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Der Traummann
Mit bewundernden Blicken sah sich Elvira im Garten des italienischen Luxushotels um. Ein gepflegter englischer Rasen mit Rosenbeeten in den schönsten Farben. Dazwischen breite, geharkte Wege mit weißen Bänken. An den Wegrändern standen große Blumenkübel mit blühendem Oleander. Ein geräumiger Pool leuchtete in der Sonne und lud zum Baden ein.
Das Zimmer war ein Traum. Geräumig und ganz in Altrosa gehalten. Liebevoll dekoriert mit ein paar Statuen und Landschaftsbildern an der Wand. Das Bad mit Whirlpool und vergoldeten Wasserhähnen. Ein riesiges Himmelbett, mit duftigen Stoffbahnen umschlungen. Leider schlief sie dort allein. Aber vielleicht würde sich das ja ändern?
Das also war das exklusive Hotel, in dem die Hollywoodstars abstiegen. Es lag auf einer Insel vor dem Festland. Niemand konnte das Hotel unbemerkt betreten. Hier war man unter sich. Keine lästigen Autogrammjäger und andere Nervensägen störten die Stars.
Sie hatte lange gespart, um sich die zwei sündhaft teuren Übernachtungen in dem Hotel leisten zu können. Sie hatte ganz früh gebucht, um noch ein Zimmer zu ergattern, und sich als Mitarbeiterin eines Filmproduzenten ausgegeben. Nun war sie ihrem Ziel ganz nah: sie wollte Phil Clean treffen, den großen Hollywoodstar. Den Schwarm aller Frauen.
Sie hatte über ihn recherchiert. Sein Vater war ein erfolgreicher Unternehmer. Er stammte also aus gutem Hause. Das merkte man ihm an. Sein Benehmen war weltmännisch. Ein Bild von einem Mann in den besten Jahren. Sie träumte seit Jahren von ihm. Ob sie ihm vielleicht gefiel? Sie war Ende Zwanzig und attraktiv, mit langen, blonden Haaren. Das würde er sicher nicht übersehen.
Gestern hatte sie beim Abendessen viele Hollywoodstars getroffen. Sie sahen hier im Hotel so erschreckend durchschnittlich und normal aus, ganz anders als in den Filmen. Einige hätte sie fast nicht erkannt. Alle waren ausgesprochen freundlich zu ihr. Sie luden sie ein, mit ihnen zu feiern. Sie schien dazuzugehören. Er war gestern Abend unterwegs, hieß es. Heute Morgen beim Frühstück schlief er wohl noch. Aber heute Abend würde im Hotel eine große Party steigen, an der er teilnehmen sollte.
Sie hatte von Giulia, dem Zimmermädchen, erfahren, dass er allein gekommen war, ohne seine aktuelle Freundin. Waren sie überhaupt noch zusammen? Die Freundinnen wechselten oft bei ihm. Er hatte nur seinen Privatsekretär dabei. Er war schließlich nicht zum Vergnügen hier, sondern nahm an einem großen Filmfestival teil. Giulia hatte ihr zugeflüstert, dass er immer zwischen 17 Uhr und 18 Uhr im Garten des Hotels spazieren ging.
16.30 Uhr. Sie saß mit einem Buch auf einer Parkbank und las. Immer wieder
sah sie auf die Uhr. Die Zeit schien nicht zu vergehen.
17.00 Uhr. Nichts geschah. Er ließ sich nicht blicken.
17.15 Uhr. Immer noch kein Phil in Sicht.
17.30 Uhr. Sie war langsam verzweifelt. Wenn er nun ausgerechnet heute
nicht kam? Sollte alles umsonst gewesen sein?
17.45 Uhr. Die Tür zum Garten öffnete sich und – ER war es! Er trug ein weißes Oberhemd und Jeans. Sein Gang war lässig und sicher. Er sah genauso großartig aus wie in seinen Filmen.
Gleich würde sie ihm entgegengehen. Würde an ihm vorbeigehen und ihn freundlich grüßen. Vielleicht wurde ja mehr daraus…
Sie stand auf und hielt den Atem an. Er lief den Weg hinunter. Er sah einfach blendend aus. Ein Traummann, gottgleich, wie in seinen Filmen. Da kam er – händchenhaltend mit seinem Privatsekretär.
Ihr Blick fiel auf die Uhr des schlanken Turmes, der sich über dem Hoteleingang erhob.
Die Zeiger standen auf 6 Uhr.
Die Turmuhr begann zu schrillen.
Verschlafen stellte Elvira den Wecker ab.
Aus der Traum.