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Der Tag, an dem der Koi Ikeda starb
Ich bitte Sie um Verständnis, lieber Leser, dass ich einige Details der Begebenheit, von der ich heute berichte, ändern musste, um die Beteiligten zu schützen. Außerdem möchte ich dem Ausgang der gerichtlichen Verfahren, die über die Angelegenheit noch anhängig sind, nicht vorgreifen. Ich kann Ihnen aber versichern, dass es fast genau so tatsächlich geschehen ist. Ich habe kaum etwas ausgeschmückt und wenig weggelassen. Die besten Geschichten schreibt einfach das Leben. Aber lesen Sie selbst:
Dr. Hans Koster (dieser Name ist natürlich geändert) hatte sich das kleine Reihenhaus in dem Vorort erst vor einigen Monaten gekauft. Die wichtigsten Renovierungsarbeiten waren erledigt, aber das Haus sah noch immer aus wie eine Baustelle. Das Frühstück fand zwischen Estrichsäcken statt und der Weg von Frau Koster zur Dusche war von gemurmelter Anerkennung der polnischen Aushilfen begleitet. Die neue Gastherme im Bad pfiff, die Dunstabzugshaube in der Küche blies in den Vorratsschrank und das Kinderzimmer war Neon- statt Dottergelb gestrichen. Die Nerven lagen dementsprechend blank. Die alte Wohnung hatten sie kündigen müssen, weil die Finanzierungskosten neben der Miete einfach nicht aufzubringen waren. Und an diesem Montag waren noch die Kostenrechnung des Notars für die Eintragung der Grundschuld und der Bescheid über die Grunderwerbssteuer gekommen. Die Vorstellungen in der Bevölkerung, wie es mit der finanziellen Situation junger Ärzte aussieht, haben mit der Wahrheit leider nicht viel gemein. Glauben Sie mir, ein Fleischermeister, der gelegentlich mal ein Schwein unter der Theke halbiert, verdient wesentlich mehr als ein Assistenzarzt in der Notfallchirurgie. Und das ohne 24-Stunden-Schichten und Wochenendbereitschaft.
Es muss noch erwähnt werden, dass Dr. Koster seit Donnerstag praktisch ununterbrochen im Dienst war. Auftakt war die berüchtigte Vatertagsschicht, unter den Kollegen liebevoll "Himmelfahrtskommando" genannt. Es ist beeindruckend, zu welchen Verletzungen betrunkene Männer bereits nachmittags in der Lage sind. An Schlaf war in der Nachtschicht natürlich nicht zu denken. Aber im Moment brauchte Dr. Koster einfach jeden Euro und so hatte er die ungeliebten Dienste bereitwillig übernommen. Montags jedenfalls war er ausgelaugt und übernächtigt. Man kann wirklich nicht sagen, dass Dr. Koster an diesem Tag glücklich war.
Kosters Lichtblick in dieser Situation war der neue Garten. Endlich hatte er sich seinen Traum verwirklichen und einen Garten ganz nach seinen Vorstellungen planen und gestalten können. Das Kernstück war die großartige Teichanlage. Vorne eine von Iris umsäumte Holzterrasse (das geölte Olivenholz hatte er Dank guter Beziehungen des Oberarztes günstig aus Spanien bezogen), hinten, vor dem winterharten Bambus ein Uferstreifen aus weißen Kieseln. Monatelang hatte er recherchiert, mit Gartenbauern diskutiert, sich in Internetforen umgehört. Der Teich sollte das perfekte Biotop für Kosters neue Leidenschaft abgeben: Koi.
Seine Frau hatte zunächst wenig Verständnis. "Ich kaufe Nudeln bei Aldi und Du willst Goldfische für tausend Euro kaufen?" hatte sie ihn entgeistert gefragt. "Koi, japanische Zierkarpfen. Das sind keine Goldfische." Am Ende hatte sich Koster mit Geduld, Beharrlichkeit und unter Beteiligung der begeisterten Kinder durchgesetzt. Und so wirkte der Teich im Garten zwar noch etwas freudlos aber den sieben Koi schien es gut zu gehen. Für einige der preiswerteren Kujake und Sanke hatten die Kinder als Belohnung für die Unterstützung die Namensrechte, weswegen sie Goldi, Tipsy oder Spunk hießen. Kosters größter Stolz war aber Ikeda, das metallisch glänzende Gin Matsuba-Männchen. Der fünfjährige und etwa einen halben Meter große Ikeda (seine Frau meinte, das klänge wie Ikea) hatte 1950 Euro gekostet und fraß zu Kosters großer Freude bereits nach einigen Tagen aus der Hand. Es war ein herrliches Tier. Der Züchter hatte zu der guten Wahl gratuliert und den Preis zur Wahrung des ehelichen Friedens in der Rechnung etwas niedriger ausgewiesen.
Getrübt wurde die Freude allein durch die handwerklichen Mängel bei der Ausführung des Teichs. Dafür hatte er Willich-Gartenbau, einen eingetragenen Meisterbetrieb, beauftragt und nun faltete sich am Rand eine hässliche schwarze Folienwulst auf. Anstelle des harmonischen Übergangs in den Kiessaum sah es aus, als hätten dort die Folgen einer Ölhavarie gesichert werden müssen. Furchtbar. Dr. Koster war entsetzt und hatte den Meister, einen cholerischen Mittvierziger, mehrfach erfolglos zur Nachbesserung aufgeordert. "Das ist kein Teich, das ist eine Katastrophe. Sie bekommen von mir keinen Cent, wenn Sie das nicht in Ordnung bringen." Willich, der sich offenbar zutiefst in seiner Meisterehre gekränkt sah, wies Koster lautstark auf dessen mangelhafte Gartenbaukenntnisse hin "Ich baue seit 15 Jahren Gartenteiche. Ich weiß, wie das auszusehen hat. Der Teich ist in Ordnung und ich will mein Geld. Basta." Mit der Zeit eskalierten die Dinge. Koster verweigerte die Zahlung, Willich übergab die Sache einem Inkassobüro und drohte mit der Eintragung einer Handwerkersicherungshypothek. Mittlerweile stellte sich heraus, dass der Teich auch noch leckte. 50 Liter Frischwasser mussten jede Woche nachgefüllt werden, was das sensible biologische Gleichgewicht für die Koi durcheinander brachte. Anwälte und Sachverständige wurden betraut. Es ergab sich, dass ein Mangel vorlag und der Gartenbauer zur Nachbesserung verpflichtet war. Als Termin wurde der besagte Montag vereinbart. Sie erinnern sich, der Montag nach der Wochenendschicht und mit dem Steuerbescheid.
Willich erschien mit zum Kampf entschlossener Miene gegen drei Uhr nachmittags und hatte nichts als eine Aktentasche bei sich. Koster, der diese Miene schon kannte, machte deutlich, dass er weitere Diskussionen nicht führen würde, bevor der Teich in Ordnung gebracht ist. Der Meister erwiderte nur "Wir bringen das jetzt in Ordnung" und stapfte grimmig in den Garten. "Ich weiß überhaupt nicht was Sie wollen. Der Teich sieht doch großartig aus und Ihre Goldfische fühlen sich ja wohl pudelwohl. Gucken Sie mal, wie dick die sind." Ikeda war neugierig herbeigeschwommen und freute sich offenbar, dass er hinter den Brustflossen gekrault werden würde. Koster konnte nur schwer die Contenance wahren. "Herr Willich. Der Teich ist mangelhaft. Darüber gibt es jetzt keine Debatten mehr. Sie bringen das jetzt in Ordnung oder verlassen sofort meinen Garten." Willich schwieg und nestelte an seiner Aktentasche. "Herr Willich. Verlassen Sie mein Grundstück. Sofort." Willich kramte eine milchige Plastikflasche aus seiner Tasche und schraubte an dem kindersicheren Verschluss. "Herr Willich. Das ist Hausfriedensbruch. Verlassen Sie mein Grundstück oder ich rufe die Polizei."
Während im Haus Karin Koster der Polizei erklärte, dass sich ihr Mann versuchte, mit einem Handwerker über die Ausführung von Nachbesserungen an einem Gartenteich zu verständigen und deswegen sofort ein Streifenwagen kommen müsse, goss Meister Willich einen Liter konzentrierte Schwefelsäure über die Teichfolie. Mit entsetztem Gesicht nahm Koster zur Kenntnis, wie sich die Folie Bläschen werfend auflöste und ein Koi nach dem anderen mit dem Bauch nach oben an die Wasseroberfläche stieg. Willich steckte seelenruhig die leere Flasche wieder in seine Aktentasche, meinte lakonisch "So, jetzt habe ich mir wiedergeholt, was meins ist." und machte Anstalten, zu gehen. Koster zeigte mit offenem Mund, unfähig ein Wort herauszubringen, auf Ikeda, der mit einer letzten Zuckung der silbrigen Schwanzflosse sein Leben aushauchte.
Koster, der etwa zwei Kopf größer war als der Gartenbauer, hatte keine Schwierigkeiten, den lauthals "Freiheitsberaubung" schreienden Willich bis zum Eintreffen der Polizei festzuhalten. Der ältere der beiden Polizisten schloss, nachdem er sich die Schilderung des Vorfalls angehört hatte, sein Protokoll mit der Bemerkung, dass es sich wohl eher um ein zivilrechtliches Problem handele. Willich könne aber froh sein, dass er das nicht mit ihm gemacht habe. Als der Hauptwachtmeister sagte, er hätte sicher anders reagiert und Kosters Besonnenheit lobte, fühlte dieser sich etwas besser und unterschrieb die Strafanzeige.
Am nächsten Tag telefonierte Koster mit seinem Anwalt. "Naja" sagte dieser, "die Rechnung brauchen Sie jetzt jedenfalls nicht mehr bezahlen und die Fische kriegen Sie ersetzt - Sie haben doch eine Rechnung, oder? In dem Strafverfahren wird allerdings nicht viel rumkommen. Ich schätze, Einstellung des Verfahrens wegen Sachbeschädigung gegen eine Geldbuße von ein paar hundert Euro." Der Moment, in dem Koster den Glauben an den Rechtsstaat endgültig verlor, war wohl, als er Ikeda aus dem Teich fischte.
Es gelang Karin Koster nicht wirklich, ihren Mann zu beruhigen, bevor er zu seiner Nachtschicht aufbrach.
Ein paar Straßen weiter fühlte Gartenbaumeister Willich ein eigenartiges Drücken im Bauch. Der ganze Ärger war ihm wohl doch auf den Magen geschlagen. Als es schlimmer wurde, rief seine Frau den Notarzt, der ihn nach kurzer Diagnose gleich mit Blaulicht ins Krankenhaus bringen lies. Koster war gerade mit der Versorgung einer Schnittwunde bei einem Kleinkind fertig geworden, als ihm die Schwester das Patientenblatt übergab "Magendurchbruch in OP 3". Er desinfizierte seine Hände und sah sich den Zettel an. Ernst Willich. Ein eigenartiges Gefühl durchfloss Koster. Lächelnd ließ er den Operationshandschuh über sein Handgelenk schnappen und ging in den Operationssaal. Der Anästhesist nickte ihm zu "3 % Sevofluran. Eine Minute." Willich musste jetzt noch bei Bewusstsein, aber bewegungsunfähig sein. Es war also genau der richtige Augenblick.
Das letzte, was Willich sah, war, wie der Arzt sich über ihn beugte, seine Gesichtsmaske ein Stück herunterzog und ihm zuzwinkerte.