie sie lauthals kundtat.
Jetzt so kurz vor dem Kampf, war die Spannung zum zerreißen gespannt. Die Realität zerfloss unter dem Wahnsinn der die Welt zu beherrschen drohte.
Niemand wusste das besser als Mike Warner, der in seiner muffigen Umkleide saß, und an seine Frau dachte, die einfach das Pech hatte, den falschen Vater und einen feigen Ehemann zu haben. Gabriel ist tot, dachte Mike, und es ist meine Schuld! Die Tränen, die Mike über das Gesicht liefen, waren gelblich und verätzten ihm die Haut. Schwefelgeruch breitete sich in der Umkleide aus, und für kurze Zeit kam Mike dieser Geruch tröstlich vor.
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6.Juni.1966 06.03 Uhr
St.Perrs Hospital
Ein Mann betrat Ebbys Krankenzimmer. Er war alt und wirkte gebrechlich mit seiner von Altersflecken übersäten Haut, die die Farbe uralter Pergamentrollen hatte. Aber seine Augen waren klar, und blickten listig zwischen den zusammengekniffenen Lidern hindurch.
Er grinste als er den prall gespannten Bauch der verhassten Hure sah, die dort in ihrer eigenen Scheiße im Bett lag. Etwas bewegte sich unter der Bauchdecke, die sich dunkelrot verfärbt hatte. Ebby riss die Augen auf, und brüllte vor Schmerz so laut und plötzlich auf, dass die Krankenschwester verwirrt die Schere fallen lies. Für einen kurzen Moment schien sie nicht zu wissen, was vor sich ging. Der Alte warf ihr einen zornigen Blick zu, und der Moment verflüchtige sich. Eilig hob sie das scharfe Instrument wieder auf.
„Jetzt du Metze, befrei das Kind!“, schrie der Alte mit überraschend kräftiger Stimme.
„Ja Meister.“ Die Krankenschwester (in einer anderen Welt nannte man sie Little Rose) ging rasch auf Ebby zu, und schlug die Bettdecke beiseite.
Ebby stöhnte und kreischte vor Schmerz, das Kind versuchte sich selbst einen Weg durch ihre Eingeweide zu fressen.
Die Krankenschwester setzte den Schnitt bei Ebbys Vagina an, und arbeitete sich langsam bis zur Bauchmitte vor. Innerhalb weniger Sekunden war das gesamte Bett Blut besudelt. Die Schere schnitt nicht so leicht durch das zähe Fleisch, wie der Alte angenommen hatte, aber das spielte keine Rolle, die Zeit war ausreichend.
Ebbys Schmerzen waren in den letzten Sekunden so stark, dass nur noch lautlose Schreie über ihre Lippen kamen. Die Augen waren so verdreht, das nur noch das Weiße zu sehen war - durchzogen von einem feinen Geflecht blutiger Äderchen. Ebbys an Lederriemen festgebundenen Arme und Beine erschlafften. Sie starb ohne die Brut die man aus ihrem Bauch befreit hatte sehen zu müssen.
Der Alte stieß die Krankenschwester grob beiseite, und hob das Kind vorsichtig aus der Schweinerei, die einmal der Wirt für den Daidalion gewesen war.
„Mit dir fängt ein neues Zeitalter an mein Kind“, flüsterte der Alte zärtlich und drückte das Neugeborene an sich. Er verließ lachend das Zimmer. Die kleine Little Rose starb wenige Sekunden später an ihrem eigenen Blut; es begann zu kochen und schoss ihr aus allen Körperöffnungen. Ihr letzter Gedanke galt ihrer Mutter.
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06.Juni.1966 06.04 Uhr
Im Ring
Steve „The American Dream“ Miller hockte auf allen vieren in der Mitte des Rings. Er war von Kopf bis Fuß mit blutigen, eitrigen Geschwüren bedeckt. Die Menschen in und außerhalb der Arena weinten, und geißelten sich gegenseitig mit Stacheldraht, oder was sonst noch zu finden war.
An einigen Stellen war der Erdboden aufgebrochen und giftige Dämpfe entwichen zischend aus den Spalten. Überall schossen meterhohe Feuerzungen in die Höhe, begleitet von einem irrsinnigen Gekreische. Steve Millers Weltmeistergürtel verformte sich unter der mörderischen Hitze, die sich in der ganzen Arena ausbreitete. Erst als sie die Form einer dreizehn zackigen Dornenkrone hatte, stoppte die Verwandlung. Die Menschen in der Arena hatten sich in brennende Flammensäulen verwandelt. Und draußen, in den ersten Strahlen der Morgensonne, schlugen Abertausende Gekreuzigte gleichzeitig die vermoderten Augen auf, und priesen mit tonloser Geisterstimme das Ende der neuen Welt, und die Rückkehr der Alten.
Mike spürte wie sein Geist oder seinen Seele, wie auch immer man es nennen wollte, von einer anderen Macht verdrängt wurde. Er hatte keine Angst mehr, - vor der Hölle musste man sich nicht mehr fürchten. Nicht wenn man selbst einer der Verdammten war. Er hob die Krone auf, und setzte sie sich auf den inzwischen kahlen, deformierten Schädel.
Als es anfing Schwefel zu regnen kam die Kirche zu dem Schluss, dass die Sache ernster sei, als zunächst angenommen.
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21.Mai.1950 15:05
Oak Park Spielplatz
Seit einer Stunde beobachtete der Alte die Kinder auf dem Spielplatz. Er hatte seine Wahl schon getroffen, verharrte aber noch kurz um ganz sicher zu gehen. Würde er die falsche Entscheidung fällen, wäre die letzte Chance auf die Rückkehr seines Herrn vertan.
Drei Jungen verprügelten einen kleinen schmächtigen Kerl, der höchstens zehn war, aber eher wie sieben aussah. Sie ließen lachend von ihm ab und gingen ihrer Wege, um vielleicht ein paar Mädchen an den Haaren zu ziehen oder dergleichen, - eben Dinge die Kinder gerne taten, auch wenn sie gemein und Sinnlos waren
„Komm ich helfe dir hoch mein Junge.“ Der Alte griff nach dem Arm des Jungen und zog ihn behutsam auf die Beine.
„Danke.“, murmelte der Kleine und sah den alten Mann aufmerksam an. Seine Mutter hatte ihn vor solchen Männern gewarnt. Er wischte sich das blutige Kinn mit dem Ärmel seines Hemdes ab, und spuckte blutigen Rotz in den Sand.
Einige Sonnenstrahlen die durch das dichte Blätterdach fielen, verfingen sich in den dunklen Augen des Alten, und glitzerten dort geheimnisvoll. Das Farbenspiel entzückte den kleinen Mike sosehr, dass er die Warnung seiner Mutter augenblicklich vergaß.
„Komm mein Junge, gehen wir ein bisschen spazieren.“, sagte der Alte in freundlichem Tonfall, und nahm den Jungen bei der Hand.
„Weißt du mein Sohn, du hast eine goldene Zukunft vor dir, in der solche Kinder wie die Drei, die dich verprügelt haben, deine Diener sein werden.“ Der Alte strich Mike behutsam über das Honigblonde Haar.
„Wirklich?“, fragte Mike dem diese Vorstellung viel zu schön erschien, um wirklich wahr sein zu können.
„Nicht nur das mein Junge, du wirst auch eine wunderschöne Frau dein Eigen nennen, deren Herkunft, fast schon göttlich ist.“ Der Alte lachte laut, und obwohl Mike nicht wusste wieso, und er auch mit der Vorstellung eine Frau zu haben, nicht viel anfangen konnte, lachte er mit; das Lachen des Alten war einfach ansteckend.
„Werde ich so was wie ein König sein?“, fragte Mike nach seinem Lachanfall ehrfürchtig.
Der Alte schmunzelte: „Ja, das wirst du wohl.“
„Ich will auch Boxchampion werden, und die ganze Welt soll mich bejubeln!“ Die Wünsche sprudelten jetzt förmlich aus Mike hinaus. Der Alte nickte noch einmal und sagte: „Alles was du willst Mikey, aber alles hat seinen Preis, Sohn, alles hat seinen Preis!“ Wieder dieses unwiderstehliche Lachen in das Mike sofort wieder einstimmte.
An jenem sonnigen Nachmittag im Mai, saßen die Krähen dicht gedrängt auf Stromleitungen, verkrüppelten Bäumen und alten Friedhöfen beisammen, und krächzten der Zukunft entgegen, ganz so als lachten auch sie.