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Der Trank
Der Trank
Mit rußverschmierten, aber stolzem Gesicht sah der Dorfschmied seine Frau an. Diese lag im gemeinsamen Bett, mit einem neugeborenen Kind im Arm.
"Und?," fragte der Schmied.
"Es ist ein Junge," antwortete die Kräuterfrau, die gerade dabei war ihre Sachen zu packen.
Die Wöchnerin nickte zur Bestätigung, sie war noch zu erschöpft um zu sprechen.
"Danke." Der Schmied gab der Hebamme einen freundschaftlich derben Schlag auf den Rücken. Der Hieb ließ sie husten.
Selina drehte sich um und gab nun dem stolzen Vater einen Klaps mit der Hand auf die Schulter. Dafür musste sie sich etwas strecken. "Ohne deine Vorarbeit hätte ich nichts zu tun gehabt."
"Komm heute Abend in den Dorfkrug," forderte der Schmied sie auf, "das muss gefeiert werden. Ich schmeiß ne Runde."
"Ich werde kommen."
"Wir brauchen noch einen Namen für unseren Sohn," meldete sich die Frau zu Wort.
"Das macht ihr beide mal unter euch aus." Selina warf sich ihr Bündel über die Schulter. "Und noch etwas, Harl: Wasch dich bevor du dein Kind in den Arm nimmst, so früh braucht er den Beruf nicht kennen zu lernen. Und er ist kein Erzbrocken, sei also vorsichtig."
"Keine Sorge, Selina," sagte die noch erschöpfte Wöchnerin, "er kann sehr vorsichtig und zärtlich sein."
"Na gut," sagte die Kräuterfrau. "Ich werde morgen oder übermorgen noch mal nach dir sehn. Und wir beide sehn uns heute Abend im Krug." Sie verließ das Haus.
Die feuchte Erde der Dorfstraße schmatzte unter ihren Schuhen. 'Gut dass der Regen aufgehört hat. Hoffentlich kann der Kleine in Ruhe aufwachsen. Was mir Kathreen bei ihrem letzten Besuch erzählt hat, macht mir Sorgen.
Nahe der Grenze wurde Silber gefunden, und beide Fürsten beanspruchen die Mine für sich. Da liegt Krieg in der Luft.'
"Hallo Sel," rief jemand von Feld zu ihr herüber.
"Hallo." Sie winkte zurück.
"Warst du bei Harl?," erkundigte sich die Bäuerin, "hat sich sein Wunsch erfüllt?"
"Ja, es ist ein Junge."
Nach einem kurzen Gruß ging die Kräuterfrau weiter. Sie wusste, die Nachricht würde im Dorf und der Umgebung schnell die Runde machen. Auch weil der Schmied bei allen sehr beliebt war. "Im Krug wird heute Abend einiges los sein."
Einige Tage später kam Selina vom Kräutersammeln in ihre Hütte auf einer Waldlichtung zurück. Sie wischte sich den Schweiß von der Stirn und rückte sich ihren strohblonden Zopf zurecht. "War gar nicht so einfach alles zu finden."
Knarrend drehte sich die Holztür in ihren Angeln. In der Behausung herrschte Dunkelheit, aber ein Gedanke und ein Blick Richtung Kamin genügte Selina, um das Feuer zu entzünden. "Wenn der Heiltrank heute noch fertig werden soll, muss ich mich beeilen." Sie breitete die Pflanzen und Pilze auf dem Tisch aus.
Selina gab einen Eimer Wasser in den Kupferkessel, danach leerte sie ihre Blase ins Wasser. "Wenn die Leute wüssten, was in meinem Heiltrank ist, würden sie es bestimmt nicht trinken. Obwohl, es soll ja auch welche geben, die auf so was stehn."
Sie hang den Kessel an den Haken im Kamin. "So, jetzt die Nieswurz und den Bläuling..."
Die Sonne ging schon unter, als die Kräuterfrau den Heiltrank in mehrere Feldflaschen füllte. "Zum Glück hält der sich ne Weile. So oft gibt es hier keine schweren Verletzungen. Aber kleinere Mengen machen auch nicht weniger Arbeit."
Eine etwa faustgroße Kristallkugel begann auf dem Tisch zu blinken. Selina tippte die Kugel an. "Ja? Was gibt's?," fragte sie dabei.
In dem Kristall erschien der Kopf einer rothaarigen Frau. "Hallo Selina, ich hab schlechte Nachrichten," sagte sie
"Was ist denn, Cat?"
"Mein Schlichtungsversuch ist in den Brunnen gefallen. Beide Seiten bereiten sich auf einen Krieg vor. Sie sagen, dass Katarine von Kantzora ihnen befohlen hat in den Krieg zu ziehn."
Selina verdrehte die Augen. "Was soll das? Sie berufen sich auf dich, um nicht auf dich zu hören?"
"Ja. Eine seltsame Ironie, dass sich mein Ruf als Kriegsgöttin so verselbstständigt hat. Dein Dorf liegt nah der Grenze. Wenn es Krieg gibt, werdet ihr bestimmt auch reingezogen. Oder kannst du schon einen so großen Bannkreis errichten?"
"Nein, das kann ich noch nicht. Bis meine Magie so stark wie die Pantheras ist, das kann noch lange dauern. Und ich kann von hier aus nicht die Energien von der Geisterinsel anzapfen. Soll ich die Dorfbewohner warnen? Das kann eine Panik auslösen. Und vielleicht findet die Schlacht ja wo anders statt. Die Grenze ist lang."
"Verlass dich da besser nicht drauf," ermahnte sie Cat. "Du solltest dich vorbereiten."
"Das sagst du so leicht."
"Tu was du kannst, Kleines."
"Kleines?," beschwerte sich Selina, "ich bin auch schon fast fünfzig."
"Und ich bin hundertfünfzig," wandte die Rothaarige lächelnd ein. "Wenn sich die Aufregung wieder gelegt hat, sollten wir mal wieder ein paar gemeinsame Tage und Nächte verbringen."
Das Bild verblasste, die Kristallkugel wurde wieder durchsichtig.
"Typisch Cat, die Verbindung ohne Abschied zu kappen."
Selina hatte sich fast einen halben Tagesmarsch von ihrem Dorf entfernt. Die Kräuter, die sie suchte, wuchsen leider nur an bestimmten Orten, einer befand sich fast auf der Grenze zwischen den beiden Fürstentümern. Sie grub gerade ein paar Wurzeln aus, da hörte sie Hufgetrappel und Waffengeklirr. 'Bitte nicht,' schoss es der Hexe durch den Kopf.
Sie sah sich um. Angeführt von rund einem Dutzend schwer gepanzerter Ritter, kam ein bunt zusammengewürfelter Söldnerhaufen den Weg unterhalb des Hügels vorbei.
"Es scheint tatsächlich ernst zu werden," stellte Selina fest.
Der Anführer hatte sie bemerkt, er ließ den Trupp anhalten und kam zu ihr herauf. "Bist du die Hexe Selina Sonnenhaar?," fragte er sie.
"Wer will das wissen?" Sie sah dem Reiter in die Augen.
"Ich bin Karl vom Silberbach, der oberste Feldherr von Fürst Tohan von Bärenwald."
"Ich bin Selina Sonnenhaar. Was willst du von mir?" Während sie das sagte bereitete sie unauffällig einen Kampfzauber vor.
"Du lebst auf dem Land des Fürsten, und bist daher auch ihm verpflichtet. Du wirst uns im Kampf mit deinen Zauberkräften helfen."
"Und wenn nicht? Willst du mich umbringen? Tot nütz ich dir nix."
"Wir brauchen Vorräte, und viele meiner Söldner haben lange keine Frau mehr gehabt. Das Dorf, bei dem du wohnst, kann uns das alles bieten."
Selina schluckte. Sie wusste, wie es aussah, wenn ein Söldnertrupp über wehrlose Bürger herfiel. Durch so einen Überfall hatte sie vor langer Zeit ihre Eltern verloren.
"Was soll ich tun?," fragte sie nach.
"Mach meine Truppe mit deinem Zauber unbesiegbar," verlangte der Feldherr.
"Das ist nich einfach," antwortete Selina, "für die Vorbereitungen brauch ich mindestens drei Tage."
"Du hast zwei Tage, mehr nicht. Ein paar meiner Leute werden in der Zeit auf dich aufpassen. Du weist ja,was passiert, wenn du es nicht schaffst. Oder sind dir die Dorfbewohner egal?"
Auf Karl vom Silberbachs Wink lösten sich vier Söldner aus dem Trupp und kamen zu ihnen hinauf.
Die Kräuterfrau biss sich auf die Unterlippe. 'Zwei Tage,' überlegte sie, 'das wird eng.'
In Begleitung der Söldner machte sie sich auf den Rückweg. Unterwegs bemerkte sie etwas in der Krone einer Eiche.
"Gib mir mal deine Lanze," forderte Selina einen der Söldner auf.
"Wozu?," wollte dieser wissen.
"Gib schon her," mit einem energischen Griff nahm sie die Waffe an sich.
Unter den erstaunten Blicken der Männer zog sie eine goldene Sichel aus ihrem Gewand, und band sie an der Lanze fest. Diese Konstruktion hielt sie in den Baum. Eine Drehung, ein Ruck, dann fiel eine große Mistel vor die Füße der Hexe. "Eine sehr wichtige Zutat für meinen Trank," erklärte sie, während sie die Sichel wieder von der Stange löste.
Dann bemerkte sie, dass die Blicke der Söldner auf dem Gold hafteten. "Kommt nicht auf dumme Gedanken," warnte Selina sie, "ich kann mich und mein Eigentum gut verteidigen."
Den restlichen Weg hörte sie immer wieder die Söldner miteinander tuscheln. 'Das kann ja heiter werden,' dachte sie.
"Wie willst du dich denn gegen uns vier verteidigen?," wollte einer der Söldner schließlich von ihr wissen.
"Zum Beispiel so." Ein etwa faustgroßer Feuerball explodierte vor den Füßen der Männer. Diese waren dadurch für kurze Zeit in Rauch und Staub gehüllt. Die Söldner husteten.
"Das war nur eine Warnung," sagte Selina.
Es wurde schon dunkel, als die kleine Gruppe bei der Hütte ankam. "Ihr schlaft draußen, oder von mir aus im Schuppen," wandte die Hexe sich an die Männer. "Wer mir zu nah kommt, wird gegrillt." Selina ließ die Söldner vor der Türe stehen.
Im Haus zündete sie erst einmal das Feuer an, dann verschaffte sie sich einen Überblick, was sie für ihren Trank da hatte, und was sie noch besogen musste. "... Misteln hab ich, Krötenlaich auch. Hier ist noch Milch, gestoßenes Ziegenhorn ist auch noch genug da. Eine gebrauchte Waffe bekomm ich bestimmt vor Ort..."
Vor der Hütte hatten sich inzwischen die Männer über die Aufteilung der Wache geeinigt. Sie machten es sich auf der Lichtung bequem, es war für die Söldner nicht die erste Nacht im Freien. Drei von ihnen legten sich schlafen, während der vierte Wache hielt.
Später wurden sie von einem Knall und einen Schrei geweckt. Die drei Männer fuhren von ihren Decken hoch und sahen sich um. "Wo ist Johan?" Die Wache war verschwunden.
Die Tür der Hütte ging auf. Eine brennende Gestallt taumelte heraus und brach wimmernd auf der Lichtung zusammen. Es dauerte einen Moment, bis die drei Söldner die Situation begriffen. Mit ihren Decken versuchten sie ihren Kameraden zu löschen. Als sie es geschafft hatten, war der Mann bereits tot.
"Ich hatte euch gewarnt," sagte Selina von der Tür aus. In einer Hand hielt sie eine Öllampe, in der anderen eine Flasche aus Steingut. Die Hexe verschwand wieder in der Hütte, dabei schlug sie die Tür mit einem lauten Knall zu.
Am nächsten Morgen brachen sie früh auf. Selina hatte den Kupferkessel und einige Zutaten auf einen einfachen Karren gebunden, den die Söldner abwechselnd hinter sich her zogen.
Sie legte die Strecke schweigend zurück. Nach dem nächtlichen Zwischenfall wagte es keiner der Männer die Frau anzusprechen. Ihren Kameraden hatten sie noch in der Nacht am Rande der Lichtung begraben. Danach hatte niemand der drei mehr richtig geschlafen.
Es war fast Mittag, als sie am Feldlager ankamen. Karl vom Silberbach kam ihnen entgegen. "Da seid ihr ja endlich. Die Schlacht wird morgen früh stattfinden. Schaffst du es bis dahin?" Dass ein Söldner fehlte, schien er nicht zu bemerken.
"Das ist zu schaffen," antwortete die Hexe. "Wo soll die Schlacht stattfinden?"
"In dem kleinen Tal dort."
"Gut, dass ist fast ideal für meinen Zauber. Ich brauch noch ein paar Kleinigkeiten. Eine gebrauchte Waffe und das Blut eines Mannes, der noch keine Schlacht mitgemacht hat."
"Was für eine Waffe brauchst du?," fragte der Feldherr nach.
"Ein Schwert oder einen Dolch. Auf jeden Fall eine Klinge, eine Klinge, an der noch Blut vom letzten Kampf ist."
"Ich werde dir alles Notwendige besorgen, wenn du mir versprichst, dass wir die Schlacht morgen gewinnen," sagte Karl vom Silberbach.
"Keiner deiner Leute wird morgen in der Schlacht fallen, das kann ich dir garantieren," antwortete Selina.
"Gut, dann fang an."
Nahe am Rand des Tales machte die Hexe ein Feuer, auf dem sie ihren Kessel stellte. Ein Tisch wurde daneben aufgestellt, so dass sie die Zutaten dort bereit legen konnte. Als Erstes brachte Selina Wasser im Kupferkessel zum Kochen.
"Hier ist die Waffe," sprach sie jemand an. "Und äh..."
"Und was?," fragte sie nach.
"Ich bin der Mann, der noch keine Schlacht mitgemacht hat."
"Gut." Die Hexe nahm einen silbernen Dolch und eine kleine Holzschale. "Streck deinen Arm aus. Ich brauch ein paar Tropfen von deinem Blut."
Der Mann zögerte.
"Jetzt mach schon! Du willst doch den Krieg überleben, oder?" Selina wurde ungeduldig.
"Was ist, Hase?," rief einer der Krieger. "Blöd, wenn man sich nicht aus der letzten Reihe verpissen kann, was?" Einige lachten.
"Haltet die Schnauze." Entschlossen nahm der Mann, der grade Hase genannt worden war, Selina den Silberdolch aus der Hand. Mit einem Hieb schnitt er sich tief in den Arm. Die Holzschale füllte sich schnell mit Blut.
"Das reicht," stellte die Hexe fest. "Geh besser zum Arzt und lass die Wunde behandeln."
"Pah." Der Verletzte wandte sich ab und ging erhobenen Hauptes auf seine erstaunten Kameraden zu.
'Dieser Idiot,' dachte Selina, 'er hat sich die Schlagader aufgeschnitten. Ohne Behandlung erlebt er das Abendessen nicht mehr. Aber das ist nicht mein Problem.'
Ihre Aufmerksamkeit galt nun wieder dem Trank. Beim Rühren zeichnete sie mit dem langstieligen Löffel verschiedene Muster in den Trank, während sie in Abständen die Zutaten hineingab. Das zog sich über mehrere Stunden hin, von ihrer Umgebung nahm die Hexe dabei kaum Notiz.
"Die Sonne geht ja schon wieder auf," bemerkte sie leicht verwundert.
"Bist du fertig?," wollte Karl vom Silberbach von ihr wissen.
"Es fehlt nur noch eine Zutat, um den Zauber wirksam zu machen. Sobald ihr für die Schlacht bereit seid, kann es losgehn."
"Wann sollen meine Leute dein Gebräu trinken?"
"Das ist nicht zum Trinken gedacht. Ich lasse einen Nebel auf dem Schlachtfeld entstehen. Es ist wichtig, dass ihr schnell und entschlossen in den Nebel geht. Wenn der andere Trupp in den Nebel geht, wird er eine Überraschung erleben. Die Waffen der Feinde werden euch nicht verletzen können."
"Ihr habt es gehört," wandte sich der Feldherr an seine Truppe. "Wir werden die Schlacht gewinnen, also: Nehmt Aufstellung!"
Kurz darauf waren die Ritter und Söldner bereit. Selina ließ das gestoßene Ziegenhorn in den Trank rieseln. Dampf quoll aus dem Kessel und sammelte sich in dem Tal.
"Vorwärts!" Auf den Befehl hin stürmte der Trupp in den Nebel. Die Gegner am anderen Ende des Tals zögerten einen Moment, doch dann zogen auch sie unter lautem Geschrei in den Nebel.
Selina stand nun alleine im Feldlager, niemand sah ihr eiskaltes Lächeln, während sich die Geräusche im Tal veränderten. Das Johlen der Männer und das Waffengeklirr verstummten. Ein Muhen war zu hören, auf das Schafsgeblöke antwortete.
Der Nebel löste sich auf, der Blick auf das Schlachtfeld war wieder frei. Waffen und Rüstungen waren verschwunden. Zwischen den Pferden der Ritter standen Kühe. Ziegen, Schafe und ein paar Schweine liefen umher.
Die Hexe ging unter die gemischte Herde. Sie legte zwei Schafen einen Strick um, dann suchte sie sich noch einen Ziegenbock aus. Sie sah dem scheinbar verwirrten Bock in die Augen.
"Wie ich es dir versprochen hatte, Karl. Niemand ist in der Schlacht gefallen. Du kannst dich jetzt mal nützlich machen, und den Karren mit meinen Sachen nach Hause ziehen. Dann werd ich den Bauern sagen, das sie die anderen einsammeln sollen."