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Der Tag, an dem Katzen fortgehen

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11.07.2007
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Der Tag, an dem Katzen fortgehen

Der Tag, an dem Katzen fortgehen


Markus und Viola sehen sich kurz im Flur ihrer gemeinsamen Wohnung. Der Wohnung, aus der Viola vor wenigen Tagen ausgezogen ist. Eine halb ausgeräumte Wohnung. Überall sind die Bohrlöcher der entfernten Regale und Schränke zu sehen. Markus hatte weder Zeit noch Lust, die Löcher und Risse zu gipsen und Flecken zu entfernen, die das Ende ihres gemeinsamen Lebens deutlich machen. Er wollte, dass diese Löcher wie Wundmale noch lange Zeit zu sehen sind. Damit er es begreift: Viola ist nun gegangen.

Markus steht in dem fast leeren Wohnzimmer, in seiner dunkelgrünen gefütterten Jacke, die sie vor wenigen Wochen noch zusammen eingekauft haben. Er glaubt noch immer, dass ihn diese Jacke „Vorne herum dick macht“. Darum schließt er sie selten mit dem Reißverschluss und lässt sie auch bei großer Winterkälte vorne geöffnet. Seine Hände bohrt er in seine Jackentaschen und ist erschrocken und überrascht, seine Frau Viola doch an diesem Tag in dieser Wohnung zu sehen. Er wollte es unter allen Umständen vermeiden, ihr hier und jetzt zu begegnen. Es ist gegen die Absprache. Markus hatte sie gebeten, eine genaue Zeit anzugeben, in der sie in die Wohnung kommen sollte.
Er liebt sie so sehr. Der Schmerz über ihren Verlust und den Verlust seiner Familie, seiner Tiere, die er nie haben wollte und die doch sein Herz in Sekunden schnurrend in Beschlag nahmen, dieser Verlust erschien ihm zu groß, als dass er den Anblick ertragen könnte. Deswegen will er nicht sehen, wie seine beiden Lieblinge nun auch noch in große Plastik- Kisten verpackt werden und ihn für lange Zeit verlassen. Er will auch nicht sehen, wie seine Frau und sein Sohn mit den heftig maunzenden Katzen in das Auto steigen und in die neue Stadt fahren.

Aber jetzt stehen sie sich doch gegenüber, in ihrer gemeinsamen alten Wohnung und sind sprachlos vor Schreck.

Markus klopft auf seine Armbanduhr: “Du bist zehn Minuten zu früh. Ich bin jetzt weg.“
„Entschuldige, ich kann die Zeit nicht auf die Minute planen. Wir kommen von der Autobahn.“ sagt Viola und fühlt etwas ganz anderes. Sie möchte ihn in die Arme nehmen und dabei weinen, schreien: “Das kann doch nicht wahr sein, dass wir beide hier so stehen. Du bist doch mein Mann. Ich deine Frau. Wir lieben uns doch. Ich habe dich in meine Seele sehen lassen. Du kannst doch jetzt nicht so weggehen? Das kannst du doch nicht! Nimm mich in deine Arme und sage mir, dass alles gut wird. Dass wir zusammen gehören. Dass wir alt werden zusammen. Sag es. SAG ES!“

Doch Viola steht einfach da. Sie bewegt sich keinen Zentimeter und kann nichts sagen.
Markus dreht sich um und geht, steigt in den schwarzen Volvo seiner Freunde, der wartend auf dem Parkplatz steht. Seine Freundin im Schlepptau, zu der sie nie einen richtigen Draht hatte. Sie holt ihn ab damit er nicht so einsam ist, an dem Tag, an dem auch seine Katzen fortgehen.
Dann fährt er weg im schwarzen Auto, im strahlenden Wintersonnenschein und dreht sich nicht mehr um.
Später am Tag erzählt Markus ihr am Telefon, dass die kleine graue Katze den ganzen Tag hinter ihm hergelaufen ist, maunzend und auf Katzenart erzählend, um Aufmerksamkeit bettelnd. Schließlich schlief sie sogar in seinem Bett, als wenn sie geahnt hat, dass es die letzte Gelegenheit war, in diesem Bett bei ihm zu schlafen. Selten hatte sie sich zu ihm gelegt, sie ist eher autark und schließt sich nicht schnell an Menschen an.Sie lebt ihr Katzenleben ohne viel Zuwendung zu beanspruchen. Markus ist der einzige Mensch, der sie minutenlang auf den Arm nehmen darf, um ihr das weiche graue Tigerfell zu streichen. Er erzählte seiner Frau, die ihn verlassen hat, dass es ein schwerer Abschied war. Dass er geweint hat um die kleine Katze, um den schönen Kater.
Er liebt sie so, diese Tiere. Er hat sie verloren. So wie er Viola und das Kind, ihre gemeinsame Zukunft verloren glaubt.

Sie kennen sich doch gut, so gut. Sie lesen ihre Gedanken, er spricht oft aus, was sie gerade denkt und umgekehrt.
Neulich fuhren die durch dunkle Straßen, vorbei an Häusern, Autos, Bäumen und Menschen. Es war eisig kalt draußen. Auf der Straße lief ein entgegenkommender Hund an der Leine seines Herrchens. Seine Augen leuchteten unheimlich im reflektierenden Licht der Autoscheinwerfer. Niemand außer ihnen hätte zur gleichen Zeit das wölfische Leuchten der Tieraugen, nur wenige Zentimeter über dem vorbeihuschenden Asphalt, wahrgenommen.
„Der Hund.“ sagte Viola zu ihm . „Ich weiß.“ sagte Markus und lächelte. Sie redeten nicht über die Hundeaugen, das Leuchten. Sie wissen einfach: ER hat es gesehen, SIE hat es zur gleichen Zeit wahrgenommen.
Ihre Sinne sind gleichgeschaltet sowie ihre Seelen. Sie verständigen sich mit Blicken, über Menschen hinweg. Alle Sinne sind immer gespannt, aufnahmefähig und nach Außen gerichtet.
Was in ihnen und mit ihnen geschieht, das haben sie in den letzten Jahren nicht immer gespürt.
Sie hatten keine Muße, denn sie haben viel gearbeitet. Zu viele Hunde mit leuchtenden Augen kreuzten ihren gemeinsamen Weg.

Nun steht Viola in ihrer Küche, in der Markus auf der Anrichte die letzten banalen Reste ihres gemeinsamen Lebens gesammelt hat, zum letzten Transport bereit.
Hier liegen angebrochene Cremetiegel, Lippenstift, ein uraltes Deo. Katzenbürsten, Katzenspielzeug. Ungeöffnete Post. Ihr fiel ein, dass sie dringend alle Behörden über ihren Umzug in die große Stadt benachrichtigen muß, das hat sie noch nicht geschafft. Die Zeit ist so knapp, es gibt so viel auf einmal zu erledigen.

Ein letzter leerer Karton füllt sich mit den Überresten eines Jahrzehnts gemeinsamen Lebens.
„Wie schrecklich.“ denkt sie, und „Mir ist zum Heulen. Wie schaffe ich bloß die lange Fahrt über die Autobahn? Mit schreienden Katzen und selbst schreiend?“

Viola öffnet ein letztes Mal die Wohnungstüre und schleppt die schweren Katzenkörbe mit dem jammernden Inhalt nach draußen. Findet Plätze im Wagen für die Tiere, damit sie sicher und gut den Transport überstehen. Dann geht sie zurück und schließt die Haustüre ab.

Und dann steigt Viola in ihren Wagen, dreht den Zündschlüssel im Schloss, der Motor springt an und sie weiß: Wenn sie jetzt losfährt, wird nichts mehr so sein, wie es mal war.

An Tagen, an denen Katzen fortgehen, da ändern sich Leben.

 

Hallo Mai - Marie, deine Geschichte hat mir wirklich sehr gut gefallen. Man kann es alles richtig mitempfinden - die Verzweiflung, die Traurigkeit, die letzte kleine Hoffnung, die dann doch noch erlischt. Traurig, aber schoen geschrieben.

Zitat:

Markus dreht sich um und geht, steigt in den schwarzen Volvo seiner Freunde, der wartend auf dem Parkplatz steht. Seine Freundin im Schlepptau, zu der sie nie einen richtigen Draht hatte. Sie holt ihn ab damit er nicht so einsam ist, an dem Tag, an dem auch seine Katzen fortgehen.


Das verstehe ich nicht . Das Auto seiner Freunde? Oder meinst du, seines Freundes? Und wessen Freundin ist das , zu der "sie" nie so einen richtigen Draht hatte? Seine Neue? Wohl kaum, oder?

Beim Lesen hatte ich noch gehofft, zu erfahren, was denn nun der Grund der Trennung ist, aber wahtscheinlich spielt das keine Rolle, wenn ich es mir recht ueberlege.

Gruss, sammamish

 

Hallo Mai-Marie

Ich habe Verständnisschwierigkeiten. Wer verlässt denn nun eigentlich wen?
Markus denkt: Viola ist gegangen.
Viola denkt: Du kannst doch jetzt nicht so weggehen?
Viola ist gekommen, um die Katzen abzuholen. Es heißt aber: ‚Später am Tag erzählt Markus ihr am Telefon, dass die kleine graue Katze den ganzen Tag hinter ihm hergelaufen ist’.
Also hat sie die Tiere nicht mitgenommen?
Und wie schon sammamish bemerkte: Was hat es mit den ominösen Freunden im Volvo auf sich und mit der neuen Freundin?
Merkwürdig finde ich auch, dass der gemeinsame Sohn nur beiläufig erwähnt wird, dafür aber ständig um die Katzen herumgejammert wird.
Also Markus liebt Viola und Viola liebt Markus. Aber sie trennen sich offensichtlich. Wenn sie sich so sehr lieben und so gut verstehen, warum gibst du keinen Hinweis über den Grund der Trennung?
Du hast den Text, wie ich finde, mit viel Gefühl geschrieben, aber ihn damit auch etwas überfrachtet. Außerdem irritieren die oben genannten Stellen. Die Verbindung zu den Katzen ist mir persönlich zu kitschig, jedenfalls in dieser Version.
Dein Anliegen, den Trennungsschmerz darzustellen, ist dir wohl gelungen aber dem Text fehlt der richtige Schliff.
Vielleicht empfinden das andere Leser nicht so.

Viele Grüße
Hawowi

 

Hallo Hawowi,

danke für deine Mühe und deine Anmerkungen.
Deine Verständnisschwierigkeiten sind leicht zu beheben. Aus Freunde wird Freundin. Die kleine graue KAtze lief am letzten Tag hinter ihm her.
Sie trennt sich von ihm.
Das heißt aber nicht, dass sie es fröhlich tut- sie leidet genau wie ER.
So ist das manchmal im Leben. Werde versuchen, das herauszuarbeiten.
Es sind Kleinigkeiten, die zu ändern sind. Und das werde ich dann in den nächsten Tagen machen.

Ich danke dir für deine wichtigen Anregungen.
Kitschig ist ein schwieriges Wort für mich. Das ist wirklich eine ganz persönliche Auffassung, das mit dem Kitsch.
Der eine findet es gehühlvoll, der andere eben kitschig. Und die, die Katzen lieben, die wissen eh Bescheid.

Herzliche Grüße

Mai- MArie

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo, Mai-Marie!

Hm, ich hab wohl ein Brett vorm Kopf. Ich verstehe das nicht: "Er liebt sie so sehr. Der Schmerz über ihren Verlust und den Verlust seiner Familie, seiner Tiere..." Ist damit gemeint, dass er vor allem die Katzen als seine Familie betrachtet? Dann weiß ich, warum seine Frau ihn verlässt! Oder liebt er seine Frau doch noch? Und warum, zum Henker, sagt keiner von beiden, was los ist, wenn sie sich doch eigentlich gar nicht trennen wollen?

Vielleicht gibt es Situationen, in denen das passieren kann, auch im echten Leben und bei "normalen" Leuten, aber eine solche Situation müsste ich mir mühsam konstruieren - vor allem bei offenbar langjährigen Eheleuten. Da du aber eine solche Situation schilderst, wäre es vielleicht wirklich besser, wenn du dem Leser eine Begründung liefertest. So, wie das ganze da einfach im Raum steht, entsteht nämlich wirklich eine Art Pilcher-Dramatik, weil man automatisch an die in Liebesromanen üblichen Missverständnisse, Irrungen und Wirrungen denken muss. Das ist schade, denn ich finde (einen nicht zu fantastischen Hintergrund vorausgesetzt), dass du die Traurigkeit des Paares - zumindest für meinen Geschmack - glaubhaft und nicht überkitscht dargestellt hast.

Viele Grüße

Richard

 

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