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Der Studenten- Weihnachtsmann

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27.04.2010
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Der Studenten- Weihnachtsmann

Der Studenten- Weihnachtsmann

Der Weihnachtsmann leidet. Die Wogen der Aufregung und die bissigen Zweifel einer großen Portion Lampenfieber, sind seit Wochen seine Begleiter. Kein Wunder, ist doch sein abendlicher Besuch in den festlichen Wohnstuben ein Auftritt auf großer Bühne. Alle Sinne richten sich auf den roten Mann, der durch seinen fusseligen Bart zu den Kindern spricht: Ho ho ho, ich kenne euch. Und dann lügt er weiter: Das ganze Jahr über habe ich beobachtet, wie ihr in der Schule gelernt und wie ihr euren Eltern geholfen habt. Das wird der Weihnachtsmann von einem Zettel ablesen, den ihm die Mütter schon im Sommer zugeschickt hatten. Deshalb ist der unerfahrene Weihnachtsmann auch so aufgeregt. Bin ich bei der richtigen Familie, im richtigen Hauseingang, wo ist jetzt wieder der Zettel?

Seit Sommer übt der Weihnachtsmann, zusammen mit 215 anderen Weihnachtsmännern und Weihnachtsengeln, den großen Auftritt in einer Berliner Universität, singt bekannte Lieder, probt den Text und spricht über die Arbeitskleidung, den Mantel, den Sack, die Stiefel, den Bart. Erstaunt hört er, dass es immer noch Eltern geben soll, die sich die Rute für ihre Kinder wünschen. Aber dieses unzeitgemäße Werkzeug will kein Studenten- Weihnachtsmann, nicht mal ein Student der Mathematik, zum großen Fest der Liebe und des Friedens zum Einsatz bringen. Diese Zeiten sind vorbei.

Nur einmal im Jahr, eben zu Weihnachten, bietet sich durch den Job die reizvolle Möglichkeit, ein hübsches Sümmchen zusammen zu tragen. Sieben Familien in Berlin- Neukölln, erfährt unser Weihnachtsmann, wird er in nur zwei Stunden besuchen. Das ist richtig Stress. Die studentische Arbeitsvermittlung hat die Stadt Berlin mit roten Männern unter sich aufgeteilt. Wie ein Rädchen im Getriebe muss unser Weihnachtsmann am 24sten seinen Job erledigen und dabei auch noch freundlich und pünktlich sein. Und das fällt manchem Studenten nicht leicht.

Mach dir keinen Kopf, das wird schon klappen, auch wenn manches schief geht, trösten ihn die Altweihnachtsmänner. Sie werden Recht behalten!
Er kauft sich einen Stadtplan und stellt die Tour zusammen. Dann telefoniert er mit den Eltern und erfährt, wie die Kinder heißen, wo er in den Häusern die Geschenke findet und welche Lieder gesungen werden. Nur Adresse Nummer sieben besitzt eine Besonderheit. In dieser Familie gibt es keine Kinder. Egal, denkt er und zuckt mit den Schultern. Nun ist für ihn alles soweit vorbereitet, dass er sich gemütlich auf seinen Balkon in die Sonne setzt und Pläne macht, was er mit dem Verdienst so anfangen sollte. Urlaub vielleicht, oder ein neues Fahrrad? Doch dann fällt ihm doch noch ein, was er vergessen hat. Er braucht ein Auto. Ohne Fahrzeug sind sieben Familien nicht zu schaffen. Er ruft einen Freund an. Es klappt. Einem Weihnachtsmann leiht man gern sein Auto! Auch wenn es sich um einen alten überlangen Mercedes handelt, mit dem Särge für Begräbnisse transportiert wurden. Warum nicht in einem Leichenwagen Geschenke verteilen. Was ist so ungewöhnlich daran? Besser als ein Traktor!

Es ist soweit! Heute ist der 24. Dezember. Schon Tage zuvor regte sich in seinem Magen die Aufregung. Wie Schneeflocken zischen die Bedenken auf der Heizplatte der Gefühle. Vor dem Spiegel zupft er den Bart zu recht, knöpft den Kunststoffmantel zu und greift sich das goldene Buch, in dem die sieben Zettel aufbewahrt sind, seine unverzichtbare Hilfe, um sich in den unterschiedlichen Familien zurecht zu finden. Er öffnet die Autotür, wirft seinen Sack, eine Wasserflasche und das Hany auf den Beifahrersitz und startet den Wagen. Dann fährt der durch die geschmückten Straßen, seinem Einsatzort entgegen. Rockmusik dröhnt aus dem Radio, als er an der Kreuzung steht. Die Musik ist auf volle Lautstärke gestellt. Er wundert sich über ein Pärchen, das ihm lächelnd zuwinkt. Auch andere Fußgänger mit Geschenken unter dem Arm winken jetzt dem alten Auto zu. Unsicher winkt er zurück. Dann fällt sein Blick auf den Rückspiegel. Da sitzt tatsächlich ein Weihnachtsmann in einem Leichenwagen und hört rock and roll! Jetzt muss auch er schmunzeln und winkt lässig wie ein Cowboy zurück. Frohe Weihnachten, ruft er den Menschen zu.

Fünf Straßen weiter ist er am Ziel. Er schließt das Auto ab und huscht zum Hauseingang der ersten Familie. Er findet auf dem Türschild den Namen und drückt den Klingelknopf lange und anhaltend. Die Tür öffnet sich. Er schaut auf seine Uhr. Fünf Minuten zu spät. Auf dem ersten Zettel in seinem goldenen Buch sucht er den Hinweis auf das Versteck für die Geschenke. Immer wieder hatte er versucht, sich alle Einzelheiten zu merken. Aber jetzt, wo alles schnell gehen muss und das Lampenfieber hoch flackert, weil alle auf ihn warten und nichts vergessen werden darf, hat er doch vergessen, wo die Geschenke lagern. Unter dem Treppenabsatz, wie es geschrieben steht. Der Weihnachtmann findet sie. Gott sei Dank! Es klappt. Dann poltert er die Stufen hoch und klopft sehr laut an die Tür, so laut, dass ihm Zweifel kommen, ob er nicht etwas leiser hätte klopfen sollen. Die Tür öffnet sich. Zwei Kinder mit glänzenden Augen rufen nacheinander: Der Weihnachtsmann ist da! Dann flüchten sie in die Wohnstube zu den Erwachsenen. Der Weihnachtsmann folgt ihnen über den cremefarbigen Teppich. Alle starren erwartungsvoll auf den großen Kerl mit Sack und Buch, den sie im Sommer, wie einen Handwerker bestellt haben. Da ist er also. Mal sehen, ob er sein Geld wert ist und ob die Agentur gut ausgewählt hat.

Die Mutter starrt auf die Spuren, die seine groben Stiefel auf dem Teppich hinterlassen haben. Der Weihnachtsmann fragt, ob er die Stiefel ausziehen solle. Aber der Vater lacht nur darüber. Dankbar über die Atempause, hört er den Kindern zu, die mit Gedichten und Liedern den aufgeregten Weihnachtsmann aufzumuntern versuchen. Beiläufig schaut er auf die Uhr und glaubt seinen Augen nicht. 18 Minuten über der Zeit! Die nächste Familie! Er legt das Buch zur Seite, zerrt den Sack heran und wirft beinahe die Päckchen in die wartende Gesellschaft. Die Kinder fallen über die Verpackung her, während der Vater unbemerkt einen Geldschein in die Manteltasche schiebt. Danke, sagt der Weihnachtsmann und will sich verabschieden. Wollen sie nicht auch einen, fragt ihn die Mutter, die zwei Schnapsgläser bereit hält. Oh nein danke, wiegelt er ab. Ich muss noch zu sechs anderen Familien. Fröhliche Weihnachten!

Er hastet zurück zu seinem Auto und sieht andere Weihnachtsmänner durch die Straßen eilen. Ein Kollege auf dem Fahrrad ohne Licht grüßt ihn. Na wie looft es, ruft er und verschwindet in einer Nebengasse. Er startet hastig den Wagen und fährt um die Ecke. Über dem Lenkrad liegt der Stadtplan. Seine Augen suchen die Straßenschilder ab. Überall grüßen fröhliche Menschen den Mann mit Bart und Kapuze. Er schwitzt und reißt sich die Kunstwolle vom Gesicht. Jetzt grüßt keiner mehr.

Der Leichenwagen parkt vor der Haustür von Familie zwei. Hinter dem Fenster bewegt sich eine Gardine. Wo ist mein Buch, fragt er sich entsetzt? Oh Allmächtiger, ich hab es auf dem Teppich liegen gelassen. Er greift den Sack und eilt die nächste Treppe hinauf. Da liegen die Geschenke! Ich bin gerettet! Er pocht an die Tür und fragt sich, wie die Kinder heißen. Sekunden bevor sich die Tür öffnet, zieht er den Bart über das Gesicht und ruft Ho ho ho, von draußen vom Walde komm ich her. Die Kinder geben artig ihre Namen preis. Der Weihnachtsmann wirkt erleichtert. Sie sind spät dran, flüstert Vater zwei. Bart und Mantel kratzen auf der verschwitzten Haut. Der Weihnachtsmann will nur raus, weit weg von hier, sich die Kleider vom Leib reißen und sich ein wenig Abkühlung verschaffen. Aber die Kinder haben fleißig geübt und sagen nacheinander ihre Verse auf. Endlich ist es geschafft, denkt er, als auch die Eltern beginnen, den überhitzen, verspäteten Studenten im warmen Fell mit einem Lied zu beglücken. Die Uhr tickt, er kann sie fast hören. 25 Minuten! Pünktlichkeit, haben ihm die Kollegen geraten, bringt gutes Trinkgeld! Das kann ich wohl in den Wind schreiben, denkt er entmutigt, während er die Geschenke verteilt.

Weiter zu Familie drei, vier, fünf und sechs. Da plötzlich passiert es, 18 Uhr 43, mit 34 Minuten Verspätung. Der Weihnachtsmann rollt auf eine Kreuzung zu, bremst und will den Wagen wenden. Er legt den Rückwärtsgang ein, setzt zurück. Krach! Das Auto ist auf eine schwarze Limousine aufgefahren. Scheiße, brüllt der Weihnachtsmann, während er die Tür aufreißt und nach hinten läuft. Die Fahrer des anderen Fahrzeugs, ein Pärchen, bücken sich über den Schaden an ihrer Stoßstange. Der Student versucht sich zu rechtfertigen und bittet um Entschuldigung. Nun lacht die Frau. Dann auch der Mann. Sie richten sich vor dem Unfall- Weihnachtsmann auf. Ist schon gut, lieber Weihnachtsmann, das bisschen Beule ist nicht so dramatisch. Heute ist Weihnachten. Du hast bestimmt noch viel zu tun. Frohes Fest. Dann fahren sie lachend los.

Nummer sieben, ohne Kinder, die Besonderen. Sie haben sich einen singenden Weihnachtsmann bestellt. Zwei junge Männer öffnen die Tür. Ohne Pfefferspray, mit einem mulmigen Gefühl betritt er die Wohnung, bevor sich hinter ihm die Tür schließt. Er darf seinen Mantel ablegen, während ihn die beiden Männer herzlich willkommen heißen, sich umarmen und am Klavier „Oh du fröhliche...“ anstimmt. Mit Bart und T- Shirt sitzt er auf dem Sofa, singt erleichtert mit und erzählt von seinen Pannen.

CT/20.12.09/Belzig

 

Hallo castello,

und herzlich Willkommen im Forum.

Eine Weihnachtsgeschichte im Frühjahr ... da hatte ich es schon schwer, mich in Stimmung zu bringen :).

Hmm, wie soll ich sagen, also für mich liest es sich wie die Beschreibung eines Jobs. Ein Student gibt den Weihnachtsmann, soll sechs Mal die Kinder erfreuen und ein kinderloses Paar. Da wäre ja einiges an Konflikt drin, an Erlebnissen, an Pannen, was weiß ich.

Aber außer den Verspätungen und dem verlorenen Buch mit den Spickzetteln kommt da erst mal nicht viel. Auch scheint sich daraus gar nichts zu entwickeln. Alles geht glatt. Dann kam der Unfall und ich dachte, jetzt geht die Geschichte los ... aber wieder nicht. Alles gut, man verzeiht die Beule - ist ja Weihnachten - und auch das Paar ohne Kinder bringt kaum Spannung auf.

Mich störte auch, dass der Weihnachtsmann keinen Namen hatte, sondern immer nur der Student war. Das ist ein befremdendes Mittel, aber Du magst ja erreichen, dass der Leser mit ihm geht - sich in ihn hinein versetzen kann, mit ihm den Stress erlebt. Dazu müsstest Du ihm etwas mehr Persönlichkeit und Charakter gönnen. So bleibt er eben einer von vielen.

Bitte kennzeichne noch die wörtliche Rede:

Alle Sinne richten sich auf den roten Mann, der durch seinen fusseligen Bart zu den Kindern spricht: "Ho ho ho, ich kenne euch." Und dann lügt er weiter: "Das ganze Jahr über habe ich beobachtet, wie ihr in der Schule gelernt und wie ihr euren Eltern geholfen habt."

Es macht hier stilistisch keinen Sinn darauf zu verzichten und wirkt daher nur falsch ;).

Ein bisschen mehr Typ - vielleicht der super Coole - der dann auf romantisch, kitschige Weihnachten machen soll; oder der Schüchterne, der an fremden Wohnungen klingelt ... ein wenig mehr Konfliktstoff: bei jeder Familie Plätzchen bis zum Brechen, Kinder die weinen, eine besoffenen Großmutter - was weiß ich und wie er mit den Situationen zurecht kommt. Das er die Geschenke mal eben nicht findet, weil er seine Zettel verloren hat. Das wäre dann eine Geschichte und halt nicht nur eine Beschreibung eines Jobs. Möglichkeiten hast Du Dir ja unendlich viele eröffnet mit dem Setting ;).

Soweit meine Gedanken und Empfindungen.

Viel Freude Dir hier bei uns.

Beste Grüße Fliege

 

Der Studenten-Weihnachtsmann

Hallo Fliege

Danke für Deine Anregungen, für das hin- Lesen.

Die Figur bleibt etwas zurück; ich möchte sagen, sie bleibt offen. Da lässt sich noch was machen. Kein Alkohol in der Geschicht ist auch keine Lösung! Die besoffene Tante, Oma, was auch immer, gefällt mir noch nicht. Mal sehen!

Aber ist es nicht so, dass Weihnachtsgeschichten auch unter einem besonderen, schaumgebremsten Stern stehen?

castello

 

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