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Der Tod des Schöpfers

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15.07.2001
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Der Tod des Schöpfers

Die Folgende Geschichte widme ich Else, die mich so oft dazu angeregt hat, über Gott nachzudenken.

Der Tot des Schöpfers

Surrend lag der riesige Kasten vor ihm wie ein gigantisches Wespennest.
Er hatte die Anlage tausend mal gesehen, doch jedes mal, vor allem heute, übte sie eine ungeheure Faszination auf ihn aus. Links vor ihm lag der gewaltige Steuerungsprozessorkasten, verbunden über Milliarden hauchdünner Glasfaserkabel mit der rechts gelegenen Kühlkammer.
Natürlich nannten sie die vernietete Metallkugel nur Kühlkammer. Sie war vielmehr als das. Doch ihr Hauptteil war ein riesiger Kühlkomplex, und somit der Kern der gesamten Anlage.
Der Sprung war für elf Uhr angesetzt, nun war es viertel vor. Er stieg gerade in seinen Anzug, als eine Durchsage nach ihm verlangte: „Mister Thormann bitte zu Station 1, Mister Thormann bitte!“. Er schloss den Reisverschluss seines speziell für seine Maße ausgelegten Anzuges und lief zu Station 1, der Kühlkammer.
Endlich konnte er das tun, was er in den letzten Wochen in Trockenübungen peinlich genau einstudiert hatte. Er begab sich durch die Tür in die Kammer und bestieg seine Kapsel. Auf einem Monitor sah er das Gesicht des Sprungaufsehers. Er lächelte ihn zwar an, doch er konnte deutlich erkennen, wie angespannt er war. Er schloss die Luke des kleinen Raum-Gleiters. Es war ziemlich eng darin, doch das war er gewöhnt. Vor dieser Sache war er viel in Einmann-Ubooten getaucht, und diese waren vergleichbar mit dieser Kapsel. Er befestigte die Sicherheitsgurte, dann gab er dem Aufseher mit seiner Hand ein Zeichen in eine Kamera. Der Sprechverkehr wurde eingeschaltet. „Mister Thormann, wir gehen jetzt auf Sprungmodus“. Er machte eine Kurze Pause, sah ihn dann noch einmal an und sagte: „Viel Glück!“. Dann schaltete er den Monitor ab. Er verstand seine Besorgnis, würde etwas schief gehen, er hätte die Verantwortung dafür zu tragen.
Der Boden begann zu vibrieren. Sie ließen die Kühlkammer an. Das Licht erlosch. Er rief sich in Erinnerung, was dort, keine vier Meter, hinter der Wand im Kühlkomplex geschah. Zuerst wurden Eisenatome, auf –274°C abgekühlt in die Kammer gegeben. Dann wurden diese, mittels eines speziellen Verfahrens, und vollkommen gegen jegliche Regel der Physik, um weitere 19,89°C abgekühlt. Mehr hatte man ihn nicht erfahren lassen. Es war ja auch nicht wichtig für seinen Auftrag. Weiter hatte man ihm erzählt, dass die Atome, die bei dem absoluten Nullpunkt lagen, und nun noch weiter abgekühlt wurden, so eng beisammen rückten, dass sie miteinander verschmolzen. Na ja, verschmelzen war nicht der richtige Ausdruck dafür, vielmehr tauchten sie ineinander ein. Dieser Vorgang machte soviel Energie frei, dass eine Öffnung entstand, und hier begann der Teil, den er nicht richtig verstanden hatte. Die Öffnung konnte so kalibriert werden, das sie als Zugang zu einer anderen, zu einer Nachbar-Dimension dienen konnte. Sein Auftrag war es, die schon sondierte andere Dimension zu besuchen. Er würde insgesamt fünfzehn Stunden haben, dann musste er zurückkehren, um die Lebenserhaltung der Kapsel nicht zu übergehen.
Die Kapsel begann sich zu drehen. Vor ihm tat sich eine Öffnung in der Wand auf. Da war der Spalt. Mit offenem Mund betrachtete er ihn. Nicht wie eine Wasseroberfläche sah er aus, auch nicht wie ein Strudel, wie im Fernsehen, sondern er war einfach nur Schwarz. Als hätte jemand einen Riss in eine unsichtbare Wand gerissen. Eigentlich hatte das jemand getan.
Der Gleiter wurde auf einem Band bis an die Öffnung gefahren. Vor sich die unendliche Dunkelheit, hinter sich die reale Welt.
Dann fiel er hinein.
Geräuschlos glitt er in eine Tiefe ohne Schwerkraft.
So gut er konnte drehte er sich um und sah die Öffnung zu seiner Welt verschwinden. Nun war er allein. Kein Funkkontakt.
Fast bekam er Angst, doch um dies zu verhindern begann er routiniert seinen Auftrag zu erfüllen. Er machte einen System-Check.
Antrieb Okay.
Sauerstoffanzeige: sechzehn Stunden.
Er sah auf seine Uhr. Sie war stehen geblieben.
Er kümmerte sich nicht darum und startete den Magnetantrieb. Tests hatten ergeben das dies hier ein sinnvoller Antrieb war. Er spürte kaum die Beschleunigung und hatte schon 25000 Meilen zurück gelegt.
So flog er eine Stunde, ohne etwas zu entdecken.
Ob das seinen Vorgesetzten gefallen würde? Wenn er nichts fand war die Mission ein Reinfall. Eine Verschwendung von Steuergeldern. Er sah auf seinen Meilenzähler.
22500000 Meilen und nichts in sicht. Er flog eine weitere Stunde durch die Schwärze. Um ihn herum fühlte er nicht nur das totale Fehlen von Licht, es schien mehr zu sein, als würde dort draußen wirklich nichts sein.
Nichts.
Plötzlich blinkte ein Licht auf seinem Armaturenbrett auf. Das System hatte etwas gefunden. Angestrengt sah er in die angegebene Richtung, konnte jedoch nichts erkennen. Gerade als er die Meldung als einen Systemfehler abtun wollte, sah er doch etwas.
Etwas weißes.
Unförmiges.
Er beschleunigte weiter, flog mit 30000000 Meilen die Stunde, doch was er sah wuchs nur sehr langsam.
Schließlich glaubte er etwas zu erkennen.
Eine Gestalt.
Eine riesige Gestalt.
Sein Herz setzte einen Schlag aus. Ihm wurde heiß und kalt.
Ja, das würde seinen Vorgesetzten gefallen. Das war es doch. So etwas sollte er doch finden. Er flog weitere 25600000 Meilen.
Ja, es war eine Gestalt.
Eine menschliche Gestalt.
Ein riesiger Fuß zog an ihm vorbei. Obwohl er im Bereich des Köchels flog, konnte er kein Ende nach oben oder unten hin ausmachen. Dieser Fuß musste mindestens 10000 Meilen groß sein. Er flog an der Wade entlang. Wenn dieses Wesen je gelebt hatte, musste es lange tot sein. Die Haut war fast vollständig verschwunden, der Rest grau, und an vielen stellen sah man Knochen. Er flog an einem Knie vorbei, dass etwa so groß wie die Erde sein Musste, und ihm schwindelte.
Wo war er hier gelandet?
Wer war diese Person, die hier, in einer vollkommen leeren Dimension lag und verweste? Er flog an der Hüfte vorbei, lenkte nach oben, flog ewig, bis er auf die Oberseite der Leiche kam. Ein Bauchnabel wie ein leerer Ozean.
Auch konnte er nicht bestimmen, ob die Überreste von einem Mann oder einer Frau stammten. Die Leiche war zu sehr verwest, und eine Geschlechtsspezifische Kleidung war auch nicht zu erkennen.
Er flog weiter, immer weiter, und noch immer nahm die riesige Gestalt kein Ende. Nun musste er wohl an der Schulter sein, in der Ferne konnte er einen Kopf ausmachen. Plötzlich fiel sein Blick auf etwas helles, das über ihm aufgetaucht war. Ein Leuchten.
Eine Künstliche Lichtquelle.
Er zog sein Steuer um, beschleunigte noch einmal. Diesmal dauerte es nicht so lange, bis er etwas erkennen konnte. Er sah vor sich eine Lampe, die auf einem Tisch stand. Zumindest vermutete er, dass es ein Tisch war, er konnte nur endlos weit mattes Holz glänzen sehen. Auf dem Tisch, der so groß wie ein ganzes Sonnensystem sein musste, lagen Blätter verteilt. Auf den Blättern, das konnte er sehen, war geschrieben. Ihm stockte der Atem, als er erkannte, dass es hebräische Schriftzeichen waren, die er da sah.
Wie gelähmt flog er weiter, entdeckte eine riesige Schreibfeder, ein Tintenfass.
Dann einen Textabschnitt, den er lesen konnte:

Lieber Andreas,
du bist sicher sehr erstaunt, über das was du hier siehst. Natürlich, die Szene stammt ja auch von mir. Die Gestalt, die du am Boden siehst, ist meine. Andreas, ich bin gestorben. Doch ich habe es geahnt und dir diesen Brief hinterlassen. Weißt du, ich wusste, dass es so kommen würde, ich habe es mir ja selbst ausgedacht. Ich war gerade dabei, ein Happy End für die Menschheit zu schreiben, als mir auffiel, dass das nicht besonders spannend wäre. Also entschied ich mich für ein kleines Finale, das damit beginnt, dass ich dir diesen Brief schreibe und sterbe. Weiter habe ich im Drehbuch vorgesehen, dass du hier her findest und meine Schrift ließt. Weißt du, Andreas, ich hatte keine Lust mehr. Irgendwann muss auch der beste Film zu Ende sein, sonst wird es langweilig. Das Ende wird am 26.11.2012 kommen, bis dahin liegt noch Drehbuch vor. Doch ich will noch nicht so viel verraten, sonst ist die Luft raus.

Okay, alles gute,
dein Gott

P.S.: Solltest du irgendwelche Fragen haben, wende dich bitte an meine Vorgesetzten.

Mister Thormann wurde verrückt.

 

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