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Der Tag an dem ich den neuen Papst im Fernsehen sah
Ich war müde. Ziemlich müde. Mehr oder weniger gar nicht mehr wach möchte man sagen. Meine Augen fielen zu wie eine stählerne Klappe, doch da war noch etwas, das mich wach hielt.
Raubbau am Körper nennt man sowas, fiel mir in diesem Moment ein. Raubbau am Körper. Man baut ab, wo man eigentlich gar nicht abbauen dürfte, ohne Baugenehmigung, quasi. Am Schluß ist dann nichts mehr da, außer eine vertrocknete Hülle mit einem fahlen Geist. Und das alles nur, damit man den neuen Papst sehen kann.
Ich konnte seit Tagen nicht mehr schlafen. Seit der alte Herr den Hirtenstab abgegeben hatte, war ich innerlich so aufgewühlt, man könnte mich mit einem Wüstensturm vergleichen. Innerlich zumindest. Sonst nicht. Eher nicht. Das ist zumindest meine persönliche Einschätzung von mir selbst. Die Leute schrecken zurück wenn man Kardinalsgewänder im Supermarkt trägt. Natürlich nur zertifizierte Kopien, genehmigt von der katholischen Kirche. Aber doch ein ganz ansehnlicher Nachbau, könnte man sagen.
Als zum ersten Mal der schwarze Rauch aufstieg weinte ich zunächst. Ich war bitter enttäuscht. Doch dann fiel mir ein, dass es eigentlich ein gutes Zeichen sein müsste, wenn sich die Herren Kardinäle ihre Wahl gut überlegen. Dann weinte ich wieder. Dieses Mal aus Glück. Wieder dieses aufgewühlt sein. Unerträglich. NTV, Nachrichtensendungen, rund um die Uhr. Diesen Rauchfang könnte ich schon im Schlaf nachzeichnen, ohne Probleme.
Dann Tag 2, heute ist der Tag der Entscheidung, das weiß ich. Das bedeutet, eigentlich weiß ich es nicht, ich hoffe es zumindest, da ich einen weiteren Tag ohne Schlaf nicht mehr durchhalten kann. Und so sitze ich nun hier, bitter gespannt, vor meinem Fernseher im 3. Wiener Gemeindebezirk, nur, um erste Blicke auf den neuen Papst erhaschen zu können. Einmal noch den Fernseher kontrollieren, keine aktuellen Ereignisse. Langsam sinke ich wieder auf meinen Polster zurück, der sich mittlerweile schon triefend nass von meinem Schweiß wie ein Handtuch nach einem Freibadbesuch anfühlt. Wohlig warm mit schönen Errinnerungen verknüpft und doch angenehm feucht..........
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"Habemus papam!" Ich hörte diese Worte und blickte auf die mir zujubelnde Masse herab. Unbeschreiblich meine Freude, unbeschreiblich mein Glück. Was sollte ich sagen? Hatte ich doch gar keine Rede vorbereitet... Ich ging zwei Schritte auf die Gläubigen zu und spendete ihnen den ersten Segen. Irgendwie gelang es mir, den lateinischen Spruch ohne Probleme aufzusagen. Wahnsinn. Ich, der neue Papst.
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"...Josef Ratzinger, der erste deutsche Papst seit über 500 Jahren, spendete vorgestern seinen ersten Segen den gläubigen Menschen am Domplatz. Nun weiter zum NTV-Newsblock." hörte ich es aus dem Fernseher dröhnen, nachdem ich meine Augen wieder öffnete.