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Der Ton

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28.03.2009
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Der Ton

Das Anwesen, ein ehemaliger Bauernhof, liegt am Rande einer von Industriebrachen verwüsteten Landschaft. Er ist der geografische Mittelpunkt eines Dorfes. Die ehemalig landwirtschaftlich genutzten Flächen sind heute ein botanischer Garten, ein Skulpturenpark, ein Ort des Gleichgewichts zwischen Mensch und Natur.

Ich trat aus der Deelentür und lenkte, wie jeden Morgen, meinen Schritt zuerst nach rechts, um den Rundgang, den Kontrollgang entlang der verschiedenen Gebäude und der vermieteten Räumen zu beginnen. Es ist der Auftakt eines jeden Tages, die Bitten oder Beschwerden meiner Mieter entgegenzunehmen, auch Mahnungen oder gar Kündigungen auszusprechen. Noch in der Bewegung änderte ich meine Schrittrichtung, denn da stand er, Harry, wild mich heranwinkend, gestikulierend, lachend und überschwänglich grüßend. Eigentlich wollte ich ja heute mit ihm reden, ihm sagen, dass er sich einen anderen Lagerraum suchen solle, irgendwo an einem Ort, wo seine stinkenden Schrottberge niemanden stören würden. Ich hob meine Hand, um ihm einen freundlichen, aber knappen Gruß, zugleich aber eine Abweisung seiner mich zu ihm hinzitierenden Geste zu geben. Es war mir schon wieder nicht möglich, dieses Gespräch mit ihm zu führen. Der wunderschöne Tag, den ich mir nicht verderben wollte, war nun schon die vierte Ausrede, die maßlose Enttäuschung in Harrys Gesicht nicht sehen zu müssen.

Schnell bog ich um die Ecke meines Hauses, in der Hoffnung, ihn später nicht mehr anzutreffen. Wäre ich nach rechts gegangen, hätte ich es nicht gebrochen, das Ritual der Gleichförmigkeit, hätte ich das Geräusch deutlicher hören können. Es war sehr leise, dieses Geräusch, und durch die vielen anderen Laute, die es übertönten, fast nicht hörbar. Es war ein merkwürdiges Geräusch, ein Geräusch, das nicht hierher gehörte. Ich blieb stehen, um zu lauschen, aber es war nicht mehr da.

Wie es auf dem Lande so üblich ist an so einem schönen nach so vielen verregneten Tagen, entfaltete sich rings um mich herum bei Mensch und Tier ein großer Tatendrang. Der Morgen war geprägt von freudiger Geschäftigkeit. Die Menschen waren mitteilsam, ja geradezu euphorisch. Nur ich war es nicht mehr, und meine Katzen, die meistens um diese Zeit schliefen, erschöpft von der nächtlichen Jagd, liefen beunruhigt im Garten umher und zankten sich um meine Gunst.

Da, da war er wieder, dieser Ton. So leise, so fern und doch irgendwie nahe. Fremd und doch vertraut für ein paar Sekunden nur, nicht lange genug, um die Richtung, aus der er kam, erkennen zu lassen. Auf der Suche nach ihm durchstreifte ich stundenlang meinen Garten, zupfte zerstreut ein paar Disteln aus den Blumenbeeten. Manchmal glaubte ich ihn zu hören, dann wieder nicht. Es war nun Mittag, Zeit etwas zu essen. Mein Magen knurrte, und ich war so überreizt, dass ich jedes Mal dachte, es wäre er, der Ton, der mich auf unerklärliche Weise berührte, ja schon fast Besitz von mir ergriff. Es konnte doch nicht sein, dass da irgendetwas war, was ich nicht kannte in meinem Garten, auf meinem Hof. Ich kannte hier alles, jede Blume, ja schon fast die Anzahl der Disteln in jedem der zahlreichen Blumenbeete. Jeder Maulwurfhügel, ja selbst die überirdisch sichtbaren Gänge der Wühlmäuse, jedes neue Vogelnest, nichts blieb mir verborgen. Jetzt war es ganz deutlich zu hören, das Geräusch, lauter, näher. Es kam also gar nicht aus dem Garten, sondern aus dem Gebäudeteil. Es musste aus einem der Gebäude kommen. Ich war erleichtert. Es war eingegrenzt. Gleich wusste ich, was es war. Bestimmt hatte ein Mieter eine neue Maschine. Aber nach kurzer Überlegung war ich überzeugt, es musste irgendein Spielzeug sein: ein Teddybär, eine Sprechpuppe oder gar ein kleiner Roboter. Vielleicht hat Herr Krümmer seinen kleinen Jungen heute mitgebracht. Ich bog eilenden Schrittes um die Ecke des Hauses. Harry war nicht mehr da, auch keiner der Mieter. Sie waren wohl alle zum Essen nach Hause gefahren. Nur Maria arbeitete noch an ihrem Bild. Sie saß gedankenverloren davor, und kein Laut drang aus ihrer Werkstatt.

Nein, sagte sie, sie hätte nichts gehört, aber auch nicht auf irgendwelche Geräusche geachtet. Sie hätte genug zu tun mit ihrem misslungenen Bild. Gerade als ich mir einen Hocker heranzog, um mich neben sie zu setzen, hörte ich wieder den Ton. Obwohl er durch das Geräusch, das durch das Heranziehen des Hockers entstand, überlagert war, war es deutlich zu hören. Aber Maria hatte nichts gehört. Genervt warf sie mir vor, überreizt zu sein. Ich hätte einen Inselkoller, sollte doch mal meinen Hof verlassen, mal woanders hinfahren. Es wäre ja auch kein Wunder, wenn ich schon Stimmen hören würde. Sie wäre schon längst verrückt, wenn sie so isoliert leben würde wie ich und außerdem solle ich sie jetzt bitte weiterarbeiten lassen. Es lag wohl an mir, dass sie so aggressiv reagierte. Sie hatte recht, dachte ich, als ich gehetzt ein paar Bissen hinunterwürgte. Ich erkannte plötzlich, wie ich verkrampft und lustlos etwas in mich hineinstopfte. Alle Anstrengungen waren vergebens. Ich konnte an diesem Tag mein Gleichgewicht nicht wieder erlangen. Die Frage, woher der Ton kam, ließ mich nicht mehr los.

War es womöglich dieser mysteriöse Brummton, der immer mehr Menschen befällt, sie an den Rand des Wahnsinns treibt und viele Wissenschaftler vor ein Rätsel stellt? Um mich etwas zu beruhigen, führte ich einige Telefonate, sprach mit Freunden über den Ton. Jeder hatte eine Meinung. Ja, ja, so etwas kenne man, hätte man auch schon einmal erlebt. Es hätte etwas mit dem Blutdruck oder Kreislauf zu tun, könnte auch ein Tinnitus sein, aber, ach, es würde sich schön klären, ich solle mal früh zu Bett gehen, schlafen, ausspannen, morgen sähe alles ganz anders aus. Schlafen, ja schlafen, das wollte ich, abschalten, auf andere Gedanken kommen, ein wenig Musik wollte ich hören, das würde mir sicher gut tun. Aber so sehr ich mich bemühte, es wollte mir nicht gelingen, mich zu beruhigen. Die Frage, wer oder was erzeugte diesen Ton, ließ mich nicht mehr los. Wie konnte er so in mich eindringen? Er berührte etwas ganz tief in mir, und das musste ich ergründen. Ich fing an, mich zu fragen, was es genau für ein Geräusch war. Wie hörte es sich an? Jedes Mal, wenn ich es hörte, war mir, als würde es sich verändern, als wären es eigentlich zwei Töne, ein immergleicher Grundton, in dem ein zweiter mitschwang. Aber dieser zweite klang nicht immer gleich. Der Grundton war ein tiefer Ton, der mich an die Schnarchgeräusche meines Mannes erinnerte. Der andere Ton war fast schrill, schneidend, irgendwie verzweifelt, wütend, manchmal lang gezogen, leiser werdend, klagend. Der Ton erweckte in mir eine kaum zu ertragende Hoffnungslosigkeit. Die Musik brachte mich dem Schlaf nicht näher. Da konnten nur noch Schlaftabletten helfen. Oh ja, Schlaftabletten! Aber wo waren sie? Nachdem ich meine Wohnung akribisch durchsucht hatte, fand ich nun endlich ein paar Schlaftabletten. Ich schluckte sofort zwei davon und merkte schon nach kurzer Zeit, dass meine aufgepeitschten Nerven wieder zur Ruhe kamen, und mit zwei schnurrenden Katzen im Arm schlief ich ein.

Schweißgebadet und zerschlagen wachte ich auf. Es war noch Nacht, und sie war sehr warm. Es war wohl das Kampfgeschrei meiner Katzen, das mich weckte. Doch gleich schlief ich wieder ein, träumte, wachte wieder auf, schlief wieder ein, und meine Träume mischten sich mit den Gedankenfetzen meiner kurzen Wachphasen und beeinflussten die Fortsetzung eines wunderbar merkwürdigen Traumes. Sofort als ich am Morgen aufwachte, machte ich mir Notizen, schrieb ihn auf, den Traum, der mir, so dachte ich, die Lösung aufzeigte, mir sagen wollte, woher er kam, der Ton, der mir meine Ruhe nahm. Ein vom Sturm der letzten Tage angebrochener Ast, der nun bei jedem Windstoß sich irgendwo rieb oder sich verhakte, könnte es sein, so dachte ich, während ich ihn niederschrieb den Traum von schwatzenden Disteln, stöhnenden Ästen, singenden Gräsern, von protestierenden Bohnen und von Blumen, die sangen.

Wolkenberge türmten sich am Himmel, und es konnte nicht mehr lange dauern, bis es regnete. Schnell wollte ich meinen Rundgang erledigen und Harry heute die Kündigung geben. Danach wollte ich die Ursache des Geräusches beseitigen. Ich hörte das Klappern seines Autos, und gerade als ich die Deelentür öffnete, fuhr er weg, und ich sah, dass die Tür seines Raumes ein Stück offen stand. Er benutzte dazu zwei Autobatterien. Eine klemmte zwischen Türblatt und Zarge. Die andere fixierte die Tür. Er wird wohl gleich wiederkommen, dachte ich. Das war eine gute Gelegenheit, mir den Raum mal genau anzusehen. Als ich die Batterie ein Stück zur Seite schob, um die Tür ganz zu öffnen, war er wieder da, der Ton, der mich gestern aus dem Gleichgewicht brachte und drohte, es heute wieder zu schaffen. Zitternd vor Aufregung riss ich die Tür auf. Ich hörte ihn nun sehr deutlich. Aus dem hinteren Teil des Raumes kamen Schreie, mal lauter, mal leiser. Zitternd blieb ich ein paar Sekunden stehen. Ich rief: "Hallo, ist da jemand?" Ich hielt die Luft an und wartete auf Antwort. Wieder Schreie und Schnaufgeräusche. Mit großer Erleichterung stellte ich nun fest: Es waren keine menschlichen Laute. Aber dass sie von einem Lebewesen stammten, war ganz klar. Vielleicht waren es Waschbären, die ja in unserer Gegend angeblich auch schon gesichtet wurden. Um dies nun festzustellen, musste ich erstmal in den hinteren Teil des Raumes gelangen, und dies schien mir eine recht komplizierte Sache zu werden. Da die einzigen beiden Fenster, die es gab, total zugestellt waren, mussten sich meine Augen erst an das wenige Licht, das durch die offene Tür drang, gewöhnen. Als ich nun sah, dass beide Neonlampen, die ich vor zwei Jahre habe anbringen lassen, halb abgerissen von der Decke hingen, machte ich mir erst gar nicht die Mühe, den Lichtschalter freizuräumen. Der Raum war komplett zugestellt. Ich war fassungslos. Durch die Mitte schlängelte sich ein sehr schmaler Gang, der an mehreren Stellen so eng war, dass man nicht mehr ohne Räumaktion weiter vordringen konnte. Manchmal, wenn die Sonne hinter einer Wolke hervorkam, erhellte sich der Raum für ein paar Sekunden im vorderen Teil, in dem ich immer noch ratlos stand. Da meine Neugierde so groß war, beschloss ich nun, den Versuch zu wagen, in den hinteren Teil zu gelangen, und das bedeutete, mich auf einer Strecke von fünfundzwanzig Metern durch Schrottberge zu kämpfen. Jetzt wurde mir auch klar, wieso Harry so oft lauthals fluchte, wenn er sich in diesem Chaos bewegte. Ein beißender Gestank beherrschte den Raum. Die wenigen sichtbaren Teile des Fußbodens waren von einer schmierigen, schwarzen Ölschicht überzogen, die sich mit der Säure von alten, auslaufenden Autobatterien mischte. Nach den ersten Schritten wurde mir dies schon zum Verhängnis, denn ich rutschte aus und landete mit meinem rechten Knie auf einem den Gang blockierenden Motor. Hunderte von Motoren in allen Größen türmten sich rechts und links von mir auf, ohne System wahllos aufeinandergetürmt, dazwischen Metallteile aller Art. Scharfkantige Blechteile überbrückten den Gang an mehreren Stellen. Unter einer dieser Blechbrücken befand ich mich gerade in gebückter Haltung, als ein hysterischer Schrei durch den Raum hallte. Ich fuhr hoch, und das scharfkantige Blech über mir, ritzte mir den Kopf auf. Es war eine kleine Wunde, aber sie blutete stark. Was für ein Albtraum! Was sollte ich nun machen? Mein Knie schmerzte, mein Kopf blutete, und ich hatte gerade mal die Hälfte des Raumes erobert. Ich entschied mich, nicht zurückzugehen. Nein, egal, was mir jetzt noch passieren sollte, ich war wild entschlossen, das Tier oder, was immer es war, zu befreien, denn mir wurde langsam klar, dass in der hinteren Ecke des Raumes etwas Lebendiges eingesperrt war. Nachdem ich die bedrohliche Bedachung hinter mir hatte, tat sich ein etwa vier Quadratmeter großer Raum auf. Hier war der Boden mit einer dreißig Zentimeter hohen Schicht von kleinen, ineinander verhakten Aluminiumspiralen bedeckt, die es nun zu überwinden galt. Meine Gummisohlenschuhe waren denkbar ungeeignet, um über diese rasierklingenscharfen Spiralen zu laufen. An manchen Stellen waren sie etwas zusammengedrückt. Ich bemühte mich, genau in diese von Harry hinterlassenen Spuren zu treten. Als ich kurz vor dem Ziel den Versuch machte, zwei übereinander liegende Autoreifen zu überwinden, blieb ich irgendwo an einem kleinen gebogenen Eisenstab hängen und ließ durch eine ruckartige Bewegung einen Berg von kleinen Metallteilen zum Einsturz bringen. Dabei schnitt ich mir meine rechte Hand auf. Blutend und mit geschwollenem Knie stand ich nun da vor einer Wand aus Batterien, und eigentlich war mir schon seit ein paar Minuten klar, wer diese Schreie von sich gab. Es musste hinter dieser Wand sein. Zwischen der Wand aus Batterien und der hinteren Wand des Raumes war ein mit Nägeln bespicktes Holzbrett angebracht, das als Tür diente. Mühsam entfernte ich das Brett, und da stand es nun, so verloren auf einer Handvoll Stroh und zerknüllten Zeitungen, ein kleines Hängebauchschwein.

Harrys Stimme löste mich aus meiner Erstarrung. Ich drehte mich ein wenig um und schaute in ein dümmlich grinsendes Gesicht. Harry sagt: "Das ist Benny. Der lebt jetzt hier."

 

Hallo Iboga,

Hm, ich weiss nicht so recht, was ich mit der Geschichte anfangen soll. Irgendwie ist sie mir zu lang und zu wenig Inhalt drin. Der Ort an dem sie spielt scheint recht interessant zu sein und ist auch teilweise sehr schön beschrieben. Die Menschen, die dort leben würden mich interessieren. Ich möchte mehr über den Erzähler und seinen Charakter wissen und auch über Harry. Das Rätseln über das Geräusch finde ich auf die Dauer etwas ermüdend und die Pointe befriedigt mich als Leser nicht. (vielleicht für einen kürzeren Text)
Der Hof und seine Bewohner haben Potential. Da könntest Du was draus machen.

Liebe Grüsse

Elisabeth

 

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