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Der Tag, an dem sich die Zahl meiner intakten Gehirnzellen halbierte
Ich habe einige Erlebnisse in meinem Lebenslauf zu verzeichnen, die sicherlich spektakulärsten entziehen sich aber leider meiner Kenntnis, da Format c:/ die letzte Eintragung ist, an die ich mich am Tag danach erinnern kann. Ich weiß nicht mehr, welcher Schluck aus der Whiskyflasche diese Befehlszeile an mein konserviertes Gehirn geschickt hat, aber es muss wohl einer der letzten gewesen sein.
Der Tag, an dem sich die Zahl meiner intakten Gehirnzellen halbieren sollte, begann Erfolg versprechend. Ich war schon seit morgens dabei, unseren Garten umzugraben, damit die Quecken es leichter haben, sich zu vermehren. In dem Moment, als ich unsere Schafe mit Birnenkrebsen zum Sport animierte, hielt Bernd, mein langjähriger Klassenkamerad, mit einer beachtlichen Bremsspur vor unserem Haus. Ein kurzer Check der richtigen Vergasereinstellung seines Mopeds macht jedes Klingeln an der Tür unnötig, und das Öl, das dabei aus dem Auspuff tropft, hätte gereicht, um unter dem Fußweg ein riesiges Vorkommen zu vermuten.
Bernd kommt mit einem breiten Grinsen den Gartenweg hinuntergelaufen, und ich habe es kurz darauf auch, weil er mir sagt, dass es eine Freibierparty gibt und nicht einmal weit weg. „Kelly, wenn du Lust hast, kannst du auch zurück fahren, mit Svens 5er BMW“ sagt Bernd, während er in gewohnter Ninja-Manier eine Tomate mit dem Spaten zerteilt.
Mir ist klar, dass es die Opferbereitschaft eines japanischen Kamikazepiloten erfordert, bei einer Freibierparty der Fahrer zu sein. Aber die Aussicht, der Kapitän des größten Kreuzers der Umgebung zu werden, läßt mich zu der Aussage „kein Problem“ und „Bernd, wir wollen keinen Ketchup ernten“ hinreißen. Nachdem der Ninja einen Ast vom Birnenbaum abgeschlagen hat, gehen wir zusammen zu seiner Karre. Er zeigt mir nicht nur die neuen Anbauteile, sondern auch die Stellen, wo noch weitere hinkommen sollen und erwähnt nach jedem Satz, dass er nun endgültig pleite wäre, in der Hoffnung, ich könne mich am Tresen in der Disco noch daran erinnern.
Bernd hatte noch eine Menge zu erledigen, und verabschiedete sich mit einem Händedruck. Ich sah noch mit erhobenen Daumen zu, wie er mit dem Hinterrad eine Acht auf unsere Strasse zauberte, einen Bordstein herunter sprang und so riskant wie möglich die Kurven auf der geraden Strecke schnippelte.
Den Rest des Tages stand ich im Garten und schuftete eine Reihe Unkraut nach der anderen unter die Erde. Fütterte unsere Hühner mit dem, was wir nicht mehr futtern mochten, und zeigte unseren beiden Schafen, dass ihre Aggression gegen mich nicht zu ihrem Vorteil ist.
Am Abend duschte ich mich und schlüpfte schnell in meine besten Klamotten, in denen ich dann kurz darauf an der Strasse auf Sven, Bernd und dessen Bruder wartete. Sie kamen wie immer eine halbe Stunde zu spät, und wie immer traf Bernd die Schuld. Er schraubt meistens bis zum Eintreffen des Disco – Konvois an seinem Moped herum, und wenn wir dann los wollen, fragt er vorwurfsvoll in die Runde, wer daran schuld sein möchte, wenn ihn seine Traumfrau in diesen Klamotten sieht. Also geht er rein und kommt erst wieder raus, wenn sich die Nachbarn telefonisch bei ihm über das Hupkonzert auf der Strasse beschweren.
Ich höre etwas sehr schnell näher kommen. Der BMW, der einfach zu breit für unsere trabi-verwöhnten Strassen ist, bremst scharf und bleibt einen Meter vor mir stehen. Da ich wusste, wer am Steuer sitzt, lief dieser Vorgang bei mir nicht ohne Angst vorm Sterben ab. Die Tür schnippte auf, und drinnen kreischte Bernd, dass ich schnell ins Auto springen sollte, zeitgleich gab er Sven den Befehl zum Gas geben. Ich hechtete mich wie in einem Action Film in das Wageninnere, und Sven lies ordentlich Gummi auf dem Asphalt stehen.
Meine Nachforschungen ergaben, dass geplant ist, den Zeitverzug, den man sich durch Bernds Stylingaktion eingehandelt hatte, wieder aufzuholen. Ich schaute mir seine Haare an, und tatsächlich waren die Strähnen sauber getrennt und im Winkel von 30° gebogen. Ich konnte nur nicken, als er meinte, dass das meinen eventuellen Tod beim Einsteigen gerechtfertigt hätte.
Nachdem wir in Heldrungen einen Parkplatz gefunden hatten, der für die Raucher unter uns nahe genug am Eingang war, stiegen wir aus. Da es sich um eine Geburtstagsparty handelte, gingen wir noch mal schnell die Namen der Leute durch, die für das preisgünstige Vergnügen geblecht hatten. Ich kannte keinen von ihnen und nahm mir vor, mich so unauffällig wie möglich zu verhalten.
Ich muss dann wohl unauffällig in der Nähe der Theke gestanden haben, jedenfalls entzieht sich der genaue Ablauf des restlichen Abends meiner Kenntnis. Bernd brachte jedenfalls den Stein ins rollen, als er mit großer Geste eine Runde nach der anderen ausgab. Ich trank aus reiner Höflichkeit mit und setzte den skeptisch in meine Richtung schauenden Sven von meiner enormen Trinkfestigkeit in Kenntnis. Einige Toilettengänge später begann ich mir mein Bier selbst zu bestellen, denn Bernd hatte sich an ein Mädchen namens Julja geheftet und erklärte ihr die Einstellung des Zündzeitpunktes eines Mopeds.
Sven, der gesehen haben muss, wie ich versucht habe beim Wasserlassen einen Kreis auf die Strasse zu zeichnen, erkundigte sich immer öfter nach meiner Fahrtüchtigkeit. „Kein Problem, der Fahrer steht noch“ lallte ich Svens Silhouette entgegen und versuchte nicht hinzufallen. Da dies nicht mehr ohne irgendwelche Ausfallschritte möglich war, nutzte ich meinen momentanen Bewegungsdrang und lief mit der Luftgitarre in der Hand an Sven vorbei, zur Tanzfläche. Aus den Boxen grölte es Metallica – master of puppets, ich grölte mit, schüttelte meinen Kopf und schlug in die Saiten, dass es ganz schön gekracht hätte, hätte ich eine reale Gitarre in der Hand.
Auf Metallica folgten weitere, abgedrehtere Lieder und es kam immer öfter zum Headcrash zwischen mir, anderen Personen beziehungsweise irgendwelchen Gegenständen die im Weg standen.
Als die Party sich dem Ende neigte, trugen Sven und Bernd den Fahrer mit vereinten Kräften ins Auto. Ich beschränkte meine Einflussname auf den Fahrtverlauf dahingehend, dass das Auto anhielt wenn komische Rülpsgeräusche aus meinem Mund zu vernehmen waren.
Am Tag danach, wachte ich in meinem Bett auf, ich weiß nicht mehr, wie ich es bis in mein Zimmer geschafft habe. Jedenfalls lag ich da, mit den schmutzigsten Klamotten die ich je gesehen habe. Mein Kopf tat höllisch weh und mein Hals war ein einziger Muskelkater. Ich hörte neben dem Hämmern an der Schädeldecke wie draußen jemand seinen Vergaser einstellte und fröhlich nach oben rief „Kelly, ich hab die süßeste Frau der Welt kennen gelernt“.