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Der Traum vom Zauberwort

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09.03.2007
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Der Traum vom Zauberwort

Der Traum vom Zauberwort

„Papa. Bitte Papa.“

Lisa schaute ängstlich in die dunkelbraunen Augen ihres Vaters. Er sah auf sie herab mit einem bösen und missbilligendem Blick. „Was hast Du da wieder angestellt Lisa?!“ Ihr Blick senkte sich und wanderte unsicher über den Fußboden. Sie wusste was jetzt geschehen würde, und schreckliche Angst überkam sie. „Wir sollten in Dein Zimmer gehen. Meinst Du nicht Lisa?“ Er grinste, was Lisa nur noch unsicherer machte. „Bitte Papa. Bitte, bitte!“ Ihre Stimme wurde immer leiser, sie drohte in Tränen auszubrechen. „Nur das nicht“, dachte Sie, „das macht alles nur noch schlimmer.“ Sie zwang sich dazu, aufzustehen. Ihre Gedanken wirbelten durcheinander. Sie fing fieberhaft an zu überlegen, wie sie sich den Folgen entziehen konnte. Weglaufen? Nein, ihr Vater war sicher viel schneller als sie. Er war groß und kräftig gebaut. Sie selbst war nur ein kleines Mädchen. Grade erst 11 Jahre alt. Aber es musste einen Ausweg geben.

Mama hatte immer gesagt, für jedes Problem gibt es eine Lösung. Aber Mama war nicht mehr. Mama war unerreichbar. Es gab nur noch Papa, und Papa war das Problem.
Die Hände ihres Vaters legten sich auf ihre Schultern und schoben sie vorwärts. Sie würden gleich ihr Zimmer erreicht haben, und dann war alles zu spät. Dann gab es kein Entkommen mehr vor Papa.

Mama hatte gesagt, man kann über Probleme reden. Aber wie konnte man mit dem Problem selbst reden? Sie schreckte aus ihren Gedanken, als die Tür zu ihrem Zimmer zuschlug. „Gefangen“, dachte sie. Ihre Knie sackten ein, und sie fiel hart auf den Boden. Sie spürte die Hände ihres Vaters. Sie packten sie und schüttelten sie durch. Ihr Vater schrie ihren Namen. „Wach auf verdammt noch mal!“ Lisa unterdrückte den fast schmerzhaften Drang, die Augen zu öffnen. Sein Griff lockerte sich, und er ließ sie zurück auf den Boden fallen. „Jetzt“, dachte Lisa. Blindlings trat sie mit ihrem rechten Bein zu. Ihr Vater gab einen Schmerzenslaut von sich und war sichtlich überrascht. Lisa nutzte den Augenblick, sprang auf die Füße und rannte los. Sie riss die Zimmertür auf und lief Richtung Haustür. Lisa hörte ihren Vater laut vor sich hin fluchen. Er kam. „Schneller, schneller“, ging es ihr durch den Kopf. Sie erreichte die Tür und lief hinaus. „Lisa, du verdammtes Biest. Bleib stehen! “ Ihre Beine taten ihr jetzt schon weh. Wohin? Lisa lief durch die Büsche in den Nachbargarten. Dort schien niemand zu Hause zu sein. Weiter, weiter! Sie hörte hinter sich ein paar Zweige knacken. „Ich kriege dich ja doch. Bleib endlich stehen!“ Die Stimme ihres Vaters war erschreckend nah. Nur nicht stehen bleiben, lauf weiter! Lisa machte einen Bogen um das Haus und erreichte die Strasse. Es war niemand zu sehen. Nicht mal ein Auto fuhr vorbei.
Flink kletterte sie über den kleinen Gartenzaun. Was jetzt? Lisa schaute gehetzt um sich. Zur großen Kreuzung, Richtung Brücke. Zu Mama? Bei dem Gedanken an ihre Mutter lief sie schneller. Vielleicht würde alles gut werden, wenn sie bei Mama war.

Mama hatte gesagt: “Lisa, wenn du das Zauberwort benutzt, werden alle Menschen lieb zu dir sein. Wie heißt das Zauberwort?“ „Bitte!“ , hatte Lisa dann gesagt und ihre Mutter angelächelt. Dann hatten sie sich fest umarmt.

Warum funktionierte das Zauberwort nicht bei Papa? Lisa hatte sich nie getraut ihre Mutter danach zu fragen. Dann hätte ihre Mutter bestimmt etwas gemerkt. Und hätte Papa...

Sie erschauderte und verdrängte den Gedanken aus ihrem Kopf. Ein Laut erschreckte sie. Diesmal drehte sie sich um. Papa war am Gartenzaun hängen geblieben, hatte sich die Hose aufgerissen und war gestürzt. Das ermutigte sie, und sie rannte quer über die Kreuzung auf die Brücke. Als Lisa in der Mitte angekommen war, wagte sie einen weiteren Blick zurück. Ihr Vater würde sie in wenigen Augenblicken erreichen. Dann wäre alles aus.

Sie konnte sein wütendes Gesicht erkennen. Lisa warf einen Blick hinunter auf den Fluss, der unter ihr dahin floss. Die Strömung war ziemlich stark. Die langsam untergehende Sonne ließ blitzende Lichter darauf tanzen. Wieder dachte Lisa an ihre Mutter. Sie hatten manchmal zusammen den Sternenhimmel beobachtet, wenn es ein besonders schöner Abend war. Das Bild, das sich unter ihr bot, erinnerte sie daran.

„Mama!“ schrie sie, als ihr Vater nach ihr greifen wollte. Mama wartete dort unten auf sie. Sie würde Lisa auffangen und sie fest in ihre Arme schließen. Undeutlich hörte sie noch ihren Vater nach ihr schreien, als sie fiel.

 

Hallo catbea,

und herzlich willkommen hier.
Du benutzt gleich zwei beliebte Einsteigerthemen, Misshandlung und Selbstmord. Die Misshandlung schwebt dabei nur als Drohung über der Geschichte und der Protagonistin. Vor ihr läuft sie fort und flüchtet zu ihrer toten Mutter. Es geht als (das finde ich gut) nicht darum, nicht mehr leben zu wollen, sondern um eine ersehnte Erlösung.
Trotzdem habe ich das Gefühl, du versuchst über eine möglichst harte Melodramatik zu punkten, das zerstört für mich ein bisschen die Glaubwürdigkeit, auch wenn sich die Geschichte natürlich so abspielen kann.
Ich hätte mir allerdings gewünscht, dass neben der Handlung die Figuren etwas plastischer wären und ich ein schärferes Bild von ihnen hätte. In der Kürze der Geschichte kann die Identifikation nur mit dem Leidgeschehniss, nicht mit Lisa erfolgen. Die Geschehnisse fangen schlimm an und werden immer schlimmer. Es gibt außer dem Selbstmord keinen Hoffnungsschimmer für die Protagonistin. Daduch wird es schwer, mitzufiebern, denn man weiß, wenn ihr die Flucht gelingt, wird sie tot sein, wenn nicht, wird sie leiden. Ich bin gezwungen, ihr Pest oder Cholera zu wünschen. Auch das gibt es natürlich, um es mich als Leser allerdings miterleben zu lassen, bedarf es meiner Ansicht nach eines längeren Aufbaus und einer sich entwickelnden Beziehung zwischen mir als Leser und der Protagonistin. So ist es mir zu eindimensional. Gerade Opferkinder suchen Schuld bei sich, erst recht, wenn der Monstervater sie auch noch so plakativ wie in deiner Geschichte zuweist. Bei einem wirklichen elfjährigem Opferkind würdest du also in der subjektiven Erzählweise jede Menge Verständnis für den Vater finden, egal, wie sehr sie vor ihm flieht.
Es würde die Einsamkeit des Vaters seit dem Tod der Mutter als Entschuldigung anführen, dessen Schmerz des Verlusts, den er an ihr ablässt und die eigene Aufgabe daran stellen.
Da fehlt mir etwas viel. Der angedeutete Missbrauch missbraucht für mich wirkliche Opfer um der beabsichtigten Härte und des beabsichtigten Schocks willen.

Stilistisch ist es bis auf ein paar Fehler flüssig.

Lieben Gruß, sim

 

Hi sim,
danke fürs willkommen heißen!
Habe mir mal Deine Homepage angeschaut und kann Deine Kritik nun vollkommen nachvollziehen ;)

Na, mal im Ernst, erst mal vielen Dank für die konstruktive Kritik.
Nehme ich sehr gerne an!

Ich würde gern kurz zu dem Ursprung der Geschichte kurz Stellung nehmen...
Es ist meine allererste Geschichte, die ich vor ca. 12 Jahren geschrieben habe.
Grund war ein Literaturwettbewerb in unserer schönen Stadt Lübeck - Du wohnst ja nicht weit weg ;)

Völlig überraschend für mich, war dann der 2. Platz, den ich gewann und somit Grund war, es weiter zu betreiben (ja, Eigenlob stinkt ;)) mit den Kurzgeschichten.

Ich habe, während ich schrieb, gar nicht an Kindesmissbrauch gedacht, jedenfalls nicht an sexuellen...
Darauf wurde ich natürlich viel angesprochen, und auch gefragt, ob es mir selbst passiert wäre. Bis auf den "Selbstmord" natürlich ;)

Na jedenfalls war das meine einzige Berührung bisher mit der Öffentlichkeit, und nun wage ich mich "raus" nach dieser langen Zeit.

Somit ist es für mich sehr wichtig, solche Kritik, wie die Deine zu bekommen.

Mußte erstmal darüber nachdenken - und das tut gut!

LG
Bea

 

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