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Der Tanzabend
17. Oktober 2008
Es ist Freitag und ich nahm mir vor, mit meinem Freund Nathan P. und unserer neuen Errungenschaft, die wir in der vergangenen Woche bei eBay ersteigerten, einem Radiokohlenstoffspektrometer, also einem Gerät zur Altersbestimmung organischer Materialien, ein wenig um die Häuser zu ziehen und den Apparat bei dieser Gelegenheit gleich auszutesten. Da wir als Naturwissenschaftler fast ausschließlich weiße Kittel und Schutzbrillen tragen, beschließen wir, unsere Kleidung auch für diese Unternehmung nicht abzulegen, zumal wir unser Outfit für durchaus alltagstauglich halten. Wir hieven den Apparat in eine Schubkarre und ziehen damit los.
Uns steht der Sinn nach ein wenig Tanz und Musik, also beschließen wir, den populärsten Tanztempel im Umkreis von fünfzig Kilometern, die Diskothek "Upper East Side", aufzusuchen. Vor dem Eingang nimmt uns der breit gebaute, zwei Meter große, schwarze Türsteher ein wenig unter die Lupe:
"Leute, mit den Kitteln und den Brillen könnt ihr hier nicht rein. Das müsst ihr ausziehen. Aber cooler Apparat."
So betreten wir nur mit Unterhose und Socken bekleidet die Diskothek, die Schubkarre mit dem Radiokohlenstoffspektrometer vor uns herschiebend. Drinnen angekommen, beschließen wir, uns an die Bar zu setzen und bestellen uns jeweils ein Bier bei einem jungen, braungebrannten Barkeeper mit hochgegelten Haaren, der uns zwei Flaschen Hasseröder austeilt. Ich mache Nathan darauf aufmerksam, dass wir den Radiokohlenstoffspektrometer ja nicht umsonst mitgeschleppt haben, und schlage vor, seine Funktionstüchtigkeit an dem Bier auszutesten. Wir schließen den Apparat an eine Steckdose an, die wir nach langem Suchen auf dem Männer-WC finden, wobei das Kabel nicht sehr lang ist und damit angespannt wird, was leider zur Folge hat, dass im Laufe des Abends viele Besucher der Diskothek über das Kabel stolpern. Nach erfolgreichem Anschluss des Geräts tröpfelt Nathan ein wenig vom Bier auf den Datenträger und drückt einige Knöpfe, woraufhin ein lautes Rumoren entsteht, was zunächst die Blicke vieler Personen auf uns lenkt. Unsere Augen fixieren ein Feld auf dem Apparat, in dem plötzlich viele rote Zahlen zu sehen sind, die herumtanzen und rotieren. Wir wissen, dass ein Radiokohlenstoffspektrometer nicht die genaueste Möglichkeit ist, das Alter eines Stoffes zu bestimmen, aber eine Monatsbestimmung sollte durchaus möglich sein. Nachdem die Zahlen aufgehört haben, sich zu drehen, sehen wir uns verdutzt an, um uns gleich darauf über die Zahl zu entsetzen, die der Display anzeigt. Der Barkeeper gab uns scheinbar längst abgelaufenes Bier, woraufhin ich anfange, den braungebrannten Jüngling, der auf der anderen Seite des Tresens steht, anzuschreien:
"Bist du denn verrückt, uns 120 Jahre altes Bier zu geben?! Glaubst wohl wir sind total dämlich, oder was!?", woraufhin er rot anläuft und verschwindet, um von einer jungen Frau mit rotem Haar abgelöst zu werden.
Scheinbar erregen wir in diesem Etablissement sehr viel Aufmerksamkeit, denn plötzlich gesellen sich zwei äußerst hübsche Mädchen zu uns, von denen das eine klein, dunkelhaarig, aber sehr blass, das andere hingegen großgewachsen, blond, solariumgebräunt und mit einer dicken Schminkschicht im Gesicht bekleistert ist. Wir vertiefen uns in einen kleinen Smalltalk. Um die oberflächlichen Fragen hinter mich zu bringen, frage ich das Mädchen, das ich mir ausgesucht habe, wie alt sie denn sei. Sie antwortet darauf schüchtern: "Naja, ich bin jetzt 17." Sie erscheint mir durchaus jünger; ich traue dem Braten nicht und frage sie: "Dürfte ich das vielleicht überprüfen? Ich habe hier ein Gerät bei mir, mit dem ich das Alter von nahezu allem und jedem überprüfen kann." Sie erklärt sich bereit, woraufhin ich sie frage, ob sie mir für diesen Zweck einen Oberschenkelknochen von sich leihen könnte, woraufhin sie antwortet: "Nein, tut mir leid, mein Oberschenkel ist mir lieb und heilig, aber vielleicht würde auch ein Finger reichen?" Ich schaue Nathan fragend an, er nickt, woraufhin ich ein Messer rausziehe, ihre linke Hand auf den Tresentisch drücke und ihren Zeigefinger abhacke. Die weibliche Barbedienung eilt sofort herbei, um die entstehende Blutlache wegzuwischen. Ich reiche Nathan den Finger, damit er ihn auf die Trägerfläche legen kann. Der Automat beginnt wieder zu rumoren und spuckt nach ca. zwanzig Sekunden eine Zahl aus: 119.
Ich schaue das Mädchen unglaubwürdig an und frage: "Du bist 119 Jahre alt?"
Plötzlich senkt sie ihr Gesicht, beginnt zu lachen, allerdings nicht auf eine weiche, unschuldige Art, wie es jungen Mädchen eigen ist, sondern auf eine sehr viel markantere Weise, hysterisch, sich selbst verschluckend. Plötzlich fässt sie sich an den Hals und beginnt eine Gummischicht abzuziehen, die, wie sich herausstellt, Teil einer Maske ist. Sie reißt sich ihr Gesicht und ihr lockiges Haar vom Kopf, ihr wunderschönes braunes Haar, das noch für einen Augenblick ihr Gesicht verdeckt, da sie die Maske noch vor sich hält, um kurz darauf ihr wahres Ich zu zeigen, das einen alten Mann mit einer dunklen Scheitelfrisur und einem Oberlippenbart zeigt. Und dieser Mann sagt: "Ganz recht, ich bin kein junges Mädchen, ich bin Adolf Hitler!" Ich schlucke, als ob ich eine Gräte im Hals hätte, und entschuldige mich, um auf die Toilette zu gehen. Auf dem Weg dahin heben plötzlich meine Beine ab, ich schaue hinter mich, ich bin über das Kabel gestolpert, der Boden der Dorfdiskothek rast auf meinen Kopf zu, und alles wird schwarz.