Der Tanz
Der Tanz
Sie hörte die Musik. Die Klänge, die sie über alles liebte, die ihrem Herzen die Freiheit, die Zärtlichkeit vermittelten, die sie Zeit ihres Lebens so sehr entbehrt hatte. Immer, wenn ein Walzer, ihr Walzer gespielt wurde, fühlte sie sich in eine andere Welt versetzt. In eine Welt der Harmonie.
Vor ihrem inneren Auge flimmerte ein zart-nebulöses Bild: Eine von bunten Blumen übersäte Wiese, über die ein leiser Windhauch strich. Am Himmel die Singvögel, die ein verzaubertes Lied zwitscherten. Und mitten auf der Wiese sie selbst, angetan mit einem romantischen Abendkleid, dessen weit schwingender Rock sie im Rhythmus der Musik über den Wiesengrund trug. Es war, als ob sie schwebte. Während sie sich unaufhörlich wieder und wieder im Kreise drehte, breitete sie ihre Arme zur Seite und ließ die Luft an ihnen entlang streichen. Genoss dies gleich der zärtlichen Berührung durch einen Partner.
Sie warf den Kopf in den Nacken, wie, um alles abzuschütteln, sich los zu lösen von dem Gefühl der Einsamkeit, der Sehnsucht nach Zweisamkeit. Sie konzentrierte sie sich darauf, Abstand zu nehmen von allem, was sie so sehr bedrückte, sich hinzugeben dem Glück des Augenblickes. Um Kraft daraus zu schöpfen für die nüchterne, kalte Zeit danach. Die Realität, die für sie einen einzigen Kampf bedeutete. Den Kampf um ihre eigene Gesundung, die Erholung von großem Schmerz, der ihr angetan worden war.
Die Meisten hätten gelacht, dass es sie so berührt hatte. Sie hätten gesagt: „Vergiss es!“ Natürlich hatten diese „die Meisten“ recht. Doch sie war anders. Sie litt und vermochte nicht einfach abzustellen, was in ihrem Innern vorging. Sie suggerierte sich ein, es wäre vorbei, es wäre Vergangenheit, nun dürfe sie ihr Dasein genießen.
Aber sie wusste: Es ginge nie ganz vorbei, wäre niemals ganz vergessen, würde sie gedanklich immer wieder einholen. Natürlich würde die Erinnerung daran verblassen. Vergehen könnte sie nie.
Mit dieser Gewissheit lebte sie.
Umso intensiver versenkte sie sich völlig in diese verzauberten Momenten. Sie waren Balsam für ihre Seele, halfen ihr, immer öfter wirklich glücklich zu sein. Jeder weitere nachfolgende Tanz war ein wichtiger Schritt der Erholung, bedeutete ein paar Minuten tiefes Glück für sie. Dieses Gefühl hielte sie fest. Für immer.
Die Musik war längst verklungen. Aber das junge Mädchen ignorierte die um sie her eingetretene Stille. Es war der Wirklichkeit entrückt und tanzte durch die Welt der Melodien und der Träume voller leuchtender Rosen der Zärtlichkeit.
Fortan sollte Freude ihr Leben bestimmen.
Sie war endlich frei!