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Der Stolz der alten Dame

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01.06.2005
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Der Stolz der alten Dame

Sie saß in ihrem mahagonifarbenen Lehnstuhl, der sie allzeit durch ihr Leben begleitet hatte und ihr nun, gebrechlich und alt wie sie selbst, die letzten Tage vergoldete. Stets wenn die Mittagsgeräusche verebbten und die erste Hälfte des Tages vorüberzog, nahm sie Platz in seinem vertrauten Schoß und schaute mit trüben Augen aus dem Fenster, in eine Welt, die sie schon lange nicht mehr interessierte und doch gleichzeitig die einzige Ablenkung war, die ihr zurückgezogenes Dasein noch kannte. Sie fühlte sich geborgen in den großen Lehnen, die ihren kleinen schmächtigen Körper beinahe verschluckten, sie liebte es, sich wie ein bedürftiges Kind in ihm zurückzuziehen und sie wußte, dass sie vollkommen sicher war, dass der greisenhafte Lehnstuhl noch stark genug war, sie zu halten und zu beschützen, vor der Panik des Alltags dort draußen, vor dem orchestralen Lärm der zuckelnden Straßenbahn direkt vor ihrem Fenster.

Es waren die stillen Momente des Glücks, wenn sie so dasaß wie jetzt, entspannt und völlig regungslos, und ein warmer Wind ihr das Gesicht streichelte, während am Horizont die Sonne Abschied nahm. Manchmal wenn sie so dasaß, drängten sich Gedanken des Abschieds in den Sinn, dann legte sie den Kopf zurück und träumte von einem sanften Tod in den Armen ihres Stuhles. Nichts war ihr zwar unheimlicher als der Tod, nichts war schrecklicher als der Gedanke, diesen letzten Weg alleine zu gehen, aber in den Armen des Lehnstuhles verlor sich jede Angst. Es war das Holz, das gute alte Holz, das immer noch roch und an die Behaglichkeit des großväterlichen Schreibzimmers erinnerte, dort wo nie ein lautes Wort fiel, jeder Blick einen gütigen Ursprung hatte und eine helfende Hand stets Halt gewährte, wenn eine suchende nach ihr griff.

Es war ihr Lehnstuhl, das wußte sie und niemand konnte ihn ihr nehmen. Mit Schrecken dachte sie an die Zeit zurück, als man sie noch fortbringen wollte und fremde Hände an ihrem Lehnstuhl rüttelten in der unglaublichen Absicht, ihn kleinzuhacken und zu entsorgen. Damals bäumte sich alles in ihr auf, sie schrie wie ein verwundetes Reh und sofort befanden sich erschrockene Gesichter über ihr, die sie versuchten zu beruhigen, zu bremsen von ihrem gewaltigen Irrlauf, wie es der damals tätige Arzt ausdrückte. Viel jünger als sie war er gewesen, aber er besaß Autorität und als sie ihre Fassung wiedergewonnen hatte, setzte er sich neben sie, nahm ihre Hände und empfahl ihr, den Lehnstuhl zu vergessen und endlich zu begreifen, dass ihr Leben sich fortan nicht nur ändern, sondern sogar besser werden würde. Blitzartig fühlte sie die alte Wut wieder aufsteigen, doch sie besann sich, besann sich ihres unbändigen Stolzes, der sie durch das ganze Leben getragen hatte, und nahm sich zusammen. Der Atem aller stand still in dem Moment, als ihr Körper mit einem Male Spannung annahm, sie das schüttere Haar glattstrich und mit der Würde einer großen alten Dame sich jede Annäherung verbat und auf ihr Hausrecht pochte. Damit hatte niemand gerechnet, immerhin galt sie als senil, verwirrt und vergeßlich und in den Augen des Doktors flackerte Bewunderung auf. Als sie gingen, war sie beschenkt und dennoch fühlte sie Leid.

Wenn sie auf ihr Leben zurückblickte – und das tat sie immer, wenn sie in ihrem Lehnstuhl saß – fühlte sie eine tiefe Leere, die ihr das Herz schwer machte. All die Jahre hatte sie, so schien es ihr, hinter sich gebracht, ohne wirklich am Strohhalm des Lebens gesaugt zu haben. Die verworrene Kindheit, ein Puzzle, das sie bis heute nicht begriff, bestimmt von der ungewöhnlich harten Hand des Vaters und der stillen Blässe ihrer Mutter, die nur selten einen Hort der Zuflucht bot. Die Jugendjahre, geprägt von dem Versuch eine Identität zu finden, Werte aufzubauen und sich durchzusetzen um jeden Preis, in einer Art Abrechnung gegenüber den trostlosen Verhältnissen ihrer Zeit. Es waren die Jahre, in denen sich die Weichen stellten und sich eine Eigenschaft in ihrem Wesen auszubreiten begann, die fortan ihr Leben, ihre Entscheidungen und ihre Taten ganz und gar bestimmen sollte: der Stolz, der unbändige Stolz, der sie bisweilen durch das Leben taumeln ließ und ihr jede Vernunft restlos entzog. Doch war es auch gerade dieser Stolz, der einst behaarte Hände von ihrem Lehnstuhl vertrieb und ihr das erhielt, was für sie an ihrem Lebensabend gottgegebene Existenz war. Segen und Fluch, das war der Stolz der alten Dame.

Es gab Momente des Zorns in ihrem Leben, in denen sie verkrampfte und sich mit der ganzen Kraft ihres ausgemergelten Körpers gegen das Stuhlholz stemmte. Nie war sie vergrämt oder vergrätzt gewesen, nie hatte sie geklagt, obwohl sie so viele Täler durchschritten und fast nie die Berge gesehen hatte, doch zum Ende ihrer Tage fühlte sie sich verloren, vom Unrecht des Schicksals geschlagen und ihre Seele bäumte sich auf. Die bebende Wut, die sie empfand, war schweigend, kein Laut war zu hören, nur der Lehnstuhl ächzte unter der ungewohnten Last und das Knarren des Holzes war Ausdruck genug für den Schmerz, der sich ihrer in solchen Augenblicken bemächtigte. Es dauerte nur Minuten, dann fiel sie zurück, erschöpft und ausgebrannt, und begriff nicht, welches Leid sie sich und dem Stuhl hatte zugefügt, nur dass es Zeit war zu ruhen, zu träumen von den singenden Engeln und den Bergspitzen des Paradieses. Doch die Spuren blieben nicht aus, ihr Körper holte sich zurück, was man ihm nahm und die nahe Kirchturmuhr schlug dreimal zur vollen Stunde, bis sie wieder erwachte.

Es fiel ihr schwer, den Lehnstuhl zu verlassen, jedenfalls am heutigen Tage, und so griff sie mit beiden Händen schwer in die Armstützen, um sich hinauszuheben in den ausklingenden Tag, den sie so zu Ende bringen wollte, wie es ihrer Gewohnheit entsprach. Noch hatte sie einiges vor, sie wollte lesen, blättern in den Alben ihrer Jugend und vor allem lüften, jetzt wo die Straße vor ihrem Haus zur Ruhe gekommen war und der Tagesstaub sich verzogen hatte. Es überraschte sie, dass das Fenster bereits geöffnet war, keinesfalls hatte sie es getan, brauchte sie dazu doch den kleinen Schemel, der unberührt in der Ecke ihres Wohnzimmers stand. Seltsam, dachte sie, und ihre Überraschung nahm zu, als ihr Blick nach draußen fiel und das vertraute Panorama, die allabendlich wartenden Fahrgäste der letzten Straßenbahn, nicht erschien und alles dunkel statt düster war. Was war geschehen, überlegte sie mit aufkeimender Unruhe und jeden weitergehenden Gedanken wollte sie in den Armen ihres Lehnstuhls tätigen, als sie auf halber Strecke plötzlich innehielt. Etwas bemächtigte sich ihrer, sie kannte es nur allzu gut, sie sah den leeren Lehnstuhl, sich in der Mitte des Raums, keine stützenden Armlehnen, eine aufrechte Frau auf ihrem Weg…….

„Großvater!“, rief sie.

 

Hallo barlameo,

seltsam finde ich deine Geschichte nicht. Nur in einem Bruch etwas unlogisch, denn zunächst beschreibst du, wie wohl sie sich die alte Dame in ihrem Lehnstuhl fühlt, dann überkommen sie ausgerechnet darim immer die dunklen Erinnerungen. Dabei ist der Ausflug in die Kindheit ja schln, wenn auch etwas typisch und pauschal für solche Geschichten. Aber gerade wenn du ihren Stolz so sehr in den Mittelpunkt stellst, dass er sogar zum Titel der Gechichten wird, würde ich erwarten, dass sie auch mit Stolz darauf zurückblickt, die schweren Zeiten überwunden zu haben.
Details:

Stets wenn die Mittagsgeräusche verebbten und die erste Hälfte des Tages vorüberzog
Wenn die Mittagsgeräusche verebbten, ist die erste Hälfte des Tages schon forübergezogen. Auch wird sowohl nach Stets als auch nach verebbten ein Komma gesetzt. Dafür kannst du das nach Fenster streichen.
Sie fühlte sich geborgen in den großen Lehnen, die ihren kleinen schmächtigen Körper beinahe verschluckten, sie liebte es, sich wie ein bedürftiges Kind in ihm zurückzuziehen
Da der bezug auf den Lehnen liegt, muss sie sich auch zwischen diese zurückziehen. Natürlich ist klar, dass du den Lehnstuhl mit "ihm" meinst, da liegt aber grammatisch deine Perspektive nicht mehr.
und sie wußte, dass sie vollkommen sicher war
wusste (oder daß)
Manchmal wenn sie so dasaß
Komma nach manchmal. Um die Wiederholung der ohnehin unschönen Formulierung "wenn sie so dasaß" zu vermeiden, könntest du auf das Komma verzichten und den Nebensatz vollständig streichen.
drängten sich Gedanken des Abschieds in den Sinn
MMn fehlt da ein "ihr"
dort wo nie ein lautes Wort fiel,
unabhängig davon, dass "dort, wo" nicht schön ist, passt es grammatisch auch nicht zur Einleitung "erinnerte". Ich würde hier "in dem" vorschlagen.
Es war ihr Lehnstuhl, das wußte sie und niemand konnte ihn ihr nehmen.
Warum sollte sie auch daran zweifeln? - wusste
in der unglaublichen Absicht, ihn kleinzuhacken und zu entsorgen
Dudenempfehlug: klein zu hacken
Damals bäumte sich alles in ihr auf, sie schrie wie ein verwundetes Reh und sofort befanden sich erschrockene Gesichter über ihr, die sie versuchten zu beruhigen, zu bremsen von ihrem gewaltigen Irrlauf, wie es der damals tätige Arzt ausdrückte.
Tempusfehler. Da die Geschichte in der Vergangeheit geschrieben ist, müssen die Rückblenden in die vollendete Vergangenheit.
Die zweite Satzhälfte finde ich überdies schräg formuliert. Das "von" ihrem Irrlauf erscheint mir gar falsch. Man hält jemanden von etwas zurück oder bremst ihn oder seine Tätigkeit, aber man bremst niemanden von.
Viel jünger als sie war er gewesen
und hier wechselst du jetzt gleich in den Mega Quamperfekt. In dem ganzen Satz sind die Tempi auch durcheinander.
Der Atem aller stand still in dem Moment
Ich bin unsicher, ob Aller nicht groß geschrieben werden muss, da es das Satzobjekt ist. Ganz sicher gehst du mit "Aller Atem stand still".
sie das schüttere Haar glattstrich
glatt strich
immerhin galt sie als senil, verwirrt und vergeßlich
vergesslich
Wenn sie auf ihr Leben zurückblickte - und das tat sie immer, wenn sie in ihrem Lehnstuhl saß - fühlte sie eine tiefe Leere, die ihr das Herz schwer machte.
Würde ich dir gern glauben, wenn du nicht vorher etwas anderes geschrieben hättest.
nur dass es Zeit war zu ruhen
nur, dass
alles dunkel statt düster war.
sonst ist düster, heute nur dunkel?

Lieben Gruß, sim

 

Hallo sim,

zunächst einmal herzlichen Dank für die Auseinandersetzung mit meiner Geschichte, die ganz gewiss nicht zu knapp ausgefallen ist. Dies hat mich als Einsteiger in dieses Forum sehr gefreut.

Zur Kritik:

Seltsam sollte meine Geschichte schon sein.

Seltsam, dachte sie, und ihre Überraschung nahm zu, als ihr Blick nach draußen fiel und das vertraute Panorama, die allabendlich wartenden Fahrgäste der letzten Straßenbahn, nicht erschien und alles dunkel statt düster war.

Ich hätte die Story auch unter dem Titel "Tod oder Verwirrung" posten können, denn um diese beiden möglichen Interpretationen geht es. Es ist eine Geschichte zum Interpretieren, denn der Ruf nach "Großvater" am Ende könnte entweder aus Verwirrung noch zu Lebzeiten oder aus Erkenntnis schon im Todesfall motiviert gewesen sein. Aufgrund dieses Interprettionsspielraums habe ich die Rubrik "Seltsam" angesteuert. Kann aber sein, dass darunter hier etwas ganz anderes verstanden wird.

Einen Widerspruch im Hinblick darauf, dass die Dame in ihrem geliebten Lehnstuhl auch dunkle Erinnerungen überfallen, sehe ich nicht. Der Lehnstuhl ist ihre Existenz, ihre "castle" und im Hort der Geborgenheit ist sie entspannt und lässt Positives wie Negatives am inneren Auge vorüberziehen. Auch in meinen eigenen vier Wänden, die ich ähnlich einschätze wie den Lehnstuhl, ist das der Fall, daher also nichts Besonders.

Den Stolz der alten Dame, glaube ich, hast Du missverstanden. Es ist nicht der Stolz im Sinne von Stolz auf eigene Leistungen, sondern eine Form der Selbstachtung, freilich in einem gesteigerten Ausmaße. Gerade diese Selbstachtung hat ihr auch schwere Zeiten bereitet. Dass der Stolz im Mittelpunkt der Geschichte, ja sogar im Titel verankert ist, hat einen einfachen Grund: Vor ihrem letzten Weg, dem Sterben, fürchtet sie sich, ganz entgegen ihrer stolzen Natur:

Manchmal wenn sie so dasaß, drängten sich Gedanken des Abschieds in den Sinn, dann legte sie den Kopf zurück und träumte von einem sanften Tod in den Armen ihres Stuhles. Nichts war ihr zwar unheimlicher als der Tod, nichts war schrecklicher als der Gedanke, diesen letzten Weg alleine zu gehen, aber in den Armen des Lehnstuhles verlor sich jede Angst.

Zum Schluss aber sieht sie sich wie folgt:

Was war geschehen, überlegte sie mit aufkeimender Unruhe und jeden weitergehenden Gedanken wollte sie in den Armen ihres Lehnstuhls tätigen, als sie auf halber Strecke plötzlich innehielt. Etwas bemächtigte sich ihrer, sie kannte es nur allzu gut, sie sah den leeren Lehnstuhl, sich in der Mitte des Raums, keine stützenden Armlehnen, eine aufrechte Frau auf ihrem Weg…….

Insofern ist das Seltsame der Geschichte mit dem Stolz der alten Dame, ihrer Selbstachtung, untrennbar verbunden, so dass der Titel mir gerechtfertigt erscheint.

Zu Grammatik, Stil und Sprache äußere ich mich jetzt nicht, dies werde ich mir aber zu Gemüte führen. Ich bin beeindrückt, welche Fehler diesbezüglich in der Geschichte lauern und welche Aufmerksamkeit sie bei Dir hervorgerufen haben.

Nochmals vielen Dank und Grüße

barlameo

 

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