Der visionäre Überschuss
Helge war super. Ohne dass der Chef etwas gemerkt hätte, hatte er für mich ein Nasenspray mit THC hergestellt, also eine Art Hasch-Spray.
Ich probierte es sofort aus.
Vor meinem jetzigen Job hatte ich ein paar Monate in Helges Abteilung gearbeitet: Chemical Brain Boosting. Wenn man dauernd nur mit chemischen Hirnleistungsverstärkern wie Modafinil, Neuro-Boostern und dem ganzen anderen Mist zu tun hat, weiß man einen guten Joint zu schätzen.
Dr. Möllenkamp steckte den Kopf durch die Tür: "Sie denken an unser kleines Meeting nachher um vier?"
Scheiße! Dieses verdammte Meeting! Unser halbjährliches Gespräch mit Zielvereinbarung, Beurteilung und Einschwören auf die Unternehmenskultur - ich hatte es einfach vergessen! Um fünf wollte der Mann vom Zoo den Elefantenmist bringen.
*
Dr. Möllenkamp, mein Vorgesetzter, Dr. Auermann von der Konzernleitung und Frau Dr. Bach, unsere neue Managementberaterin warteten schon.
"Geht Ruck-Zuck," begann Dr. Möllenkamp, "kennen Sie ja schon, Herr, äh. Machen Sie es sich bequem."
Dr. Auermann blickte auf meine Akte und zog die Augenbrauen hoch: "Sehr interessant! Echter Querdenker, wie? Diese Transfers da am Sprachzentrum, IQ-Verstärkern und Teilbegabungen hört sich ja doll an."
"Musikalitätstransfers sind das Neueste!" ergänzte Dr. Möllenkamp, "läuft wie Sau!" Erschrocken blickte er zu Frau Dr. Bach. Er fasste sich wieder: "Letztens hatten wir sogar einen Musikschuldirektor! Der kann jetzt richtig den Ton halten!"
"Die Kreativität der Mitarbeiter ist die größte Ressource!", krähte Frau Dr. Bach und lächelte mich an. Ihr Haarschnitt wirkte eher wie ein Helm. Ja, sie trug einen goldenen Helm! Dr. Möllenkamp cremte sich ein. Oder rasierte er sich etwa?
"Was macht Ihnen gerade besondere Freude?", wandte sich Dr. Möllenkamp an mich.
Ich musste an meine Rhododendren denken, meine neusten Züchtungen, und an den Elefantendung, den ich mit viel Mühe dem Mann vom Zoo abgeschwatzt hatte. Bei Rhododendren reden immer alle vom PH-Wert des Bodens. Schwachsinn! Ein Faktor unter vielen! Elefantenscheiße ist so nährstoffreich, dass Elefantenbabys ihn fressen!
"Greifen Sie einfach eine Sache raus," ermunterte mich Dr. Auermann, "die Liste Ihrer Projekte ist ja ganz schön bunt. Hippocampus als 3D-Modell zum Ausschneiden. Muss man drauf kommen!"
Dr. Auermann hatte sich in einen Frosch verwandelt. Seine Zunge hing seitlich aus seinem breiten Maul.
"Räumliches Vorstellungsvermögen," bekam ich endlich heraus. "Wir arbeiten da an einem Programm, das die Leistung des Areals mehr als verzehnfacht."
"Super!", rief Frau Dr. Bach, "dann käme ich ja endlich in die Parklücke!"
Auf ihrem Helm wedelte ein knallroter Federbusch.
"Speziell für Frauen, Bingo!" rief Dr. Auermann, der früher im Marketing gearbeitet hatte.
"Und was bereitet Ihnen Kopfzerbrechen?", wollte Dr. Möllenkamp wissen. Er sah jetzt aus wie eine Weinbergschnecke. Er hatte riesige Fühler an seinem Kopf. Auf dem Tisch war eine dicke Schleimspur.
Ich dachte wieder an den Mann mit dem Elefantendung. Meine Frau wusste von nichts, und ich stellte mir vor, wie der Mann die ganze Ladung in den Vorgarten kippte - aber in den meines Nachbarn!
"Brauchen Sie irgendwo Unterstützung?" fragte der Frosch. Er hatte den ganzen Tisch vollgesabbert.
Helge hatte sich selbst übertroffen! Bei der letzten Innovationsparty hatte er mir schon eine Kostprobe gegeben. Aber das hier war der Hammer!
"Sagen Sie es ruhig", säuselte Frau Dr. Bach. Sie öffnete ihre Bluse. Auf ihren Brustwarzen saßen kleine Eisenkronen!
Ich befürchtete einen kognitiven Totalausfall und rief: "Immer nur defizitorientiert! Immer nur reparieren! Ja, 15 Millionen Alzheimerpatienten weltweit sind ein Riesenmarkt! Aber wo bleibt das Neue, das Schöne? Chemie war gestern! Bald ist Hirn-Reprogramming so normal wie heute eine Schönheitschirurgie! Wir können unsere Welt schöner machen!"
"Herrlich!" rief Frau Dr. Bach, "dieser visionäre Überschuss!"
"Elefantenscheiße!", rief ich.
Dr. Auermann stimmte mir zu. Er beugte sich weit nach vorne, drehte sich zu Frau Dr. Bach und tippte sich an die Stirn.
"Noch eine letzte Frage vielleicht, Herr, äh", griff Dr. Möllenkamp ein: "Welche Pläne verfolgen Sie gerade?"
Vor meinen Augen wucherten Rhododendren mit schwarzen Blüten. Darin saßen Pirole mit langen Schwänzen. Elefanten trompeteten in der Ferne auf der Suche nach neuen Weidegründen.
"Ich entbinde Sie von der Geheimhaltungspflicht," fügte er hinzu.
"Vertraulichkeit sollte nicht zum Fetisch werden!" rief Frau Dr. Bach. Ich drehte mich zu ihr und tippte mir an die Stirn.
Der Frosch hielt sich den Bauch vor Lachen, oder ihm war schlecht von den ganzen Fliegen, die er gefangen hatte. Dr. Möllenkamp sah mich an: "Na! Irgendwas!"
"Zufriedenheit! Wir sind dabei, das Areal zu lokalisieren, in dem die Zufriedenheit sitzt. Das verstärken wir dann, und alle haben endlich Ruhe", erklärte ich. Ich hatte keinen Schimmer, woran wir gerade forschten!
"Das wird ein Knaller!", rief Dr. Möllenkamp.
"Obwohl", wandte Dr. Auermann ein, "wenn alle zufrieden sind, kauft keiner mehr was!"
"Elefantenscheiße!" schrie Frau Dr. Bach. "Dann kommt eben etwas Neues! Wir dürfen das Fenster zur Zukunft nicht unter Vorbehalt öffnen! Was wir brauchen, sind Visionen!"
Die Tür öffnete sich. Helge kam herein. Er war kreidebleich. "Entschuldigen Sie, wenn ich störe, aber es ist wichtig!" stammelte er. Er kam an meinen Tisch. "Kann ich dich mal kurz sprechen?
"Wir sind eh' fertig! Machen Sie ruhig. Den Bericht senden wir Ihnen dann als E-Mail", sagte Dr. Möllenkamp. Er klemmte in seinem Schneckenhaus fest.
"Das Spray! Mir ist da ein Versehen...", flüsterte Helge.
"Alles klar!" beruhigte ich ihn. "Würde das Zeug auch als Dünger funktionieren?"