Mitglied
- Beitritt
- 06.06.2002
- Beiträge
- 122
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 2
Der Turmadler
Dienstreise wie üblich in Zivilklamotten. Nach Passage der bayerischen Staatsgrenze wurde es ernst, ich schloss die Lektüre eines gehobenen Blattes aus dem Hause Springer ab, wischte nocheinmal Essensreste vom glattrasierten Kinn. Dann wechselte dieses Prachtexemplar einer aufstrebenden jungen westdeutschen Generation vom Speisewaggon zum Abort und zog sich einen - so war es befohlen - Ausgehanzug an. Die Offiziersreise erster Klasse fand an der Wache der Luftlandeschule ihr Ende.
Vierzehn Tage Trockenübungen und dann eine Woche Sprungdienst waren angesagt. Jeder Übungsabschnitt musste bestanden werden. Das erste Martergerät war schon von weitem zu erkennen: Der Sprungturm. Über mehrere Ebenen hatten die Teilnehmer des Springerlehrganges im Laufschritt bis zu einer Öffnung hinauf zu sprinten, um dann mit beiden Füßen gleichzeitig per Schlußsprung unter penibelster Beachtung der Körperhaltung und mit geöffneten Augen abzuspringen. Vier Meter freier Fall, danach rissen die im Schritt zusammen laufenden Gurte den Körper in eine andere Schmerzenswelt, die durch an den Wangen zusammen schlagende Seile noch um einen Superschmerz erweitert wurde. Auf einer schrägen Seilbahn glitt der Übungsturmspringer dem Erdboden entgegen und musste auf Zuruf seine simulierte Kappe so bewegen, dass der Schirm nach rechts oder links gedriftet wäre. Unten angekommen, wurden Fehler besprochen - annähernd zwanzig Kriterien und bei den ersten Sprüngen hatte ich nicht ein einziges fehlerfrei erfüllt. "Mit ihren zusammengekniffenen Augen sehen sie jedesmal wie ein scheißendes Frettchen aus", lautete das Feedback des Ausbilders, der mir später als Absetzer das Zögern per Fußtritt abkürzte. Doch nach dem Frühstück ging das Training am Sprungturm weiter. Die ersten Supersportler meldeten sich bereits zum Dienstschluß ab - alle Kriterien hatten sie fehlerfrei erfüllt - während ich mit immer weniger Leidenskameraden den Turm hinaufkeuchte, mich mental konzentrierte und dann doch vom Ausbilder vernahm, dass ich nicht nur untalentiert, sondern schlichtweg "zu doof" wäre. Irgendwann war ich allein, der einzige Lehrgangs-Teilnehmer, der den simulierten Sprung aus dem Turm noch nicht bestanden hatte. Die gesamte Ausbilder-Crew wartete nur noch auf eine Glanzvorstellung von mir, dann wäre Feierabend. Da konnten sie lange warten. Während des Sportunterrichtes verbrachte ich früher meine Raucherpause am Eckkiosk gegenüber dem Schulhof. Plötzlich - völlig unverhofft - ein Werturteil: "Heh Leute, El Blindo hat bestanden!" Dann zu mir gewandt: "Hau ab du Sack, das war wohl das Letzte!" Doch der Ausbildungsleiter hielt mich noch fest und meinte, ich müsste für diese einsame Glanzleistung einen Orden bekommen. Den sollte ich während der nächsten Tage am Revers tragen. "Hiermit ernenne ich Sie zum dümmsten Lehrgangsteilnehmer und verleihe Ihnen den scheißenden Turmadler in Bronze!" "Vielen Dank, Herr Feldwebel, werde mich bessern!"