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Der unbekannte Mann
Es war eine dunkle Nacht, gefüllt von Ruhe. Nur der prasselnde Regen störte diese irgendwie unheimliche Stille. So konnte man die schweren, ungleichmäßigen, aber doch schnellen, Schritte eines Menschen hören. Er schrie nach Hilfe. Es war ein Ruf voller Verzweiflung, voller Schmerz.
Als Joe abends von der Arbeit nach Hause kam, war seine Frau Cindy wie jeden Abend am Kochen. Seine Kinder jagten einander durch die Wohnung.
„Hallo, Papi“, riefen die beiden, während er von seiner Frau einen flüchtigen Kuss auf die Wange bekam.
Ein Polizist rannte auf den um Hilfe schreienden Mann zu: „Was ist passiert? Wie kann ich Ihnen helfen?“
„Nein!“, der Mann schaute dem Polizisten voller Wahnsinn in die Augen und rannte weg. Der Polizist verfolgte ihn, gab aber nach einiger Zeit erfolglos auf. ‚Wer war das und was ist mit ihm los?’, fragte er sich. Über Funk forderte er Verstärkung an, denn er wollte einen orientierungslosen Mann nicht ohne Hilfe wissen.
„Was gibt es heute zu essen?“, wollte Joe von seiner Frau wissen.
„Lass dich doch einmal überraschen“, sie lächelte ihn an, während die Kinder immer noch durch die Wohnung rannten. Sie waren glücklich.
Der Mann rannte die Straße entlang. Er wusste nicht wohin, wusste nicht, wo er war. Er wollte auch gar nichts mehr wissen. Denn das, was er wusste, war zu viel – er wollte es wieder vergessen, doch er wird es wohl nie in seinem Leben vergessen können. Der Schmerz in seinem Bein wurde bei jedem Schritt noch schlimmer.
Der Polizist entschloss sich, die Richtung zu untersuchen, aus der der Mann gekommen war.
‚Was war dort passiert?’, er fand zwar andauernd Fragen, aber die Antworten schienen vor ihm davon zu rennen. Irgendetwas ging hier vor sich, was er nicht verstehen wollte oder konnte.
„Joe? Kannst du mir einen Gefallen tun? Ich brauche noch Salz, kannst du es bitte drüben in dem kleinen Geschäft holen?“, bat Cindy ihren Mann. Er nickte, zog sich die Jacke an und machte sich auf dem Weg zum gegenüberliegenden Laden. Als er die Haustür ins Schloss fallen ließ, war die Straße leer.
Er fühlte sich unwohl. ‚Irgend etwas liegt hier in der Luft.’
Dort wo der Mann herkam, suchte der Polizist nach auffallenden Sachen, befragte Leute und suchte so Antworten auf seine Fragen. Plötzlich begegnete ihm ein Mann mittleren Alters. Wiederum stellte er die Frage, ob ihm irgendetwas aufgefallen sei – und wieder war der Polizist erfolglos.
Der Mann rannte immer noch. Von weitem sah er einem ihm ziemlich bekannten Ort – den kleinen Lebensmittelladen, an dem er heute schon einmal vorbeigelaufen war. ‚Ich glaube fast, ich laufe im Kreis’, dachte er. Plötzlich konnte er den netten Polizisten erkennen, der ihm vor einiger Zeit helfen wollte. Aber wie konnte er ihm erzählen, was passiert ist, wenn er es selbst noch nicht einmal begriff?
Der Polizist wurde durch bekannte schwere Schritte auf eine Person aufmerksam, die er vorher schon einmal gesehen hatte. Über Funk sagte er der Verstärkung Bescheid, wo sich der Hilfe suchende Mann befand.
Joe kehrte mit dem gewünschten Salz wieder zurück in die Wohnung. Er hatte etwas länger als erwartet gebraucht, da ihm sein Freund und Besitzer des Ladens aufgehalten hatte.
Der Mann wurde von dem Polizisten festgehalten. „Kommen Sie, wir stellen uns dort drüben unter, da sind wir dem Regen nicht so ausgeliefert“, der Polizist kümmerte sich rührend um den Mann und zeigte ihm einen Unterschlupf. Als sie dort angekommen waren, wollte der Polizist wissen, was passiert war.
Zum ersten Mal konnte sich der Polizist den Mann genauer anschauen. Die Augen des Mannes spiegelten Angst, Verzweiflung und in einer entfernten Ecke auch Gutmütigkeit wider.
Joe konnte seinen Augen kaum trauen, als er die Haustür erreicht hatte – sie stand offen. ‚Cindy denkt doch an alles!’, dachte er. Er betrat die Wohnung, legte seine Jacke zur Seite und ging in die Küche, um Cindy das Salz zu bringen. Aber sie war nicht dort. Das Essen war übergekocht.
‚Wo könnte sie sein?’, fragte er sich. Er begab sich in das Wohnzimmer. Dort fand er einen Zettel:
"Du suchst deine Frau?
Schau doch mal im Badezimmer nach!"
Joe bekam Angst. Er betrat am ganzen Leib zitternd das Badezimmer. Dort befand sich seine Frau. Mit schneller schlagendem Puls erkannte er, dass neben ihr ein fremder Mann stand, der ihr eine Pistole an den Kopf hielt. Ein genauerer Blick ins Badezimmer ließ in ihm eine panische Frage aufkommen - wo waren die Kinder?
Doch er wollte jetzt erst einmal die Situation hier bewältigen.
Er schaute genauer zu seiner Frau hin und erkannte, dass der fremde Mann seine Frau gefesselt und ihr ein Tuch in den Mund getan hatte. „Die Kinder habe ich in ihr Zimmer eingeschlossen“, sagte er trocken. Seine Augen funkelten bösartig.
„So, und jetzt erzählen Sie mir, was los ist, okay?“, der Polizist versuchte, dem Mann gut zuzureden. „Ich – ich kann nicht“, er redete unsicher und verzweifelt. ‚Was mag diesem Mann wohl widerfahren sein?’, fragte sich der Polizist.
Beim Fesseln von Cindy hatte der Fremde eine Kleinigkeit übersehen – ihre Füße waren frei. Cindy nutzte die Gelegenheit und verpasste ihm einen Tritt vor das Schienbein. Der fremde Mann zuckte zurück und Joe reagierte schnell. Er sprang hervor und nahm dem Fremden die Pistole aus der Hand.
Der Fremde schaute sich panisch um, fluchte und mit leicht humpelndem Gang flüchtete er schnell. Joe versuchte, ihm zu folgen. Doch als er aus dem Haus herausrannte, sah er den Fremden nicht mehr.
„Ich werde Ihnen nichts tun, versprochen. Ich würde Ihnen auch gerne helfen, aber dafür müsste ich wissen, was Sie bedrückt“, wieder einmal versuchte er sanft auf den Hilfesuchenden einzugehen.
„Nein“, schrie dieser und rannte davon – er humpelte.
Der Polizist war sich schon fast sicher, dass er diesem Mann helfen konnte. Er versuchte den Mann zu verfolgen, doch dann kam ein Funkspruch: „An alle Einheiten in der Nähe von Michaels Lebensmittelladen. Sie werden dort in der Nähe gebraucht.“ Der Polizist ärgerte sich – wieso kam der Funkspruch gerade jetzt?
Am Einsatzort traf der Polizist Joe und Cindy, die von ihren Kindern umringt wurden. „Was ist passiert?“
Joe erzählte ihm alles. Nach Joes ersten Worten fragte sich der Polizist, ob der unbekannte Mann vielleicht der Täter war…