Was ist neu

Der Stuhlgang

Mitglied
Beitritt
24.09.2010
Beiträge
2

Der Stuhlgang

Er öffnet die Augen. Schwaches Licht trifft auf seine Netzhaut und er reibt sich, wie jeden Morgen, in den Augen, um wach zu werden. Wie jeden morgen steht er gemächlich auf um sein allmorgendliches Geschäft zu verrichten. Er wäscht sich und macht sich für den Tag bereit. Es ist kein normaler Tag. Lange Zeit hat er sich darauf vorbereitet, was heute passieren wird und seine Gedanken drehen sich seit geraumer Zeit nur um den heutigen Tag.
Die Tür wird vor ihm geöffnet und er schreitet hindurch. Gemächlich und schlaftrunken setzt er langsam einen Fuss vor den Anderen. Doch der Schein trügt. Seine Gedanken rasen, er denkt, was er schon tausendmal gedacht hat, und doch ist es heute irgendwie anders als sonst.
Er spürt das harte Linoleum unter seinen Füssen. Seine zwei uniformierten Begleiter halten sich stets einen halben Schritt hinter ihm. Einer zu seiner Rechten, der andere auf der linken Seite. Eine Ewigkeit scheint zu vergehen. Kein Wort wird gesprochen.
Endlich kommt er an seiner Destination an, seine Gedanken durchlaufen noch einmal, was sie schon tausendmal zuvor durchlaufen haben. Ein weiterer Uniformierter hält ihm die Türe auf und er tritt ein.
Wie es sich gehört, wenn man im Mittelpunkt steht, kommt er als letztes. Alle anderen sind schon anwesend und haben ihre Plätze bereits eingenommen. Er setzt seinen Gang ohne Unterbrechung fort und nimmt auf seinem Stuhl Platz, ohne etwas zu den Anwesend zu sagen. Und wieder denkt er an das, woran er schon tausendmal gedacht hat und seine Gedanken wandeln einem eindeutigen und doch unverständlichen und unklaren Ziel entgegen. Er atmet tief ein und sein Blick schweift durch den Raum, passiert alle Anwesenden. Sie alle haben ihre Augenpaare auf ihn gerichtet, denn auch sie haben sich auf diesen Tag vorbereitet. Wahrscheinlich denken sie auch dieselben Gedanken, die sie schon tausendmal gedacht haben, wenn auch diese Gedanken trotz allem anders sind als seine eigenen.
Er atmet noch einmal tief ein, während seine Gedanken sich erneut dem verworrenen Ziel nähern und er schliesst die Augen. Die Welt wird schwarz und doch sind seine Gedanken klarer und dennoch unklarer als jemals zuvor.
Er weiss, dass ein Uniformierter an der Wand steht und sein Blick auf ihn gerichtet hat. Er weiss, dass dieser Uniformierte gleich den Schalter umlegen wird.
Ein kurzes Aufblitzen vor seinem inneren Auge bestätigt ihm, was er sowieso schon gewusst hat und seine Gedanken durchlaufen in einem Bruchteil einer Sekunde noch einmal, was sie schon tausendmal durchlaufen haben mit dem Unterschied, dass sie nun ihr Ziel finden, immer noch unklar, dafür absolut.
Stille herrscht im Raum, als der Uniformierte an der Wand den Schalter wieder zurückstellt und still ist es auch auf dem Stuhl, auf den alle Augen gerichtet sind. Das Urteil ist vollzogen, die Frage nach der Schuld überflüssig geworden.
Die Anwesenden verlassen den Raum und kehren zu ihrem Leben zurück. Nur auf dem Stuhl im Mittelpunkt herrscht kein Leben mehr und der Mann wird nie mehr erfahren können, wohin ihn seine tausendmal gedachten Gedanken geführt haben.

 

Hallo Iluvatar

Die Idee gefällt mir, die Umsetzung aber verdient Vertiefung und teilweise eine gewandtere und treffendere Wortwahl.

… und er reibt sich, wie jeden Morgen, in den Augen, um wach zu werden.
Präziser wäre wohl: … die Augen … oder dann … an den Augen ….

Oder hier:

Endlich kommt er an seiner Destination an …
Es ist zwar seine letzte Reise, die er antritt, doch wäre aussagekräftiger etwa: … in dem sagenumwobenen Raum an …

Über seine Empfindungen, oder auch seine Denkblockaden, kommt nichts durch, es bleibt ein rein äusseres Geschehen, obwohl man seine Geschichte aus seiner Perspektive erfährt.

An sich habe ich es gern gelesen :), doch würde es mehr Eindruck machen, wenn die Geschichte durch die Gefühle des Todeskandidaten sich beleben würde. Den Titel finde ich ungewöhnlich für diese Handlung, er setzt falsche Assoziationen beim Leser, aber dadurch gerade überraschend.

Würde mich freuen, einmal die spannungsangereicherte Version zu lesen.

Gruss

Anakreon

 

Vielen Dank für diese (meine ersten :) ) Kritiken. Der Titel ist nicht sehr gelungen, das gebe ich zu, aber mir ist nichts passederes dazu eingefallen, und auch jetzt wüsste ich nicht, wie ich die Geschichte sonst nennen sollte...

Die Wiederholungen sind zumindest bei den Gedanken, die er schon tausendmal hatte, gewollt. Aber ich werde versuchen, es umzuschreiben, denn langweilig soll es ja nicht sein ;)

Auf die Gedanken selber möchte ich jedoch nicht zu tief eingehen, da ich die Zweideutigkeit der Geschichte so lange wie möglich aufrecht erhalten möchte.

 

Die Welt wird schwarz und doch sind seine Gedanken klarer und dennoch unklarer als jemals zuvor.

Ich denke, da weiß jemand nicht, was er schreibt und warum er solch eine Geschichte schreibt.
Und der Titel ist mehr als unglücklich gewählt.

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom