Der Sturz
"Warum dauert denn das so lange?!" Beinahe zwei Minuten verstrichen ehe ein Signal unter einem hellen Ton aufleuchtete. Dabei waren es nur 24 Stockwerke. Wo er doch heute noch so viel zu tun hatte. Seine Uhr zeigte schon 20.10 Uhr an. Vielleicht müsste er noch etwas essen. Zu Mittag hatte er keine Zeit dazu. Die in der Abendsonne rot schimmernde Türe öffnete sich.
Obwohl es warm war wurde ihm jedes Mal kalt, wenn er das quadratische Fahrzeug betrat. Geblendet von dem künstlichen Licht, welches grell von den glänzend polierten Metallwänden reflektiert wurde, tastete er nach der untersten der vielen Schaltflächen. Als sich die Kabine unter einem leisen Summen in Bewegung setzte, öffnete er langsam die Augen. Was er heute alles noch tun musste. Seit Tagen waren die Rechnungen wieder fällig, an die dreissig Mails sollten noch gelesen und bearbeitet werden und der Fehler im System war noch nicht behoben.
Durch einen heftigen Ruck wurden seine Gedankengänge unterbrochen. Der Lift stand still. Doch die Tür ging nicht auf. Weil die Etagenanzeige ausfiel wusste er nicht wo er sich befand. Auch das Betätigen jeglicher Tasten brachte keine Veränderung der Situation. Noch so viel Arbeit und nun so etwas. Er schlug mit aller Kraft gegen alle Wände, doch niemand schien seine Hilferufe zu hören. Das Licht wurde mit einem Knall nur noch sehr schwach, dass er sich erschrocken gegen eine Wand stemmte. Das Metall fühlte sich kalt an, doch die Luft war stickig und warm. Wenn sich die Türe nicht bald öffnete würde er ersticken, denn die Lüftung schien auch ausgefallen zu sein. Nein, er wollte nicht sterben, dafür hatte er noch zu viel zu erledigen.
Er schlug wild um sich und schnaufte wie ein Tier. Die Luft wurde immer schwüler, ihm wurde übel und er schien gleich zu ersticken. Doch dann setzte sich der Lift wieder in Bewegung. Er atmete auf und er empfand einen angenehm warmen Hauch in seiner Lunge. Er lehnte sich an die Wand die sich angenehm kühl auf seinem Rücken anfühlte. Endlich konnte er nach Hause und weiter arbeiten. Immer schneller gings nach unten. Das war nicht normal, irgend etwas stimmte nicht. Dann wusste er wie es um ihn stand. In einem Käfig in den Tod stürzend. Bilder stiegen in ihm hoch. Seine Frau, sein Kind, er als kleiner Junge, sein ganzes Leben. Tränen schimmerten in seinen Augen. Doch das war nicht sein richtiges Leben. Stunden schienen zu vergehen. Er fiel. Schweiss ran aus allen Poren und es lief ihm kalt den Rücken runter. Immer schneller gings nach unten und immer schneller wechselten auch die Bilder. Familie, seltene Ferien, sein Büro. Durch den Druck steckte ihm beinahe der Magen im Hals. Sein Arbeitstisch, sein Projekt. Er musste es doch noch beenden, denn das war sein Leben.